(Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Alle Themen aus Naturwissenschaft & Technik die nicht in die Hauptthemen passen.
ThomasM
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von ThomasM »

Savonlinna hat geschrieben:
Ich kopiere mal einen Teil davon hier rüber:
Hans Poser hat geschrieben:Nun bestimmt aber die Sprache in gewissem Umfang das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen. Dieses Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit ist für die Wissenschaften von fundamentaler Bedeutung, weil Wissenschaften ihre Gegenstände sprachlich erfassen und ihre Resultate sprachlich, in Aussagen und Theorien, niederlegen. Deshalb muss jetzt schon deutlich werden, welcher Art die Probleme sind, die sich daraus ergeben, dass die wissenschaftliche Wrklichkeit immer auch eine sprachlich gefasste Wirklichkeit ist.
Hans Poser, Wissenchaftstheorie. Eine Philsophische Einführung, Stuttgart (Reclam), überarbeitet und erweitert 2012, Seite 32f
Das heißt: die Grundlage für alle Wissenschaften, auch die Naturwissenschaften, ist die Sprache, und damit wird "Wirklichkeit" in ALLEN Wissenschaften problematisiert, und das ist etwas Gemeinsames, das ins Bewusstsein gehoben werden kann und von den heutigen Wissenschaftstheoretikern auch ins Bewusstsein gehoben WIRD.
Dieser Darstellung kann ich in dieser Allgemeinheit durchaus zustimmen, aber das löst das Problem nicht, sondern es verlagert es nur.

1. Sprache ist nicht gleich Sprache
Man kann Mathematik als Sprache definieren, als Sprache mit einer eindeutigen, logischen Struktur. Damit wäre der Unterschied zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft auf diesen Umstand zurückgeführt.
Naturwissenschaftliche Phänomene sind solche, die sich mit einer logisch strukturierten, eindeutigen Sprache beschreiben lassen. Die meisten Geisteswissenschaftlichen Phänomene können so nicht behandelt werden. Hier gibt es auch einen engen Bezug zur Messbarkeit

Aber auch bei den "normalen" Sprachen gibt es große Unterschiede. Die Sprachentwicklung beim Menschen geschieht in den ersten Lebensjahren (vermutlich beginnend im Mutterleib). Sprache und Denken sind eng verknüpft. So gibt es Sprachen, die manche Umstände viel besser darstellen oder beschreiben können als andere. Z.B. habe ich gelesen, dass die Inuit ca 30 verschiedene Begriffe für Eis kennen. Damit sind sie viel besser in der Lage, arktische Landschaften zu beschreiben als meinetwegen ein Deutscher. Letzterer würde vermutlich nicht begreifen, welchen Unterschied ein Inuit mit zwei Ausdrücken von Eis macht. Also kann er der wissenschaftlichen Darstellung nicht folgen, er ist "vernagelt"

2. Sprache ist anpassbar
Die Sprache ist kein gesetztes Ding. Haben wir ein neues Phänomen, muss man eine neue Sprache entwickeln. Das sieht man an vielen Beispielen aus der Mathematik. Das ist auf der einen Seite gut und wichtig. Aber diese Formbarkeit der Sprache kann auch missbraucht werden.
So habe ich im Managementbereich sehr oft Beispiele gesehen, in denen mit Sprache Schindluder getrieben wurde. Es ging nicht darum, etwas wahrhaftig darzustellen, sondern den Zuhörer zu manipulieren.

Dieses "manipulieren mit Sprache" ist auch in den Wissenschaften gang und gäbe. Mein Sohn studiert Germanistik und gerade in diesem Gebiet ist es usus, viele Worte um Nichts zu machen.

3. Sprache ist nicht gleich begreifen
Sehen wir ein neues Phänomen (oder geben vor, etwas Neues gesehen zu haben), dann erfinden wir einen neuen Begriff. Aber das heisst noch lange nicht, dass wir auch verstehen, was das bedeutet, was das ausmacht. Sprache allein genügt nicht, es muss noch etwas dazu kommen. Was zu oft fehlt.

