Generalstreik 12. November 1948

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ProfDrVonUndZu
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Generalstreik 12. November 1948

Beitrag von ProfDrVonUndZu »

Wenn auch an diesem heutigen Datum sonst nichts passiert ist, nutze ich hier die Gelegenheit, an den Generalstreik vom 12. November 1948 zu erinnern.

Ein Streik, von dem Ludwig Erhard rückblickend meinte, dass er sich gegen seine Soziale Marktwirtschaft gerichtet hätte. Tatsächlich aber richtete sich der Streik gegen die Folgen der Einführung seines sogenannten Leitsätzegesetzes vom 20. Juni 1948, welche zur Aufhebung der Preisbindungen und dann zu wuchernden Preissteigerungen bei noch bestehendem Lohnstopp führten. Erst darauf hin wurde politisch interveniert. In Wahrheit hatte Ludwig mit dem Leitsätzegesetz eine Freie Marktwirtschaft einführen wollen, von der er dann aber erkennen musste, dass das nicht funktioniert. In Verbindung mit den später folgenden Maßnahmen wurde seiner Politik dann im Laufe der Zeit einfach ein anderer Name gegeben, nämlich Soziale Marktwirtschaft. Dieser Begriff wurde Teil seines Wahlkampfes ; populär gemacht haben ihn aber seine politischen Gegner, die darunter das verstanden, was ihrem eigenen, dem Ludwigs Plänen widersprechenden Konzept, entsprach. Nämlich eine sozial eingreifenden Staat in einen ansonsten freien Markt, wie es zunächst auch die reale Politik Erhards war : Das Leitsätzegesetz + anschließende Interventionen. Erhard hingegen meinte, der freie Markt ansich sei schon sozial. Von den Interventionen (Jedermann-Programm und Einführung der Steg-Waren aus Resourcen der Kriegsbestände) wollte er gar nichts mehr wissen.

https://www.freitag.de/autoren/der-frei ... ein-durfte

Empfohlen sei dazu auch das Buch von Uwe Fuhrmann -Die Entstehung der »Sozialen Marktwirtschaft« 1948/49
Nevis

Re: Generalstreik 12. November 1948

Beitrag von Nevis »

ProfDrVonUndZu hat geschrieben: Di 12. Nov 2019, 11:15 Von den Interventionen (Jedermann-Programm und Einführung der Steg-Waren aus Resourcen der Kriegsbestände) wollte er gar nichts mehr wissen.
*noch nie davon gehört oder gelesen*

Was sind den "Steg-Waren"?
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ProfDrVonUndZu
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Re: Generalstreik 12. November 1948

Beitrag von ProfDrVonUndZu »

Nevis hat geschrieben: Di 12. Nov 2019, 12:15
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: Di 12. Nov 2019, 11:15 Von den Interventionen (Jedermann-Programm und Einführung der Steg-Waren aus Resourcen der Kriegsbestände) wollte er gar nichts mehr wissen.
*noch nie davon gehört oder gelesen*

Was sind den "Steg-Waren"?
Das sind aus den Kriegsbeständen recyclete Waren, die deswegen günstiger produziert werden konnten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Stegware

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41759783.html

Diese Produktion wurde staatlich gelenkt, also im Grunde planwirtschaftlich. Nur war man vorsichtig solche "sozialistischen" Begriffe zu verwenden. Der Zweck war, die nun wuchernden Preise, die sich nicht "von selbst" einpendeln wollten, zu drücken, im Sinne eines konkurrierenden Angebots. Diese Interventionen geschahen erst aufgrund, also nach der Befreiung des Marktes durch das Leitsätzegesetz. Diese Art Intervention hatte sich Erhard zuvor so nicht vorgestellt, weil er eben dachte, der Markt regelt alles von alleine. Die meisten der regulären Händler horteten aber ihre Waren und blieben lieber auf ihnen sitzen, anstatt "marktkonform" die Preise zu senken.
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Magdalena61
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Re: Generalstreik 12. November 1948

Beitrag von Magdalena61 »

Dieser Streik vom 12. 11. 1948 war mir auch nicht bekannt.
Aber da bin ich wohl nicht die Einzige.
Über die Gründe dafür, dass die damaligen Vorgänge "zu den verdrängten Komplexen der Sozialgeschichte der Bundesrepublik" gehören, schrieb Beier bereits 1975, was auch heute noch gilt: "Die einen haben es vergessen, weil es kein strahlender Sieg war. Die anderen mochten es nicht in Erinnerung behalten, weil es jenes Unrecht deutlich macht, das am Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs und der gesellschaftspolitischen Restauration stand."
Quelle
Man verkauft uns die "soziale Marktwirtschaft" als das Paradies. Sozial ist was anderes.
Wenn es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer.

