Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Philosophisches zum Nachdenken
Hiob
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:10 Kann Philosophie keine Antworten auf Fragen geben, ist sie doch wohl gänzlich überflüssig.
Wenn Descartes bspw. (wie auch Augustinus) sagt, dass der Mensch letztlich nur seine eigene Existenz sicher wissen kann, ist dies eine extrem wichtige Erkenntnis, weil sie - gerade heute - klar macht, dass System-Wissen immer nur Vorbehalts-Wissen ist. - Das sollten sich Wissenschaftler und vor allem deren Darsteller sowie die MEdien jeden Tag hinter die Ohren schreiben.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:10 Wir werden uns doch immer mit provisorischen Annäherungen begnügen müssen. Und wer sich da am passendsten abhängig vom Kontext orientiert, der weiß so gut wir nur wissen können.
Das ist nicht fundamental. - Du übergehst hier bspw., was "Wissen" überhaupt ist. Nämlich KEINE ontische Sicherheit, sondern (im besten Fall im Sinne des Modells experimentell überprüftes) System-Wissen.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:10 Man muss wegkommen von den Exzessen der Aufklärung mit all ihren Systembauer-Snobs und Absolutheitsansprüchen, wieder zurück zu der Pragma (griech. für Sache), die man im Sinn hat.
Da sind wir uns ziemlich einig - zumal diejenigen, die Aufklärung betreiben, dies meistens nicht konsequent tun.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Mal gehören wir zum Sein, mal kratzen wir uns daran.
NAtürlich gehören wir zum Sein - unsere Wahrnehmungs-Ansprüche sind das, was daran kratzt.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Ich mag das Bild mit der Eiche i. Ü. gar nicht.
Das ist übertragen gemeint.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Was ist eine “Speculatio”? Jetzt sag nicht Spekulation…
Das war im Mittelalter ein hohes Wort für geistliches Sehen-Können. - Sogar wik schreibt:
Spekulation (von lateinisch speculari ‚beobachten‘) ist eine philosophische Denkweise zu Erkenntnissen zu gelangen, indem man über die herkömmliche empirische oder praktische Erfahrung hinausgeht und sich auf das Wesen der Dinge und ihre ersten Prinzipien richtet. Der griechische Begriff "theoria" (Betrachtung) wurde im Lateinischen durch "speculatio" übersetzt und bedeutete zugleich "contemplatio".
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Und so können mathematische Sätze wahr sein, indem ihre Aussagen korrekt beschreiben, wie sich reale Quantitäten verhalten => “Übereinstimmung mit dem Sein”.
Natürlich. - Der Mensch hat Möglichkeiten, aus seiner irdischen Beschränkung authentische Aussagen zum Sein zu machen. - Mathematik ist sicherlich die Disziplin, die hier am nächsten dran ist - in ihrer Eigenschaft als Geisteswissenschaft. - Hier ist bspw. die Frage interessant, wie es sein kann, dass eine Geisteswissenschaft so verläßlich für die Naturwissenschaften sein kann.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Das ist rein a priori geschlossen. D. h. es ist ein gänzlich anderer Weg zur Existenzbestimmung (von denen es noch zig andere gibt, die eigentlich alle behandelt und durchdacht werden sollten. Wenn da nur nicht diese Descartes-Fixierung grenzend an Personenkult wäre…
Inwieweit hindert Dich Descartes daran? - Ansonsten stimme ich Dir zu. Mathematik weist auf ihre Weise auf mögliches Sein hin, das für uns nicht erfahrbar ist. - Diesbezüglich hat es mich echt gefreut, als die Poincaré-Vermutung zur Gewissheit wurde.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Auch hier geht der echte Philosoph (Augustinus, genau wie Descartes) im Vergleich zu dir exakt umgekehrt vor. Gott wird nicht dazu eingespannt, damit wir an irgendetwas “fragwürdiges” glauben dürfen. Nein, die Existenz Gottes wird demonstriert.
Würde kaum einer verstehen. - Und wer es verstünde, würde dadurch nicht bekehrt werden.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 aber mehr als das Cogito? Meine Kritik dazu kennst du.
Für den Fall, dass es hier ein Missverständnis gibt: "Cogito" hat seine Bedeutung darin, dass es das einzige ist, was der Mensch sicher wissen kann (weil es der einzige Fall ist, bei dem Subjekt und Objekt zusammenfallen). Alles andere ist Vorbehaltswissen - auch die Mathematik, selbst wenn ich persönlich fest glaube, dass Mathematik am nähesten an der ontischen Wahrheit dran ist. - Ich GLAUBE das, weil ich es ontisch nicht wissen kann.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Es ist von deinem Standpunkt aus inkonsistent zu glauben, dass ein systemisches Ergebnis jemals unproblematisch erreicht oder nachgewiesen werden kann.
Nee, auch nicht. - Es kommt doch ständig vor, dass systemische Ergebnisse nachgewiesen werden. Aber das macht sie doch nicht automatisch ontisch.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Nimmt man einen Hund wahr, muss da nicht tatsächlich ein Hund sein, weil wir Wahrnehmung und Ontisches kategorial trennen sollen – so hieß es.
Richtig. - Das heißt: Entweder ist der Hund da oder nicht - fundamental alias skeptizistisch gedacht. - Jetzt käme wieder Descartes, der sagt: 1) So ist es. 2) Ich, Descartes, glaube fest, dass der Hund wirklich da ist, weil Gott uns mit unseren Gaben nicht verarschen will. - Mich würde übrigens interessieren, was Descartes zu Schrödingers Katze gemeint hätte.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Was bedeutet “tatsächlich” denn dann in diesem Kontext?
Müsste ich den Kontext suchen (es ist spät). - "Tatsächlich" müsste eigentlich ontisch gemeint sein, wird aber in der Alltagssprache systemisch gemeint. - Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass ein Drittel aller inländischen Moslems extremistisch sind, also ist es "Tatsache" :mrgreen:
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 “ontischer Inzidenzwert” ist imho Unsinn. Da kann man z. B. fragen: Was ist der ontische Inzidenzwert, wenn es ontisch zwei Virenstämme gibt, die wir nicht auseinanderhalten können?
Dann fragt man halt, was der "ontische Inzidenzwert" vom Typus Delta im Landkreis Stade ist. - Du verkomplizierst schon wieder. Es geht hier darum, dass zwei Institute wissenschaftlich korrekt zwei unterschiedliche Inzidentwerte ermitteln, von denen jeder weiß, dass dies nur jeweils eine Annäherung an das ist, was der wirkliche/tatsächliche :angel: /ontische Inzidenzwert per 15.9.2021, 0:00 h ist. - Das sind nämlich diejenigen, die sich im Landkreis Stade die Woche zuvor infiziert haben (mit Typus Delta).
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 00:10Wenn Descartes bspw. (wie auch Augustinus) sagt, dass der Mensch letztlich nur seine eigene Existenz sicher wissen kann,
Beide haben das natürlich nicht wirklich gesagt. Descartes und Augustinus, wie du sie schilderst, haben mit den wirklichen Personen nicht so viel zu tun.
ist dies eine extrem wichtige Erkenntnis,
Ich halte das für keine Erkenntnis, sondern für einen Fehlschluss. Man kann m. M. n. nur an ein substantielles Ich glauben, wenn man minimal die Existenz einer Außenwelt akzeptiert.
weil sie - gerade heute - klar macht, dass System-Wissen immer nur Vorbehalts-Wissen ist. - Das sollten sich Wissenschaftler und vor allem deren Darsteller sowie die MEdien jeden Tag hinter die Ohren schreiben.
Was ist denn die Motivation hinter diesem Gedankengang? Es handelt sich ja nicht um einen ernsthaften Zweifel. Denn echter Zweifel ist ein Gefühl der schwankenden Unruhe und des Unbehagens. Echter Zweifel kann uns nachts den Schlaf rauben, treibt uns um, und lässt sich nicht einfach über Glauben auf Knopfdruck abschalten.

