Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Literatur, Malerei, Bildhauerei
Munro

Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Hier möchte ich mal was erzählen, das mir im Frühjahr 2006 passiert ist.
Es war auf dem Rückweg von einem Treffen in der Oberpfalz, als ich dieses erlebte:

In der Nähe von Heilbronn verließ ich die Autobahn, weil ich immer gerne auch etwas über Land fahre.
Als ich an einem Wald vorbeikam, sah ich im Vorüberfahren ein kleines Hinweis-Schild: "Russischer Friedhof".

Beides interessiert mich: Für Russland habe ich großes Interesse seit meinem Besuch in Perm im Juni 2003, und Friedhöfe haben mich schon als Kind fasziniert.
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Ich wendete auf der Landstraße und fuhr ein schmales Sträßchen entlang in einen Wald, der mir recht finster und düster schien.

Der Friedhof war nicht ganz leicht zu finden.

Ich mußte zweimal abbiegen und dann noch ein kleines Stück auf einem unbefestigten Waldweg fahren.

Dann sah ich den kleinen Friedhof.

Er war sehr unscheinbar, fast zu übersehen.

Doch er berührte mich sehr.

Es waren da 13 Gräber von russischen Zwangsarbeitern, die beim Bau eben jener Autobahn gestorben waren, die ich eben befahren hatte!
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Langsam ging ich von Grab zu Grab und las die Namen.

Alle die 13 Holzkreuze trugen die Namen der Toten in kyrillischer und in lateinischer Schrift und die Lebensdaten.

Ich las beide Schriften, auch die kyrillische, die ich langsam Buchstabe für Buchstabe entzifferte.

Es waren alles eher junge Frauen und junge Männer gewesen.

Ich dachte daran, unter welchen Umständen sie wohl nach Deutschland gekommen waren, wie sie wohl am Bau der Autobahn gearbeitet hatten, und unter welchen Umständen sie wohl gestorben waren.

Es schauerte mich etwas, und voller Mitgefühl dachte ich an die Menschen und ihre Schicksale, die hier ihr Ende gefunden hatten.

Nach einer Weile machte ich mich auf den Rückweg.

Der sollte etwas dramatischer verlaufen, als ich gedacht hatte ......
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Für den Rückweg gab es nun drei Möglichkeiten:

1. Auf dem schmalen Waldweg zu wenden.

In diesem Falle befürchtete ich, in dem weichen Waldboden rechts und links des Weges stecken zu bleiben.

2. Rückwärts wieder bis zur asphaltierten Straße zu stoßen.

Das schien mir zu unbequem.

3. Vorwärts weiterzufahren.

Ich entschied mich für Nummer drei. In der sicheren Erwartung, auch in dieser Richtung früher oder später auf eine asphaltierte Straße zu kommen.

Doch ich geriet mit meinem Auto in den größten Schlammsumpf meines Lebens ....
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Kurze Zwischenfrage des Erzählers: "Liest eigentlich jemand mit?" 8-) :wave:
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Doch ich geriet mit meinem Auto in den größten Schlammsumpf meines Lebens ....

...................................................................

Erst waren es nur ein paar Wasserlachen.

Nichts Schlimmes.

Aber dann wurden richtige Seen daraus.

Der Waldboden war wohl von einem Traktor tief zerfurcht worden, und es hatte sich eine richtige Seenlandschaft mit hohem schwarzen Schlamm dazwischen gebildet.

Mir war klar:

Hier kann es nur ein VORWÄRTS!!! geben.

Ein Anhalten hätte bedeutet, sicher im Sumpf steckenzubleiben.

Ich malte mir kurz die Konsequenzen aus:

Natürlich hatte ich wie immer kein Handy dabei.

Ein Steckenbleiben bedeutete: Aussteigen ..... mit normalen Schuhen durch den tiefen schwarzen Schlammsumpf waten ..... irgendwie den Weg aus dem düsteren Wald hinausfinden .... zur Landstraße zu kommen ..... eine Telefonzelle zu finden ..... einen Abschleppwagen zu organisieren.....und das alles an einen Sonntagnachmittag irgendwo in einer Gegend, wo sich Fuchs und Hase "Gute Nacht!" sagen .....

Zu allem Überfluss hatte ich mich auch schon telefonisch bei einer Ex-Kollegin angemeldet, die ich auf dem Heimweg noch besuchen wollte.

Die würde dann wohl umsonst auf mich warten.

Und ich hatte mich schon darauf gefreut, sie nach langer Zeit mal wiederzusehen.

Schöne Aussichten ......

Es konnte hier nur Eines geben:

Volle Kraft voraus! In den tiefen Schlamm hinein - und hoffen, auf der anderen Seite wieder herauszukommen!

Aber nicht: Augen zu - und durch!

Sondern: Augen weit auf - und durch!
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Todesmutig fuhr ich also mitten hinein in den Schlammsee.

Die Räder verloren bald die Bodenhaftung - und ich "verlor die Herrschaft über das Fahrzeug", wie es in Unfallberichten immer so schön und treffend heißt.

Mein Auto schwamm wie ein schwarzes Schiff durch den schwarzen Schlammsee.

Als die Räder mal wieder griffen, wurde das Auto wie von Geisterhand - auch ein sehr treffendes Bild! - vom Weg herunter und in den Wald hineingeschleudert.

Zum Glück nicht an einen der Baumstämme dort.

Dann schleuderte das Auto wieder zurück auf den Weg - zurück in den Schlammsee.

Keine wesentliche Verbesserung ......

Und während dieser ganzen Schleuderei erscholl urplötzlich von irgendwoher ein langanhaltendes gellendes Gekreisch.

Ich konnte es nicht orten.

Kam es von dem Friedhof, den ich eben gerade verlassen hatte?

Riefen die Toten nach mir?

Hatte ich sie in ihrer Ruhe gestört?

Wollten sie Sühne?

Sühne von mir, der ich gerade die Autobahn befahren hatte, bei derem Bau sie so elend zugrunde gegangen waren?

Fragen über Fragen ......

Und ich werd euch die Antwort sagen ......

Later .....
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Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Kolibri »

Esperanzia hat geschrieben: So 7. Jul 2019, 11:14 Kurze Zwischenfrage des Erzählers: "Liest eigentlich jemand mit?" 8-) :wave:
ja, das ist sehr schön erzählt, ich bekomme sogar leichte Gänsehaut als wenn ich dabei bin
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Dann erzähle ich nun mal weiter. :idea:
Munro

Re: Ein einsamer Friedhof und ein Waldweg

Beitrag von Munro »

Kleine Zwischenfrage:
Hat jemand von euch eine Vermutung, was da im Wald wohl so gellend geschrieen hat? :shock:

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Des Rätsels Lösung ist einfach:

Ich selbst war die Ursache! Es war meine Hupe!

Bei diesem Herumgeschleuder war meine rechte Hand auf die Hupe gerutscht, ohne dass ich es recht merkte.

Und da ich das Lenkrad danach wieder fest in der Hand behielt, blieb auch meine Hand fest auf der Hupe!

Wobei mir zunächst mal dieses gellende Geräusch im stillen Wald ein echtes Rätsel war - bis ich merkte, dass ich selber der Auslöser war!

Das alles geschah natürlich in Sekunden.

Schneller, als ich es hier schreiben kann ......
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