lovetrail hat geschrieben: ↑Sa 15. Mai 2021, 10:32
Freilich kann man Sucht in einem sehr breiten Kontext verstehen, ich würde es aber gerne auf Spielarten eingrenzen wie Rauschmittel (Alkohol, Drogen), Essen (Fettsucht) und vielleicht auch Pornographie/Unzucht.
Ok, mal ein Schritt in eine andere Richtung.
Noch mal von vorn.
Das erste, woran man bei dem Wort "Sucht" denkt, sind natürlich Betäubungsmittel, Drogen, Berauschungsmittel. Und zwar an Mittel, die körperlich abhängig machen. Das sind erstmal Opiate. Oder Amphetamine.
Bei Opiaten hat man den Effekt, dass die Dosis gesteigert werden muss und man am Ende nichts mehr davon hat, außer keine Entzugserscheinungen. Bei Ampehtaminen kann es ähnlich sein. Wobei es auch viele Leute gibt, die nach Jahren von heute auf morgen aufhören und es auch keine großen Probleme gibt.
Die körperliche Abhängigkeit kann man mit Hilfsmitteln, Enzugsmethoden etc. in den Griff bekommen. Aber die psychische Abhängigkeit ist letztlich das Problem. Und um die zu überwinden, braucht man vor allem eines:
Den festen Willen, es sein zu lassen.
Das muss klar sein und begründet sein, damit es dann im Ernstfall dem Drang standhält. Und der Drang kann extrem stark sein. Das ist das Problem, den Drang zu überwinden. Die Stärke des Drangs ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Dementsprechend muss auch die Willenskraft vorhanden sein. Und da gibt es unterschiedliche "Schwierigkeitsgrade". Jeder Mensch ist anders gefordert.
Wenn dann der feste Wille da ist, gibt es Hilfsmittel. In erster Linie denke ich an Medikamente.
Man kann zB sehr gut "ausschleichen". Funktioniert wunderbar. Es gibt auch Ersatzstoffe, die helfen können. Entzugskliniken mit Betreuung. Wo einem jemand beisteht. Und alles da ist, um es so erträglich wie möglich zu machen. Was ich sehr gut finde, sind sog. "Opioid-Antagonisten". Das sind Substanzen, die die Opioid Rezeptoren blockieren. Somit "kommt man runter". Das soll in vielen Fällen sehr gut geholfen haben. Vorausgesetzt, der Wille ist stark genug. Das Beste: Sowas wirkt auch bei allen anderen Süchten.
Immer wieder das Thema: Wie bringt man es jemandem bei, dass er "süchtig" ist? Wenn es nicht so offensichtlich ist. Das ist der Punkt, wo es wieder darum geht, was Sucht eigentlich ist. Ich habe da meine eigene Definition oder Ansicht von. Zwischen süchtig und nicht-süchtig ist für mich nur ein winzig kleiner, wandernder Streifen, den man kaum sehen kann. Im Grunde denke ich, immer, wenn man etwas immer wieder haben, erleben, genießen will und leidet, wenn es nicht da ist, ist man schon süchtig. Verliebtsein - ist eine Sucht. "Sehensucht" heißt es ja. Verliebte sind oft ziemlich aufeinander fixiert und drehen völlig durch, wenn sie getrennt werden. Man kann das "total süß" finden, was es ja auch ist. Aber: Es ist eine Sucht. Wenn Menschen sich wegen so einer Sucht das Leben nehmen oder andere ziemlich krasse Dinge tun, zeigt das ja, wie intensiv diese Sucht ist und wie destruktiv sie sein kann.
Wieso redet man da aber nicht von "Sucht"? Weil man erstens davon ausgehen kann, dass es sich von alleine beruhigt oder erledigt, auch wenn die Sucht voll ausgelebt wird. Und zweitens, weil man davon ausgeht, dass es kein Schaden ist sondern sogar eine Bereicherung. Verliebte gelten als glücklich und werden beneidet. Es ist gesellschaftlich akzeptiert. Es gibt dafür auch einen Rahmen, die Beziehung, Partnerschaft, Ehe. Darin wird das ausgelebt.
Tatsächlich kann Liebe aber extrem destruktiv, schädigend sein, tödlich sein. Nicht wenige Paare sind sehr unglücklich und gestört - obwohl sie sich "lieben" und völlig versessen auf die Nähe des anderen sind. Dafür gibt es viele Beispiele.
Bei einer Sucht nach einer Rauschdroge ist es anders. Oder vielleicht nicht? Tatsächlich gibt es Menschen, die ein ganzes Leben lang oder zumindest viele Jahre opiatabhängig sind, die ein ganz normales Leben führen, denen man nichts anmerkt und für die das auch kein Problem darstellt. Sie haben das Geld und die Möglichkeit und machen das eben. Entzugserscheinungen gibt es nicht. Gesundheit ist ok. Man geht arbeiten. Pflegt Beziehungen. Alles bestens. Auch das gibt es.
