(Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

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Savonlinna
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Savonlinna »

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:"Ontologie" ist genauso von Vorurteilen beherrscht wie jede andere Lehrmeinung.
Wenn's gut gemacht ist, wahrscheinlich nicht. -
Jeder will seine Ausnahme haben.
Darum bleiben wir Ideologiekritiker immer auf Trab. ;)
closs hat geschrieben:Ist Mathematik vorurteilsfrei?
Sie gilt inzwischen als Formalwissenschaft, also völlig inhaltsfrei.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Der Satz "es gibt diese Wahrheit" oder "es gibt diese Wahrheit nicht" ist in sich aussagelos.
Korrekt - deshalb habe ich gesagt, dass der Umstand, dass es kein (Wahrnehmungs-) Monopol auf Wahrheit gibt, keine Aussage über Wahrheit selbst ist. - Mehr nicht.
Ich habe ja doch verstanden, was Du gesagt hast. Darum habe ich da gegenargumentiert.
Du implizierst "Wahrheit selbst" - merkst Du das nicht? Das setzt Du. Und das ist die ideologische Implikation.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Man klebt an seinen Begriffen und will und will sie nicht hinterfragen.
Das ist ein Missverständnis zwischen uns. - Natürlich hinterfragt man Wahrheit -
Ja, Du willst Wahrheit hinterfragen, also den Inhalt. Aber das meinte ich nicht. Das ist nicht radikal genug, um ideologiefrei zu sein. Du hinterfragst nicht das Konzept selbst.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Insofern kann man über "Wahrheit" schon sagen, dass es ein leerer Begriff ist und auch kein göttlicher.
Auch das wäre ideologisch gedacht.
Nein. Man merkt es schon daran, dass Du es nicht begründest, sondern nur behauptest.
Und meine Gegenbegründung nicht aufgreifst.
closs hat geschrieben:- Kann man nicht einfach sagen: "Mit unserem Vermögen ist eine Aussage darüber verbindlich nicht möglich" ---???---
Sagen kann man jede Menge.
Aber Du verstehst nicht, dass auch dieser Deiner Aussage eine von Dir unerkannte Setzung zugrunde liegt. Sie gilt nur für Dich, oder besser: einer bestimmten ideologischen Gruppierung, dem abendländischen Denken.
In Deinem Fall: die strikte Subjekt-Objekt-Trennung. Sie ist nur aus der Grammatik geboren, aber das siehst Du nicht.

Da Du DEIN Denken aber als Metatheorie wählen möchstest, also die Ontologie - falls ich den Diskussionsfaden richtig erinnere -, muss ich das eben verweigern. Es wäre Herrschaftsanspruch innerhalb der Wissenschaft.
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closs
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von closs »

Savonlinna hat geschrieben:Du implizierst "Wahrheit selbst"
Persönlich tue ich das wirklich - aber das ist hier nicht relevant. Hier sage ich, dass die Frage, ob es Wahrheit gibt oder nicht gibt, per Wahrnehmung nicht ermittelbar ist. - Ist das eine ideologische Implikation?
Savonlinna hat geschrieben:Man merkt es schon daran, dass Du es nicht begründest, sondern nur behauptest.
Die Behauptung, dass "Wahrheit" ein leerer Begriff sei, impliziert doch, dass es "Wahrheit" nicht gibt - oder nicht? - Und das wäre doch eine ideologische Aussage - oder nicht?

Meine Begründung ist folgender Natur: Wenn man etwas behauptet (was Du tust), was man nicht wissen kann, ist der "Tatbestand" der Ideologie erfüllt - oder nicht?
Savonlinna hat geschrieben:In Deinem Fall: die strikte Subjekt-Objekt-Trennung. Sie ist nur aus der Grammatik geboren, aber das siehst Du nicht.
Dass Beobachter (Subjekt) und Beobachtetes (Objekt) verschiedenen Kategorien angehören, wäre bereits eine ideologische Implikation? - Ist die cartesianische Unterscheidung zwischen "Res cogitans" und "Res extensa" bereits eine ideologische Implikation?