Die Motivation sich dermaßen auf dieses laue “man könnte theoretisch daran zweifeln” zu fixieren kann also nicht ehrliche Auseinandersetzung sein, da steckt etwas anderes dahinter. Wahrscheinlich ist das Ziel eine einfache Methodik, die dafür dient, Kritik generell abwehren zu können ohne sich näher mit ihr beschäftigen zu müssen.
Das ist nicht fundamental. - Du übergehst hier bspw., was "Wissen" überhaupt ist.
Naja, man sagt, dass Wissen eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung ist.
Nämlich KEINE ontische Sicherheit, sondern (im besten Fall im Sinne des Modells experimentell überprüftes) System-Wissen.
Fundamental bedeutet für mich, dass man die Dinge zuende denkt. Und da erkennen wir, dass “ontische Sicherheit” unverständlich ist. Es ist nicht ein Anspruch, den unser Wissen nicht erfüllt. Sondern ein Anspruch, den wir nicht einmal verstehen können.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Was ist eine “Speculatio”? Jetzt sag nicht Spekulation…
Das war im Mittelalter ein hohes Wort für geistliches Sehen-Können. - Sogar wik schreibt:
Spekulation (von lateinisch speculari ‚beobachten‘) ist eine philosophische Denkweise zu Erkenntnissen zu gelangen, indem man über die herkömmliche empirische oder praktische Erfahrung hinausgeht und sich auf das Wesen der Dinge und ihre ersten Prinzipien richtet. Der griechische Begriff "theoria" (Betrachtung) wurde im Lateinischen durch "speculatio" übersetzt und bedeutete zugleich "contemplatio".
Ich hatte jetzt nicht vermutet, dass etwas so anachronistisches kommt, da es doch um Platon ging.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Und so können mathematische Sätze wahr sein, indem ihre Aussagen korrekt beschreiben, wie sich reale Quantitäten verhalten => “Übereinstimmung mit dem Sein”.
Natürlich. - Der Mensch hat Möglichkeiten, aus seiner irdischen Beschränkung authentische Aussagen zum Sein zu machen. - Mathematik ist sicherlich die Disziplin, die hier am nächsten dran ist - in ihrer Eigenschaft als Geisteswissenschaft. - Hier ist bspw. die Frage interessant, wie es sein kann, dass eine Geisteswissenschaft so verläßlich für die Naturwissenschaften sein kann.
Du hast den zitierten Absatz extrem aus dem Kontext gerissen:
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Der Standard-Weg aus diesem Dilemma* war die aristotelische Auffassung: Zahlen symbolisieren Sein – 7 steht für 7 Objekte (Äpfel, Birnen). Indirekt bezieht sich die Mathematik also auf das Sein. Und so können mathematische Sätze wahr sein, indem ihre Aussagen korrekt beschreiben, wie sich reale Quantitäten verhalten => “Übereinstimmung mit dem Sein”.

Nun gibt es aber leider mathematische Konstrukte, zu denen man keine sinnlich erfahrbaren Entsprechungen findet, ja, zu denen es solche Entsprechungen gar nicht geben kann
Inwieweit hindert Dich Descartes daran?
Mich nicht. Aber bei dir ist halt Descartes = Philosophie.
- Ansonsten stimme ich Dir zu. Mathematik weist auf ihre Weise auf mögliches Sein hin, das für uns nicht erfahrbar ist. - Diesbezüglich hat es mich echt gefreut, als die Poincaré-Vermutung zur Gewissheit wurde.
Mathematik macht Existenzbehauptungen: “Es existieren unendlich viele Primzahlen”. Dieses “existieren” muss man nun interpretieren. Ist es nur eine façon de parler? Gibt es unterschiedliche Varianten von “existieren”? Oder ist es ganz direkt, d. h. “existieren” hat hier die gleiche Bedeutung wie bei “Der Eiffelturm existiert”?

Dabei ist “Chiffre für Sein [i. S. v. physischen Objekten der Außenwelt]” eine hochproblematische Antwort – siehe letzter Beitrag.

Die naheliegende Idee, mathematische Objekte würden einfach im Geist der Menschen existieren, genauso. Denn die Mathematik macht Existenzaussagen bzgl. Objekten, die sich nicht konkret konstruieren lassen. Z. B. eine überall unstetige reelle Funktion mit f(x + y) = f(x) + f(y)
Für den Fall, dass es hier ein Missverständnis gibt: "Cogito" hat seine Bedeutung darin, dass es das einzige ist, was der Mensch sicher wissen kann (weil es der einzige Fall ist, bei dem Subjekt und Objekt zusammenfallen). Alles andere ist Vorbehaltswissen - auch die Mathematik, selbst wenn ich persönlich fest glaube, dass Mathematik am nähesten an der ontischen Wahrheit dran ist. - Ich GLAUBE das, weil ich es ontisch nicht wissen kann.
Wer Mathematik im Allgemeinen hinterfragt, kann die ganze Vernunft hinterfragen. Also auch das Cogito (wobei es da bessere Gründe gibt als mit dem Skeptizismus weiter zu machen).

Aber was nun soll “ontische Wahrheit” bezogen auf Mathematik bedeuten? Was ist es vom “Sein” denn nun genau, was mathematische Sätze spiegeln könnten?
Nee, auch nicht. - Es kommt doch ständig vor, dass systemische Ergebnisse nachgewiesen werden. Aber das macht sie doch nicht automatisch ontisch.
Es kommt auch ständig vor, dass man draußen lang läuft und sieht einen Hund und dann weiß man, dass da ein Hund ist.