4. Sprecher und Hörer sind unterschiedlich
Wenn jemand etwas sprachlich formuliert, dann heißt das noch lange nicht, dass der Hörer das versteht, was formuliert wurde. Eher im Gegenteil. Das behindert die Intersubjektivität, die meines Erachtens bei Wissenschaft unumgänglich ist (sonst wäre es keine Wissenschaft, sondern eine persönliche Anschauung).
Intersubjektivität muss bedeuten, diesen persönlichen Kontext, in dem Verstehen entsteht, zu minimieren oder ebenfalls klarzustellen. Was zu oft in einen Zirkel führt, weil die sprachliche Darstellung des Kontextes wieder einen Kontext erfordert usw.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.
2Lena
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von 2Lena »

Danke Savonlinna und ThomasM für die recht guten Gedanken zum Thema Sprache. Die brachte mir eine Verstärkung bei dem Einfall, wie denn die Evangeliumstexte, die anscheinend nur "sprachlich" vorliegen, besser verstanden werden können.

Die Sprache bewirkt, dass sie bei jedem auf eine etwas andere Weise "gehört" werden, beim einen wörtlich, beim anderen geistig, beim dritten kritisch, gefühlvoll u.a.m. Jeweils ist noch einen Programmierung gehörter Meinungen, eigener Gedanken davor und danach, etc. vorhanden.

Viele Gedanken basieren auf einer Gefühlswelt und auf bisherig aufgefassten Informationen.
Matthäus 12:1 Zu der Zeit ging Jesus durch die Saat am Sabbat; und seine Jünger waren hungrig, fingen an, Ähren auszuraufen, und aßen. 2 Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu ihm: Siehe, deine Jünger tun, was sich nicht ziemt, am Sabbat zu tun.
Der Konflikt "Vorschriften in Kontrast zu eigenem Bedarf", wird bei fast jedem sofort erfasst, obgleich nichts von solchen Gesetzen dasteht. Das kommt "unbewusst" mit. Es wird erkannt, dass dies eine Erzählung ist, die sich genau so ereignet haben mag. Ein Hass auf die Pharisäer entsteht und auf die noch heute bekannten komischen Sabbatgesetze (Essen warmhalten geschieht am Wochende per Zeitschaltuhr).

Dieser Teil der Verse konnte nicht gesehen werden:
"Als die Erlösung (Jeschua) über den Berg kam (vorüberging) wurde alles ruhig." Man kann nicht in anderer Sprache die gegebenen Ausdrücke als Fremdworte erfassen und damit "querdenken". Sabbat heißt ruhen. Da lernten sie, waren hungrig. Jünger ist das Wort "Talmidim" wir lernen, heißt auch Schüler. Da ging was rund! Sie pickten die Ähren, die Erträge, auf und zerspfückten sie. (Sie machten nicht mehr die Sabbatgesetze, sondern erkannten die echten Lehren darin, die allen Menschen helfen können zum besseren Leben. Sabbatgesetze sind wichtige Regeln zum Ruhe bewahren und sie finden.)

Aber, da war nun ein Konflikt mit dem bisherigen Auslegen (Pharisäer heißt parischim, sie breiten aus. Die Merkbrücke ist Fallschirm und Regenschirm, englische "paraschut"). Zum Teil waren richtige Meinungen da, zum anderen (siehe wie in heutiger Zeit) allerlei "wissenschaftliches", welches dem Otto Normalmensch das Leben schwer machte. Im Grunde erzählen die zwei Sätze noch mehr, den ganzen Konflikt mit dem Umgang von Neuem, zeigen alle Teilbereiche von Überwindung und Verklemmung, breiten die vielen Möglichkeiten nach zahlreichen Lösungen aus.