Davon unabhängig: In der Sache stimme ich Dir möglicherweise mehr zu, als Du ahnst - sogar in der Physik gibt es Phänomene, bei denen sich das Objekt durcb Interaktion mit dem Subjekt ändert - wir hatten das mit den 2 Photonen aus derselben Quelle, die erst dann "beschließen", wie sie ausgerichtet sind, wenn sie beobachtet werden.

Mit anderen Worten: Die kategoriale Unterscheidung von Subjekt und Objekt sagt nichts über die Qualität der Interaktion zwischen beiden aus.
Savonlinna hat geschrieben:Es wäre Herrschaftsanspruch innerhalb der Wissenschaft.
Eigentlich würde sich dieser "Herrschaftsanspruch" darauf beschränken, dass man Sein und Wahrnehmung entkoppelt. - Mehr nicht. - Schon zu viel?
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Pluto
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das behauptest du zwar immer wieder, aber kanst du es auch mit Tatsachen untermauern?
Natürlich - nimm ein beliebiges geschichtliches oder literarisches Thema: Trotz gleichem Wissenstands kommen verschiedene Menschen zu verschiedenen in sich schlüssigen Ergebnissen.
Du legst deinen Finger auf das Problem: Es kann zur Beliebigkeit ausarten, und man weiß dann nicht mehr was richtig und was falsch ist.
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Genau um diesen Sachverhalt zu klären, brauchen wir die Empirie.
"Empirie" geht nicht oder nur sehr bedingt in Geisteswissenschaften.
Genau das bemängele ich schon seit Jahren wenn nicht Jahrzehnten an der Theologie.
Man sollte es halt mal doch mit der HKM versuchen... :angel:
closs hat geschrieben:Empirie gäbe es nur, wenn man sich in die Zeit beamen lassen könnte, die man behandelt
Das ist ein Strohmann-Argument!

Wäre es richtig, könnte man alle Erkenntnisse über das römische Reich in die Tonne kippen. Dem ist aber (den Archäologen sei Dank) nicht so.
Ganze Wissenschaftszweige arbeiten so: Astronomie, Geologie, Archäologie, Paläontologie, Biologie, Plattentektonik, Radiometrie, u.v.m.
Diese Wissenschaften haben längst Methoden entwickelt, die sehr detaillierte Aussagen über die Vergangenheit ermöglichen.

- Man kann zwar Dinosaurier nicht bei der Nahrungsaufnahme oder Paarung beobachten, aber die Paläontologen konnten sehr viel rekonstruieren und geben uns heute ein sehr detailliertes Bild ihrer Lebensweise wieder.
- Man kann die Geburt eines Sterns nicht direkt beobachten, aber wir wissen hinreichend genau wie es vor sich geht, weil wir mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten mehrere Stufen der Sternbildung beobachten können.

Fazit:
Selbstverständlich kommt man ohne Zeitmaschine aus. Man muss sich nicht in die alte Zeit zurück beamen lassen um etwas üer die Vergangenheit zu lernen.

Man sollte vielleicht in den Religionswissenschaften den Aussagen HKM mehr Aussagekraft zubilligen, anstatt sie immer wieder als ideologisch "vergiftet" nieder zu machen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
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closs
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von closs »

Pluto hat geschrieben:Es kann zur Beliebigkeit ausarten, und man weiß dann nicht mehr was richtig und was falsch ist
"Richtig" und "falsch" gibt es manchmal nicht - ein beliebiges Beispiel:

