Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Philosophisches zum Nachdenken
Claymore
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Und um das Argument Descartes’ von einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Wahrnehmung und Sein überhaupt starten zu können, muss man doch verstehen
  1. was “(bloße) Wahrnehmung” ist… und dafür
  2. was es bedeutet, wenn uns etwas nur so und so erscheint, aber eben nicht tatsächlich so ist (Einbildung)… und dafür
  3. was es für die gewöhnlichen Objekte unserer Umgebung bedeutet tatsächlich zu existieren.
Wir denken, wir verstünden das alles. Aber wo haben wir bitte erlernt, was Existenz gewöhnlicher Objekte bedeutet, wenn das skeptische Szenario gültig ist?

Natürlich ist “Sirenen existieren nicht” ein verständlicher Satz. Dazu müssen wir nicht an realen Sirenen erlernen, was ein eine Sirene sein soll. Mischwesen aus Mensch und Vogel so und so … reicht aus. Also ist auch die Negation ihrer Existenz, unabhängig davon ob wahr oder falsch, verständlich.

Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen solchen aus bekannten Elementen zusammengesetzten Fantasiegeschöpfen und konkreten, gewöhnlichen Objekten an sich. Kann man “Gewöhnliche Objekte existieren nicht wirklich” tatsächlich verstehen, wenn die These nicht falsch ist? D. h. man nie erlernte, was es bedeutet, dass sie “wirklich existieren”? Meiner Ansicht nach nicht. Ich tendiere dazu, dass “gewöhnliche Objekte existieren nicht” nur entweder falsch oder unverständlich sein kann.

Dazuhin ist es doch so, dass das cartesische res cogitans ein einigermaßen substantielles Ich bezeichnet, das in der Zeit existiert / persistiert. Nicht bloß ein Bewusstseinmoment, nicht bloß ein Sammelsurium unzusammenhängender Eindrücke. Wenn wir in der Nacht zwei Träume haben und im einen träumen wir vom Sommer (Traum 1) und im anderen vom Herbst (Traum 2), so werden wir doch nicht, wenn wir erwacht sind, und uns an beide erinnern können, schließen, dass sich Traum 1 vor Traum 2 ereignet haben muss, weil der Herbst auf den Sommer folgt. Oftmals haben wir keine Ahnung, welcher Traum sich zuerst ereignet hat. Generell löst sich das Zeitgefühl auf, wenn wir in Morpheus Armen sind.

Aber bei unseren gewöhnlichen Erinnerungen gehen wir so vor. Die mutmaßliche Außenwelt fungiert als Zeitgeber. Zu einem substantiellen Ich kommt man also erst, wenn man die Außenwelt wenigstens in minimaler Form als real akzeptiert hat, d. h. annimmt, dass sich außerhalb meiner selbst Veränderungen abspielen, die auf mein Erleben einwirken.

Versuche mal deine Autobiographie darzulegen ohne dich auf die durch die Außenwelt eingeprägte Ordnung zu beziehen: Es wäre nur ein Durcheinander von unzusammenhängenden Episoden. Erst damit gibt es eine Verankerung des Ichs in der Zeit. Von daher kann ich Descartes’ Argumentation nicht nachvollziehen.
Ersetze es durch "Das, was unabhängig von systemischen Ergebnissen ist".
Da kommt es wieder zur angesprochenen Verschmelzung.
Natürlich nicht - weil er ja PRagmatiker sein wollte. Aber: Er war genug Denker, um zu wissen, dass er diesen Pragmatismus begründen muss - was er auf seine Weise getan hat.
Das ganze Manöver ist doch dann nur eine Schein-Debatte, wo der Ausgang definitiv schon vorher feststeht. Das hat was von Volkskammer der DDR. Es kann doch nicht die Aufgabe der Philosophie sein für irgendwelche Überzeugungen auf Befehl Rechtfertigungen zu erstellen. Entweder etwas ist bezweifelbar, dann muss es aber eine lebendige Möglichkeit sein, dass wir dem Skeptiker recht geben. Oder eben nicht (und dann ist es immer noch besser zu seinem Dogmatismus zu stehen).
Natürlich. Die Denkweite der moderneren Philosophie setzt doch (meistens) erst ein, nachdem grundlegende Descartes-Fragen ausgeschaltet sind. Ein Naturalist hat nicht den geringsten Grund, alles zu bezweifeln, weil er die Ontologie ersetzt durch Anthropozentrisches - das ist ein geschlossener Kreis, in dem nichts anbrennt. NB: Um so mehr ist es eine Chuzpe, innerhalb des Naturalismus den Begriff "Ontologie" in ganz anderer Bedeutung zu benutzen.
Es scheint mir eine der wenigen positiven Entwicklungen, dass diese Descartes-Fragen nicht mehr so ernst genommen werden.
Geht nicht. - Philosophien, Wissenschaft, Theologie haben Vorannahmen.
Ich sehe nur Thesen, die Systeme begründen, aber nicht durch die Methoden dieser Systeme belegt werden können.