Sprachlich findet sich nur: Jesus ging mit den Jüngern am Samstag Ähren klauen. Verständnisvoll nickt jeder: Sie waren halt hungrig. Nach langem Nachdenken kommt die Frage auf. Unsere Bauern schauen schon scheel drein, wenn Ähren am Montag gezupft werden. Wurden gar welche in Notzeiten verprügelt oder auf sie geschossen? Die anderen ärgerte es erst samstags, wegen Gesetzen zum Sabbat. Was überhaupt nicht da steht, wird trotzdem als geahnter Konflikt angedeutet ... und findet dann, ein paar Sätze später, in zahlreichen Erörterungen, zu dem Problem passend die gültigen Lösungen. Dann wird es wirklich "kritisch" mit unserem Kram aus der Marktwirtschaft ... :-(
Savonlinna
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Savonlinna »

Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich muss daraus ja nichts folgern. Spekulation ist meine Sache nicht mehr. Ich komme im Alltag zurecht, weil viele meiner Bedürfnisse intersubjektive Bedürfnisse sind, deren Befriedigung ich bekommen kann.
Und was ist mit den Leuten die viele dieser Befriedigungen nicht bekommen?
Unser Kontext war: Was an Wirklichkeit erfasst die Wahrnehmung mittels Sprache?

Deine Position: Menschen nehmen verschieden wahr, obwohl die Sprache vergröbernd ist. Sie nennt ein Ampellicht "grün", obwohl möglicherweise, sogar wahrscheinlicherweise, jeder Mensch das Grün anders erlebt.
Daraufhin sagte ich: Mittels der Sprache komme ich im Alltag zurecht. Es reicht, "grün" als Sprachhinweis zu definieren, um meine Befriedigung zu erfüllen, auf der Straße von einem Auto nicht zermatscht zu werden. (Es sei denn, natürlich, ein Autofahrer missachtet die Ampel. Aber mir ging es um den Sinn von Sprachbezeichnngen).

Wenn Du in diesem Kontext fragst: "Und was ist mit den Leuten, die viele dieser Befriedigungen nicht bekommen", dann kann ich - in diesem Kontext - auch nur sagen: Man bemüht sich, das im Alltag auszugleichen. Wer blind ist, kann dennoch sicher über die Straße kommen, weil an den Ampeln auch akustische Signale sind.

Denn "intersubjektiv" ist ja nicht identisch mit "objektiv". Intersubjektive Wahrnehmung heißt, dass eine Gruppe von Menschen eine ähnliche Wahrnehmung hat. Es ist nicht alles nur privat.
Andreas hat geschrieben:Meine Meinung: Alle Grundbedürfnisse des Menschen sind individuelle Größen und nicht "intersubjektive". Warum? Weil der Mangel daran individuell wahrgenommen, bzw. erlitten wird.
Natürlich ist Letztgenanntes der Fall. Aber das ist ein anderes Thema, das ich nicht angeschnitten habe.

"Intersubjektiv" sind sie dennoch. Du benutzt das Wort nur anders, als es im Gebrauch ist.
Früher sagten manche: Alles, was "bewiesen" ist, ist objektiv.
Nein, sagt man inzwischen, es gibt keine objektive Erkenntnis. Sie ist maximal intersubjektiv, trifft also nicht auf alle zu.

Dass alles "individuell" wahrgenommen wird, weiß ich, sehe ich genauso, es ist sogar einer meiner Hauptbeobachtungen.
Das widerspricht überhaupt nicht dem, dass es dennoch im Groben sprachliche Unterscheidungen gibt, die dafür geschaffen wurden - und nur dafür - im äußeren Alltag zurecht zu kommen.
Von einem Begriff - z.B. Teich - kann man also nicht verlangen, dass er das Wesen Teich beschreibt. Dazu ist das Wort nicht erfunden worden. Es dient lediglich der Abgrenzung: "Hol Wasser vom Teich und nicht vom Brunnen."
Andreas hat geschrieben: Wir wissen natürlich alle, dass jeder Mensch ausreichend Nahrung braucht, aber ich hungere nicht mit den Hungernden. Ich habe keine Ahnung was Hunger ist. Ich habe, Gott sei Dank, jeden Tag meines Lebens mehr als genug zu Essen gehabt. Das Wissen um die Grundbedürfnisse mag intersubjektiv sein, aber dieses Wissen ist weder dieses Grundbedürfnis noch die Wahrnehmung von Hunger.
Richtig.
Aber da machst Du ja selber die Unterscheidung: der Begriff "intersubjektiv" hat seine Berechtigung und seine Notwendigkeit im Alltag.
Ein europäischer Arzt, der nach Afrika geht, muss davon ausgehen, dass die dortigen kranken Menschen genau die gleiche Hilfe brauchen wie die europäischen Kranken: sie müssen davon ausgehen, dass "Schmerz" dort genauso gelindert werden muss wie in Europa.

