EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

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Rembremerding

EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von Rembremerding »

Hallo und eine schönen Tag an alle Foristen! :)

Der Europäische Gerichtshof hat das Burkaverbot (Ganzkörperverschleierung) für muslimische Frauen in Frankreich für rechtens erklärt. Nun wird auch in anderen Ländern diskutiert, ob man die Burka ebenso verbieten soll. Hier die wichtigsten Pro- und Contra-Argumente:

Die Befürworter des Urteils finden im GG ihre Bestätigung, das jeden das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit einräumt, "soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt" (Art 2.1 GG).
Ein "Sittengesetz" ist dabei immer Ausdruck dessen, was dem allgemeinen Rechtsempfinden nach als sittengemäß oder anstößig gilt. Es kommt bei solchen Grundsatzentscheidungen also darauf an, ob sie von einer Mehrheit der Mitglieder einer Gemeinschaft mitgetragen werden können.
Eine französische Muslimin verletzt im physischen Sinn kein anderes Mitglied der Gesellschaft, jedoch tut das der FKKler, der am liebsten nackt im Supermarkt einkaufen würde, auch nicht. Auch nicht die Frau, die in Kuwait einen Bikini tragen möchte. Das Prinzip einer modernen Gesellschaft führt zudem die Vollverschleierung ad absurdum, das ja auf Kommunikation angewiesen ist, auch von Angesicht zu Angesicht und nicht nur über das Internet.

Die Gegner des Urteils führen ins Feld, dass Grundrechte (die freie Entfaltung der Persönlichkeit) keine Rechte sind, die von einer Mehrheit bestimmt werden. Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, die den einzelnen eben gerade vor Übergriffen der Mehrheit schützen sollen, wenn etwa einzelne andere abweichende und fremde Vorstellungen davon haben, wie sie ihr Leben führen wollen.
Es gibt kein Recht in einem "das Zusammenleben erleichternden Raum der Begegnung" zu leben, somit kann es auch nicht die Religionsfreiheit und die Handlungsfreiheit von Frauen, die Burka tragen, mindern. So steht nun Im Zentrum des staatlichen Schutzes nicht mehr der einzelne, sondern das Kollektiv, das dem einzelnen vorschreiben kann, wie er oder sie zu leben hat und somit wird auch die Religionsfreiheit angegriffen.
Zu einer freiheitlichen Demokratie gehört auch, dass sich Menschen nicht an ihr beteiligen müssen (siehe auch ZJ). Rechte dürfen eingeschränkt werden, wenn ihre Ausübung anderen schadet, jedoch nicht, weil ihre Ausübung missfällt. Zudem stigmatisiert das Gesetz Burkaträgerinnen und verbannen sie aus der Öffentlichkeit, die Frauenrechte werden dadurch nicht geschützt.

Also Burkaverbot ja oder nein etwa in D oder A?

Servus :wave:
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closs
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von closs »

Rembremerding hat geschrieben:Die Gegner des Urteils führen ins Feld, dass Grundrechte (die freie Entfaltung der Persönlichkeit) keine Rechte sind, die von einer Mehrheit bestimmt werden. Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, die den einzelnen eben gerade vor Übergriffen der Mehrheit schützen sollen, wenn etwa einzelne andere abweichende und fremde Vorstellungen davon haben, wie sie ihr Leben führen wollen.
So ist es.

EIN staatliches Argument könnte man akzeptieren: Es ist inakzeptabel, dass ein Bürger von Staatsorganen (Polizei, etc.) nicht identifizierbar ist - das kann bei einer (Gesichts-) Burka der Fall sein. - Insofern besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Burka und Kopftuch.
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Pluto
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:EIN staatliches Argument könnte man akzeptieren: Es ist inakzeptabel, dass ein Bürger von Staatsorganen (Polizei, etc.) nicht identifizierbar ist - das kann bei einer (Gesichts-) Burka der Fall sein.
Ja. Das ist für mich ein ganz wesentliches Argument für ein Burkaverbot.
Ein Weiteres wäre, dass Kommunikation zu mindestens 30% aus "Körpersprache" besteht. Dies wird fastgänzlich durhc das Tragen einer Burka verhindert.
Noch ein Argument wäre der kulturelle Unterschied.
closs hat geschrieben:Insofern besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Burka und Kopftuch.
Wenn man sie als religiöse Zeichen interpretiert, dann sind die Parallelen offesichtlich.
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closs
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von closs »

Pluto hat geschrieben:Ein Weiteres wäre, dass Kommunikation zu mindestens 30% aus "Körpersprache" besteht. Dies wird fastgänzlich durhc das Tragen einer Burka verhindert. Noch ein Argument wäre der kulturelle Unterschied.
Nee - das geht den Staat nichts an. - Wenn ein Bürger sich so kleidet, dass er sich kaum per Körpersprache verständigen kann, ist das seine Sache - auch der kulturelle Unterschied ist kein Argument - auch das Zeigen religiöser Zeichen ist kein Argument.

