Vom Beten.
Das Vaterunser.
Aus diesen Worten Christi lernen wir
sowohl Worte als auch Art und Weise des Gebets,
das heißt, wie und was wir beten sollen;
denn diese zwei Dinge zu wissen ist nötig:
Johannes 4 Vers 23. 24
"Aber es kommt die Zeit
und ist schon jetzt,
in der die wahren Anbeter
den Vater anbeten werden
im Geist und in der Wahrheit;
denn auch der Vater
will solche Anbeter haben.
Gott ist Geist,
und die ihn anbeten,
die müssen ihn
im Geist und in der Wahrheit anbeten."
Matthäus 6 Vers 7 - 13
"Und wenn ihr betet,
sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden;
denn sie meinen sie werden erhört,
wenn sie viele Worte machen.
Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen.
Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft,
ehe ihr ihn bittet.
Darum sollt ihr so beten:
Unser Vater im Himmel!
Dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
[Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]"
1) Ihr sollt nur wenige Worte machen, aber Vieles und Tiefes dabei bedenken und aus Herzensgrund innerliches Begehren, Seufzen und Verlangen zu Gott haben,
aber nicht äußerlich, leiblich mit dem Munde murmeln und plappern nur dem Scheine zulieb, denn das schafft Heuchler und falsche, selbstsichere Geister;
das andere schafft Heilige und ehrfürchtige Gotteskinder.
Doch ist nicht alles äußerliche Beten als solches schon zu verwerfen, denn die mündlichen Gebete dienen uns als Anreiz und Antrieb für die Seele, dem Sinn und Begehren, das die Worte anzeigen, nachzudenken. Sie sind aber nicht höher zu werten als die Gebete, die im Geiste gründlich gebetet werden.
Gebete ohne Gehorsam, entweder mit Unwillen und Unlust, oder um des Geldes, der Ehre oder des Lobes willen, würden besser unterlassen.
"Betet ohne Unterlaß!" (1.Thess 5 Vers 17) Das ist vom geistlichen Gebet gesagt; das kann ohne Unterlaß geschehen, auch bei leiblicher Arbeit, usw. Freilich bringt das niemand ganz fertig; denn wer vermag allezeit sein Herz zu Gott zu erheben? (Röm 12, 12 / Eph 6,18 / Kol 4, 2 / Lk 18,1-8)
Darum ist mit diesem Wort ein Ziel gesetzt, nach dem wir uns richten sollen; und wenn wir sehen, daß wir es nicht tun, sollen wir uns als schwache, gebrechliche Menschen erkennen und uns demütigen lassen und um Gnade bitten für unsere Gebrechlichkeit.
2) Das Vorbild für den Inhalt aller Gebete ist das Vaterunser. Weil denn dieses Gebet von unserem Herrn stammt, wird es ohne Zweifel auch das höchste, edelste und beste Gebet sein; denn hätte er ein besseres gewußt, der rechtschaffene, treue Lehrer, so würde er es uns auch gelehrt haben.
Andere Gebete sind verdächtig, die nicht im voraus den Inhalt und die Meinung dieses Gebetes haben oder in sich begreifen.
Die Psalmen sind ja auch gute Gebete; sie drücken aber das, was diesem Gebete eigentümlich ist, nicht so klar aus, obwohl sie es ganz in sich schließen.
Darum ist es ein Irrtum, wenn man einige andere Gebete mit diesem Gebet gleichstellen oder sie ihm sogar vorziehen will (S. Birgittas Fünfzehngebet, Rosenkränze, Coronen, Psalmgebete und dergleichen).
Nicht daß ich sie verwerfen wollte,
sondern die Zuversicht auf diese mündlichen Gebete ist zu groß.
(Jes 29, 13; Mt 15,8)
Es ist besser,
du betest
ein Vaterunser
mit herzlichem Begehren
und im Sinn dessen,
was die Worte sagen!
Denn aller Ablaß, aller Nutzen, alle Segnungen und alles,
was der Mensch bedarf an Leib und Seele hier und dort,
das ist darin im Überfluß inbegriffen. –
Daraus würde gewiß eine Besserung deines Lebens erwachsen.
Alle Worte des "Vaterunsers"
laden dich zum Herzensgebet
(das heißt: im Geist und in der Wahrheit) ein.
Aber ohne Erhebung des Gemütes oder Herzens zu Gott
nützen alle Worte nichts,
denn das Wesentliche ist nicht da,
sondern allein der Schein und der Name
(so wie die Vogelscheuchen in den Gärten Menschen sind).
Und hüte dich, deine eigene Andächtigkeit
zu betrachten und zu loben,
daß du nicht dem Gift der alten Schlange
(das heißt: der todbringenden Hoffart) folgst,
welche sagt:
"Ach, ich bete nun mit dem Herzen und mit dem Munde
und habe solche Andacht, daß es, glaube ich,
schwerlich einen andern geben wird,
der das so recht macht wie ich."
Diese Gedanken hat dir nämlich der Teufel eingegeben,
und du wirst damit ärger als alle, die nicht beten;
ja, ein solcher Gedanke ist nicht weit entfernt
von einer Lästerung und Verfluchung Gottes.
Denn nicht dich, sondern
Gott sollst du loben bei allem Guten,
das du fühlst oder hast.
Dieses Gebet
ist nicht bloß eine Bitte,
sondern auch eine heilsame Lehre und Kennzeichnug
unseres elenden, verdammten Lebens auf Erden.
Es führt uns zur Selbsterkenntnis
und hat eine doppelte Wirkung:
Es erniedrigt und erhebt uns.
Es erniedrigt damit, daß es uns zwingt
mit eigenem Munde unser großes, klägliches Elend zu bekennen,
erhebt aber damit, daß es uns zeigt,
wie wir uns in solcher Erniedrigung verhalten sollen.
Diese Art hat jedes Wort Gottes an sich, daß es
erschreckt und tröstet, schlägt und heilt, zerbricht und baut,
ausreißt und wieder pflanzt, demütigt und erhebt. (Pred 3)
Zuletzt ist zu beachten,
daß du nicht für dich allein betest,
sondern für die ganze Schar aller Menschen sollst du beten.
Denn es heißt nicht "Mein Vater", sondern "Unser Vater".
M.L.