Dass sprachliche Begriffe eben gerade NICHT das Wesen dessen beschreiben, was es assoziiert, versuche ich ja gerade selber die ganze Zeit zu sagen.
Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich weiß nicht, was "die Tasse selbst" ist. Ich weiß nur, dass es sowohl intersubjetive Wahrnehmung von der Tasse gibt ...
Ich weiß auch nicht, was die Tasse selbst ist. Das ist der springende Punkt. Niemand weiß "was" die Tasse ist. Die Tasse erscheint jedem irgendwie anders. Die Tasse ist, wie sie ist.
Es mag gemeinsame Vorstellungen (Ideologien?) vom Gebrauch der Tasse geben - aber ist dafür "intersubjektive Wahrnehmung" noch das richtige Wort?
Jetzt verstehe ich langsam, worauf Du hinaus wolltest.

Wörter sind immer nur funktional. Sie beschreiben etwas für einen bestimmten Zweck - in einem anderen Zweck sind sie sinnlos.
Das Wort "grün" wurde nur erfunden, um die Farben voneinander abzugrenzen, aber nicht, um die persönliche Empfindung einer Farbe zu kennzeichnen.
Das Wort "intersubjektiv" wurde erfunden, um das Wort "objektiv" zu hinterfragen. Ob etwas objektiv vorhanden sei, wisse man nicht, aber man kann experimentell überprüfen, dass viele Subjekte das und das benötigen, so wie zum Beispiel ausreichend Eisen in der Nahrung.
Aber für einen anderen Themenbereich taugt das Wort "intersubjektiv" dann nicht mehr: nämlich als Kennzeichnung für das individuell-psychische
Erleben.

Um das Wort "Ideologie" noch einmal aufzugreifen, dass Du oben benutzt.
Ideologie in dem Zusammenhang wäre, wenn jemand behaupten würde, individuelle Aufassungen von Farbe oder Hunger gäbe es nicht, man müsse das nicht berücksichtigen. Damit würde eine bestimmte Sicht verabsolutiert und für alle Menschen als gleich behauptet - also per definitionem Bedürfnisse von Menschen weggeleugnet.
Wenn zum Beispiel gesagt wird, der Mensch sei ein Gruppentier, dann wird damit per Dekret die Individualität des Menschen weggeleugnet und extrem verletzt. Das wäre klar ideologisch.

Der Satz "Es gibt intersubjektive Wahrnehmungen" erfüllt aber nicht diese Definition. Denn es ist nachweisbar, dass es sie gibt.
Dass es NUR intersubjektive Erfahrungen gibt, sagt weder die Wissenschaft noch sage ich. Insofern liegt hier keine ideologische Aussage voar.
Die Leugnung, dass es intersubjektive Erfahrungen gibt - was Du aber de facto nicht tust - hingegen wäre eine ideologische Aussage.
Andreas hat geschrieben:Ohne Ideologie (Weltanschauung) kann der Mensch vermutlich gar nicht leben. Dem Anderen als Angebot für einen Konsens ist sich jeder der eigene Kontext zur Welt. Insofern könnte ich deinen Satz einigermaßen verstehen.
Savonlinna hat geschrieben:Ideologiekritik ist in erster Linie SPRACHkritik.
Ist jetzt aber natürlich wieder aus deinem Kontext gerissen :oops: Es ist mehr die Darstellung des Problems aber dessen Lösung sehe ich noch nicht.
Wenn man noch berücksichtigt, dass Weltanschauung nicht identisch mit Ideologie ist, haben wir wahrscheinlich einen ganz ähnlichen Blick auf die Welt.
Andreas hat geschrieben:Es gäbe vielleicht eine universale Ideologie: Die Liebe - aber erst, wenn es keine Ideologiekritiker mehr gäbe. ;)
Solange es noch Menschen gibt, die Sprache missbrauchen, um andere zu manipulieren, braucht es auch IdeologieKRITIKER.

