Novalis hat geschrieben: Hans Jonas hielt eine Rede über dieses Thema mit dem Titel „
Der Gottesbegriff nach Auschwitz“. Jonas spricht darin vom Verzicht Gottes auf die Allmacht. Das hat seiner Meinung nach etwas mit der Struktur der Schöpfung zu tun: in seiner Allmacht habe Gott aus Liebe die Welt erschaffen, aber seit der Schöpfung sei er nicht mehr allmächtig, weil er seine Macht mit der Welt teile. Jeder von uns hat demnach eine Portion der Macht Gottes (sozusagen ein Wassertropfen aus dem Ozean seiner Allmacht) und ist verantwortlich dafür wie er/sie diese Macht gebraucht. Dabei bezieht sich Jonas auf die kabbalistische Lehre von der Selbstentäußerung und der Selbsteinschränkung Gottes nach dem Akt der Schöpfung:
„Nachdem er sich ganz in die werdende Welt hineingegeben hat, hat Gott nichts mehr zu geben: Jetzt ist es am Menschen, ihm zu geben.“ (S.47 Hans Jonas: Der Gottesbegriff nach Auschwitz: eine jüdische Stimme. Suhrkamp Verlag st 1516, Frankfurt am Main 1987.)
Habe ich mit meiner Vermutung Recht, dass Du ihn gelesen hast?
Nein, da liegst du daneben - ich habe noch nie zuvor von ihm gehört
Dennoch, "sich ganz in die werdende Welt hineingegeben" - das passt zu meinem Gottesbegriff, der Gott nicht nur
transzendent, sondern in einem hohen Maße auch der Welt
immanent versteht.
Wobei sich meine Vorstellung der Immanenz und der fehlenden Allmacht vor allem aus dem zyklischen Charakter der Schöpfung ergibt.
Die Schöpfung ist zwar einerseits ein einmaliges Ereignis, ein Uranfang. Andererseits aber auch ein zyklischer Prozess, der ständig wiederholt und aufrecht erhalten werden muss.
(Stellt es euch so vor: Man kann nicht einfach den Karren einmal anschieben, und dann läuft er und läuft und läuft..., nein, man muss mit aufspringen und den Motor am Laufen halten. )
Das christliche Lied "Morning has broken, like the first morning" verstehe ich in einem sehr wörtlichen Sinne.
JEDER Morgen ist auch gleichzeitig DER ERSTE Morgen.
In jeder Geburt wohnt die erste Erschaffung des Lebens inne, jeder Frühling ist ein Rückgriff auf das erste Ergrünen der Erde.
Versteht ihr, was ich sagen will?
Das ist einerseits wunderbar, weil wir alle immer wieder und ganz unmittelbar am Wunder der Schöpfung teilhaben können, und weil jedem Ende und jedem Tod so die Hoffnung auf Neuanfang und Wiedergeburt innewohnt.
Andererseits macht dieser unfertige Charakter der Schöpfung sie auch angreifbar. Denn es gibt Gegenkräfte, die GEGEN die Schöpfung stehen. Anti-Kräfte, die zerstören, Chaos bringen und korrumpieren. Kräfte, die die Schöpfung anhalten und zunichte machen wollen. Man kann diese Kräfte personifizieren, meinetwegen auch Teufel nennen. Man kann sie aber auch schlicht als eine Art Naturgesetz verstehen.
Es sind Kräfte, die der Gott nicht oder zumindest nicht absichtlich geschaffen hat (fehlende Allmacht...), und gegen die er ankämpfen muss um seine Schöpfung fortwährend aufrecht zu erhalten und zu beschützen.
Hier im Thread wurden ja schon einige Punkte vorgeschlagen, wie das Böse entsteht. Was haltet ihr von dieser Zusammenfassung - trifft es das oder habe ich euch missverstanden?
- zufällige Folge von vielen, in sich verflochtenen Ursachen und Kausalitäten
- oder: Versagen der Menschen, sich dem Guten zuzuwenden, also letztendlich Schwäche und fehlende Reife
- oder: Beeinflussung, Versuchung und Eingreifen durch einen personifizierten Teufels (der entweder gegen Gott oder unter dem Befehl Gottes arbeitet)
Ich selbst unterscheide zwei Begriffe des Bösen, die allerdings nicht immer scharf zu trennen sind
- Das unpersönliche Böse in Form der Anti-Kräfte. Daran ist keiner Schuld, noch nicht mal der Schöpfergott. Die sind nämlich dummerweise zwingend im Lieferumfang mit enthalten. Sie können niemals vernichtet, sondern müssen permanent so gut wie möglich abgewehrt werden.
- Das persönliche (im Sinne von personengebundene) Böse, zu welchem der Mensch aufgrund seines freien Willens fähig ist:
"Ich habe einen Menschen gleich seines Nächsten geschaffen.
Und ich habe nicht befohlen, dass sie Böses tun
Sondern ihre Herzen sind es, die nicht auf das hören, was ich gesagt habe"
Jeder Einzelne für diese zweite Form des Bösen verantwortlich. Diese Verantwortung ergibt sich aus dem freien Willen. Da zählt kein stellvertretender Opfertod und kein pauschales herausreden auf "wir sind eh alle Sünder". Wer das Böse erkennen kann und es trotzdem tut, der kriegt vor dem Gericht dann eben die Quittung...
liebe Grüße
Mirjam