Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Philosophisches zum Nachdenken
Rembremerding

Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Rembremerding »

Hallo @Hiob, ich erlaube mir:
Hiob hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 10:28 Durch Bubers Übersetzung wurden mir 9 von 10 Fragen, die ich an AT-Texte hatte, beantwortet - einfach so - nur durch die Art der übersetzung. ---- Ich spüre sein Denken und bilde mir ein, durch ihn den Unterschied zwischen jüdischem und griechisch-antikem Denken verstanden zu haben.
Das semitische und hellenistische Denken zeigt tatsächlich große Unterschiede. In den Sprachen drückt sich dies besonders aus. Das Hebräische kennt z.B. kein "bin" im griechischen Sinn. Alles verbleibt im Prozess, im "werden", wohl auch, weil es die Sprache eines Nomadenvolkes ist.

Die antike Philosophie nimmt in gewisser Hinsicht mit Aristoteles und Platon die unterschiedlichen Denkweisen auf.
Die aristotelische Philosophie ist eine ANALYTISCHE, die alles zerlegt, zuletzt weiß der Fachmann unendlich viel über unendlich wenig! Die platonische Philosophie ist hingegen eine SYNTHETISCHE. Sie erkennt, nach dem berühmten Höhlengleichnis, dass sie über Gott nur Aussagen machen kann, welche in die richtige Richtung zielen, aber das ganze Sein an sich intellektuell und verbal nicht erfassen kann. Damit bleibt Gott der "Unergründliche", mit menschlichen Begriffen "Unfassbare". Jedoch ebenso der "Seiende", der in jedem Augenblick auf einen zukommt, in ihm wirkt und so der Augenblick erst wird.

Ist es ungefähr das, was du meinst?
(Ich habe im übrigen viele Lücken gelassen, um weiter auffüllen zu können) ;)

Servus :wave:
Munro

Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Munro »

Rembremerding hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 10:51
Das semitische und hellenistische Denken zeigt tatsächlich große Unterschiede. In den Sprachen drückt sich dies besonders aus. Das Hebräische kennt z.B. kein "bin" im griechischen Sinn. Alles verbleibt im Prozess, im "werden", wohl auch, weil es die Sprache eines Nomadenvolkes ist.
Das finde ich sprachlich sehr interessant.
Es gibt auch noch andere Sprachen, die dieses "bin" nicht kennen -
oder auch mehrere Varianten von "bin".
Rembremerding

Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Rembremerding »

Esperanzia hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 11:21 Das finde ich sprachlich sehr interessant.
Es gibt auch noch andere Sprachen, die dieses "bin" nicht kennen -
Für ein Nomadenvolk, das ständig in Bewegung ist, ist Zeit immer ein "werden". Sie liegt vor einem, hinter der nächsten Biegung. Doch nicht nur Zeit, auch Raum wird anders empfunden und somit das Sein, Da-Sein an sich.

Ein Nomadenvolk hat einen anderen Bezug zu Erinnerung und Ahnen. Man muss sich an Wasserstellen erinnern und tut dies durch Geschichten. Das Erinnern ist also nicht nur gewesenes, sondern muss lebendiges bleiben.

Ohne feste Wohnstatt und Besitz hat auch die Familie, der Stamm, keinen Bezug zur Landschaft, zum Raum. So wird der Stamm selbst zum Mittelpunkt. Die Stammeszugehörigkeit, die Ab-Stammung erhält Gewicht, deshalb etwa auch die Genealogien im Buch Numeri und die vielen ... Sohn des ...
All dies schlägt sich natürlich in Denken und somit Sprache nieder.

Und vor diesem Hintergrund erhält etwa der Turmbau zu Babel und die errichteten Steinmale und Altäre weitere Bedeutung. Hier ist auch ein Kulturwandel im Gange.
Nur mal so ...

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Andreas
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Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Andreas »

Rembremerding hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 10:51 Das Hebräische kennt z.B. kein "bin" im griechischen Sinn. Alles verbleibt im Prozess, im "werden", wohl auch, weil es die Sprache eines Nomadenvolkes ist.
So logisch diese "Begründung" auf den ersten Blick erscheinen mag, habe ich doch Schwierigkeiten dir diese Behauptung nur deswegen zu glauben.