Seltsam ist, dass der Skeptizismus, den du bei der Existenz des Hundes anwendest, bei der Frage, ob tatsächlich ein systemisches Ergebnis xy (gemäß den Regeln des Systems) erreicht wurde, nicht anwendbar sein soll.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Nimmt man einen Hund wahr, muss da nicht tatsächlich ein Hund sein, weil wir Wahrnehmung und Ontisches kategorial trennen sollen – so hieß es.
Richtig. - Das heißt: Entweder ist der Hund da oder nicht - fundamental alias skeptizistisch gedacht. - Jetzt käme wieder Descartes, der sagt: 1) So ist es. 2) Ich, Descartes, glaube fest, dass der Hund wirklich da ist, weil Gott uns mit unseren Gaben nicht verarschen will.
Ja, das ist altbekannt. Den eigentlich interessanten Part hast du aber ignoriert:
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Das verhält sich völlig parallel zu: Nimmt man ein Voltmeter wahr, das 8 Volt anzeigt, muss da nicht ein tatsächliches Voltmeter sein, das 8 Volt anzeigt. Dass dieses mutmaßliche Voltmeter systemische Verwendung findet macht einen solchen Fehler ja nicht unmöglich. Ob die Regeln des Systems eingehalten wurden (die ein echtes Voltmeter verlangen), muss also konsequenterweise eine ontische Frage sein.
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 22:34 Was bedeutet “tatsächlich” denn dann in diesem Kontext?
Müsste ich den Kontext suchen (es ist spät). - "Tatsächlich" müsste eigentlich ontisch gemeint sein, wird aber in der Alltagssprache systemisch gemeint. - Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass ein Drittel aller inländischen Moslems extremistisch sind, also ist es "Tatsache" :mrgreen:
Der Kontext war:
Claymore hat geschrieben: Mo 13. Sep 2021, 23:02Es geht genau um die Frage, ob jemand tatsächlich die Regeln eingehalten hat, tatsächlich wissenschaftlich sauber gearbeitet hat. D. h. ob etwas tatsächlich ein systemisches Ergebnis ist.
Was bedeutet hier “tatsächlich”?
Dann fragt man halt, was der "ontische Inzidenzwert" vom Typus Delta im Landkreis Stade ist. - Du verkomplizierst schon wieder.
Den abstrusen Szenarien in deiner Philosophie sind doch keine Grenzen gesetzt. Evtl. gibt es “ontisch” weder Corona noch Menschen! ;-) Und was ist dann der “ontische Inzidenzwert”? 0 / 0 ?

Da nichts ausgeschlossen werden kann und du dich an der inkohärenten Idee einer unkonzeptionalisierten, rohen Wirklichkeit orientieren willst, kriegen unsere Konzepte da draußen auch nichts zu fassen. Von der Warte aus gibt’s keinen Grund zu meinen, dass unsere Überzeugungen auch nur falsch sein können.
Hiob
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Da nichts ausgeschlossen werden kann und du dich an der inkohärenten Idee einer unkonzeptionalisierten, rohen Wirklichkeit orientieren willst
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Man kann m. M. n. nur an ein substantielles Ich glauben, wenn man minimal die Existenz einer Außenwelt akzeptiert.
Nein. - Da das Cogito lt. Augustinus und Descartes substantiell eine geistliche Existenz ist, geht das auch ohne Extensae. Dass beide trotzdem glauben, dass die Extensae "echt" sind, tut dies keinem Abbruch.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Was ist denn die Motivation hinter diesem Gedankengang?
Eine Abfuhr an die Wissenschafts-Gläubigkeit. Man kann heute den übelsten Quark mit der Begründung "wissenschaftlich geprüft" loslassen. Die Leute wissen einfach nicht, dass gerade in geisteswissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen das Ergebnis ein Spiegel des Modells ist und nicht der Wirklichkeit (dass beides in Überstimmung sein kann, steht nicht in Abrede).
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Wahrscheinlich ist das Ziel eine einfache Methodik, die dafür dient, Kritik generell abwehren zu können ohne sich näher mit ihr beschäftigen zu müssen.
Nee - es geht um eine kritische Beleuchtung methodischer Arbeit und die Erkenntnis deren Beschränkungen.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Naja, man sagt, dass Wissen eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung ist.
Wissenschaftlich ist "Wissen", wenn eine Beobachtung zur Welt in Überstimmung mit (s)einem Modell dazu steht. Ist das Modell bescheuert, kann Wissen demgemäß inhaltlicher Blödsinn sein. - Die von Dir gemeinte Definition ist eher volkstümlich - also ohne Reflexion, was eigentlich "wahr" oder "gerechtfertigt" ist.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 da erkennen wir, dass “ontische Sicherheit” unverständlich ist.
Laienhaft würde man erklären mit "das, was wirklich ist". - Siehe das Beispiel mit den Inzidenzzahlen:
1) Modellergebnis 1 = 8000
2) Modellergebnis 2 = 8500
3) "Was wirklich ist" = "alle diejenigen, die zum Stichtag x um 24:00h tatsächlich infiziert sind".
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Ich hatte jetzt nicht vermutet, dass etwas so anachronistisches kommt, da es doch um Platon ging.
Verstehe Dich nicht. - Ist der Satz jetzt wahr oder nicht?
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Indirekt bezieht sich die Mathematik also auf das Sein. Und so können mathematische Sätze wahr sein, indem ihre Aussagen korrekt beschreiben, wie sich reale Quantitäten verhalten => “Übereinstimmung mit dem Sein”.
Wenn man mal die Extensa-Diskussion weglässt, ist es doch (wie ich bereits schrieb) der absolute Hammer, dass eine Geisteswissenschaft (Mathematik) in der Lage ist, naturwissenschaftliche Gegebenheiten so zu beschreiben, dass es in der PRaxis funktioniert, nicht wahr? - Diesen Umstand würde ich in Richtung "wohlwollender Gott" interpretieren - will heißen: Uns sind Dinge gegeben, die uns geistig die natürliche Welt beschreiben lassen.

Nebenbei: Mathematik ist keine Er-Findung des Menschen, sondern eine Findung. Insofern halte ich das, was wir "Mathematik" nennen, für eine geistliche Entität.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Aber bei dir ist halt Descartes = Philosophie.
Richtig - da hat er bleibende Bedeutung. In den Naturwissenschaften war er dagegen nicht immer glücklich.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Mathematik macht Existenzbehauptungen: “Es existieren unendlich viele Primzahlen”. Dieses “existieren” muss man nun interpretieren. Ist es nur eine façon de parler? Gibt es unterschiedliche Varianten von “existieren”? Oder ist es ganz direkt, d. h. “existieren” hat hier die gleiche Bedeutung wie bei “Der Eiffelturm existiert”?
Mal so rum: Eine Primzahl weiß selber nicht, dass sie eine Primzahl ist. - Descartes hätte möglicherweise gesagt, dass mathematische Phänomene ein Gedanke des "Cogito Gott" sind. - Mit fällt auch nichts besseres ein.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Aber was nun soll “ontische Wahrheit” bezogen auf Mathematik bedeuten?
Wir müssen das, was wir "Mathematik" nennen, unterscheiden von dem, was uns ermöglicht, etwas "Mathematik" nennen zu können. - Mit anderen Worten: Das, woraus Mathematik kommt, halte ich sehr wohl für eine Entität, weil dieses eine geistliche Größe ist, die auch ohne uns existiert, also keine Erfindung des Menschen ist.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Seltsam ist, dass der Skeptizismus, den du bei der Existenz des Hundes anwendest, bei der Frage, ob tatsächlich ein systemisches Ergebnis xy (gemäß den Regeln des Systems) erreicht wurde, nicht anwendbar sein soll.
PRinzipiell schon - aber das ist eine Routine für Spezialisten. ICh kann als Außenstehender nicht oder nur sehr schwer überprüfen, ob ein Wissenschaftler bei einer Untersuchung sauber gearbeitet hat. Nur dass muss er tun, um ein sauberes systemisches Ergebnis zu erzielen.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Ob die Regeln des Systems eingehalten wurden (die ein echtes Voltmeter verlangen), muss also konsequenterweise eine ontische Frage sein.
Nein. Du erweckst den Eindruck, als gäbe es eine objektive Möglichkeit, etwas ontisch zu überprüfen. - Das geht doch gerade prinzipiell NICHT. - Natürlich gibt es experimentelle Überprüfungen von theoretischen Ergebnissen. Aber diese gelten doch auch nur, nachdem man (wie es Popper tut) skeptizistische Fragen von vorneherein übergeht.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Was bedeutet hier “tatsächlich”?
Hier ist es nicht skeptizistisch gemeint, sondern systemisch. Vulgo: Haben die Leute sauber gearbeitet.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Evtl. gibt es “ontisch” weder Corona noch Menschen!
Im theoretischen skeptizistischen Fall - richtig. - Aber hier geht es darum, dass die Modell-Ergebnisse nicht DEN Wert angeben, der tatsächlich sensu Popper der Fall ist. - Die Modell-Ergebnisse sind systemisch richtig (und übrigens auch hilfreich). Aber die Wissenschaftler wissen selber, dass es ein purer Zufall wäre, träfen sie bei einem ihrer Messungen den Wert, der zum Zeitpunkt x im Raum y der Fall ist.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Da nichts ausgeschlossen werden kann und du dich an der inkohärenten Idee einer unkonzeptionalisierten, rohen Wirklichkeit orientieren willst
Wieso denn das? Man braucht doch Hilfsmittel - und ich halte Wissenschaft für ein unverzichtbares Hilfsmittel, weil ich glaube, dass es sie dafür gibt => wohlwollender Gott.
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Von der Warte aus gibt’s keinen Grund zu meinen, dass unsere Überzeugungen auch nur falsch sein können.
Diesen Satz verstehe ich rein sprachlich nicht.
Claymore
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Do 16. Sep 2021, 01:33
Claymore hat geschrieben: Mi 15. Sep 2021, 23:44 Man kann m. M. n. nur an ein substantielles Ich glauben, wenn man minimal die Existenz einer Außenwelt akzeptiert.
Nein. - Da das Cogito lt. Augustinus und Descartes substantiell eine geistliche Existenz ist, geht das auch ohne Extensae. Dass beide trotzdem glauben, dass die Extensae "echt" sind, tut dies keinem Abbruch.
Tut mir leid, kommt bei mir nicht an. Erklärung hatte ich hier gepostet:

Und um das Argument Descartes’ von einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Wahrnehmung und Sein überhaupt starten zu können, muss man doch verstehen
  1. was “(bloße) Wahrnehmung” ist… und dafür
  2. was es bedeutet, wenn uns etwas nur so und so erscheint, aber eben nicht tatsächlich so ist (Einbildung)… und dafür
  3. was es für die gewöhnlichen Objekte unserer Umgebung bedeutet tatsächlich zu existieren.


Wir denken, wir verstünden das alles. Aber wo haben wir bitte erlernt, was Existenz gewöhnlicher Objekte bedeutet, wenn das skeptische Szenario gültig ist?

Natürlich ist “Sirenen existieren nicht” ein verständlicher Satz. Dazu müssen wir nicht an realen Sirenen erlernen, was ein eine Sirene sein soll. Mischwesen aus Mensch und Vogel so und so … reicht aus. Also ist auch die Negation ihrer Existenz, unabhängig davon ob wahr oder falsch, verständlich.

Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen solchen aus bekannten Elementen zusammengesetzten Fantasiegeschöpfen und konkreten, gewöhnlichen Objekten an sich. Kann man “Gewöhnliche Objekte existieren nicht wirklich” tatsächlich verstehen, wenn die These nicht falsch ist? D. h. man nie erlernte, was es bedeutet, dass sie “wirklich existieren”? Meiner Ansicht nach nicht. Ich tendiere dazu, dass “gewöhnliche Objekte existieren nicht” nur entweder falsch oder unverständlich sein kann.

Dazuhin ist es doch so, dass das cartesische res cogitans ein einigermaßen substantielles Ich bezeichnet, das in der Zeit existiert / persistiert. Nicht bloß ein Bewusstseinmoment, nicht bloß ein Sammelsurium unzusammenhängender Eindrücke. Wenn wir in der Nacht zwei Träume haben und im einen träumen wir vom Sommer (Traum 1) und im anderen vom Herbst (Traum 2), so werden wir doch nicht, wenn wir erwacht sind, und uns an beide erinnern können, schließen, dass sich Traum 1 vor Traum 2 ereignet haben muss, weil der Herbst auf den Sommer folgt. Oftmals haben wir keine Ahnung, welcher Traum sich zuerst ereignet hat. Generell löst sich das Zeitgefühl auf, wenn wir in Morpheus Armen sind.

Aber bei unseren gewöhnlichen Erinnerungen gehen wir so vor. Die mutmaßliche Außenwelt fungiert als Zeitgeber. Zu einem substantiellen Ich kommt man also erst, wenn man die Außenwelt wenigstens in minimaler Form als real akzeptiert hat, d. h. annimmt, dass sich außerhalb meiner selbst Veränderungen abspielen, die auf mein Erleben einwirken.

Versuche mal deine Autobiographie darzulegen ohne dich auf die durch die Außenwelt eingeprägte Ordnung zu beziehen: Es wäre nur ein Durcheinander von unzusammenhängenden Episoden. Erst damit [mit der Außenwelt] gibt es eine Verankerung des Ichs in der Zeit. Von daher kann ich Descartes’ Argumentation nicht nachvollziehen.
Claymore
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Do 16. Sep 2021, 01:33Eine Abfuhr an die Wissenschafts-Gläubigkeit. Man kann heute den übelsten Quark mit der Begründung "wissenschaftlich geprüft" loslassen. Die Leute wissen einfach nicht, dass gerade in geisteswissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen das Ergebnis ein Spiegel des Modells ist und nicht der Wirklichkeit (dass beides in Überstimmung sein kann, steht nicht in Abrede).
Sicher, wenn man es schafft bei jedem Hund, den man sieht, ernsthaft zu denken “Das ist möglicherweise ONTISCH kein Hund. Sondern z. B. ein formwandelnder Außerirdischer”, dann wird man konsequenterweise auch sozialwissenschaftliche Ergebnisse als fragwürdig ansehen.

Aber geht das nicht auf etwas weniger extreme Art? Die meisten Menschen gehen nun mal so vor: “Ich sehe einen Hund, also ist da ein Hund”. Papierzweifel hin oder her, das beeinflusst menschliches Handeln, z. B. vermeidet man, dem Hund in die Nähe zu kommen.

Reicht es nicht aus z. B. auf die Replikationskrise hinzuweisen? Warum kann man einen Hund nicht einfach einen Hund sein lassen?
Wissenschaftlich ist "Wissen", wenn eine Beobachtung zur Welt in Überstimmung mit (s)einem Modell dazu steht. Ist das Modell bescheuert, kann Wissen demgemäß inhaltlicher Blödsinn sein.
Sicherlich nicht. Überspitzt formuliert: Für jedes abstruse Modell gibt es zumindest eine Beobachtung, die damit in Übereinstimmung stehen würde. Es braucht schon “etwas” mehr. Außerdem gilt als Wissen i. S. d. Naturwissenschaft, was aus naturwissenschaftlichen Theorien gefolgert wurde. Z. B. “Proxima Centauri ist über 4 Lichtjahre entfernt”.
- Die von Dir gemeinte Definition ist eher volkstümlich - also ohne Reflexion, was eigentlich "wahr" oder "gerechtfertigt" ist.
Nun ja, es ist die von Platon.

