Reduktionismus oder Holismus

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closs
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Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs »

ThomasM hat geschrieben:die beteiligten Wissenschaftler haben diese Definzite schon lange erkannt und auch kommuniziert.
Mit Verlaub: Das kann ich so nicht erkennen.

Nun soll NICHT unterstellt werden, Wissenschaft denke nicht komplex (das wäre eine unnötige Unverschämtheit), jedoch sehr wohl, dass Wissenschaft nicht über ihr System hinausdenkt (wie auch?) - konkretes Beispiel "Abtreibung":

Ein Naturwissenschaftler kann verfolgen, wie nach der Befruchtung immer mehr Zellen entstehn und kann diese Entwicklung (auch qualitativ) beschreiben - bspw.: "Ein Zellklumpen in der 6. Schwangerschaftswoche kann als solcher kein eigenes Bewusstsein haben". - Daraus schließt man logisch: Bei einer Abtreibung wird in diesem Stadium kein Mensch abgetrieben, sondern eine biologische Masse. - Ist wirklich logisch.

Wenn man nun mit dem geistigen Entwurf kommt, dass der Mensch eine geistige Schöpfung ist, die in die Materie tritt und sich immer mehr - mit wachsender Komplexität der Materie - in der Materie offenbart, KANN das die Wissenschaft nicht nachvollziehen, weil sie nur Rückschlüsse aus dem zieht, was objektivierbar ist. Aus ihrer System-Sicht entsteht der Mensch primär aus Materie - somit glaubt der Wissenschaftler, dass Geist Folge von Materie ist.

Wäre nun der Fall, was Christen glauben ("Der Mensch ist als vollständige Person geschaffen und offenbart sich nach und nach im Körper"), würde in der 6. SChwangerschaftswoche nicht ein Zellklumpen abgetrieben werden, sondern eine komplette menschliche Existenz.

Weist man den Wissenschaftler auf diese christliche, holistische Sichtweise hin, wird er (meistens) antworten: "Wenn Du das nicht nachweisen kannst, ist Deine Auffassung irrelevant". - Er wird weiterhin sagen, dass er aus seiner komplexen (vielleicht würde er sogar: "holistischen") Denkweise nachweisen könne, dass es in der 6. Schwangerschaftswoche wirklich noch kein Gehirn-Ansatz gäbe (der ja - nach materialistischer Sicht - Entstehungs-Ort der menschlichen Person sei - das ist ja die A-priori-Setzung). - Und damit ist auch der Begriff "holistisch" verbrannt, weil er übernommen und entschärft wird (passiert übrigens oft, dass auf diese Weise schwerwiegende Begriffe verluscht werden).

Mit anderen Worten: Ich kann bisher nur erkennen, dass Wissenschaft Defizite des Reduktionismus domestiziert kommuniziert - klingt für mich manchmal eher wie PR. - Diesbezüglich wären dringend seriöse vertrauensbildende Maßnahmen nötig - WENN es überhaupt geht (und genau das ist mir persönlich unklar, OB es überhaupt geht).
ThomasM
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Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von ThomasM »

closs hat geschrieben:
Weist man den Wissenschaftler auf diese christliche, holistische Sichtweise hin, wird er (meistens) antworten: "Wenn Du das nicht nachweisen kannst, ist Deine Auffassung irrelevant". - Er wird weiterhin sagen, dass er aus seiner komplexen (vielleicht würde er sogar: "holistischen") Denkweise nachweisen könne, dass es in der 6. Schwangerschaftswoche wirklich noch kein Gehirn-Ansatz gäbe (der ja - nach materialistischer Sicht - Entstehungs-Ort der menschlichen Person sei - das ist ja die A-priori-Setzung). - Und damit ist auch der Begriff "holistisch" verbrannt, weil er übernommen und entschärft wird (passiert übrigens oft, dass auf diese Weise schwerwiegende Begriffe verluscht werden).
Das Problem liegt in deinem Beispiel aber nicht am Wissenschaftler, sondern an dir und deinen Kommunikationsfähigkeiten.

