Catholic1968 hat geschrieben: ↑Fr 14. Jun 2019, 17:11 Gerade die Scham/das gesunde Schamempfinden führt dazu,dass der einzelne Mensch subjektiv,als er selber wahrgenommen wird
Was Ihr schreibt, ist ganz in meinem Sinne (wiewohl ich lange gebraucht habe, es selber zu verstehen). - Hier mein heutiges Verständnis anhand von Gen. 3,7 "Und sie erkannten, dass sie nackt waren". - Wobei ich bei meiner Denkweise wieder mal weit ausholen muss.
Was ist Erkennen? – Unter spirituellen Gesichtspunkten ist „Erkennen“ die bewusste Unterscheidungsfähigkeit zwischen verschiedenen Realitätsebenen – also der Realität des Seins und der Realität des Daseins. Bewusste Unterscheidungsfähigkeit ist wiederum die Voraussetzung für bewusste Bewertungs-Fähigkeit dieser verschiedenen Realitätsebenen.
Adam zeigt bereits vor dem Essen vom Baum eine Vorstufe dieser Bewertungsfähigkeit, als er unter den Tieren nichts „Seinesgleiches“ finden kann und sie deshalb als Nicht-Seinesgleiches benennen kann. Dieses Spüren des Nicht-Seinesgleichen im Tier ist aber keine bewusste Erkenntnis, sonst würde er unter den Tieren erst gar nicht nach „Seinesgleichen“ suchen. So aber „stöbert“ er sich durch die Tierwelt und findet nichts Passendes. - Ein menschliches Anschauungsbild dazu: Ein Kind im entsprechenden Alter durchsucht alle ihre Puppen, um festzustellen, dass sie nicht Nicht-Seinesgleiche sind (und kann sie trotzdem benennen). Ebenso stellt das Kind fest, dass das Geschwister ein Seinesgleiches ist. Diese Unterscheidungsfähigkeit ist nicht intellektuell, sondern vor-bewusst – das Kind merkt es halt. - Adam nimmt ebenso vor-bewusst wahr, dass weder Gott noch die Tiere Seinesgleiche sind. - Aber Adam merkt wie ein Embryo im Mutterleib, dass er von etwas Größerem schützend umfangen wird – dies wäre ein Bild für das Umfangensein des Drinseins durch das Sein, also dem Zustand von Schöpfer und Schöpfung vor dem Essen vom Baum. – Adam nimmt weiterhin die Gefährtin auf ebenfalls vor-bewusste Weise als Seinesgleiche wahr. Man ist vom selben „Bein“ (2,23), „nackt“ und „schämt sich nicht“ (2,25) – es ist halt so.
Erst nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis „erkennen“ sie, dass sie nackt sind. Im Umkehrschluss (von 2,25) bedeutet dies, dass sich beide in Folge ihrer Erkenntnis schämen – sonst würden sie sich nicht „einen Schurz“ (3,7) machen. Und weil Adam mit diesem Erkennen auch seine Gefährtin bewusst erkennt, kann er sie benennen, ihr also den Namen Eva geben (3,20). - Die Aktivierung der Ebenbildlichkeit im eigenen Bewusstsein erlaubt also das Erkennen der Ebenbildlichkeit im Gegenüber. - Dies ist der Moment, in dem sich die Realitätsebene des Daseins von der Realitätsebene des Seins trennt – Adam und Eva lösen sich vom „Drinsein“. - Beide Realitätsebenen sind existent, aber das Sein umfängt nicht mehr das Dasein. Es gibt keinen „Holon“ mehr.
Warum nun geht Scham mit Erkennen einher? - Psychologisch versteht man unter „Scham“ die Erkenntnis des „Versagens vor einer Idealnorm“. Scham ist demnach eine Folge von Erkenntnis - somit ist Erkenntnis die Voraussetzung für Scham. Auch hier ein menschliches Beispiel: Kinder sind erst schamfähig, nachdem sie in ihrer Entwicklung das nötige Maß an erkennender Selbst-Wahrnehmung dazu haben.- Aber warum schämt sich ein heranwachsendes Kind überhaupt wegen seiner Nacktheit vor anderen? Vor welcher „Idealnorm“ „versagt“ es? – Zur Beantwortung dieser Frage zurück zu Adam und Eva: Die Idealnorm, vor der Adam und Eva versagen, ist Gott. Da aber der Mensch durch den eingehauchten göttlichen „Lebensatem“ Abbild Gottes ist, ist es das Göttliche im Menschen, vor dessen Idealnorm der Mensch ebenso versagt. – Eine weitergehende Frage ist dann: Warum überhaupt bezieht sich Scham auf die Geschlechtlichkeit? – Weil das Geschlechtliche wesensmäßig verbunden ist mit der göttlichen Gabe der Wieder-Schöpfung durch die Schöpfung (also Zeugung und Geburt) - diese Gabe wird mit dem Erkennen zu einer erkannten Gabe. - Das Dasein wird also erkennungsfähig für die göttliche Schöpfungskraft des Seins im Dasein. Damit wird das Dasein schamfähig in einem göttlichen Feld, vor dessen Idealnorm es versagt hat.
Wie eng „Erkennen“ und „Körperliche Vereinigung von Mann und Frau“ verbunden ist, zeigen die Bedeutungen des hebräischen Wortes „jada“, das sowohl „erkennen“ (im heutigen Sinne), als auch „beischlafen“ heißt (in den Nebenbedeutungen von „an die Hand nehmen“ und „vertraut sein“, was zumindest per analogiam in Begriffsgebiete wie „trauen“ und „treu“ führt). – Ruft man sich ins Gedächtnis zurück, dass unter ontologischen Gesichtspunkten „Erkennen“ die bewusste Unterscheidungsfähigkeit zwischen verschiedenen Realitätsebenen bezeichnet, dann ist beides, „Erkennen“ im geistigen Sinne und „Erkennen“ im Sinne von Beischlaf, Ausdruck eines erkannten Zusammentreffens von Sein und Dasein. Geschieht dieses Zusammentreffen in Reinheit des Daseins dem Sein gegenüber, entfällt die Scham – dies gilt sowohl für geistiges wie auch für körperliches Zusammentreffen.