Aber benötigt denn “wahr” eine Definition? “Wahr” ist ein seltsames Wort. Es scheint ganz überflüssig zu sein. Was sagt “‘Die Sonne geht im Osten auf’ ist wahr.” denn bitte mehr oder was sagt es anderes aus als schlicht “Die Sonne geht im Osten auf!” :?:

Vielleicht gibt es das Wort “wahr” nur deshalb, weil es sonst zu umständlich wäre bestimmte Aussagen zu machen. Wie “Alles, was in diesem Buch steht, ist wahr!” – oder die angesprochene Definition von Wissen.

Mit “gerechtfertigt” ist es auch so eine Sache… es klingt doch vernünftig, dass Opa weiß, dass er zwei Ohren hat. Auch wenn er über die Frage, woher er das weiß, eventuell so verdutzt ist, dass er keine Rechtfertigung dafür geben kann. D. h. es ist nicht klar, ob einem die Rechtfertigung für eine Überzeugung unbedingt bewusst sein muss.

IMHO sollte man erstmal tolerant bzgl. den verschiedenen Auffassungen sein und es bei der Definition von Wissen offen lassen, wie “wahr” und “gerechtfertigt” genau zu verstehen sind. Evtl. gibt es gängige Interpretationen, die sich mit der Definition beißen… aber das sieht man dann.
Laienhaft würde man erklären mit "das, was wirklich ist". - Siehe das Beispiel mit den Inzidenzzahlen:
1) Modellergebnis 1 = 8000
2) Modellergebnis 2 = 8500
3) "Was wirklich ist" = "alle diejenigen, die zum Stichtag x um 24:00h tatsächlich infiziert sind".
Vom gewöhnlichen, alltäglichen Verständnis würde ich dir Recht geben. Wo Uneinigkeit ist, ist (meistens) Irrtum. Aber dein Skeptizismus ist so korrosiv, dass es unmöglich ist zu glauben, dass irgendwelche Konzepte die “Wirklichkeit” zu fassen bekommen.
Wenn man mal die Extensa-Diskussion weglässt, ist es doch (wie ich bereits schrieb) der absolute Hammer, dass eine Geisteswissenschaft (Mathematik) in der Lage ist, naturwissenschaftliche Gegebenheiten so zu beschreiben, dass es in der PRaxis funktioniert, nicht wahr? - Diesen Umstand würde ich in Richtung "wohlwollender Gott" interpretieren - will heißen: Uns sind Dinge gegeben, die uns geistig die natürliche Welt beschreiben lassen.
Man kann nicht gleichzeitig (a) Gott als Garant dafür einspannen, dass wir die Welt richtig verstehen, und (b) den als vernünftig erkannten Aufbau der Welt als Argument für die Existenz Gottes anführen.
Richtig - da hat er bleibende Bedeutung. In den Naturwissenschaften war er dagegen nicht immer glücklich.
Niemand bestreitet, dass Descartes bleibende Bedeutung in der Philosophie hat. Das ist leider so. Allerdings kann man ja mal über den eigenen philosophischen Tellerrand schauen. Homo unius philosophi timeo. ;-)
Mal so rum: Eine Primzahl weiß selber nicht, dass sie eine Primzahl ist. - Descartes hätte möglicherweise gesagt, dass mathematische Phänomene ein Gedanke des "Cogito Gott" sind. - Mit fällt auch nichts besseres ein.
Auch wenn du es anfangs nicht überzeugend fandst, Augustinus hat so seinen Gottesbeweis aufgebaut (und damit den Skeptizismus überwunden). Okay, vielleicht ist das tatsächlich wenig überzeugend…

Aber es gibt nichts, absolut nichts, das weniger überzeugend ist als dein “Glaub einfach an einen wohlwollenden Gott!”.

Es gibt vieles, da wünschte ich mir sehr, ich könnte einfach Glauben ein- und ausknipsen wie ich wollte. Aber das geht halt nicht.
Wir müssen das, was wir "Mathematik" nennen, unterscheiden von dem, was uns ermöglicht, etwas "Mathematik" nennen zu können. - Mit anderen Worten: Das, woraus Mathematik kommt, halte ich sehr wohl für eine Entität, weil dieses eine geistliche Größe ist, die auch ohne uns existiert, also keine Erfindung des Menschen ist.
Dann gäbe es ja schon mal was außerhalb von uns selbst. Und dafür reicht Platon. Ein (falsch verstandener) Descartes ist irrelevant.
PRinzipiell schon - aber das ist eine Routine für Spezialisten. ICh kann als Außenstehender nicht oder nur sehr schwer überprüfen, ob ein Wissenschaftler bei einer Untersuchung sauber gearbeitet hat. Nur dass muss er tun, um ein sauberes systemisches Ergebnis zu erzielen.
Ja, aber du maßt dir ja auch sonst an, die erlebte Wirklichkeit von anderen Menschen einfach so komplett zu hinterfragen.

Der Unterschied zwischen gewöhnlichen / alltäglichen und wissenschaftlichen Beobachtungen ist fließend und in manchen Fällen nicht gegeben. Wenn der Biologe denkt “Da ist ein Quastenflosser (also ist diese Spezies nicht wirklich ausgestorbenen)” oder der südafrikanische Fischer “Da ist ein Quastenflosser, den ich fangen will” – was ist da der wesentliche Unterschied? Es gibt keinen!
Nein. Du erweckst den Eindruck, als gäbe es eine objektive Möglichkeit, etwas ontisch zu überprüfen. - Das geht doch gerade prinzipiell NICHT. - Natürlich gibt es experimentelle Überprüfungen von theoretischen Ergebnissen. Aber diese gelten doch auch nur, nachdem man (wie es Popper tut) skeptizistische Fragen von vorneherein übergeht.
Es ist nicht meine Theorie, sondern deine. Und bis jetzt kam schlichtweg nichts, was den Unterschied zwischen “ontisch falsch” und “systemisch falsch” irgendwie erklären könnte. Von daher verschmilzt ontisch offensichtlich mit systemisch in deiner Theorie, auch wenn das natürlich nicht gewollt ist.
Hier ist es nicht skeptizistisch gemeint, sondern systemisch. Vulgo: Haben die Leute sauber gearbeitet.
Und was das bedeutet, das bleibt eben unklar. Man kann es einem Wissenschaftler nicht vorwerfen, wenn irgendein Konkurrent z, B. das Voltmeter manipulierte. Möglich ist dieses Szenario. Der Wissenschaftler selbst hat sauber gearbeitet. Aber die Ergebnisse, die auf so einem manipulierten Voltmeter basieren, dürfen nicht ernsthaft als systemisch korrekte Ergebnisse durchgehen.