Weltanschauungen - solange sie keinen ideologischen Charakter annehmen - müssen aber nicht kritisiert werden; sie sind Teil des Menschen.
Ich respektiere sie, und ich möchte sie gerne verstehen.

Ich möchte nicht, dass nur mein eigenes Weltbild existiert. Es ist für mich unerlässlich, dass mein eigenes Weltbild in einen größeren Kontext gestellt wird durch die Weltbilder anderer Menschen. Sie alle zusammen erst ermöglichen die Korrektur des einseitigen Denkens und Lebensverständnisses.
Sie können und dürfen nebeneinander bestehen, weil sie sich durch Vernetzung ohnehin gegenseitig beeinflussen.
-----------------------------------------
Andreas hat geschrieben:Bewusst ideologisches PS: Als Christ scheint mir der Ausweg aus all diesen Zwistigkeiten zu sein: Wir sind so, wie der Andere und ich von Gott ganz erkannt sind. Es braucht zum Frieden diese dritte Instanz. Ich sehe nicht, wie wir das unter uns gebacken kriegen könnten.
Ich sehe eine dritte Instanz auch. Angedeutet habe ich das durch den Begriff "Vernetzung".
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Halman »

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe mien Geschriebenes nicht gegen Paulus gerichtet, sondern gegen closs, Halman.
Paulus versucht gerade NICHT, mit seinen Wörtern zu vereinnahmen, closs hingegen schon.
Für closs darf ich so denken, wie ich denke, weil Paulus das abgesegnet hat.
Ach so, dann habe ich es sprichwörtlich "ins falsche Halsloch" gekriegt. Danke, dass Du dies aufgeklärt hast.

Davon abgesehen, darfs Du natürlich denken, wie Du willst - ich bin ein freiheitsliebender Mensch und stehe für die Freiheit der Gedanken aller Menschen. Diese Freiheit nutze ich auch, um unbequeme Kritik zu äußern - Irrtümer eingeschlossen.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo
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Halman
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Halman »

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Wenn Popper für den KR keine Ausnahmen in der Wissenschaft sieht, hat er also prinzipiell recht - nur darf damit nicht die Erwartung verbunden werden, man könne damit in der Geisteswissenschaft viel erreichen.
Entweder widersprichst du damit Popper, oder das Wort "Geistes-Wissenschaft" ist ein Oxymoron.
Gem. der Wissenschaftsgliederung gehören die Geisteswissenschaften zu den Kulturwissenschaften.
Kulturwissenschaften, u. a.:

-Geisteswissenschaften, u. a.:
-Geschichtswissenschaften
-Kunstgeschichte
-Musikwissenschaft
-Literaturwissenschaften
-Religionswissenschaften
-Sprachwissenschaften
Will soll Poppers Falsifikationsprinzip bei den genannten Wissenschaften funktionieren, bspw. bei der Musikwissenschaft oder den Literaturwissenschaften?

Warum wird die Philosophie in der Wikiipedia-Liste nicht aufgeführt? Sie würde ich als die Geisteswissenschaft par excellence ansehen.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo
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Andreas
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Andreas »

