Arthur Schopenhauer: Seelenwanderung und Wiedergeburt

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Faust

Arthur Schopenhauer: Seelenwanderung und Wiedergeburt

Beitrag von Faust »

Die Seelenwanderung in der europäischen Weisheitslehre

Seelenwanderung – es ist mehr als nur ein Wort, denn es gibt Antwort auf eine bange Frage, die sich wohl schon jeder einmal gestellt hat: Was wird aus mir nach meinem Tod? Bin ich dann völlig ausgelöscht, bin ich zu einem Nichts geworden? Arthur Schopenhauer schrieb dazu im 2. Band seines Hauptwerkes „Die Welt als Wille und Vorstellung“, und zwar im berühmten Kapitel „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich“: Wir finden nämlich die Lehre von der Metempsychose ( Seelenwanderung ), aus den urältesten und edelsten Zeiten des Menschengeschlechts stammend, stets auf der Erde verbreitet, als den Glauben der großen Majorität des Menschengeschlechts, ja eigentlich als die Lehre aller Religionen, mit Ausnahme der jüdischen und der zwei von dieser ausgegangenen (Christentum, Islam) ; am subtilsten jedoch und der Wahrheit am nächsten kommend, … im Buddhismus.

Die Ausnahmen, auf die Schopenhauer oben hingewiesen hat, nämlich Christentum und Islam, sorgten jedoch mit Feuer und Schwert dafür, dass die Lehre von der Seelenwanderung heute im Westen mehr oder weniger nur von esoterischen Randgruppen vertreten wird. Diese Lehre, zu deren Anhängern auch Pythagoras und Platon gehörten und die auch in der altgermanischen Edda enthalten ist, wurde von der christlichen Kirche als heidnisch angesehen und dementsprechend verfolgt. Die Ausrottung der Katharer ist hierfür ein grausames Beispiel. Da die menschliche Seele nach dem Tod auch in einen tierischen Körper „wandern“ kann, sind schon deshalb Mensch und Tier durch ein über den Tod hinausreichendes Band miteinander verbunden. Eine praktische Konsequenz aus dieser Lehre war in vielen Fällen der Vegetarismus. So brandmarkte der vorsokratische Philosoph Empedokles:

Wollt ihr nicht endlich ein Halt gebieten dem scheußlichen Morden? Fühlt ihr nicht, dass ihr einander zerfleischt im finstern Wahne? …

Da schlachtet der Vater in arger Verblendung den lieben Sohn, der seine Gestalt gewandelt hat, und spricht dabei noch ein Gebet! Die Knechte aber zögern, den sie Anflehenden zu opfern. Der aber hört nicht auf sein Wimmern, schlachtet ihn und bereitet so in seinem Hause ein gräßliches Mahl. So ergreift der Sohn den Vater und die Tochter die Mutter, rauben ihnen das Leben und verschlingen das Fleisch der Verwandten! …

Wehe mir, dass mich nicht vorher ein erbarmungsloser Tag sterben ließ, bevor ich den grausamen Gedanken faßte, meine Lippen an gräßlichem Fraße zu weiden! (Zitat aus: „Die Vorsokratiker“, herausgegegn von Wilhelm Capelle)

Der Kirche war dieser Zusammenhang bekannt. Deshalb sahen ihre Inquisitoren im Vegetarismus ein sicheres Anzeichen für Ketzerei. Im Gegensatz zu Indien, wo bis zu seiner gewaltsamen Eroberung durch den Islam weitgehend Glaubensfreiheit herrschte, konnte im Westen die Kirche durch Androhung und Vollzug grausamer Strafen die Verbreitung der Seelenwanderungslehre und mit ihr die vegetarische Lebensweise verhindern.

Die Lehre von der Seelenwanderung hat jedoch weit über den Vegatarismus hinaus noch einen anderen höchst wichtigen Aspekt, nämlich den – worauf Schopenhauer hinwies – der ewigen Gerechtigkeit.