Ein Vorurteil ist es dann, wenn man keinerlei Rechtfertigung dafür geben kann. Mir ist nicht klar, warum Philosophien, Wissenschaft und Theologie auf solchen Vorurteilen basieren müssen. Vielleicht tun sie es teilweise – das ist dann aber ihr Problem.
- In der Literatur sagt man auch "Vorwissen" (finde ich nicht so gut) - auch "Vorurteil" ginge, wenn es nicht so negativ konnotiert wäre.
“Vorannahmen” sind, neutrale Fassade hin oder her, absolut negativ und daher ist Vorurteil genau das richtige Wort dafür.
- Nenne es ganz einfach: Bewusstseins-Status-Quo zu einer Sache, bevor man anfängt, sich weiter damit zu beschäftigen.
Dass zeitlich eine Überzeugung mal am Anfang stand ist gänzlich trivial und unproblematisch. Am Anfang der Begründungskette stehen, das ist das kritische. Vgl. hier (Gruppe 1 vs 2)
Im Alltag. Wenn Du (geistlich gesehen) Dich entwickelst und dabei in die Scheiße trittst, hat dies Folgen durch die Wahrheit (christlich: Gott). Du merkst es nicht mal in dem Moment.
Das ist aber nicht die Art Kausalität von der wir hier sprechen (“widerlegen”).
Habe ich nicht verstanden.
Was steckt hinter wissenschaftlichen Paradigmenwechseln? Ist es eine Mode, oder steckt die Wahrheit dahinter?
Gerade deshalb ist es wahr, weil es nicht menschlichen Maßstäben entspringt.
Die ontologischen Grundkonzepte sind menschlich, also entspricht es menschlichen Maßstäben. Ich sehe sowas wie “Übereinstimmung mit dem, was ist” nicht als unschuldige, “objektive”, vorurteilsfreie Definition an.
Du nutzt ihn mehrfach am Tag, ohne es zu merken. - Bsp: Zu Beginn unserer Diskussion hier im Forum hattest Du Haltungen zu bestimmten Sachen ("Vorannahmen")
Ich habe Haltungen und Meinungen. Natürlich modifiziere ich diese als Reaktion auf Kritik. Aber warum sollten diese aussortierten Haltungen / Meinungen alle “Vorannahmen” gewesen sein? Ihre Gründe waren falsch. Das ist alles.

Ich streite natürlich nicht ab, dass ich auch Vorurteile habe. Kein Mensch ist frei davon. Aber ich verbräme diese nicht als “Vorannahmen”. Eine “Vorannahme” ist doch eine Überzeugung, die man nicht begründen, nicht rechtfertigen, nicht plausibilisieren kann. Zu der man nicht einmal irgendetwas erhellendes produzieren kann. Also ist Vorurteil das angebrachtere Wort.