Savonlinna hat geschrieben:Wenn man noch berücksichtigt, dass Weltanschauung nicht identisch mit Ideologie ist, haben wir wahrscheinlich einen ganz ähnlichen Blick auf die Welt.
Das könnte hilfreich sein.
Savonlinna hat geschrieben:Wir haben "Ideologie" definiert als eine Weltanschauung, die man absolut setzen will.
Haben wir das? Ich habe versucht die Frage zu stellen, wo Ideologie beginnt (Tasse, Farbe). Beim Ding, bei der individuellen Wahrnehmung oder der Kommunikation mittels Sprache. Du machst aus meiner "Wahrnehmung" in meinem Kontext deine "Funktionalität" in deinem Kontext. Da steckt plötzlich alles auf einmal drin: Ding, Wahrnehmung, Sprache und noch praktische Umsetzung in der Alltagserfahrung. Was ist aus "meiner" Wahrnehmung geworden. Die ist einfach wech. Wer bestimmt DEN Kontext um den ES im Dialog geht? Kontext hat was mit Sprache zu tun und ich versuche zu verstehen, was du unter Sprachkritik verstehst. Allerdings scheinen wir dabei ein sprachliches Problem zu haben. :lol:
Savonlinna hat geschrieben:Wenn zum Beispiel gesagt wird, der Mensch sei ein Gruppentier, dann wird damit per Dekret die Individualität des Menschen weggeleugnet und extrem verletzt. Das wäre klar ideologisch.
Wieso das denn? Der Einzelne ist biologisch nicht überlebensfähig, ist auf die Vernetzung mit anderen individuellen Menschen zu einer Gruppe angewiesen, weil die kritischen Infrastrukturen die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse notwendig sind, allein niemals zu schultern waren oder sind. So "ist" Mensch. Was daran ideologisch sein soll, verstehe ich nicht.
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Naqual
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Naqual »

ThomasM hat geschrieben:Sprache ist anpassbar. Die Sprache ist kein gesetztes Ding. Haben wir ein neues Phänomen, muss man eine neue Sprache entwickeln. Das sieht man an vielen Beispielen aus der Mathematik. Das ist auf der einen Seite gut und wichtig. Aber diese Formbarkeit der Sprache kann auch missbraucht werden.
Genau genommen hat jede wissenschaftliche Disziplin eine eigene Fachsprache.
Das ist mir vor etlichen Jahren mal beim Arzt nochmal aufgefallen, der mich ganz groß angeschaut hatte, nachdem ich mit einem Blick auf seinen Bildschirm das Lachen angefangen hatte. Da stand: "Naqual"...reizloses Erscheinungsbild. - Der medizinische Begriff meinte jedoch lediglich (so hoffe ich doch), dass die OP-Wunde weitestgehend abgeheilt war.
Mein damaliger Strafrechts-Prof stellte die Frage: Was ist das? Ein Mann rammt eine Holzstange einem Hund so durch das Maul, das diese durch den After wieder rauskommt. (..kleine Pause...) Jawohl. Das ist ein klarer Fall von Sachbeschädigung.
Im Forum habe ich immer das Problem, gelegentlich formulieren zu müssen, dass diese oder jene Vorschrift in der Bibel "antik" ist. Das ist sogar wertfrei gemeint, kommt aber wohl meist nicht so rüber bei den Strenggläubigen.
Das Problem ist, dass bei JEDEM Begriff (auch der Alltagssprache) - oftmals sogar unbewusst - eine ganze Menge Gefühle ungewollt mitschwingt.
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Naqual
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Naqual »

Halman hat geschrieben:Gem. der Wissenschaftsgliederung gehören die Geisteswissenschaften zu den Kulturwissenschaften.
Würde ich jetzt nicht so sehen. Die Kulturwissenschaften sind eine Teildiziplin der Geisteswissenschaften und der Gesellschaftswissenschaften.
Will soll Poppers Falsifikationsprinzip bei den genannten Wissenschaften funktionieren, bspw. bei der Musikwissenschaft oder den Literaturwissenschaften?
Grundsätzlich geht es auch da. (Wenn ein Musiker den Ton D singt und ein Zuhörer behauptet es sei der Ton A, dann kann man das ggf. schon falsifizieren). Das Problem ist nur, dass in den Geisteswissenschaften viele Aussagen sich auf einen sehr komplexen Hintergrund beziehen, der eben nicht so einfach für Überprüfungen isolierbar ist auf wenige Indikatoren, die eine Rolle spielen. Aber grundsätzlich gebe ich Popper auch als Geisteswissenschaftler recht, dass eine Aussage nur solange gilt, wie sie nicht falsifiziert ist und letztlich es keine endgültig richtigen Aussagen gibt.
Widersprechen tue ich Popper in den Geisteswissenschaften an einem anderen Punkt: etwas sei keine Wissenschaft, wenn es sich mit nicht überprüfbaren Aussagen beschäftigt. Das liegt darin, dass man mit einer nicht überprüfbaren Aussage durchaus unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden arbeiten kann. Man muss nur den Sachverhalt klarstellen, dass die Aussage selbst nicht weiter überprüfbar ist. Am deutlichsten kommt dies bei theologischen Themenstellungen heraus. Viele Aussagen der Bibel kann man nicht prüfen. Trotzdem kann man die Bibel durchaus wissenschaftlich durchleuchten. Und sollte es auch.
Warum wird die Philosophie in der Wikiipedia-Liste nicht aufgeführt? Sie würde ich als die Geisteswissenschaft par excellence ansehen.
Es ist sogar die Mutter der Geisteswissenschaften, alle andere Disziplinen wurden im Laufe der Zeit erst herauskristallisiert durch Spezialisierungen.
Savonlinna
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Savonlinna »

