Jeder wahre Christ ist ein Mystiker

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Faust

Jeder wahre Christ ist ein Mystiker

Beitrag von Faust »

Bonnie hat geschrieben: Mo 3. Jun 2019, 17:09Von mystischem Glauben halte ich auch nichts
Dann kannst du keine Christin sein - und das meine ich nicht als einen persönlichen Angriff, sondern als eine sachliche Aussage (und freundschaftlichen Gedankenanstoß ;) ). Denn das Christentum ist eine zutiefst mystische Religion. Ein Christentum ohne christliche Mystik ist unmöglich. Das macht so viel Sinn, wie ein Christentum ohne Christus, eine Liebesbeziehung ohne Liebe oder ein Konzert ohne Musik: gar keinen. Der Glaube an die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes, ist das größte denkbare Mysterium. Alle wahren Christen sind Mystiker. Christen, welche gegen die Mystik sind, verneinen den Kern, die spirituelle Substanz des Christentums. Das Johannesevangelium beginnt mit diesem wunderbar mystischen Glauben.
Im Anfang (ἀρχή) war das Wort (λόγος)
und das Wort war bei Gott,
und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden
und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
[...]
Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit gesehen,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit
Viele sogenannten „Häresien“ (Irrlehren) wurden von Menschen formuliert, die mit der christlichen Mystik ein Problem hatten. Beispielsweise weil ihnen der Gedanke der Inkarnation zu radikal war. Der rationale Verstand des Menschen kann die Inkarnation nicht begreifen. Das ist ein zu großer, gewaltiger, mystischer Glaube. Die „glorreiche“ Schlussfolgerung vieler Menschen lautet dann: wenn ich es nicht begreifen kann, dann ist es nicht passiert :D und ein sehr großes Mysterium des christlichen Glaubens ist zweifellos die Auferstehung. Ein sehr schönes Buch zum Thema, welches die christliche Botschaft im Unterschied zu anderen Religion klar herausarbeitet: Resurrecting Easter: How the West Lost and the East Kept the Original Easter Vision (John Dominic Crossan)


Rembremerding

Re: Jeder wahre Christ ist ein Mystiker

Beitrag von Rembremerding »

@Faust
Oops, da hatten wir denselben Gedanken.
Wollte keinen "Konkurrenz-Thread" aufmachen, sorry.
viewtopic.php?f=11&t=5749&start=10
Zuletzt geändert von Rembremerding am Mo 3. Jun 2019, 21:24, insgesamt 1-mal geändert.
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lovetrail
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Registriert: Sa 1. Jun 2013, 20:00

Re: Jeder wahre Christ ist ein Mystiker

Beitrag von lovetrail »

Naja Faust, wenn du hier Begriffe einmal so und einmal so verwendest, kann man kein ordentliches Gespräch führen.
Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, so wird Christus dich erleuchten!
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Bonnie
Beiträge: 944
Registriert: So 24. Feb 2019, 14:53

Re: Jeder wahre Christ ist ein Mystiker

Beitrag von Bonnie »

Ist denn mystischer Glaube (meine Ausdrucksweise) und Mystik ein und dasselbe?
Mystik
Form der Religiosität, religiöse Anschauung, bei der durch Versenkung, Hingabe, Askese o. Ä. eine persönliche, erfahrbare Verbindung mit der Gottheit, mit dem Göttlichen (bis zu einer ekstatischen Vereinigung) gesucht wird
(Wörterbuch, Google-Suche)
Nee, oder?
Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, eine Überzeugung von Tatsachen, die man nicht sieht.
Hebräer 11,1
Faust

Re: Jeder wahre Christ ist ein Mystiker

Beitrag von Faust »

Die Liebe Gottes kann die Seele so erfüllen und beleben, dass es als ekstatische Vereinigung erlebt wird. Ich erlebe diese gnadenreichen Momente hin und wieder. Das ist eine Nebenwirkung der fortschreitenden Vergöttlichung („Theosis“) und Transfiguration der Seele in das göttliche Licht hinein, sodass wir selbst in dieses Licht verwandelt werden. Sema, der ekstatische Tanz der Derwische, ist dafür ein sehr schönes Sinnbild: „Verstand, Herz und Körper werden beim Sema zusammengeführt und stellen den spirituellen Weg des Menschen dar. Im Drehen der Wahrheit entgegen wächst er durch Liebe, übersteigt das Ego, trifft auf die Wahrheit und erlangt Vollkommenheit. Dann kehrt er zurück von seiner spirituellen Wanderung, befähigt zu lieben und der Schöpfung mit allen Geschöpfen zu dienen“ (Tanz der Derwische) Das Leben ist eben zu kurz, um nur unter der Dusche zu singen :) ist das nicht erstrebenswert: jeden Augenblick und Atemzug in der „Freude des Herrn“ zu sein, so als wären wir hier und jetzt die Bewohner des Paradieses? Dann ist jeder Augenblick ein heiliger Augenblick und das ganze Leben wird zum Gebet und zur Lobpreisung. Mevlana Celaleddin Rumi beschrieb diesen ekstatischen Zustand mit diesen Worten.
Im Grunde genommen ist jedes Teilchen der Welt, ist Alles und Jedes, ja die ganze Welt, Liebe; in Allem und Jedem flammt das Feuer der Liebe, in jedem Partikel, in jedem Atom! Alles ringt darum, sich mit dem Geliebten zu vereinen, alles ist trunken von der Vereinigung.
Erst die Sehnsucht nach dem/der Geliebten macht uns zu Liebenden. Da Gott der Große Geliebte ist, sehnen nicht nur wir uns nach Vereinigung mit Ihm, sondern ebenso und sogar noch mehr der Geliebte nach uns. Rumi lässt sein Meisterwerk, das Masnawi, darum mit diesem Bild vom sehnsüchtigen Klang der Rohrflöte beginnen.
Höre auf die Geschichte der Rohrflöte, wie sie sich über die Trennung beklagt: „Seit ich aus dem Röhricht geschnitten wurde, hat meine Klage Mann und Frau zum Weinen gebracht. Ich suche nach einer von der Trennung zerrissenen Brust, der ich meinen Sehnsuchtsschmerz enthüllen kann. Jeder, der weit von seinem Ursprung entfernt ist, sehnt sich danach, wieder mit ihm vereint zu sein.“
Doch in diesem Zustand des Sehnsuchtsschmerzes müssen wir nicht verweilen. Wir können jederzeit heimkehren in die Glückseligkeit und lebendige Gegenwart der Großen Liebe und allumfassenden Einheit, „Mahabba“, die Gott selbst ist, der All-Barmherzige und Gnadenreiche, wenn wir das wirklich wollen. „Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1Joh 4,16) Nur dann, wenn dieses Bewusstsein im Herzen lebendig wird, kann von wirklicher Erlösung und Befreiung die Rede sein. Richard Rohr beschreibt das meisterhaft in seinem neuen Buch „The Universal Christ“


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