Sicher muss man aus rein praktischen Gründen irgendwann abbrechen und sagen “Es ist 2 Uhr nachts, wir machen jetzt Schluss und gehen ins Bett”. D. h. die Begründungskette muss irgendwann zu ihrem Ende kommen, da unsere Zeit begrenzt ist. So reißt einem auch irgendwann der Geduldsfaden bei Kindern, die immer und immer weiter fragen. Das Gefühl dabei ist jedoch ein ganz anderes als beim Dogmatiker. Man ist bloß genervt (würde aber die nächste Frage beantworten wenn dann Ruhe wäre). Der Dogmatiker dagegen sieht, wenn man das Dogma erreicht hat, nachfragen als persönliche Attacke.

Wenn man also eine sogenannte “Vorannahme” ausmachen kann, d. h. den präzisen Punkt wo gilt: “Hier wird das unhinterfragbare Dogma gesetzt”, dann ist das ein schlechtes Zeichen.

Natürlich gibt es Axiome oder Grundsätze von Systemen, die nicht durch die Methoden dieser Systeme gerechtfertigt werden können. Das ist harmlos, wird aber andauernd in diesem Thread mit Vorurteilen / Dogmen gleichgesetzt.

Ein anderer Punkt ist spiritueller / religiöser Glaube. Aber auch da finde ich “Vorannahme” extrem unangebracht / verzerrend. Es ist vielmehr eine Art “Vertrauensvorschuss”, der nichts mit solchem Dogmatismus zu tun hat (so sollte es sein – es gibt natürlich viele dogmatische Gläubige). Ich meine, Gott ist – obwohl natürlich unendlich mehr – auch eine Person.
Tut ja keiner.
Das nun halte ich für eine sehr naive Einschätzung.
- Aufklärung (naturwissenschaftlich wie geistlich) sollte eigentlich zum Ziel haben, dass möglichst viele Dinge in Interpretation und ontischer Realität übereinstimmen.
Aber da wir nicht an diese “ontische Realität” “rankommen”, kann sie nicht sonderlich relevant sein.

Ich habe keine Ahnung was “Aufklärung” tun sollte. Die reale Epoche der Aufklärung – ungeschönt betrachtet – reicht mir schon um definitiv gegen ein erneutes Aufwärmen dieser Tradition zu sein.
2) Stimmt. --"Ich" ist traditionell so definiert, dass es menschen-exklusiv ist.
Aber anthropozentrisch sind immer nur die anderen…
- Natürlich kann man "Ich" auch anders definieren, aber dann ist es etwas anderes als die traditionelle Definition. ---- Oder anders: Wenn ein Känguruh in geistlicher Autonomie nach Gott fragen könnte, hätte es ebenfalls eine Res cogitans. - Wenn sich dieses Känguruh hinsetzen könnte und sinnieren könnte "Cogito ego sum - si enim fallor, sum", wäre dies ebenfalls so. - Aber das sind doch heute nicht die Kriterien, mit denen "Ich" in Neusprech semantisch belegt wird.
“Die traditionelle Definition” ist irreführend – korrekt wäre “die traditionell christliche Definition”. Für einen Hindu hat ein Känguruh ein Ich (Atman).

Und das Problem an der christlichen Definition ist, dass ein Mensch ein Ich nicht abgesprochen bekommt, wenn er nicht nach Gott fragt (z. B. wegen “Sowjet-Erziehung”) oder nicht “cogito ergo sum” denkt. Es geht also sowieso um einen potentialis. Von daher ist “das Känguruh kann es (jetzt) nicht” kein so schlagendes Argument wie du annimmst.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Fr 10. Sep 2021, 20:00
Paul hat geschrieben: Fr 10. Sep 2021, 16:46 geschockt oder erfreut, kommt drauf an, welches weltbild man bevorzugt...monismus, wobei wir uns hier zwischen materialismus und idealismus entscheiden können, oder den klassischen substanzdualismus nach descartes...ich bevorzuge poppers drei welten
Es ist immer die Frage, ob man Philosophie als pragmatische Lebenshilfe oder als ontische Weisheitslehre verstehen will. Entscheidet man sich für ersteres, tun Materialismus oder Naturalismus gute Dienste (andere auch). - Meint man zweiteres, bleibt eigentlich nur Monistisches übrig (was dann sicherlich nicht materialistisch sein kann).
Ich will die Philosophie als pragmatische Weisheitslehre verstehen.
Heute beliebt man, die Weisheitsebene über der pragmatischen Ebene einfach weg zu sägen. - Man macht also die pragmatische Ebene zur höchsten Ebene. - Das ist in etwa so, als würde man den Menschen oberhalb des Bauchnabels absägen und daraufhin (zutreffenderweise) postulieren: Die Geschlechtsteile sind das Höchste. :lol: :mrgreen: - But it works in unserer Zeit.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 00:33 Ich will die Philosophie als pragmatische Weisheitslehre verstehen.
Natürlich kann man das machen. - Aber warum nennt man es dann "Philo-sophie"? - Wie auch immer: Pragmatisch könnten wir uns einig sein.