Es wäre zunächst einmal an dir, die Argumentation des Wissenschaftlers zur Kenntnis zu nehmen und zu bejahen
"Ja, tatsächlich, in dieser Zeit gibt es noch kein Gehirn, also kann der Fötus zu diesem Zeitpunkt nicht denken"
Der Wissenschaftler hat vollkommen Recht mit seiner Analyse.

Aber was ist mit seiner Schlussfolgerung? Du musst jetzt erkennen, dass seine Schlussfolgerung eine Annahme enthält:
"Ein Zellhaufen ohne funktionierendes Gehirn ist kein Mensch"
Diese Annahme wäre in Frage zu stellen. Aber nicht indem man eine Annahme dagegenstellt, die einen Glaubensakt beinhaltet (Wissenschaft ist Glaubens neutral, also sollte die Argumentation auch Glaubens neutral sein)

Erster Schritt einer Erwiderung wäre das Aufzeigen von Konsequenzen.
"Wenn ein Zellhaufen ohne Denkfähigkeit kein Mensch ist, dann wäre ein im Koma liegender Mensch auch kein Mensch. Das ist ethisch nicht akzeptabel"
Zweiter Schritt wäre das Aufzeigen einer Alternative, basierend auf den reduktionistisch bekannten Daten.
"Es wäre viel konsistenter, einen Mensch über seinen genetischen Code zu definieren. Ein Mensch ist ein Mensch, wenn er die Gene eines Menschen hat."
Der dritte Schritt würde dich dann zu deiner gewünschten Konsequenz bringen
"Der Mensch liegt bereits mit der Befruchtung vor, ist also von Beginn an ein Mensch."

So ein Vorgehen nennt sich übrigens "Zielgruppenorientiertes Argumentieren".

Gruß
Thomas
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Pluto
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Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Pluto »

ThomasM hat geschrieben:So ein Vorgehen nennt sich übrigens "Zielgruppenorientiertes Argumentieren".
Aha...! Wieder was gelernt.
ThomasM hat geschrieben:"Wenn ein Zellhaufen ohne Denkfähigkeit kein Mensch ist, dann wäre ein im Koma liegender Mensch auch kein Mensch. Das ist ethisch nicht akzeptabel"
So würde ich nicht argumentieren.
Ein Mensch im Koma bleibt eine Mensch mit einer ganz persönlichen Geschicht, mit Wünschen und Hoffnungen, ein Mensch der Freude und Leid, Hunger und Krnakheit, Liebe erlebt hat, und einen Freundeskreis hatte.
  • Kurz er ist/war eine Person.
Ein hirnloses Embryo hingegen, kann diese Lebenserfahrung niemals gemacht haben. Ein sehr wesentlicher Unterschied, wie ich finde.

Auch ein durchaus vertretbarer ethischer Standpunkt. 8-)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
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closs
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Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs »

ThomasM hat geschrieben:Der Wissenschaftler hat vollkommen Recht mit seiner Analyse.
Stimmt - ich nenne das "system-interne Folgerichtigkeit".
ThomasM hat geschrieben:Es wäre zunächst einmal an dir, die Argumentation des Wissenschaftlers zur Kenntnis zu nehmen und zu bejahen
Das geschieht durchaus oft seitens der "geistigen Fraktion": "Lieber Wissenschaftler, wir haben sehr wohl erkannt, dass Du im Sinne Deines Koordinaten-Systems recht hast". - Darauf kommt der Satz: "So - und jetzt mache mal einen Transfer in andere Koordinaten-Systeme" - was üblicherweise mit "irrelevant" quittiert wird, weil man das andere System nur anerkennt, wenn es den Gesetzen des eigenen Systems entspricht. - Natürlich ist das ein Widerspruch in sich selbst - trotzdem läuft's so.
ThomasM hat geschrieben:Das Problem liegt in deinem Beispiel aber nicht am Wissenschaftler, sondern an dir und deinen Kommunikationsfähigkeiten.
Da ist was dran - zumal Deine diesbezügliche Argumentation super-gut ist - nur: Das läuft eigentlich eher unter "Didaktik".