Was ist mit anderen Süchten, die nicht gelten, weil sie "naturgegeben" sind. ZB die Abhängigkeit von Nahrungsmitteln und Wasser oder Schlaf. Man sagt: Das ist keine Sucht. Das braucht man nun mal. Es gibt aber Menschen, die ohne Schlaf auskommen oder ohne Nahrung. Es sind Ausnahmen, die als Wunder gelten, aber es gibt sie oder gab sie zumindest. Wie kann das möglich sein? Handelt es sich vielleicht um Süchte, die wir als solche nicht mehr erkennen, weil sie Allgemeingut geworden sind?
Wenn ein Mensch etwas ganz toll findet und unbdingt machen will aber ansonsten ausflippt, ist das dann keine Sucht? Aber nicht wenige Menschen sind genau so in ihrem Beruf, ihrer "Leidenschaft". Ein Mensch, der ein Leben lang den starken Drang hat, eine bestimmte Sache zu tun und ansonsten todunglücklich wird. Und sich sogar das Leben nimmt. Ist das nicht auch eine Sucht?
Ich würde es eher so sehen:
Alles, was man wieder haben will, machen will, weil man es genießt, ist Sucht. Der Mensch ist immer auf der "Suche" nach Glück und Erfüllung. Er will sich gut fühlen. Er "sucht" danach. Manches enttäuscht früher oder später. Manches vielleicht nicht so sehr. Manches hat man satt nach einer Zeit. Manches nicht. Manches schadet, manches nutzt vor allem, oder eine Mischung daraus. Oder zuerst nutzt es, dann schadet es. Je nachdem. Wenn es vor allem schadet, und es besser wäre, es sein zu lassen - dann hat man ein Problem. Wenn es jedoch nutzt und erfüllt, ist es wünschenswert. Es gibt also eine gute und eine schlechte Sucht und vieles irgendwo dazwischen.
Auch die Art von Sucht, die "Opa Klaus" immer wieder anspricht, (Hallo Klaus!), kann prinzipiell auch Gutes hervorbringen. Sich in eine Welt hineinzuversetzen, die den eigenen Wünschen entspricht, kann dazu führen, dass sie Wirklichkeit wird. Oder dass man in einem bestimmten Zustand bleibt, wie auch immer die Umstände aussehen. Es kann aber auch völlig irreführen und viel Schaden anrichten.
Also sind für mich die entscheidenden Fragen:
Worauf bezieht sich die Sucht? Wie wirkt sie sich aus? Und wie sieht es aus mit der Kontrolle?
Man kann auch süchtig nach Gott sein. Auch das gibt es. Das ist aber ein sehr gute Sucht. Eine Sucht, die nur Gutes hervorbringt, die heilt und hilft. Eine wünschenswerte Sucht. Nur leider ist es schwer, an diesen "Stoff" ranzukommen, darum gibt es auch so wenige, die danach süchtig sind.
Was man aber unter Sucht versteht, ist destruktiv. Es bezieht sich auf weltliche Vergnügungen und Annehmlichkeiten. Und die Welt führt immer ins Verderben, früher oder später. Alles, was in der Welt Spass macht, hat einen sehr hohen Preis. Die "Genußfähigkeit" des Menschen ist begrenzt. Irgendwann bricht der Mensch zusammen. Irgendwann ist der Magen nun mal voll. Oder man ist erschöpft. Die Energiereserven des Körpers sind erschöpft. Und dann gerät man unter Druck. Auch finanziell gibt es meistens Limits. Der Mensch ist nicht so beschaffen, dass er diese Welt hemmungslos genießen könnte. Sondern in einem Übermaß wird er an ihr zugrunde gehen. Zu viel Drogen, zu viel Party, zu viel Erfolg, zu viel Macht, Geld, Ruhm, Sex - all das macht den Menschen mit der Zeit krank und gestört. Es zieht in runter, es ruiniert ihn psychisch, geistig, seelisch, emotional, körperlich. Unweigerlich. Weil der Mensch nicht dafür geschaffen ist.
Für mich ist Sucht eine Kardinaleigenschaft der negativen Kraft.
Es ist die "Weltsucht". Die völlige, totale Versessenheit und Fixierung auf die materielle Welt mit all ihrer Schönheit aber auch ihrer Hässlichkeit, eine Sucht selbst nach den ekelhaften, abstoßenden Dingen. Eine Teilhabe an dieser "Generalsucht" ist eine Annäherung an das, was schlecht ist und uns zu abhängigen, schwachen, fremdgesteuerten Wesen ohne Kontrolle macht, die am Ende voller Sucht sind und dann auch bereit, böse Dinge zu tun. Weil das nun mal das ist, wo all das irgendwann früher oder später hinführt.