Allein in der Tora kommt das "bin" über 150 mal vor - und das auch an ganz zentralen Stellen.
Ex 6,2-3 hat geschrieben:Gott redete mit Mose und sprach zu ihm: Ich bin der HERR.
Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El-Schaddai erschienen, aber unter meinem Namen HERR habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben.
Auch Buber übersetzt das "bin" nicht "fließend" einen Prozess wenigstens andeutend, obwohl er sich sonst nie scheut, mit dem Deutschen "akrobatisch" umzugehen.
Ex 6,2-3 Buber hat geschrieben:Gott redete zu Mosche,
er sprach zu ihm:
ICH bins.
Ich ließ von Abraham, Jizchak und Jaakob mich sehen
als den Gewaltigen Gott,
aber meinem Namen nach bin ich ihnen nicht kenntlich geworden.
Ex 3,14 Einheitsübersetzung 2016 hat geschrieben:14 Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin, der ich bin. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt.A
A) (3,14f.) Der Gottesname (JHWH) ist schwer zu deuten. An der vorliegenden Stelle wird an den Namen durch einen geheimnisvollen Satz, der etwas durch sich selbst erklärt, angespielt. Etwa: Ich bin, der ich bin oder auch, wenn man den in der Verbform enthaltenen Aspekt der Zukunft aufnehmen will: Ich werde sein, der ich sein werde. Wie auch immer zielt die Umschreibung darauf ab, die Unverfügbarkeit Gottes - auch und gerade wenn er seinen Namen offenbart - zu wahren.
Ex 3,14 Buber hat geschrieben:Gott sprach zu Mosche:
Ich werde dasein, als der ich dasein werde.
Und er sprach:
So sollst du zu den Söhnen Jissraels sprechen:
ICH BIN DA schickt mich zu euch.
2 Mose 14 Luther 1912 hat geschrieben:Gott (H430)sprach (H559)zu Mose (H4872): ICH WERDE SEIN (H1961), der ICH SEIN WERDE (H1961). Und sprach (H559): Also (H559)sollst du den Kindern (H1121)Israel (H3478)sagen (H559): ICH (H7971)WERDE SEIN hat mich zu euch gesandt (H7971).
Strong's Dictionary hat geschrieben:H1961
היה (hâyâh) [haw-yaw']
A primitive root (compare H1933); to {exist} that {is} be or {become}come to pass (always {emphatic} and not a mere copula or auxiliary): - {beacon} X {altogether} be ({-come} {accomplished} {committed} {like}) {break} {cause} come (to {pass}) {continue} {do} {faint} {fall} + {follow} {happen} X {have} {last} {pertain} quit (one-) {self} {require} X use.
Dazu würde ich gerne mehr von dir erfahren.
Hiob
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Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 10:51 Die aristotelische Philosophie ist eine ANALYTISCHE, die alles zerlegt, zuletzt weiß der Fachmann unendlich viel über unendlich wenig! Die platonische Philosophie ist hingegen eine SYNTHETISCHE. Sie erkennt, nach dem berühmten Höhlengleichnis, dass sie über Gott nur Aussagen machen kann, welche in die richtige Richtung zielen, aber das ganze Sein an sich intellektuell und verbal nicht erfassen kann.
Sehe ich ähnlich - insofern ist Platon "hebräischer" als Aristoteles. - Der Unterschied zwischen Platon und "hebräisch": Platon sieht es eher als mangel, während es dem hebräischen Denken eher egal ist.
Rembremerding hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 10:51 Damit bleibt Gott der "Unergründliche", mit menschlichen Begriffen "Unfassbare". Jedoch ebenso der "Seiende", der in jedem Augenblick auf einen zukommt, in ihm wirkt und so der Augenblick erst wird.

Ist es ungefähr das, was du meinst?
Darauf habe ich gerade nicht abgezielt, aber ich stimme Dir zu.

Mein Fokus ist eher folgender: Dem Hebräischen ist "das Phänomen" ("Es-ist-so"/"Ich-bin") wichtig, während dem Griechischen eher logische Zusammenhänge wichtig sind. - Etwas verdichteter gesagt: Hebräisch ist das Objekt wichtig, griechisch ist das Verständnis des Objekts wichtig (= damit ist das Subjekt wichtiger als das Objekt: "Was verstehe ICH vom Objekt?"). - das kann man an vielen Textrstellen nachweisen (ich müsste wühlen).

Noch ein anderes: Das Hebräische drückt sich ungern wertend aus - kleines Beispiel: Was normale Übersetzungen mit "fromm" übersetzen ("X war eine fromme Frau"), heißt bei Buber "X war eine schlichte Frau". - Also ganz unterschiedliche Konnotationen - aber auch das müsste man konkret vertiefen.

