Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Philosophisches zum Nachdenken
Rembremerding

Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Beitrag von Rembremerding »

Ist Honig süß, auch wenn ihn niemand schmeckt? Oder macht ein fallender Baum auch dann Geräusche, wenn niemand es hört?
Das sind klassische Fragen in der Philosophie und je nach Weltbild sagen die einen, dass nichts existiert, was der Mensch nicht wahrnimmt, andere, dass auch ohne dem Menschen alles ist oder eine Ansicht irgendwo dazwischen.

Gerade die Wissenschaft macht es dann noch komplizierter, denn sie kann chemische und biologische Vorgänge ausmachen, die etwa die Süße des Honigs nachweisen, ohne dass es ein Mensch schmeckt. Aber dies wäre wiederum so ähnlich, als wolle man Liebe und alles was sie bewirkt, allein mit der Chemie von Hormonen und den Wechselwirkungen von Molekülen und Aminosäuren erklären.

Nicht nur im Abendland setzte man sich mit diesen Fragen auseinander, im 6. Jh. v, Chr. entstand im Buddhismus bereits eine auf Philosophie basierende Glaubensrichtung und noch früher versuchten im Hinduismus die sog. vedischen Schriften eine Antwort zu finden. Um die abendländische Sicht auf die Dinge und Fragen zu erweitern hier das sogenannte "Wagenlenkergleichnis", das in der Kaṭha-Upaniṣhad, einem vedischen Text aus Indien, zu finden ist.
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Hier wird die menschliche Existenz mit einem Wagen verglichen, der von fünf Pferden gezogen wird. Dabei ist der Wagenbesitzer das menschliche Selbst (ātmā), die individuelle, göttliche Seele. Der Wagen entspricht dem Körper (deha), die fünf Pferde entsprechen den fünf Sinnesorganen (indriya). Der Wagenlenker wird mit der reinen Intelligenz (buddhi), dem intuitiven unterscheiden und erkennen, und die Zügel mit dem Sinnesbewusstsein oder dem Sinnen-Mental (manah) gleichgesetzt, die Denkfunktion. Die Fahrbahn sind die Objekte und Bereiche der Sinneswahrnehmung.
Das Ziel des menschlichen Lebens ist, den Herrn der Kutsche (= ātmā) zu erkennen und seine inneren Anweisungen jeden Moment zu befolgen. Der Wagenlenker (buddhi) kann so durch bewusstes und straffes Halten der Zügel (manah), die Pferde (indriya) auf dem richtigen (Lebens)Weg lenken.

Hier die Deutsche Übersetzung aus dem Buch  „Katha-Upanishad – die Unsterblichkeit des Selbst“ von Swami Nikhilananda (Teil 1, 3. Kapitel, Verse 1a, 5 – 9):
Erkenne den Ᾱtman als den Herrn der Kutsche. Wenn Buddhi durch Verbindung mit einem Denken, das stets abgelenkt wird, ihr Unterscheidungsvermögen verliert, geraten die Sinne ausser Kontrolle wie ungebändigte Pferde.

Aber wenn Buddhi durch Verbindung mit einem stets beherrschten Denken Unterscheidungsvermögen besitzt, gelangen die Sinne unter Kontrolle wie die gehorsamen Pferde eines Wagenlenkers.

Wenn Buddhi durch Verbindung mit einem abgelenkten Denken ihr Unterscheidungsvermögen verliert und deshalb ungeläutert bleibt, kann die verkörperte Seele ihr Ziel nicht erreichen.

Wenn Buddhi durch Verbindung mit einem beherrschten Denken Unterscheidungsvermögen besitzt und deshalb geläutert bleibt, kann es (Buddhi) die verkörperte Seele zum Ziel führen, von dem es keine Wiedergeburt gibt.

Ein Mensch, der seinen Wagenlenker kennt und die Zügel des Denkens festhält, gelangt an das Ende des Weges, und das ist die höchste Position von Vishnu.
In diesem vedischen Text und im Buddhismus, der diesen Text ehrt, wird ausgesagt, dass man keineswegs nur nach dem Gefühl handeln soll, sondern sie mit dem Intellekt, der Vernunft zügelt, damit man seinen richtigen Weg beibehält. Dies gelingt, wenn man seiner Selbst erkennt, in dem man Gott erkennt.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Beitrag von Anthros »

Zum Titel: " ... damit leben kann?" Was meinst du mit "damit"?

Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 10:35 Ist Honig süß, auch wenn ihn niemand schmeckt?
Die Süße ist von unserem Geschmackssinn abhängig. Die Erfahrung seiner Süße ist es, die uns sagen lässt, Honig sei immer süß.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Beitrag von Rembremerding »

Anthros hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 10:44 Zum Titel: " ... damit leben kann?" Was meinst du mit "damit"?
Angenommen jemand akzeptiert nur das, was man messen und sehen kann, dann hat dies Auswirkungen auf ein Gottesbild und kann auch die moralische Handlungweise bestimmen. Damit lebt er, sein Leben ist dadurch geprägt, seine Worte, seine Taten, seine Sicht auf Gemeinschaft, Tod und Ewigkeit. Wie man die Welt wahrnimmt bestimmt, wie man in ihr lebt und über diese unterschiedlichen Lebensweisen, je nach Vorannahme, darf man, wer will, hier auch diskutieren.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Beitrag von Anthros »

Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 10:53
Anthros hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 10:44 Zum Titel: " ... damit leben kann?" Was meinst du mit "damit"?
Angenommen jemand akzeptiert nur das, was man messen und sehen kann, dann hat dies Auswirkungen auf ein Gottesbild ...
Aus einer dem übergeordneten Sicht, wo es heißt, der Mensch sei durch den Sündenfall erkenntnisfähig wie das Göttliche geworden, hieße das, er habe zwar die Erkenntnisfähigkeit, aber übe sich darin, seine göttliche Fähigkeit zu erweitern, indem er im Messen dessen, was wahrnehmbar ist, mit göttlicher Gleich-Gültigkeit vorgehe.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Beitrag von Rembremerding »

Anthros hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 11:16
Aus einer dem übergeordneten Sicht, wo es heißt, der Mensch sei durch den Sündenfall erkenntnisfähig wie das Göttliche geworden, hieße das, er habe zwar die Erkenntnisfähigkeit, aber übe sich darin, seine göttliche Fähigkeit zu erweitern, indem er im Messen dessen, was wahrnehmbar ist, mit göttlicher Gleich-Gültigkeit vorgehe.
Es kann jedoch ebenso heißen, dass der Mensch allein im meßbaren erkennen der Natur durch seine Vernunft seine göttliche Ebenbildlichkeit vergisst. Denn würde er sich auf das Wahrnehmbare beschränken, entginge ihm das Transzendente, welche das Wahrnehmbare erst ins Licht der Erkenntnis ruft.

Es kann auch heißen, dass der Mensch durch den Sündenfall gerade seine Erkenntnisfähigkeit verlor und deshalb sich vom Göttlichen entfernte. Seither misst er nicht mehr mit göttlicher Gleich-Gültigkeit, sondern mit menschlicher Wertung, welche die fehlende Erkenntnis bewirkt.

Es ist wichtig, zu erkennen, dass jeder Mensch eine bewusste oder unbewusste Vorannahme besitzt, die ihm die Sicht auf die Welt entweder vorgaukelt oder, im erkennen dieser Vorannahme, ins rechte, göttliche Licht rückt.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Beitrag von Anthros »

Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 11:37 Es kann jedoch ebenso heißen, dass der Mensch allein im meßbaren erkennen der Natur durch seine Vernunft seine göttliche Ebenbildlichkeit vergisst.
Das ist auch nicht wichtig, es sei denn, das Göttliche sei eitel.

Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 11:37 Denn würde er sich auf das Wahrnehmbare beschränken, entginge ihm das Transzendente, welche das Wahrnehmbare erst ins Licht der Erkenntnis ruft.
Das stimmt wohl, aber die Weisheitslehren, so auch die Anthroposophie, gehen davon aus, dass der Mensch sich (nicht nur) durch Wiederverkörperungen entwickelt.

Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 11:37 Es kann auch heißen, dass der Mensch durch den Sündenfall gerade seine Erkenntnisfähigkeit verlor und deshalb sich vom Göttlichen entfernte.
Es heißt biblisch kurz nach der Beschreibung des Sündenfalls, dass der Mensch durch das Nehmen von der Frucht des Erkenntnisbaumes so geworden sei wie das Göttliche: erkenntnisfähig (bzw. Buddhi, Logos, Logik, Christus)!

Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 11:37 Seither misst er nicht mehr mit göttlicher Gleich-Gültigkeit, sondern mit menschlicher Wertung, welche die fehlende Erkenntnis bewirkt.
Ja, der Mensch erhielt zwar die Erkenntnisfähigkeit und wurde "vertrieben" aus dem Garten des Paradieses, aber er kann die Eigenschaften des Paradieses, die Unvoreingenommenheit bzw. Gleich-Gültigkeit wie die eines noch vorpubertären Kindes, sich zurückerobern und beides in eins zusammenbringen.

Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 11:37 Es ist wichtig, zu erkennen, dass jeder Mensch eine bewusste oder unbewusste Vorannahme besitzt, die ihm die Sicht auf die Welt entweder vorgaukelt oder, im erkennen dieser Vorannahme, ins rechte, göttliche Licht rückt.
"Vorannahme" meint wohl "Vorurteilslosigkeit"? Ja, seine Vorannahmen als solche zu erkennen, sie stets zu überprüfen, sie kritisch zu hinterfragen auf ihre Richtigkeit.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

Beitrag von Rembremerding »

Anthros hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 12:07 Das ist auch nicht wichtig, es sei denn, das Göttliche sei eitel.
Gott geht es um den Menschen, nicht um sich. Für den Menschen ist es wichtig, von seiner Ebenbildlichkeit zu wissen.
Das stimmt wohl, aber die Weisheitslehren, so auch die Anthroposophie, gehen davon aus, dass der Mensch sich (nicht nur) durch Wiederverkörperungen entwickelt.
Eine tragische Über- und Einschätzung: Der Mensch will auch vom Baum des Lebens nehmen, ohne das Gute zu wollen. In dieser Hinsicht ist der Buddhismus weiter: Wiederverkörperung ist eine Strafe.
Es heißt biblisch kurz nach der Beschreibung des Sündenfalls, dass der Mensch durch das Nehmen von der Frucht des Erkenntnisbaumes so geworden sei wie das Göttliche.
Doch nicht erkenntnisfähig! Er weiß lediglich, was gut und böse ist. Wäre dies auch allein die Fähigkeit alles zu erkennen, gäbe es das Böse nicht mehr. Erkenntnis hatte der Mensch zuvor bereits. Die Erkenntnis, die den Menschen gottähnlich macht, hat immer mit der Ewigkeit zu tun.

So können Vorannahmen ein völlig anderes Weltbild verursachen, das meint, auf Erkenntnis und nicht auf mangelnder Erkenntnis zu beruhen.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

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Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 12:31
Gott geht es um den Menschen, nicht um sich.
Das drückt sich so aus, als ob "Gott" ein Wesen außerhalb des Menschen wäre.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

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Anthros hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 15:15
Das drückt sich so aus, als ob "Gott" ein Wesen außerhalb des Menschen wäre.
Aber natürlich! Wir leben allein in Gottes Liebe, aber viele lieben nicht Gottes Leben. Darum kam doch Gottes Sohn, damit auch der in Freiheit geschaffene Mensch sich wieder aus Liebe für ein Leben in Gott entscheiden kann.
Er ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten. Gott ist Leben, der Mensch hat den Tod in sich, weil er die Ewigkeit verloren hat und meint dafür Erkenntnis erhalten.
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Re: Was ist, wann, und wie der Mensch damit leben kann

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Rembremerding hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 15:58
Anthros hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 15:15
Das drückt sich so aus, als ob "Gott" ein Wesen außerhalb des Menschen wäre.
Aber natürlich!
Biblisch heißt es aus göttlicher Stimme, er sei durch die Erkenntnisfähigkeit so wie das Göttliche.
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