Man muss das mal durchdeklinieren: Irgendwann werden dann Phlegmatiker (lasche Körpersprache), Nomaden (kulturelle Unterschiede) und Träger von Kreuzchen am Hals (religiöse Zeichen) sanktioniert - wehret den Anfängen. - Außer dem Recht des Staates, die Identität eines Bürgers (oder Gastes) überprüfen zu können und (beispielsweise) Verkehrssicherheit (geht nicht mit Mini-Sehschlitzen) zu gewährleisten, sehe ich kein Sanktionsrecht des Staates.
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ein Weiteres wäre, dass Kommunikation zu mindestens 30% aus "Körpersprache" besteht. Dies wird fastgänzlich durhc das Tragen einer Burka verhindert. Noch ein Argument wäre der kulturelle Unterschied.
Nee - das geht den Staat nichts an. - Wenn ein Bürger sich so kleidet, dass er sich kaum per Körpersprache verständigen kann, ist das seine Sache - auch der kulturelle Unterschied ist kein Argument - auch das Zeigen religiöser Zeichen ist kein Argument.
Für Touristen magst du Recht haben!
Aber bei einem Menschen der sich bei uns dauerhaft niederlassen will, zeugt es von mangelndem Willen sich anzupassen. Integration fordert nun mal von beiden Seiten Toleranz und Anpassungsfähigkeit.
closs hat geschrieben:Außer dem Recht des Staates, die Identität eines Bürgers (oder Gastes) überprüfen zu können und (beispielsweise) Verkehrssicherheit (geht nicht mit Mini-Sehschlitzen) zu gewährleisten, sehe ich kein Sanktionsrecht des Staates.
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Das trifft auf Ganzkörperzelte zu, die IMO eindeutig zu weit gehen.
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von closs »

Pluto hat geschrieben:Das trifft auf Ganzkörperzelte zu, die IMO eindeutig zu weit gehen.
Dann trifft es auch auf die religions-typischen Kopfbedeckungen der Juden zu - das geht mir zu weit. Ich würde in solchen Sachen nicht rumrühren (bis auf die erwähnten Ausnahmen, die ausschließlich etwas mit öffentlicher Sicherheit zu tun haben).
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das trifft auf Ganzkörperzelte zu, die IMO eindeutig zu weit gehen.
Dann trifft es auch auf die religions-typischen Kopfbedeckungen der Juden zu - das geht mir zu weit. Ich würde in solchen Sachen nicht rumrühren (bis auf die erwähnten Ausnahmen, die ausschließlich etwas mit öffentlicher Sicherheit zu tun haben).
Dann solltest du dich genauso über die Amisch oder die ZJ aufregen.

Du vergleichst Äpfel mit Birnen!
Es ist schon was anderes, ob man völlig verschleiert rumläuft, oder einfach schwarze Klamotten und 'nen Hut trägt, und sehen kann, mit wem man es zu tun hat.
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von closs »

Pluto hat geschrieben:Dann solltest du dich genauso über die Amisch oder die ZJ aufregen.
So ist es - das wäre die Konsequenz daraus.
Pluto hat geschrieben:Es ist schon was anderes, ob man völlig verschleiert rumläuft, oder einfach schwarze Klamotten und 'nen Hut trägt
Unter religiösen und bürger-rechtlichen Gesichtspunkten ist es NICHT etwas anderes. - Den einzigen Unterschied kann man über Begriffe wie "öffentliche Ordnung/Sicherheit" rekrutieren - aber nicht über Gesinnungs-Argumente.
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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es ist schon was anderes, ob man völlig verschleiert rumläuft, oder einfach schwarze Klamotten und 'nen Hut trägt
Unter religiösen und bürger-rechtlichen Gesichtspunkten ist es NICHT etwas anderes. - Den einzigen Unterschied kann man über Begriffe wie "öffentliche Ordnung/Sicherheit" rekrutieren - aber nicht über Gesinnungs-Argumente.
Gesinnung ist das nicht, sondern eine Frage der Intergrationsfähigkeit.

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Re: EGH-Urteil: Burkaverbot in Frankreich rechtens

Beitrag von closs »

Pluto hat geschrieben: eine Frage der Intergrationsfähigkeit
Wer entscheidet, dass muslimische Gruppen (Burka) nicht integrationsfähig sind, aber muslimische Kopftücher und jüdische Kopfbedeckungen? - Macht man das per order di mufti? - Oder per demokratischer Abstimmung? - Kann man von der Mehrheit Minderheitsrechte abstimmen lassen? - Oder sollte man das lieber einer freiheitlich-demokratischen Verfassung überlassen, die NICHT per Abstimmung zur Disposition steht?
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