Der Mythos von der Seelenwanderung, so Arthur Schopenhauer (in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ I, § 63),… lehrt, dass alle Leiden, welche man im Leben über andere Wesen verhängt, in einem folgenden Leben auf eben dieser Welt, genau durch die selben Leiden wieder abgebüßt werden müssen; welches so weit geht, dass wer nur ein Tier tötet, einst in unendlicher Zeit auch als eben ein solches Tier geboren und den selben Tod erleiden wird.

Der Buddhismus lehrt zwar wie andere aus Indien stammende Religionen die Seelenwanderung ( Metempsychose ), aber mit einem wichtigen Unterschied, den Schopenhauer klar erkannte und hervorhob: Die Seelenwanderungslehre ist relativ leicht verständlich und dem „normalen“ Menschen einfach zu erklären, somit exoterisch. Der Buddhismus enthält jedoch in seinem Kern eine noch tiefere Lehre, die von der Palingenesie. Sie ist, wie Schopenhauer zu Recht meinte, „viel schwerer fasslich“, ja im Grunde esoterisch. Hierzu Schopenhauer (in „Parerga und Paralipomena“ II , Kap. 10 „Zur Lehre von der Unzerstörbarkeit unsers wahren Wesens durch den Tod“, § 140)):

Sehr wohl könnte man unterscheiden Metempsychose ( Seelenwanderung ), als Übergang der gesamten sogenannten Seele in einen andern Leib, und Palingenesie, als Zersetzung und Neubildung des Individui, indem allein der Wille beharrt und, die Gestalt eines neuen Wesens annehmend, einen neuen Intellekt erhält; also das Individuum sich zersetzt wie ein Neutralsalz , dessen Basis sodann mit einer andern Säure sich zu einem neuen Salz verbindet.

Aus (Büchern zum Buddhismus, auf die Schopenhauer hier verwies) … geht hervor, dass es im Buddhaismus, in Hinsicht auf die Fortdauer nach dem Tode, eine exoterische und eine esoterische Lehre gibt: erstere ist eben Metempsychose, wie im Brahmanismus (Hinduismus), letztere aber ist eine viel schwerer fassliche Palingenesie, die in großer Übereinstimmung steht mit meiner Lehre vom metaphysischen Bestande des Willens …

Da nach Schopenhauer alles in dieser Welt und damit auch alle Lebewesen nur Erscheinungsformen eines metaphysischen Willens sind, werden die Lebewesen mit ihrem Tod als Erscheinungsformen zersetzt, bleiben aber in ihrem „wahren Wesen“, das im „Willen“ besteht, unzerstört, denn dieser „Wille“ manifestiert sich erneut, d. h., er bewirkt die Neuentstehung.

Diese Aussagen Schopenhauers finden sich in ihrem Kerngehalt nicht nur im Buddhismus, sondern auch in den von Schopenhauer hochgepriesenen altindischen Upanishaden, und zwar in der esoterischen Lehre vom Karma. Das durch moralisch gute oder schlechteTaten eines Wesens angesammelte Karma bestimmt das Schicksal dieses Wesens und führt zwangsläufig zu dessen Wiedergeburt. Es ist in gewisser Hinsicht wohl mit dem zu vergleichen, was Schopenhauer „Wille“ nennt. Ausdruck dieses metaphysischen Willens ist der Wille zum Leben – ihm ist das Leben gewiss! In diesem Sinne, so ist sich Arthur Schopenhauer sicher, kann der Tod lediglich unsere äußere Erscheinungsform, nicht aber unser „wahres Wesen“ zerstören.


Schopenhauerphilosophie: Seelenwanderung und Wiedergeburt


Munro

Re: Arthur Schopenhauer: Seelenwanderung und Wiedergeburt

Beitrag von Munro »

Der Kirche war dieser Zusammenhang bekannt. Deshalb sahen ihre Inquisitoren im Vegetarismus ein sicheres Anzeichen für Ketzerei. Im Gegensatz zu Indien, wo bis zu seiner gewaltsamen Eroberung durch den Islam weitgehend Glaubensfreiheit herrschte, konnte im Westen die Kirche durch Androhung und Vollzug grausamer Strafen die Verbreitung der Seelenwanderungslehre und mit ihr die vegetarische Lebensweise verhindern.
Interessant! :idea:
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