Fundamental-Philosophie (gilt auch bei der Theologie) ist dann wichtig, wenn man Dinge zu Ende denken will. Dies ist im Alltag meistens nicht nötig, weil es da letztlich utilitaristisch zugeht. Allerdings sollte man darüber das Fundamentale nicht vergessen. - Denn Sätze wie "Eigentlich wäre es 'SO' richtig, aber 'SO' tut's es auch" sind sehr heilsam.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Paul »

was ein gezerre... :lol:

also noch mal, das einzige, was keine setzung, vorannahme oder auch meinetwegen dogma ist, ist das, was selbstevident ist...und das ist nunmal am treffendsten durch cogito ergo sum zum ausdruck gebracht...das ist das einzige, dessen wir uns sicher sein können
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Paul hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 17:04
also noch mal, das einzige, was keine setzung, vorannahme oder auch meinetwegen dogma ist, ist das, was selbstevident ist...und das ist nunmal am treffendsten durch cogito ergo sum zum ausdruck gebracht...das ist das einzige, dessen wir uns sicher sein können
Punkt. :thumbup:
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Paul
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Paul »

nix punkt...ich fange gerade erst an :mrgreen:
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Paul hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 17:04 was ein gezerre... :lol:

also noch mal, das einzige, was keine setzung, vorannahme oder auch meinetwegen dogma ist, ist das, was selbstevident ist...
Was man begründen kann ist keine Setzung, Vorannahme oder Dogma. Aber auch nicht selbstevident.

Ach, btw, die alte Idee des Foundationalismus ist eben nur mit selbstevidenten Axiomen anzufangen. Auch die von Descartes.
und das ist nunmal am treffendsten durch cogito ergo sum zum ausdruck gebracht...
Um an ein substanzielles Ich glauben zu können, muss man m. M. n. an die Außenwelt minimal glauben.
Spoiler: anzeigen
Claymore hat geschrieben: Mo 13. Sep 2021, 23:43 Dazuhin ist es doch so, dass das cartesische res cogitans ein einigermaßen substantielles Ich bezeichnet, das in der Zeit existiert / persistiert. Nicht bloß ein Bewusstseinmoment, nicht bloß ein Sammelsurium unzusammenhängender Eindrücke. Wenn wir in der Nacht zwei Träume haben und im einen träumen wir vom Sommer (Traum 1) und im anderen vom Herbst (Traum 2), so werden wir doch nicht, wenn wir erwacht sind, und uns an beide erinnern können, schließen, dass sich Traum 1 vor Traum 2 ereignet haben muss, weil der Herbst auf den Sommer folgt. Oftmals haben wir keine Ahnung, welcher Traum sich zuerst ereignet hat. Generell löst sich das Zeitgefühl auf, wenn wir in Morpheus Armen sind.

Aber bei unseren gewöhnlichen Erinnerungen gehen wir so vor. Die mutmaßliche Außenwelt fungiert als Zeitgeber. Zu einem substantiellen Ich kommt man also erst, wenn man die Außenwelt wenigstens in minimaler Form als real akzeptiert hat, d. h. annimmt, dass sich außerhalb meiner selbst Veränderungen abspielen, die auf mein Erleben einwirken.