War der Bau der Berliner Mauer "richtig" oder "falsch"? - Antwort: Aus westlicher Sicht war es vermutlich falsch, aus östlicher Sicht war es vermutlich richtig. - Beide Versionen lassen sich gut begründen, sind also nicht beliebig.
Pluto hat geschrieben:Man sollte es halt mal doch mit der HKM versuchen...
Damit ist das Problem nicht gelöst - denn die HKM könnte lediglich die harten Fakten liefern, auf denen dann die Urteile erwachsen: "Es war richtig, weil ..."/"Es war falsch, weil ...". - Die harten Fakten sind in beiden Fällen dieselben - keinem wird etwas vorenthalten.
Pluto hat geschrieben:Genau das bemängele ich schon seit Jahren wenn nicht Jahrzehnten an der Theologie.
Prinzipiell nachvollziehbar. - Um der Willkür zu entgehen, bedarf man eines geistigen Zugangs - welcher jedoch selber als willkürlich verstanden werden kann.

Und so läuft es wieder auf Ch.M. Wielands Aussage hinaus, wonach Geistiges nicht nachweisbar ist, sich aber gegenseitig erkennt. - Oder um es in den Worten Goethes zu sagen: "Wenn Ihr's nicht fühlt, Ihr werdet's nicht erjagen". - Wissenschaft kann in geistigen Dingen immer nur eine Hilfsfunktion haben - das unterscheidet Naturwissenschaft von Geisteswissenschaft.
Pluto hat geschrieben:Wäre es richtig, könnte man alle Erkenntnisse über das römische Reich in die Tonne kippen.
Da ist Dir zuzustimmen - ich dachte mehr an unseren Goliath-Thread zur Parusie, bei der manche glauben, über einen in sich verschlungenen Quellen-Apparat ("Bibel") unter säkularen Gesichtspunkten befinden zu können, welche geistigen Aussagen Jesus WIRKLICH getan hat.

Ansonsten stimme ich Dir zu - was im wesentlichen daran liegt, dass man zum Römischen Reich völlig voneinander unabhängige Quellen kennt. - Schon bei den Germanen ist es viel kniffliger: Sie haben selbst wenig hinterlassen, und die römischen Schriften darüber (bspw. "De Bello Gallico") sind innenpolitisch interessengeleitet - mit anderen Worten: Wer die Germanen waren, sollte man nur mit spitzen Fingern aus römischen Quellen erschließen.
Pluto hat geschrieben:Man sollte vielleicht in den Religionswissenschaften den Aussagen HKM mehr Aussagekraft zubilligen, anstatt sie immer wieder als ideologisch "vergiftet" nieder zu machen.
Als hilfs-wissenschaftliche Basis, auf der Hermeneutik stattfindet - ja. - Als eigene Hermeneutik - nein.

Es sei denn, man versteht unter HKM etwas anderes als das, was hier (ideologisch) zitiert wird.
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Pluto
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es kann zur Beliebigkeit ausarten, und man weiß dann nicht mehr was richtig und was falsch ist
"Richtig" und "falsch" gibt es manchmal nicht - ein beliebiges Beispiel:

War der Bau der Berliner Mauer "richtig" oder "falsch"? - Antwort: Aus westlicher Sicht war es vermutlich falsch, aus östlicher Sicht war es vermutlich richtig. - Beide Versionen lassen sich gut begründen, sind also nicht beliebig.
Naja...
Dasselbe Argument hast du aber verworfen, als ich es dir für die Definition von Gut und Böse vorschlug.
closs hat geschrieben:Damit ist das Problem nicht gelöst - denn die HKM könnte lediglich die harten Fakten liefern, auf denen dann die Urteile erwachsen: "Es war richtig, weil ..."/"Es war falsch, weil ...". - Die harten Fakten sind in beiden Fällen dieselben - keinem wird etwas vorenthalten.
Das Problem wäre schon teilweise gelöst, wenn man seitens der kanonischen Forschung die Ergebnisse der versuchen würde zu integrieren, anstatt sie als ideologisch geprägt abzutun.
closs hat geschrieben:Und so läuft es wieder auf Ch.M. Wielands Aussage hinaus, wonach Geistiges nicht nachweisbar ist, sich aber gegenseitig erkennt.
Eigentlich sehr schade, weil man mit einer solchen Haltung der Beliebigkeit Tür und Tor öffnet.
closs hat geschrieben:ich dachte mehr an unseren Goliath-Thread zur Parusie, bei der manche glauben, über einen in sich verschlungenen Quellen-Apparat ("Bibel") unter säkularen Gesichtspunkten befinden zu können, welche geistigen Aussagen Jesus WIRKLICH getan hat.
Ich verstehe auch nicht warum der Thread so lang sein musste, wo doch die Zitate Jesus' in den Evangelien klar und deutlich auf eine Naherwartung hinweisen.
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Man sollte vielleicht in den Religionswissenschaften den Aussagen HKM mehr Aussagekraft zubilligen, anstatt sie immer wieder als ideologisch "vergiftet" nieder zu machen.
Als hilfs-wissenschaftliche Basis, auf der Hermeneutik stattfindet - ja. - Als eigene Hermeneutik - nein.
Weder, noch...
Man sollte der HKM als wissenschaftlich arbeitende Methode den gebührenden Platz in der Theologie einräumen, und ihre Ergebnisse nicht andauernd in Frage stellen, in dem man ihr ideologische Ziele unterstellt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Savonlinna »

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Du implizierst "Wahrheit selbst"
Persönlich tue ich das wirklich - aber das ist hier nicht relevant. Hier sage ich, dass die Frage, ob es Wahrheit gibt oder nicht gibt, per Wahrnehmung nicht ermittelbar ist. - Ist das eine ideologische Implikation?
Ja, ist es, clösschen. Weil du "Wahrheit" bereits als Begriff nicht hinterfragst. Um sagen zu können, dass etwas per Wahrnehmung nicht ermittelbar ist, musst du grundsätzlich schon gesetzt haben, dass es etwas wie Wahrheit jenseits des Wortes gibt, auch wenn es temporär nicht ermittelbar ist.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Man merkt es schon daran, dass Du es nicht begründest, sondern nur behauptest.
Die Behauptung, dass "Wahrheit" ein leerer Begriff sei, impliziert doch, dass es "Wahrheit" nicht gibt - oder nicht? - Und das wäre doch eine ideologische Aussage - oder nicht?
Nein, aber es ist so schwer zu erklären, offenbar.
Ich habe nicht BEHAUTET, dass Wahrheit ein leerer Begriff ist, sondern wollte damit ausdrücken, dass Buchstabenfolgen nicht per se etwas "meinen".
Sie bedeuten eigentlich gar nichts, sondern verweisen nur auf etwas. Das ist sprachhistorisch so. Es sind Kürzel.
Ferdinand de Saussure nennt darum die Zeichen "willkürlich". Sie stehen in keinem Kausalnexus zu dem, was sie bezeichnen.
Abgesehen von der Lautmalerei vielleicht.
closs hat geschrieben:Meine Begründung ist folgender Natur: Wenn man etwas behauptet (was Du tust), was man nicht wissen kann, ist der "Tatbestand" der Ideologie erfüllt - oder nicht?
Man kann aber wissen, wie Sprache entstanden ist. Das ist belegbar.
Du hattest mich missverstanden mit den "leeren Begriffen". Sie sind buchstäblich leer, bevor man ihnen einen Sinn zuordnet.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:In Deinem Fall: die strikte Subjekt-Objekt-Trennung. Sie ist nur aus der Grammatik geboren, aber das siehst Du nicht.
Dass Beobachter (Subjekt) und Beobachtetes (Objekt) verschiedenen Kategorien angehören, wäre bereits eine ideologische Implikation? - Ist die cartesianische Unterscheidung zwischen "Res cogitans" und "Res extensa" bereits eine ideologische Implikation?
Ohne im Einzelnen verstanden zu haben, was Du nun erweiternd sagen willst: Diese Lieblingsbegriffe "Kategorie", "Descartes' Unterscheidung" zwischen dem und jenem können nicht absolut über alles gesetzt werden, ohne strikt ideologisch zu sein.