Nur wo die Grenze zu ziehen ist, ist halt eben komplett unklar. Ergo: Verschmelzung.
Im theoretischen skeptizistischen Fall - richtig. - Aber hier geht es darum, dass die Modell-Ergebnisse nicht DEN Wert angeben, der tatsächlich sensu Popper der Fall ist. - Die Modell-Ergebnisse sind systemisch richtig (und übrigens auch hilfreich). Aber die Wissenschaftler wissen selber, dass es ein purer Zufall wäre, träfen sie bei einem ihrer Messungen den Wert, der zum Zeitpunkt x im Raum y der Fall ist.
Ok, d. h. wir haben noch eine dritte Kategorie neben “ontisch” und “systemisch”. Nämlich “sensu Popper”. Und was mag das heißen?
Wieso denn das? Man braucht doch Hilfsmittel - und ich halte Wissenschaft für ein unverzichtbares Hilfsmittel, weil ich glaube, dass es sie dafür gibt => wohlwollender Gott.
Jeder wird zugeben, dass er mal gewisse Überzeugungen hatte, die er jetzt nicht mehr hat. Oder dass es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Menschen gibt. D. h. dass Menschen nicht unfehlbar sind, dass sie Irrtümern unterliegen. Wo aber genau die Grenze zwischen “normalem Irrtum” und “Irrtum zu heftig, dass es der wohlwollende Gott zulassen würde” liegt, steht in den Sternen! (vgl. Hindus & Maya)

Abgesehen davon ist “Glauben auf Knopfdruck” generell niemals eine ernsthafte Lösung. Echter Zweifel ist ein ganz anderes Kaliber als dieses laue “man könnte theoretisch daran zweifeln”.

Wenn jemand wirklich zweifelt, z. B. zweifelt, dass er seinen Beruf kompetent ausübt, und von diesem Zweifel gerne befreit wäre – er wird ihn nicht einfach los per Glaube-auf-Knopfdruck.

Diese ganze Philosophie Descartes’ ist also einfach nur ein erbärmliches tun-als-ob.
Diesen Satz verstehe ich rein sprachlich nicht.
“Existieren Riesenkraken wirklich?” ist schlichtweg keine Ja/Nein-Frage. Ohne Präzisierung des Begriffs “Riesenkrake” ist sie nicht seriös zu beantworten. Mindestens gehört dazu, wie groß in Metern denn eine Krake sein muss, damit sie sich als “Riesenkrake” qualifiziert.

Aber unter dem skeptischen Szenario gibt es keinen Grund zu glauben, dass unsere Konzepte nicht so verqueert sind, das egal wie sehr wir versuchen sie zu präzisieren, unsere Thesen nicht mit “ja” oder “nein” zu beantworten sind.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:07 Tut mir leid, kommt bei mir nicht an. Erklärung hatte ich hier gepostet
Was Du da gepostet hast, sind anspruchsvolle erkenntnis-theoretische Gedanken - Betonung "anspruchsvoll". - ABER: Sie spielen sich ausschließlich im Wahrnehmungs-Bereich ab (wo auch sonst?). - Mit anderen Worten: Du steigst weitgehend ein, NACHDEM die Aussage von Descartes bereits gelaufen ist (was übrigens bei Descartes oft passiert).
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:07 Aber wo haben wir bitte erlernt, was Existenz gewöhnlicher Objekte bedeutet, wenn das skeptische Szenario gültig ist?
Ich vermute immer noch, dass wir uns ziemlich missverstehen, was "skeptisches Szenario" mit Descartes zu tun hat. - Du erweckst den Eindruck, als sei Descartes so etwas wie ein Berufs-Skeptiker, der die Phänomene der Welt von vorne herein in Frage stellt. - Das Gegenteil ist der Fall - und zwar WIRKLICH das Gegenteil: Descartes ist nämlich derjenige, der Phänomene der Welt naturwissenschaftlich qualifizieren will und dies auch - mit mehr oder weniger Erfolg, aber mit festem Wollen - tut. Insofern hätte er seine Freude an Deine Fragen zur Wahrnehmung, etc.

Aber es fehlt ein entscheidender Punkt: Da Descartes ein scharfer Kopf ist, erkennt er, dass all dies nur mit Vorannahmen geht - nämlich dass Res extensae tatsächlich ontisch sind. Wie er nachweist, dass es logisch unmöglich ist zu unterscheiden, ob diese Res extensae "Einbildung" oder "echt" sind, haben wir sattsam diskutiert. - Und gerade WEIL dies so ist, überwindet er diesen Zweifel mit seinem Glauben "Gott ist ein wohlwollender Gott, der unsere Wahrnehmung nicht geschaffen hat, damit wir getäuscht werden - also macht es Sinn, Wissenschaft zu betreiben, da sie DANN Ontisches zum Gegenstand hat".

Mit anderen Worten: Descartes macht sein skeptisches Szenario UN-gültig per Glauben. Trotzdem bleibt Ontisches und Wahrnehmendes/Wissenschaftliches getrennt in zwei Kategorien, die zwar in Einzelfragen überstimmen (wahrscheinlich sogar mehrheitlich), aber nicht verschmelzen - weil man dimensional Unterschiedliches genauso wenig verschmelzen kann wie man 4 Äpfel und 12 Birnen zu 16 Äpfirnen verschmelzen kann.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:07 Ich tendiere dazu, dass “gewöhnliche Objekte existieren nicht” nur entweder falsch oder unverständlich sein kann.
Praktisch sind wir uns da einig. - Die cartesischen Grundlagen haben - salopp formuliert - beim Facharbeiter genauso wenig zu suchen wie bei der Hebamme. - Aber sie haben etwas zu suchen bei der Kritik an Erkenntnis-Theorien, die systemische Ergebnisse zu ontischen Größen machen. Einfaches Beispiel: Die 8.500 Inzidenzen der RKI im Raum x für den Zeitraum y SIND nicht die Summe der Menschen, die im Raum x für den Zeitraum y infiziert sind, sondern bezeichnen eine Zahl, die hilfreich ist, um die ontische Inzidenz einschätzen zu können. - Wenn es Studien gibt, die "nachweisen", dass Kinder von Leihmüttern keinen persönlichen Schaden von ihrer leiblichen Entmutterung davontragen, heißt dies, dass dies nach dem Modellaufbau incl. dessen Begriffs-Definitionen so ist - aber es sagt bestenfalls teilweise etwas darüber aus, ob Kinder von Leihmüttern wirklich alias ontisch Schäden davontragen. - Bei etwas Zeit könnte man hier Hunderte an Beispielen für die Differenz zwischen System-/Modell-Nachweis und ontischer Wirklichkeit bringen.

Insofern hat Descartes zwei Bedeutungen für die Gegnwart:
1) Das Verhältnis von Cogito und Extensae im Sinne der Quantenmechanik - hochinteressantes Thema.
2) Das Verhältnis von "systemisch" und "ontisch" alias "Wahrnehmung" und "Sein".
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:07 Wenn wir in der Nacht zwei Träume haben und im einen träumen wir vom Sommer (Traum 1) und im anderen vom Herbst (Traum 2), so werden wir doch nicht, wenn wir erwacht sind, und uns an beide erinnern können, schließen, dass sich Traum 1 vor Traum 2 ereignet haben muss, weil der Herbst auf den Sommer folgt. Oftmals haben wir keine Ahnung, welcher Traum sich zuerst ereignet hat. Generell löst sich das Zeitgefühl auf, wenn wir in Morpheus Armen sind.
Richtig. - Deswegen sagt das Cogito nicht "Ich habe immer recht", sondern "Ich bin - mehr weiß ich nicht sicher". - Insofern widerspreche ich, dass das ICH notwendigerweise in der Zeit persistiert. Es tut es sicherlich nach unserer Wahrnehmung - ontisch kann es genauso überzeitlich sein.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:07 Versuche mal deine Autobiographie darzulegen ohne dich auf die durch die Außenwelt eingeprägte Ordnung zu beziehen: Es wäre nur ein Durcheinander von unzusammenhängenden Episoden. Erst damit [mit der Außenwelt] gibt es eine Verankerung des Ichs in der Zeit. Von daher kann ich Descartes’ Argumentation nicht nachvollziehen.
Weil Du ihn nicht verstehst. - Du verstehst nicht, dass er Dir in Deinem Satz zustimmen würde - aber erst, nachdem er klar gemacht hätte, dass er Dir nur deshalb zustimmen kann, weil er per Glauben dazu gekommen ist, in der Praxis so ähnlich wie Claymore zu denken.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Sicher, wenn man es schafft bei jedem Hund, den man sieht, ernsthaft zu denken “Das ist möglicherweise ONTISCH kein Hund. Sondern z. B. ein formwandelnder Außerirdischer”, dann wird man konsequenterweise auch sozialwissenschaftliche Ergebnisse als fragwürdig ansehen.
Deshalb sollte man den Weg des Descartes gehen und sagen "Ich glaube, dass meine Wahrnehmung in aller Regel ontisch relevant ist". - Mit anderen Worten: Man sollte sich überhaupt nur dann Wissenschaften zuwenden, wenn man diesen SChritt getan hat.