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Nur wollte ich von Dir Beispiele haben, denn schöne Sätze zitieren - wer kann das nicht?
Neulich kam mal einer von mir - und Du hast mich gefragt, woher ich das habe. :lol: -
Meinst 'Du den Satz, 'insofern ist Leid ein Systembrecher'?
closs hat geschrieben:Ein eigenes Beispiel? - Nehmen wir vollkommen willkürlich den Satz "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". - Wenn ich diesen Satz lese, tut sich bei mir ein Universum auf (er assoziiert also etwas in mir) - das heisst umgekehrt: Würde dort stehen "Mein Onkel badet morgens in Rindfleisch-Suppe", gäbe es diese Assoziation NICHT.
Das belegt aber, dass Dein Begriff "Chiffre" nicht identisch ist mit meinem Versuch zu erläutern, dass Sprachbegriffe grundsätzlich nicht die Wirklichkeit CHARAKTERISIEREN, sondern nur mehr oder weniger durchnummerieren.

Du meinst mit Chiffre etwas anderes als ich hier beschrieben habe. Mir ging es darum, den Begriffsfetischismus anzugehen, als würden Begriffe einen Inhalt haben.

Andererseits:
dass ich die Natur in größeren Zusammenhängen als "Chiffre" lesen kann - indem ich z.B. auf einen hohen Turm steige und die Landschaft unter mir wie ein "Z" aussieht, ist auch wahr. Und ich kann dann "geistig" dieses "Z" mit dem Film "Z" assoziieren, der ja sehr beeindruckend ist.
Also ich kann von der Landschaft unter mir, die wie ein "Z" aussieht, angeregt werden, mir den Film "Z" mal wieder anzuschauen und kriege DARAUS dann wieder neue Erkenntnisse, die mir gerade zupass kommen.

So kann ich durch die Weltgeschichte spazieren, überall "Chiffren" wahrnehmen, denen ich wie eine Spur folge.
Ich selber tue das, wenn ich ein Theaterstück schreibe z.B. und der Anregungen und Klärungen sehr bedürftig bin.
Dann spaziere ich durch die Weltgeschichte oder das Internet, die bzw. das für mich dann wie ein zusammenhängendes Wahrheitsbuch ist, das mir hilft, mein Theaterstück zu schreiben, indem ich neue Zusammenhänge sehe und sie direkt im Theaterstück umsetze.

NUR:
Ich bin mir bewusst, dass es mein dichtendes Ich ist, das es mir ermöglicht, alles transparent als Chiffre wahrzunehmen.
Welches Geheimnis da zwischen meinem dichtenden ich und der Weltgeschichte liegt, kann ich nicht ergründen. Mir genügt es, dass es funktioniert.

Auf jeden Fall ist es eine Wahrnehmungsform, die Künstlern seit jeher bekannt ist und die sie nutzen.
closs hat geschrieben:Das heisst: Sprache sollte Assoziations-Fähiges benennen können, sogar aktivieren können. - Somit sehe ich das Problem nicht in der Sprache, sondern in dem, was im Menschen assoziations-fähig ist - was aus meiner Sicht kein Sprach-, sondern ein Kultur-Problem ist. - Konkret: Hanebüchene Text-Interpretationen kommen oft dadurch zustande, dass man nur noch die Chiffre zur Verfügung hat, nicht aber das Fundament, zu dem sie Chiffre ist.