Unabhängig davon: Um so wichtiger, dass es Wissenschaftler gibt, die geistig denken können, um somit als Mittler zu fungieren. Und trotzdem: Mich stört etwas dieser didaktische Ansatz, auch wenn er hilfreich ist. - Eigentlich sollte man erwarten, dass gebildete Menschen diesen Perspektiven-Wechsel von naturwissenschaftlichem und geistigen Denken von selbst hinkriegen. - Man kann sich dann immer noch entscheiden, was die eigene Glaubens-Grundlage ist - aber man weiss dann wenigstens, WAS man glaubt und vor allen was man NICHT glaubt - bezüglicher dieser Fähigkeit zu Perspektiven-Wechsel scheinen die Bildungseinrichtungen in den letzten Jahrzehnten versagt zu haben.
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Pluto
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Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:Eigentlich sollte man erwarten, dass gebildete Menschen diesen Perspektiven-Wechsel von naturwissenschaftlichem und geistigen Denken von selbst hinkriegen.
Diesen Perspektiven-Wechsel kriegt man auch ohne Weiteres hin. Die Psychologen nennen es "Empathiefähigkeit" oder "Einfühungsfähigkeit".
Merskt du es nicht daran, wie geduldig wir mit dir sind? :Herz:
:mrgreen:
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ThomasM
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Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von ThomasM »

closs hat geschrieben:
Unabhängig davon: Um so wichtiger, dass es Wissenschaftler gibt, die geistig denken können, um somit als Mittler zu fungieren.
Als jemand, der in beiden Welten zuhause bin, bin ich mir durchaus sehr unsicher, ob es überhaupt möglich ist, eine Brücke zwischen den beiden Denkarten zu schlagen.

Das Problem ist die Methodik, die eine scharfe Trennung verursacht. Ich hätte ja die Hoffnung gehabt, dass durch die Herausforderung der Naturwissenschaftler, die Geisteswissenschaftler anfangen, ihre eigene Methodik zu verbessern. Das ist keinem gelungen.
Statt dessen hat man versucht, naturwissenschaftliche Methodik zu beseitigen.

An Dingen wie fromale Beschreibbarkeit, Wiederholbarkeit und Objektivität scheiden sich die Welten.
Daher achte ich immer peinlich genau darauf, auf welcher Seite ich aktuell argumentiere, als Naturwissenschaftler oder als Mensch mit einem Weltbild.
closs hat geschrieben:
Eigentlich sollte man erwarten, dass gebildete Menschen diesen Perspektiven-Wechsel von naturwissenschaftlichem und geistigen Denken von selbst hinkriegen.
Nein, kann man nicht.
Auch der "gebildeste" Mensch ist in Punkto Weltanschauung ein Kind. Seine ist die wichtigste.
Um diesen Perspektivwechsel hinzubekommen, benötigt man Dinge wie Selbstkritik und Empathie.

Damit wird man aber nicht großmächtiger Prof. Dr. Dr.
Das heißt, Menschen mit diesen Eigenschaften findet man selten in der hohen Wissenschaft.

Gruß
Thomas
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Apate 12

Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Apate 12 »

Dieses Post hatte eine bestimmte Würze, von daher kann ich nicht sagen wie explosiv der Geschmack ist.
Apate 12

Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Apate 12 »

Dieses Post hatte eine bestimmte Würze, von daher kann ich nicht sagen wie explosiv der Geschmack ist.
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closs
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Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs »

Scrypt0n hat geschrieben:Die Aussage, dass dieser Fötus aufgrund des fehlenden Gehirns nicht denken kann ist - Systemunabhängig - richtig.
So formuliert, ist es richtig. - Es wäre aber nur system-richtig, wenn man daraus schließen würde, dass dieser Fötus deshalb nicht Träger einer vollständigen Person wäre.
Pluto hat geschrieben: Die Psychologen nennen es "Empathiefähigkeit" oder "Einfühungsfähigkeit".
Das ist die psychologische Godd-Will-Ebene - die aber nichts nützt, wenn ihr keine geistige Erkenntnis-Fähigkeit zugrunde liegt - und übrigens auch noch durch freundliche Empathie kaschiert wird ("ich kapiere zwar nicht, um was es geht - aber ich habe Euch alle lieb" :devil: )
Apate 12

Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Apate 12 »

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