Das Problem: Man ist sich dessen gar nicht gewusst, weil man Systemisches und Ontisches verschmelzt. Doof macht glücklich. :mrgreen:
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Außerdem gilt als Wissen i. S. d. Naturwissenschaft, was aus naturwissenschaftlichen Theorien gefolgert wurde.
Wobei die echt harten Naturwissenschaftler sagen "Keine Theorie ohne experimentellen Nachweis". - Aber trotzdem: Ja, da hast Du sicherlich recht. - ABER: Das heißt einmal mehr, dass "Wissen" im wissenschaftlichen Sinn eine Systemgröße ist. - Beispiel: Seit Jahrzehnten hört man Fragen wie "Was wissen wir über Strings?" - Heute diskutiert man, ob es überhaupt Strings gibt. ---- Oder ein bereits aufgezeigtes Beispiel: Die eine wissenschaftliche Studie bringt das "Wissen", dass ca. ein Drittel aller inländischen Moslems "extremistisch" sei - die andere kommt auf "unter 1%". - Beide Studien vermitteln "Wissen" - beide tun dies mit Recht. - Und nu?
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Was sagt “‘Die Sonne geht im Osten auf’ ist wahr.” denn bitte mehr oder was sagt es anderes aus als schlicht “Die Sonne geht im Osten auf!”
Exakt. - Deshalb ist "Wahrheit" im Grunde nichts anderes als "ontisches Sein" (egal ob physisch oder geistlich). Deshalb sagt man doch "Gott ist die Wahrheit". -- Allerdings muss man auch wieder sehen, dass man hier philosophisch und normal-sprachlich unterscheiden muss. - Wenn jemand über meine Nichten sagt, dass sie schöne junge Frauen seien, könnte ich antworten "Ja, das ist wahr". Aber das ist eben kein philosophischer Kontext. Mir scheint, dass nicht ausreichend unter den Menschen klar ist, was eigentlich Sprache ist.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 IMHO sollte man erstmal tolerant bzgl. den verschiedenen Auffassungen sein und es bei der Definition von Wissen offen lassen, wie “wahr” und “gerechtfertigt” genau zu verstehen sind.
Klar. - Aber das ist jetzt alles andere als ein philosophischer Kontext.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Aber dein Skeptizismus ist so korrosiv, dass es unmöglich ist zu glauben, dass irgendwelche Konzepte die “Wirklichkeit” zu fassen bekommen.
Siehe Vor-Post: Weder Descartes noch ich sind im Ergebnis Skeptizisten. - Skeptizismus hat den alleinigen Sinne, den kategorialen Unterschied zwischen "Wahrnehmung" ("für-wahr-halten") und "Sein" ("wie es wirklich ist") festzuklopfen. - Gerade dies erleichtert es, entspannt mit systemischen Festlegungen umzugehen und nach Vereinbarung mit EINER Sprache zu sprechen.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Man kann nicht gleichzeitig (a) Gott als Garant dafür einspannen, dass wir die Welt richtig verstehen, und (b) den als vernünftig erkannten Aufbau der Welt als Argument für die Existenz Gottes anführen.
So ist es ja nicht. - Man GLAUBT an einen Gott, der einem unterm Strich richtiges Weltverständnis mitgibt, UND versteht den als vernünftig erkannten Aufbau der Welt als Argument für diesen GLAUBEN.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Allerdings kann man ja mal über den eigenen philosophischen Tellerrand schauen.
Ich wäre schon glücklich, wenn der Tellerrand von Descartes geschaut werden würde - erst dann sollten wir von "darüber hinaus" sprechen.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Auch wenn du es anfangs nicht überzeugend fandst, Augustinus hat so seinen Gottesbeweis aufgebaut (und damit den Skeptizismus überwunden).
Aus meiner Sicht gibt es keine ontischen Gottesbeweise (Gödel könnte eventuell meine Auffassung revidieren - aber seinen Ansatz habe ich noch nicht gut genug verstanden). Auch Augustinus hatte eine nicht falsifizierbare Vorannahme, bevor er seinen systemischen Beweis starten konnte. - Also auch hier wieder die Frage: Welcher Kategorie gehört "Beweis" an?
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Aber es gibt nichts, absolut nichts, das weniger überzeugend ist als dein “Glaub einfach an einen wohlwollenden Gott!”.
So "einfach" ist es ja in der Praxis nicht. - Gemeint war damit, dass der Glaube (und kein kompliziertes Konstrukt) subjektiv die kategoriale Unterschiedlichkeit von "Sein" und "Wahrnehmung" fürs Leben aufheben kann. - Irgendwelche massigen Erkenntnis-Theorien, die erst beginnen, NACHDEM man Sein und Wahrnehmung vermanscht hat, haben da sicherlich das Nachsehen.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Dann gäbe es ja schon mal was außerhalb von uns selbst.
Natürlich. - Auch Descartes ging davon aus, dass es Gott als Cogito gibt - aber das ist schon wieder Glaubensebene. ---- Wenn ich sage, dass das, was wir als Mathematik erleben, nach meinem Glauben einer Substanz entspringt, die ontische Realität ist, ist dies Glaubensebene. - Mit anderen Worten: "Nach meinem Glauben gibt es Ontisches außerhalb von uns selbst" (meint auch Descartes).
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Ja, aber du maßt dir ja auch sonst an, die erlebte Wirklichkeit von anderen Menschen einfach so komplett zu hinterfragen.
Überhaupt nicht: Wenn Du sagst "Ich erlebe Mäuse als angsteinflößende Tiere", stelle ich dies NICHT in Zweifel. - Allenfalls könnte man systemisch klären, ob Deine Angst naturwissenschaftlich begründbar ist oder eher psychisch bedingt ist.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Und bis jetzt kam schlichtweg nichts, was den Unterschied zwischen “ontisch falsch” und “systemisch falsch” irgendwie erklären könnte.
Also wenn Du DAS überlesen hast - denke nur an die Beispiele in den letzten beiden Posts.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Ok, d. h. wir haben noch eine dritte Kategorie neben “ontisch” und “systemisch”. Nämlich “sensu Popper”. Und was mag das heißen?
:D - "Sensu Popper" ist EIN Beispiel für "systemisch". - Popper ist weitgehend nicht Philosoph, sondern Methodiker. - Er hat die Dir bekannte wissenschaftliche Methodik erfunden (die sehr gut ist) und schiebt Ontisches von vorneherein weg. - Im Grunde sagt er: "Ich interessiere mich für Phänomene, die von meiner Methodik erreichbar sind". - Metaphysische Realität steht bspw. bei ihm nicht auf dem Speiseplan, weil sie mit seiner Methodik nicht erreichbar ist.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 bis jetzt kam schlichtweg nichts, was den Unterschied zwischen “ontisch falsch” und “systemisch falsch” irgendwie erklären könnte.
"Ontisch falsch" ist etwas unzutreffendes, egal ob wir es überprüfen können oder nicht. - "Systemisch falsch" ist, wenn ein System zum Ergebnis kommt, dass etwas nicht zutrifft. - Das eine kann mit dem anderen korrelieren (und tut das wohl oft auch), ist aber kategorial unterschiedlich.