Ich vertraue hier deshalb Buber mehr, weil er sehr stark als Alt-Hebräist rangeht und nicht als Theologe - er galt meines Wissens als einer, der sich fließend vor 2500 Jahren mit David oder Salomon hätte unterhalten können, weil er die Sprache auch konnotativ im Griff hatte - von Buber sind Aussagen überliefert wie "das stimmt zwar theoretisch, aber so hat man damals nicht gesprochen" :lol: - Aber ich kann es natürlich nicht nachprüfen.
Rembremerding

Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Rembremerding »

Hiob hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 16:22 Mein Fokus ist eher folgender: Dem Hebräischen ist "das Phänomen" ("Es-ist-so"/"Ich-bin") wichtig, während dem Griechischen eher logische Zusammenhänge wichtig sind. - Etwas verdichteter gesagt: Hebräisch ist das Objekt wichtig, griechisch ist das Verständnis des Objekts wichtig (= damit ist das Subjekt wichtiger als das Objekt: "Was verstehe ICH vom Objekt?"). - das kann man an vielen Textrstellen nachweisen (ich müsste wühlen).
Musst du nicht, es ist so.
Hier wieder das Hebräische als Sprache eines Nomadenvolks.
Noch ein anderes: Das Hebräische drückt sich ungern wertend aus - kleines Beispiel: Was normale Übersetzungen mit "fromm" übersetzen ("X war eine fromme Frau"), heißt bei Buber "X war eine schlichte Frau". - Also ganz unterschiedliche Konnotationen - aber auch das müsste man konkret vertiefen.
Hier würde ich vorsichtig sein. Auch "schlicht" ist wertend, nur verstehen wir diesen Wert anders. Orientalische Völker neigen zu Übertreibung und Abschweifung in der Sprache und verwenden Bilder, die oft nicht mehr verstanden werden, das durchzieht das gesamte AT. Werfe nur einen Blick ins Hohelied.
Ich vertraue hier deshalb Buber mehr, weil er sehr stark als Alt-Hebräist rangeht und nicht als Theologe -
Das ist auch völlig legitim, "Muttersprachler" wissen mehr von Gefühl, Denken, Mythos und Kultur des eigenen Volks. Hier ist auch Samson Raphael Hirsch zu empfehlen.

Beispiel: Was würde es nützen die Worte einer Sprache zu verstehen, sie richtig zu übersetzen, aber nicht den Inhalt, der dahintersteht bei: "Mein Auto ist im Eimer". Oder die Bedeutungsänderung des Wortes "geil" im Laufe der Zeit berücksichtigt oder die Aussage: "er ist ein wahrer Siegfried", wenn man den Mythos nicht kennt?

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Hiob
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Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 18:49Was würde es nützen die Worte einer Sprache zu verstehen, sie richtig zu übersetzen, aber nicht den Inhalt, der dahintersteht bei: "Mein Auto ist im Eimer".
Der Stallgeruch einer Sprache. - Da werden aus meiner Sicht viele Fehler bei Übersetzung und Exegese gemacht - man gemeindet kulturell ein, was nicht geht. - Süd-Tirol wird immer tirolisch geprägt sein, auch wenn es zu Rom gehört.
Rembremerding

Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Rembremerding »

Hiob hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 19:03 Der Stallgeruch einer Sprache. Süd-Tirol wird immer tirolisch geprägt sein, auch wenn es zu Rom gehört.
Deshalb mag man "bin" übersetzen, aber der Gedanke dahinter ist für einen Hebräer ein völlig anderer.
Im Bayerischen und damit Tirolischen kann ich sagen: "Des is a Hund". Als Beleidigung, aber auch als Hochachtung ob seiner Klugheit. Erst im sprechen, nicht im lesen, würde der Unterschied deutlich.
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Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 19:11 Erst im sprechen, nicht im lesen, würde der Unterschied deutlich.
Da ist was dran - und wir lesen halt nur, weil von den Alt-Hebräern keiner mehr lebt. ;) - Mal ganz nebenbei: Das ist ein Punkt, bei dem ich einige Vorwürfe auch gegen die RKK hätte.
Rembremerding

Re: Jüdische vs. hellenistische Philosophie in Bibelinterpretation

Beitrag von Rembremerding »

Rembremerding hat geschrieben: So 24. Feb 2019, 10:51
Die aristotelische Philosophie ist eine ANALYTISCHE, die alles zerlegt, zuletzt weiß der Fachmann unendlich viel über unendlich wenig! Die platonische Philosophie ist hingegen eine SYNTHETISCHE. Sie erkennt, nach dem berühmten Höhlengleichnis, dass sie über Gott nur Aussagen machen kann, welche in die richtige Richtung zielen, aber das ganze Sein an sich intellektuell und verbal nicht erfassen kann.
Zum einen sei der Thread wieder aufgewärmt, weil immer wieder die Frage auftaucht, inwieweit Philosophie in der Bibel und den Interpretationen Einfluss nimmt, zum anderen, weil die Archäologie gerade in Abydos einen Fund machte, welcher der tatsächliche Ort von Platons Höhlengleichnis sein könnte.
https://www.spektrum.de/news/archaeolog ... os/1756036

Hier noch einmal das Höhlengleichnis:
https://www.wissen.de/lexikon/hoehlengleichnis
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