Mir scheinen das, ohne von meiner Seite wirklich den Durchblick zu haben, warum Du an manchen Begriffen nicht rütteln willst, ein wenig wie Heilige Kühe zu sein. Klingt so, als würde die Welt zusamenbrechen, wenn Descartes geirrt haben sollte. Das ist doch DAS Kriterium für Ideologie schlechthin. Wenn Marx immer Recht hat, wenn diese Unterscheidung des Descartes über allen Zweifel erhaben ist, wenn Kategorien immer als Katergorien das Oberste sind.

closs hat geschrieben: Davon unabhängig: In der Sache stimme ich Dir möglicherweise mehr zu, als Du ahnst - sogar in der Physik gibt es Phänomene, bei denen sich das Objekt durcb Interaktion mit dem Subjekt ändert - wir hatten das mit den 2 Photonen aus derselben Quelle, die erst dann "beschließen", wie sie ausgerichtet sind, wenn sie beobachtet werden.
Ja. Und das findet auch in anderen Wissenschaften statt.
closs hat geschrieben:Mit anderen Worten: Die kategoriale Unterscheidung von Subjekt und Objekt sagt nichts über die Qualität der Interaktion zwischen beiden aus.
Dann lass den Begriff "Kategorie" hier doch einfach weg. Ich habe ihn ja nicht benutzt.
Zur Hintertür werden immer irgendwelche Begriffe eingeführt, die ein Denksystem stabilsieren wollen, das ja gerade hinterfragt werden soll.
Man kann doch nicht Ideologien untersuchen, indem man selber ständig was in die Dunkelkammer reinmogelt und nicht erzählt, was das ist und wozu das gut sein soll.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Es wäre Herrschaftsanspruch innerhalb der Wissenschaft.
Eigentlich würde sich dieser "Herrschaftsanspruch" darauf beschränken, dass man Sein und Wahrnehmung entkoppelt. - Mehr nicht. - Schon zu viel?
Du willst halt Deine Ideologie als allgemeingültig durchkriegen.
Aber da beißt Du bei mir auf Granit. ;)
Das ist Mogelei, was Du machst.
Alle Ideologen, wenn sie ihre Ideologie als unideologisch darstellen wollen, mogeln bei irgendwas.
Du willst "Sein und Wahrnehmung" entkoppeln und mogelst damit hinein, dass sie überhaupt entkoppelt werden müssen und dass es den Unterschied zwischen ihnen überhaupt gibt.
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closs
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von closs »

Savonlinna hat geschrieben:Um sagen zu können, dass etwas per Wahrnehmung nicht ermittelbar ist, musst du grundsätzlich schon gesetzt haben, dass es etwas wie Wahrheit jenseits des Wortes gibt, auch wenn es temporär nicht ermittelbar ist.
Logisch richtig - ich meine aber gesagt zu haben, dass es Wahrheit, WENN es sie gibt, unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert. Wenn es sie NICHT gibt, gilt dasselbe.
Savonlinna hat geschrieben: sondern wollte damit ausdrücken, dass Buchstabenfolgen nicht per se etwas "meinen".
Das gilt aber immer:

"Ein Wort, ein Satz - aus Chiffren steigt - erkanntes Leben, jäher Sinn" (Gottfried Benn). - Sprache ist IMMER Chiffre, die ohne "Hardware" dahinter NICHTS ist.
Savonlinna hat geschrieben: Sie sind buchstäblich leer, bevor man ihnen einen Sinn zuordnet.
Genau das habe ich mit dem Benn-Zitat gemeint. - Ist der Mensch nicht geistig aktiviert, kommt nix.
Savonlinna hat geschrieben:Klingt so, als würde die Welt zusamenbrechen, wenn Descartes geirrt haben sollte.
Descartes selber ist wurscht - es geht darum, dass in allen Zeiten etwas ge-funden (NICHT er-funden) wird - egal ob er Descartes oder Shakespeare heisst.
Savonlinna hat geschrieben:Zur Hintertür werden immer irgendwelche Begriffe eingeführt, die ein Denksystem stabilsieren wollen, das ja gerade hinterfragt werden soll.
Aber Dadaismus soll es doch nicht werden - irgendwelche Ordnungs-Modelle brauchen wir doch. - Sonst bleibt uns doch nur noch, uns verliebt in die Augen zu gucken (was ja auch nicht das Schlechteste ist). - Dann sind wir echt bei Wittgenstein: Schweigen.
Savonlinna hat geschrieben:Aber da beißt Du bei mir auf Granit.
:lol:
Savonlinna hat geschrieben:Alle Ideologen, wenn sie ihre Ideologie als unideologisch darstellen wollen, mogeln bei irgendwas.
Man sollte dafür das Wort "Ideomogel" einführen. :!:
Savonlinna hat geschrieben:Du willst "Sein und Wahrnehmung" entkoppeln und mogelst damit hinein, dass sie überhaupt entkoppelt werden müssen
Nee - wenn Mann und Frau Eins sind, sind sie trotzdem Zwei.
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Savonlinna »

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das behauptest du zwar immer wieder, aber kanst du es auch mit Tatsachen untermauern?
Natürlich - nimm ein beliebiges geschichtliches oder literarisches Thema: Trotz gleichem Wissenstands kommen verschiedene Menschen zu verschiedenen in sich schlüssigen Ergebnissen.
Du legst deinen Finger auf das Problem: Es kann zur Beliebigkeit ausarten, und man weiß dann nicht mehr was richtig und was falsch ist.
Trotdem ist die Tatsache nun untermauert!

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Genau um diesen Sachverhalt zu klären, brauchen wir die Empirie.
"Empirie" geht nicht oder nur sehr bedingt in Geisteswissenschaften.
Genau das bemängele ich schon seit Jahren wenn nicht Jahrzehnten an der Theologie.
Man sollte es halt mal doch mit der HKM versuchen... :angel:
Man kann alles Mögliche bemängeln: dass es Frauen auf der Welt gibt, dass es die Literatur auf der Welt gibt - eine Beleidigung für die Physik! :D -, dass die Geisteswissenschaft das Subjekt adelt und zurückwirkt auf die Naturwissenschaften -
nur ABSCHAFFEN kann man es nicht.

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Empirie gäbe es nur, wenn man sich in die Zeit beamen lassen könnte, die man behandelt
Das ist ein Strohmann-Argument!
Womit Du dann man eben locker allen heutigen Wissenschaften unterstellst, dass sie nur Strohmann-Argumente haben.
Ich zitere jetzt zum dritten Mal in den letzten paar Tagen, was ein Historiker über seine Wissenschaft seinen Studenten beibringt:
Savonlinna hat geschrieben: "Methodenvorlesung Historische Methode" -, die von PD Dr. Frank Möller gehalten wurde.
Über Frank Möller kann man sich hier - https://www.histsem.uni-kiel.de/de/abte ... nk-moeller - ein bisschen informieren,
und der Link zur Vorlesung ist hier: http://www.phil.uni-greifswald.de/filea ... S07-08.pdf

Daraus also folgendes Zitat:

Historische Methode
Vergangenheit und Geschichte

=>
• jenseits der historischen Erkenntnis gibt es keine
Geschichte.
• Vergangenheit nicht vollständig erfassbar (Selektivität)
• Geschichte fragt nach dem Besonderen nicht dem
Allgemeinen
• Jede historische Aussage ist ausgewählt (Konstruktion)
• Geschichte liegt nur als Erzählung vor (Narrativität)
• Geschichte ist vom erkennenden Subjekt geprägt
(Subjektivität / erkenntnisleitendes Interesse)
• = Standort und Perspektive
Was ich blau gefärbt habe, steht heute mehr denn je im wissenschaftstheoretischen Disput. "Das erkenntnisleitende Interesse" (Habermas), von dem jeder Deutende geprägt wird, führt zu der Frage, aus welcher Perspektive und welchem (geistigem) Standort die Vergangenheit jeweils betrachtet und gedeutet wird.
Und ein Wissenschaftler, der Karriere machen will, wird bestimmt nicht versäumen, dieses sein Vorverständnis - oder seine Prämissen - darzulegen.
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Naqual
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Naqual »

Pluto hat geschrieben:
Naqual hat geschrieben:Aber ich denke, dass man auch Visionen und Gefühle durchaus wissenschaftlich beobachten kann.
So, so... ;)
Naqual hat geschrieben:Man kann z.B. Visionen von verschiedenen Leuten vergleichen und abgleichen mit den Vorerfahrungen bzw. dem kulturellem HIntergrund.
Die Menschen ähneln sich alle sehr stark. Du hättest Schwierigkeiten nachzuweisen, das dies nicht auf angeborene Hirnstrukturen zurückzuführen ist, sondern auf tatsächliche Visionen —
Viel Spaß bei der Beweisführung. :angel:
Natürlich kann man Visionen und Gefühle beobachten, das ist sogar empirisch. Das wird auch nicht dadurch geändert, dass man den von Dir genannten (anderen) Sachverhalt nicht beweisen kann. Man kann beobachten z.b. in welchen Situationen welche Gefühle ausgelöst bzw. welche Gefühle von den Betroffenen beschrieben werden und kann das Ursache-Wirkungs-Verhältnis sehr genau auswerten. All das kann man sogar machen, ohne überhaupt einen Beweis angetreten zu haben, ob es Gefühle überhaupt gibt.
Naqual hat geschrieben:Beispiel: Moody mit seiner Sammlung von Nahtoderfahrungen.
Ja das ist ein gutes Beispiel...
Wie entkräftest du, dass diese Nahtod-Erfahrungen nicht mehr sind als die Zuckungen eines klinisch extrem gestressten Gehirns?
Auch hier wirfst Du wieder eine Spezialfrage hinein. DIESEN Sachverhalt vermag ich vielleicht nicht zu beweisen, aber ich kann ganz andere Erkenntnisse gewinnen. Zum Beispiel, dass die Nahtod-Erfahrungen in den visuellen Bildern synchron gehen zu dem jeweiligen religiösen HIntergrund der Betroffenen. So unterschiedlich dieser auch sein mag. Alle, die von diesen Nahtod-Erfahrungen sprechen, berichten von einem Licht. Bei Christen wird dies auf einmal eine Jesus- oder Mariengestalt, beim Buddhisten eine Buddha-Figur. Hieraus kann man schon einiges schließen und Erklärungsmodelle in den Raum stellen und dem weiter wissenschaftlich nachgehen.
Naqual hat geschrieben:Naturwissenschaftlich lassen sich konkrete Gefühle gar nicht beweisen, gleichwohl gibt es sie
Logisch, aber wie willst du nachweisen, dass Gefühle mehr sind als angeregte Schwingungszustände eines Neuronen-Netzwerks?
Wie willst du diese Dinge unterscheiden?
Wenn man nicht kann, geht man dieser Frage nicht weiter nach und beobachtet weiter. Dann stellt man fest, dass zum Beispiel ein Neurotiker andere Gefühle berichtet in vergleichbaren Situationen. Dem kann man wieder sehr genau nachgehen und Gesetzmäßigkeiten feststellen.
Naqual hat geschrieben:und da wird auch ein Naturwissenschaftler nicht widersprechen.
Wie du siehst, ist das nicht nur der Fall, sondern sogar es ist sehr leicht zu widersprechen.
In der Sache selbst hast Du mir nie widersprochen. Du hast nur immer zu jedem Thema eine Fragestellung genannt, die nicht beweisbar (und nicht widerlegbar) ist.
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Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Savonlinna »