Versuche mal deine Autobiographie darzulegen ohne dich auf die durch die Außenwelt eingeprägte Ordnung zu beziehen: Es wäre nur ein Durcheinander von unzusammenhängenden Episoden. Erst damit gibt es eine Verankerung des Ichs in der Zeit. Von daher kann ich Descartes’ Argumentation nicht nachvollziehen.
das ist das einzige, dessen wir uns sicher sein können
Und diese These ist entweder unsicher oder falsch. Es müsste schon heißen “Das Cogito und die in diesem Satz ausgedrückte These ist das einzige, dessen wir uns sicher sein können” … autsch, Dogmatik.

Vielleicht war das allerdings auch Ironie. Weiß man nicht bei dir.

Btw, was ist mit den sonstigen selbstevidenten Thesen? Wie a × b = b × a für natürliche Zahlen a, b. Diese sollen unsicher sein aber keine Vorannahmen / Setzungen?
Zuletzt geändert von Claymore am Di 14. Sep 2021, 19:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Paul »

mathematik ist...es gibt verschiedene auffausungen

platonismus - mathematische objekte existieren auch wenn es keine mathematiker gibt

formalismus - es ist nur ein spiel mit symbolen, mit vorher festgelegten regeln

ich meinerseiner kenne noch jede menge andere :mrgreen:
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 10:10
Claymore hat geschrieben: Di 14. Sep 2021, 00:33 Ich will die Philosophie als pragmatische Weisheitslehre verstehen.
Natürlich kann man das machen. - Aber warum nennt man es dann "Philo-sophie"? - Wie auch immer: Pragmatisch könnten wir uns einig sein.
Die Liebe zur Weisheit – ein hoher Anspruch. TIMTOWTDI. Jeder versucht’s auf seine Weise.
Fundamental-Philosophie (gilt auch bei der Theologie) ist dann wichtig, wenn man Dinge zu Ende denken will.
Das Problem ist hierbei – zumindest wenn man es so angeht wie du – dass man nicht weit kommt. Kann Philosophie keine Antworten auf Fragen geben, ist sie doch wohl gänzlich überflüssig.
Dies ist im Alltag meistens nicht nötig, weil es da letztlich utilitaristisch zugeht. Allerdings sollte man darüber das Fundamentale nicht vergessen. - Denn Sätze wie "Eigentlich wäre es 'SO' richtig, aber 'SO' tut's es auch" sind sehr heilsam.
Ich sehe die pragmatischen Philosophie nicht als weniger tief oder weniger fundamental an. Wir werden uns doch immer mit provisorischen Annäherungen begnügen müssen. Und wer sich da am passendsten abhängig vom Kontext orientiert, der weiß so gut wir nur wissen können.

Man muss wegkommen von den Exzessen der Aufklärung mit all ihren Systembauer-Snobs und Absolutheitsansprüchen, wieder zurück zu der Pragma (griech. für Sache), die man im Sinn hat.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Mo 13. Sep 2021, 23:38Du hältst Dich nach wie vor auf einem ganz anderen Feld auf als ich. - Bei mir geht es eben NICHT darum, Gesagtes methodisch zu entschlüsseln. In erster Linie geht es erst mal darum, dass Wahrnehmung/Wissenschaft nur unter Vorbedingungen seins-entschlüsselungsfähig sein kann.
Um das methodische entschlüsseln geht es mir nicht. Entschlüsseln ohne Zusatz reicht. Denn dass man mit Worten wie “sein”, “existieren”, etc. allerlei Schabernack treiben kann, ist offensichtlich.
Wenn das geschluckt ist, kann man differenzieren, wie Du das machst - das führt zwangsweise zu "Sein sensu x1/x2/x3". - Das ist hoch interessant, aber darüber darf man nie vergessen, dass Sein, was immer es auch ist, die Eiche ist, an der wir uns kratzen.
Mal gehören wir zum Sein, mal kratzen wir uns daran.

Du hantierst hier mit vielen unterschiedlichen Seins-Konzepten. Das ist das grundsätzliche Problem. Und ich habe mindestens den starken Verdacht, dass wir Menschen überhaupt kein Konzept von “Sein” besitzen, das kontext-frei einen Sinn ergibt. Das muss zuerst geschluckt werden.