Wenn es Gott als Entität nicht gibt, ist das Postulat "Es gibt Gott" falsch. - Wenn ein System zum Ergebnis kommt "Es gibt Gott nicht", ist die Existenz Gottes als Entität systemisch widerlegt - egal, ob es Gott als Entität gibt oder nicht.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Aber die Ergebnisse, die auf so einem manipulierten Voltmeter basieren, dürfen nicht ernsthaft als systemisch korrekte Ergebnisse durchgehen.
Vor wenigen Jahren war mal ein Dossier in der ZEIT, wonach ca. ein Drittel aller wissenschaftlichen Arbeiten erheblich fehlerhaft seien - dies habe mit der Masse an Veröffentlichungen zu tun, die man heute für eine Karriere brauche. - Aber Du hast recht: Man darf ein System nicht damit desavouieren, dass man dessen Vertretern Fehler nachweist.

Aber hier geht es darum, dass auch korrekte systemische Ergebnisse ontisch falsch sein können - Beispiele siehe oben. Dabei gibt es zwei Spielarten:
1) Das 38% vs. 1% -Beispiel bei Muslimen - beide können ontisch nicht gleichzeitig zutreffend sein.
2) Nachweis von Strings, die es möglicherweise gar nicht gibt.
Das ist nicht hämisch gemeint - es zeigt einfach nur, dass Systeme, selbst wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen betrieben werden, trotzdem nur im Rahmen ihres eigenen Horizonts ergebnis-fähig sind, wobei der Horizont als solcher irrig sein kann.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Wo aber genau die Grenze zwischen “normalem Irrtum” und “Irrtum zu heftig, dass es der wohlwollende Gott zulassen würde” liegt, steht in den Sternen!
Da ist was verquer - verstehe ich nicht.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Wenn jemand wirklich zweifelt, z. B. zweifelt, dass er seinen Beruf kompetent ausübt, und von diesem Zweifel gerne befreit wäre – er wird ihn nicht einfach los per Glaube-auf-Knopfdruck.
Das ist eine ganz andere Ebene. Natürlich lässt sich der Zweifel einer Frau "Betrügt er mich oder nicht?" nicht vergleichen mit einem philosophischen Zweifel im Verhältnis zwischen Sein und Wahrnehmung.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 “Existieren Riesenkraken wirklich?” ist schlichtweg keine Ja/Nein-Frage. Ohne Präzisierung des Begriffs “Riesenkrake” ist sie nicht seriös zu beantworten. Mindestens gehört dazu, wie groß in Metern denn eine Krake sein muss, damit sie sich als “Riesenkrake” qualifiziert.
Das passt ganz gut in die Rubrik "systemische ERgebnisse". - Der eine Wissenschaftler definiert im Kleingedruckten "groß" ab 2 cm, der andere ab 2 m. In der Zeitung steht dann "Es gibt 5 Milliarden Groß-Kraken, wie wissenschaftlich bewiesen wurde". - Der Leser versteht unter "groß" so etwas Ähnliches wie "mindestens 1 m", die Arbeit beruht auf "> 2 cm". - Das kommt oft vor.

ABER: Das hat nichts mit der Grundsatzdebatte um "ontisch" vs. "systemisch" zu tun.
Claymore hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 00:30 Aber unter dem skeptischen Szenario gibt es keinen Grund zu glauben, dass unsere Konzepte nicht so verqueert sind, das egal wie sehr wir versuchen sie zu präzisieren, unsere Thesen nicht mit “ja” oder “nein” zu beantworten sind.
Auch hier argumentierst Du auf einer Ebene, die der Grundsatz-Ebene von Descartes irgendwann folgt.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Paul »

Hiob hat geschrieben: Sa 18. Sep 2021, 22:15 - "Sensu Popper" ist EIN Beispiel für "systemisch". - Popper ist weitgehend nicht Philosoph, sondern Methodiker. - Er hat die Dir bekannte wissenschaftliche Methodik erfunden (die sehr gut ist) und schiebt Ontisches von vorneherein weg. - Im Grunde sagt er: "Ich interessiere mich für Phänomene, die von meiner Methodik erreichbar sind". - Metaphysische Realität steht bspw. bei ihm nicht auf dem Speiseplan, weil sie mit seiner Methodik nicht erreichbar ist.
das ist nicht ganz richtig, popper hat mit seiner methode der falsifizierbarkeit von theorien einfach nur ein abgrenzungskriterium zur metaphysik eingeführt, hält aber metaphysische fragestellungen durchaus für rational diskutierbar..., so gibt er z.b. zu, dass der monistische idealismus letztendlich nicht widerlegbar ist... bringt uns aber nicht weiter im kontekst logik der forschung

der hauptkritikpunkt an der gängigen vorstellung, aus beobachtung könnte man allgemeine prinzipien ableiten, macht er an dem problem der vollständigen induktion klar...hypothetisch, wir haben bisher nur weiße schwäne beobachtet...die schlussfolgerung, es gäbe nur weiße schwäne, ist logisch halt eben nicht haltbar...grundsatzfragen, würde ich sagen :mrgreen:
der storch der sitzt am karpfenteich und hämmert alle karpfen weich

it's not easy be(e)in' green

es gibt nichts gutes, außer man tut es

https://www.youtube.com/watch?v=ItZyaOlrb7E

das huhn ist im auftrag des herren unterwegs 8-)
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Paul hat geschrieben: So 19. Sep 2021, 08:54 popper hat mit seiner methode der falsifizierbarkeit von theorien einfach nur ein abgrenzungskriterium zur metaphysik eingeführt, hält aber metaphysische fragestellungen durchaus für rational diskutierbar..., so gibt er z.b. zu, dass der monistische idealismus letztendlich nicht widerlegbar ist... bringt uns aber nicht weiter im kontekst logik der forschung
Da sind wir uns schon einig. Popper ist kein un-metaphysischer Mensch. Er könnte widerspruchsfrei zu seiner Lehre selber ein tief-gläubiger Christ sein, würde die geistliche Welt aber nicht ins einer Methodik unterbringen können.

Das Problem ist nicht Popper, sondern die Rezeption von Popper. Aus „Dieses kann ich mangels Falsifizierbarkeit nicht wissenschafts-methodisch untersuchen“ wird „Weil dieses nicht wissenschafts-methodisch untersuchbar ist, ist es nicht wirklich“. Aus einer methodischen Irrelevanz macht man eine ontische Irrelevanz. - Das ist richtig fatal, aber inzwischen gängig.
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