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Um sagen zu können, dass etwas per Wahrnehmung nicht ermittelbar ist, musst du grundsätzlich schon gesetzt haben, dass es etwas wie Wahrheit jenseits des Wortes gibt, auch wenn es temporär nicht ermittelbar ist.
Logisch richtig - ich meine aber gesagt zu haben, dass es Wahrheit, WENN es sie gibt, unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert. Wenn es sie NICHT gibt, gilt dasselbe.
Ja, das sagst Du sehr, sehr oft.

Und das ist eben Deine Setzung: dass es Wahrheit geben kann oder nicht geben kann und dass sie jenseits von "Wahrnehmung" existieren kann.
Damit schreibst Du das Denksystem vor, das alle für absolut zu halten haben. Es ist eine Art Begrifsfetischismus, der nicht losgelassen werden kann.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: sondern wollte damit ausdrücken, dass Buchstabenfolgen nicht per se etwas "meinen".
Das gilt aber immer:

"Ein Wort, ein Satz - aus Chiffren steigt - erkanntes Leben, jäher Sinn" (Gottfried Benn). - Sprache ist IMMER Chiffre, die ohne "Hardware" dahinter NICHTS ist.
Natürlich gilt es immer; das versuche ich doch gerade zu vermitteln.
Aufsagen von Zitaten belegt aber nicht, dass man es verstanden hat.
Dieses Zitat meint übrigens etwas anderes, als was ich meinte.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Sie sind buchstäblich leer, bevor man ihnen einen Sinn zuordnet.
Genau das habe ich mit dem Benn-Zitat gemeint. - Ist der Mensch nicht geistig aktiviert, kommt nix.
Das habe ich doch überhaupt nicht sagen wollen.
Deine "Ontologie" taugt nicht für eine Metatheorie, weil sie selber ideologisch ist - das versuche ich bewusst zu machen.
Du sprichst plötzlich von etwas ganz anderem.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Klingt so, als würde die Welt zusamenbrechen, wenn Descartes geirrt haben sollte.
Descartes selber ist wurscht - es geht darum, dass in allen Zeiten etwas ge-funden (NICHT er-funden) wird - egal ob er Descartes oder Shakespeare heisst.
Ich vermute, Du hast das Thema gewechselt. Weiß überhaupt nicht mehr, wieso das jetzt ein Argument sein soll dafür, dass Deine Ontologie frei von Ideologie ist.
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Zur Hintertür werden immer irgendwelche Begriffe eingeführt, die ein Denksystem stabilsieren wollen, das ja gerade hinterfragt werden soll.
Aber Dadaismus soll es doch nicht werden - irgendwelche Ordnungs-Modelle brauchen wir doch. - Sonst bleibt uns doch nur noch, uns verliebt in die Augen zu gucken (was ja auch nicht das Schlechteste ist). - Dann sind wir echt bei Wittgenstein: Schweigen.
Du argumentierst genau wie Pluto. Er weigert sich, eine Sache zu Ende zu denken, weil er Angst vor Beliebigkeit hat, Du weigerst Dich, eine Sache zu Ende zu denken, weil Du Angst davor hast, dass es keine Ordnung mehr gibt.

Das könnte der Schlüssel dafür sein, warum manche so rigoros an ihren Setzungen festhalten und sie für absolut halten und der Kopf sich weigert, das zu transzendieren.
Und diesen Widerstand sollte man auch nicht brechen wollen, sage ich jetzt zur mir selbst. Auch in einem philosophischen Disput nicht: da der Mensch immer noch wichtiger ist als das Hinterfragen von Setzungen.

Wenn aber Leute, die ihre Setzungen nicht hinterfragen können, MACHT bekämen: dann muss man handeln.
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