Ich mag das Bild mit der Eiche i. Ü. gar nicht. Natürlich kann der Mensch den Jupiter nicht aus seiner Umlaufbahn heben. Aber das Ästchen des Weltenbaumes auf dem wir leben, da kratzen wir nicht nur dran. Das sägen wir ab.
NAtürlich nicht. - Sie sind eine Speculatio (positiv konnotiert gemeint) des Cogito, das hofft, damit der geistlichen Realität gerecht zu werden.
Was ist eine “Speculatio”? Jetzt sag nicht Spekulation…
Das glaube ich ebenfalls. - Aber es ist kein "Wissen". - Auch hier gilt, was bei den Extensae gilt - nämlich, dass unser Cogito nicht wissen kann, ob diese Ideen Erfindung des Ego sind (also ohne Ego nicht existieren) oder ob sie Entität sind. - Auch hier gilt der wohlwollende Gott als Lösung: Wenn uns Gott Transzendenz-Fähigkeit gibt, wird er uns damit nicht verarschen wollen. Speculationes können also authentisch zu geistlicher Realität/Entität sein.
Man muss sich halt entscheiden, man kann nur eines wählen:
  1. Wahrheit ist Übereinstimmung mit dem Sein.
  2. Mathematische Objekte existieren nicht.
Der Standard-Weg aus diesem Dilemma* war die aristotelische Auffassung: Zahlen symbolisieren Sein – 7 steht für 7 Objekte (Äpfel, Birnen). Indirekt bezieht sich die Mathematik also auf das Sein. Und so können mathematische Sätze wahr sein, indem ihre Aussagen korrekt beschreiben, wie sich reale Quantitäten verhalten => “Übereinstimmung mit dem Sein”.

Nun gibt es aber leider mathematische Konstrukte, zu denen man keine sinnlich erfahrbaren Entsprechungen findet, ja, zu denen es solche Entsprechungen gar nicht geben kann (das versteht auch der Skeptiker bzgl. der Außenwelt. Denn inwieweit die erlebten Objekte real sind, ist hier irrelevant). Z. B. Kardinalzahlen (Mächtigkeiten von unendlichen Mengen => “unendliche Zahlen”). Wir können aber nichts unendliches wahrnehmen. Aber über Kardinalzahlen gibt es mathematische Sätze, die doch Wahrheitswert haben sollen, wie: Aleph-0 < Kontinuum. Das motiviert Platonismus, d. h. Ablehnung von These II.

Das ist rein a priori geschlossen. D. h. es ist ein gänzlich anderer Weg zur Existenzbestimmung (von denen es noch zig andere gibt, die eigentlich alle behandelt und durchdacht werden sollten. Wenn da nur nicht diese Descartes-Fixierung grenzend an Personenkult wäre… ;) ).

Natürlich ist das hinterfragbar**. Z. B. indem man oben einfach These I ablehnt. Das ist m. M. n. korrekt, nur willst du das gerade nicht.

Bekanntlich hat Augustinus das zu einem Gottesbeweis weitergesponnen: Wenn es keine Menschen gibt, kein physisches Universum, gilt doch immer noch 2 + 2 = 4. Aber wo ist 2, +, 4? Antwort***: sie müssen in einem Geist existieren, der unabhängig von der Welt ist. Und das ist Gott.

PS: Auch hier geht der echte Philosoph (Augustinus, genau wie Descartes) im Vergleich zu dir exakt umgekehrt vor. Gott wird nicht dazu eingespannt, damit wir an irgendetwas “fragwürdiges” glauben dürfen. Nein, die Existenz Gottes wird demonstriert.