Planwirtschaft wäre eventuell gerechter, hat aber nicht funktioniert.
LG
God bless you all for what you all have done for me.
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ProfDrVonUndZu
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Re: Generalstreik 12. November 1948

Beitrag von ProfDrVonUndZu »

Ein weiterer Grund ist auch, dass es sich hauptsächlich um einen Streik mit politischen Forderungen handelte, nicht um betriebliche. Das Jedermann-Programm wurde schon nach wenigen Jahren wieder abgeschafft. Nicht weil die "soziale Marktwirtschaft" ihren Zweck erfüllt hat, sondern weil die Belange des Volkes und der Arbeiterschaft sich hauptsächlich auf die Grundgüter bezog, für die ja dann in den folgenden Jahren fürs Erste gesorgt war. Damit war die größte Not gelindert.
Die Ursachen der Not sind bekannt und nachvollziehbar : Die Alliierten bombadierten hauptsächlich Wohngebiete und vor allem das Transportsystem. Waren waren immer genug da, sie kamen nur schwer an den Mann, während die Produktion weiter lief. Den Alliierten ging es im Wesentlichen um Kontrolle der deutschen Wirtschaft, nicht um Rettung der Juden oder Überwindung "deutscher" Gesinnung. Viele Alt-Funktionäre bekleideten nach kurzer Zeit wieder ihre Ämter in Verwaltung, Wirtschaft und Politik. Es handelt sich also um unbequeme und nachwirkende Altlasten der quasi stetig an der Macht bleibenden CDU. Das zu überwinden wird noch dauern, bis die alten Generation ausgestorben sind. Ein Umdenken der CDU scheint auch in der Anerkennung der "Asozialen und Berufsverbrecher" als NS-Opfer abzuzeichnen.
https://www.bundestag.de/dokumente/text ... pen-664624
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ProfDrVonUndZu
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Re: Generalstreik 12. November 1948

Beitrag von ProfDrVonUndZu »

Magdalena61 hat geschrieben: Di 19. Nov 2019, 06:08 Planwirtschaft wäre eventuell gerechter, hat aber nicht funktioniert.
Dafür gibt es vielfältige Gründe. Im Ahlener Programm hat sich sogar die CDU zunächst vom Kapitalismus distanziert und wollte ihn überwinden. SPD und Gewerkschaften haben diesbezüglich immer wieder Forderungen gestellt. Das, womit Kevin Kühnert vor einigen Monaten für einen allgemeinen Aufschrei gesorgt hat, also die Idee von der Vergesellschaftung und Sozialisierung der Schlüsselindustrie so wie Demokratisierung der Wirtschaft, war in der Nachkriegszeit allgemeiner Konsens. Die Alliierten, besonders die USA wollten das aber nicht. Die allgemeine Abkehr von dieser Position ist nicht ganz einfach zu verstehen und nachzuvollziehen. Sie hat im wesentlichen wohl mit der wachsenden Selbstzufriedenheit gewisser Verantwortlicher zu tun. Aber auch Propaganda für die Marktwirtschaft durch einflussreiche Unternehmen im Verein Die Waage spielen eine wesentliche Rolle. Dadurch enstand der Mythos, dass eine "soziale Marktwirtschaft" in Deutschland für Wohlstand gesorgt hätte. Der Profit durch den Koreakrieg war natürlich auch sehr "sozial". Die Schäden, also die Destruktivität der Wirtschaft lagert man einfach aus. Ich halte das auch für eine Art "Nationalsozialismus".
Hiob
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Re: Generalstreik 12. November 1948

Beitrag von Hiob »

ProfDrVonUndZu hat geschrieben: Di 19. Nov 2019, 11:31 Der Profit durch den Koreakrieg war natürlich auch sehr "sozial". Die Schäden, also die Destruktivität der Wirtschaft lagert man einfach aus.
Sehr interessant - diesen Teil der NAchkriegsgeschichte hatte ich noch nicht auf dem Schirm - merci.

Aber hier zeigt sich wieder mal die Wahrheit des Satzes "Der Erfolg hat viele Väter. Der Mißerfolg ist ein Waisenkind" - hier war es ein Erfolg, der offenbar nicht von der Sozialen Marktwirtschaft alleine hätte geschultert werden können. Aber ihr schreibt man ihn zu.
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