Kannst Du diese Argumentation nachvollziehen?
Nachdem ich oben auseinanderklamüsert habe, dass es ein Unterschied ist, ob man

a. Sprache "sprachkritisch" sieht, sie also nicht überfrachtet mit "Bedeutungen", die in ihrer Entstehung gar nicht vorhanden waren und nie vorhanden sein können - oder ob man
b. sprachliche Erzeugnisse oder Naturerzeugnisse als existentielle Bilder frei umdeutet oder wahrnimmt, sie dem eigenen Bedürfnis anpasst,

kann ich vielleicht so sagen:
Sprache SOLLTE gar nichts. Man kann ihr keine Befehle erteilen, denn sie entwickelt sich in einer Gemeinschaft.
Andererseits sagst Du ja selbst, dass es am Menschen liegt, ob er außer Höhe des Berges, Entstehungszeit des Berges, sprachhistorische Rekonstruktion des Wortes "Berg" sich auch von der Wucht des Berges bis in die Seele hinein beeindrucken lassen kann, ihn als Impression oder Expression menschlicher Tiefe wahrnimmt.

Was die heutige Neigung betrifft, die Wucht oder Zartheit der Natur - als Chiffre für etwas - zu verstehen, so muss ich als fotografierender Mensch sagen, dass bei der Fotocommunity flickr die Naturaufnahmen überwiegen und täglich millionenfach angeklickt und betrachtet werden.
Das gleiche gilt für die hingebende Faszination von Blüten und Insekten, die ohne Ende veröffentlicht und ohne Ende angeklickt werden.

Da sehe ich kein "Rückwärts" der menschlichen Aufnahmefähigkeit.
Ohnehin ist das Bewusstsein für die Schönheit und Erhabenheit der Natur erst im Zeitalter der Romantik, um 1800, entstanden, gilt also als Beginn der Moderne.
Davor war der Berg ein physisches Hindernis.

Was nun die Texte betrifft, von denen Du sprichst:
da habe ich nicht genügend Beobachtungsmaterial.
Man liest heute mehr konkretistisch, das ist wahr. Fällt ein Blatt vom lyrischen Himmel, so will der heutige Amateurleser als erstes wissen, wie der Baum heißt, von dem es gefallen ist, und ob der Autor das botanisch korrekt beschrieben hat.

Dass dieses lyrische Blatt, das da runtersegelt, aber ein "Fundament" hat, für das es Chiffre ist - so schreibst Du es ja in dem letzten Zitat -, leugne ich. Es ist die schöpferische Kraft des Menschen, die in diesem herunterwehenden Blatt eine Chiffre sieht, die zu der eigenen momentanen Lebenssituation ein Kommentar ist.

Solche Deutungen sind NICHT intersubjektiv.
Es gibt zwar die intersubjektive Metapher "fallendes Laub gleich Tod oder Sterben" - aber die muss nicht aktiviert werden.
Kreative Dichter entwickeln da auch immer wieder neue Assoziationen, und so entwickelt sich das kulturelle Sprachbewusstsein.
Man kann das herumwirbelnde Blatt auch als Tanz wahrnehmen, was in einem eine Blockade lösen kann.

Da die Gruppe der verträumten Menschen sehr groß ist - sie schreiben aber vielleicht nicht in Foren -, kann die Anzahl derer, die verträumt den Schneeflocken und dem Wort "Tanz enes Blattes" nachsinnen, sehr hoch sein in unserer heutigen Zeit.

Ich halte es sogar für möglich, dass gerade Menschen, die zu so etwas neigen, sich in eine strenge Weltsicht flüchten, um der eigenen Gefährdung Widerstand entgegenzusetzen.
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NIS
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von NIS »

Kein Axiom lässt sich beweisen!

Dennoch sind Axiome das Fundament der Geistes- und Naturwissenschaften!

Ist deswegen unsere Wissenschaft weniger glaubwürdig? :roll:
Der Heilige Geist (Hauke)

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