ThomasM hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Ich kopiere mal einen Teil davon hier rüber:
Hans Poser hat geschrieben:Nun bestimmt aber die Sprache in gewissem Umfang das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen. Dieses Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit ist für die Wissenschaften von fundamentaler Bedeutung, weil Wissenschaften ihre Gegenstände sprachlich erfassen und ihre Resultate sprachlich, in Aussagen und Theorien, niederlegen. Deshalb muss jetzt schon deutlich werden, welcher Art die Probleme sind, die sich daraus ergeben, dass die wissenschaftliche Wrklichkeit immer auch eine sprachlich gefasste Wirklichkeit ist.
Hans Poser, Wissenchaftstheorie. Eine Philsophische Einführung, Stuttgart (Reclam), überarbeitet und erweitert 2012, Seite 32f
Das heißt: die Grundlage für alle Wissenschaften, auch die Naturwissenschaften, ist die Sprache, und damit wird "Wirklichkeit" in ALLEN Wissenschaften problematisiert, und das ist etwas Gemeinsames, das ins Bewusstsein gehoben werden kann und von den heutigen Wissenschaftstheoretikern auch ins Bewusstsein gehoben WIRD.
Dieser Darstellung kann ich in dieser Allgemeinheit durchaus zustimmen, aber das löst das Problem nicht, sondern es verlagert es nur.
1. Sprache ist nicht gleich Sprache
Man kann Mathematik als Sprache definieren, als Sprache mit einer eindeutigen, logischen Struktur. Damit wäre der Unterschied zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft auf diesen Umstand zurückgeführt.
Naturwissenschaftliche Phänomene sind solche, die sich mit einer logisch strukturierten, eindeutigen Sprache beschreiben lassen. Die meisten Geisteswissenschaftlichen Phänomene können so nicht behandelt werden. Hier gibt es auch einen engen Bezug zur Messbarkeit
Ohne jetzt für mich behaupten zu können, das von Dir erwähnte Problem - welches genau ist dieses Problem, Thomas? - sei für mich deutlich oder sei lösbar:
ich möchte nur ein paar Überlegungen anstellen.
Ich denke, dass Hans Poser meint, dass jede Sprache - egal, welche, und egal, in welchem Maße formalisiert -, die Erkenntnis beeinflusst.
Das gälte dann für beide Wissenschaftsarten.
Mathematik hat allerdings immer eine Sonderstellung, weil sie nichts über Inhalte aussagt - glaube ich jedenfalls -. Das gilt für andere Wissenschaften nicht. Für diese dann gälte: deren gewählte Sprache spielt bei der Wirklichkeitsbeschreibung eine entscheidende Rolle.
ThomasM hat geschrieben:2. Sprache ist anpassbar
Die Sprache ist kein gesetztes Ding. Haben wir ein neues Phänomen, muss man eine neue Sprache entwickeln. Das sieht man an vielen Beispielen aus der Mathematik. Das ist auf der einen Seite gut und wichtig. Aber diese Formbarkeit der Sprache kann auch missbraucht werden.
So habe ich im Managementbereich sehr oft Beispiele gesehen, in denen mit Sprache Schindluder getrieben wurde. Es ging nicht darum, etwas wahrhaftig darzustellen, sondern den Zuhörer zu manipulieren.
Dieses "manipulieren mit Sprache" ist auch in den Wissenschaften gang und gäbe. Mein Sohn studiert Germanistik und gerade in diesem Gebiet ist es usus, viele Worte um Nichts zu machen.
Glaube ich sofort. Beim Philosophieren ist das übrigens auch so.
Dennoch muss bei der Untersuchung von Untersuchungen deren gesetzte - oder de facto benutzte - Sprache mit berücksichtigt werden, um das zu beschreiben, was als "Wirklichkeit" verstanden und untersucht wurde.
ThomasM hat geschrieben:3. Sprache ist nicht gleich begreifen
Sehen wir ein neues Phänomen (oder geben vor, etwas Neues gesehen zu haben), dann erfinden wir einen neuen Begriff. Aber das heisst noch lange nicht, dass wir auch verstehen, was das bedeutet, was das ausmacht. Sprache allein genügt nicht, es muss noch etwas dazu kommen. Was zu oft fehlt.
Das ist wirklich gut beobachtet. Aber Du sprichst im Moment nicht von Wissenschaft, oder? Denn letzteres war das Thema von Hans Poser.
Aber jetzt mal unabhängig davon: das, was Du sagst, meine ich ja selber andauernd. Ich nenne das dann immer "leere Begriffe" oder "Worthülsen".
Wenn die in ideologischen Texten auftauchen, kann man sie aber dingfest machen.
ThomasM hat geschrieben:4. Sprecher und Hörer sind unterschiedlich
Wenn jemand etwas sprachlich formuliert, dann heißt das noch lange nicht, dass der Hörer das versteht, was formuliert wurde. Eher im Gegenteil. Das behindert die Intersubjektivität, die meines Erachtens bei Wissenschaft unumgänglich ist (sonst wäre es keine Wissenschaft, sondern eine persönliche Anschauung).
Intersubjektivität muss bedeuten, diesen persönlichen Kontext, in dem Verstehen entsteht, zu minimieren oder ebenfalls klarzustellen. Was zu oft in einen Zirkel führt, weil die sprachliche Darstellung des Kontextes wieder einen Kontext erfordert usw.
Oh ja. Das hat Halman hier schon zweimal thematisiert, indem er fragte, ob der oder der das Kommunikationsquadrat kenne.
Da wird thematisert, auf welchen Ebenen man den anderen alles verstehen könne.
Allerdings sollte das bei wissenschaftlichen Texten nicht die entscheidende Rolle spielen.
Man sollte da in der Lage sein, so präzise zu formulieren, dass der ausgebildete Leser annähernd das versteht, was formuliert wurde.
Denn beide haben ja Monate oder Jahre Zeit, sich mit dem Text zu beschäftigen.
Mit anderen Worten: Wissenschaften bilden ja oft einen Fachjargon aus, der eine gewisse Intersubjektivität gewährleistet (sofern sie beide in der gleichen Zeit und der gleichen Kultur leben). Insofern kann das ganz falsche Verstehen eigentlich nicht eintreten.
Anders natürlich im normalen Umgang miteinander.
Und da bestehen manche darauf, den und den Begriff zu benutzen, den andere auch benutzen, aber mit anderem Inhalt füllen.
Wenn Wohlwollen auf beiden Seiten besteht, dann muss man sich nicht über den Begriff einigen, sondern herauszufinden suchen, was der andere jeweils meint.
Das lohnt sich immer, und die Intersubjektivität findet sich dann über den Inhalt, das Gemeinte.