* 1. gröbst verkürzt. Es gibt 2500 Jahre Debatte dazu ob das wirklich ein Dilemma ist mit einer Vielzahl von Lösungen. 2. Es ist nicht unbedingt im Sinne Platons. 3. Wir setzen hier voraus, dass mathematische Sätze einen Wahrheitswert haben – das könnte man natürlich bezweifeln (Fiktionalismus).
** aber mehr als das Cogito? Meine Kritik dazu kennst du. Aber es gibt noch einen bekannteren und einfacheren Weg. Von Nietzsche: “Das Cogito beweist nur: ‘Da ist Denken’ – kein Ich!” – zu sehr an den Haaren herbeigezogen für meinen Geschmack, aber konsistent.
*** extrem verkürzt
Claymore hat geschrieben: Mo 13. Sep 2021, 23:02 Es ist von deinem Standpunkt aus inkonsistent zu glauben, dass ein systemisches Ergebnis unproblematisch erreicht oder nachgewiesen werden kann.
Das tue ich ja nicht. - Es gibt viele Probleme, die trotz aller systemischen Anstrengungen nicht gelöst werden können. - Aber: Warum wirfst Du hier das Ontische überhaupt ein? Nochmals: Das Ontische ist die Eiche, an der sich das Systemische reibt. - Die Eiche kriegt das nicht mal mit.
Das war offensichtlich allgemein zu verstehen: Es ist von deinem Standpunkt aus inkonsistent zu glauben, dass ein systemisches Ergebnis jemals unproblematisch erreicht oder nachgewiesen werden kann.
Claymore hat geschrieben: Mo 13. Sep 2021, 23:02 Es geht genau um die Frage, ob jemand tatsächlich die Regeln eingehalten hat, tatsächlich wissenschaftlich sauber gearbeitet hat. D. h. ob etwas tatsächlich ein systemisches Ergebnis ist.
Es würde mich wundern, wenn nicht.
Claymore hat geschrieben: Mo 13. Sep 2021, 23:02 Wenn du “tatsächlich” hörst, kommst du normalerweise immer mit “Das ist eine ontische Größe” an. Hier etwa nicht?
Nein - hier geht es um einen rein system-internen Vorgang. Es kann Kontexte geben, bei denen "tatsächlich" ontisch gemeint ist. -
Kann ich leider nicht nachvollziehen. Nimmt man einen Hund wahr, muss da nicht tatsächlich ein Hund sein, weil wir Wahrnehmung und Ontisches kategorial trennen sollen – so hieß es. Das verhält sich völlig parallel zu: Nimmt man ein Voltmeter wahr, das 8 Volt anzeigt, muss da nicht ein tatsächliches Voltmeter sein, das 8 Volt anzeigt. Dass dieses mutmaßliche Voltmeter systemische Verwendung findet macht einen solchen Fehler ja nicht unmöglich. Ob die Regeln des Systems eingehalten wurden (die ein echtes Voltmeter verlangen), muss also konsequenterweise eine ontische Frage sein.
Sprache ist so.
Was bedeutet “tatsächlich” denn dann in diesem Kontext?
Claymore hat geschrieben: Mo 13. Sep 2021, 23:02 Es war doch sonst immer dein Verständnis von “tatsächlich”: “mit dem übereinstimmend, was wirklich ist”.
S.o. ---- Aber Du bringst mich auf ein anderes Beispiel: Johns Hopkins und RKI.

Beide errechnen wissenschaftlich ihre Zahlen auf unterschiedlichen Wegen und kommen deshalb zu unterschiedlichen Zahlen zum Inzidenzwert. - Der ontische Inzidenzwert ist derjenige, welcher am 13.9.2021 um 23:59 der Fall war. Johns Hopkins und RKI werden diesen Wert nie ermitteln können, sondern immer nur (untereinander unterschiedliche) Werte anbieten können. - Und wenn die beiden ihren Wert danach bemessen würden, bei wie vielen Menschen im Zeitraum x zwischen den Zehen Covid-Viren nachweisbar sind, wäre auch das wissenschaftlich korrekt, aber es würde im Vergleich zum ontischen Wert Unsinn rauskommen.
“ontischer Inzidenzwert” ist imho Unsinn. Da kann man z. B. fragen: Was ist der ontische Inzidenzwert, wenn es ontisch zwei Virenstämme gibt, die wir nicht auseinanderhalten können?

Es ist die “Riesenkraken / Drachenknochen existieren wirklich”-Problematik hoch 1000.
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