Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Literatur, Malerei, Bildhauerei
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Nevis

Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Hier möchte ich nun so nach und nach die Geschichte meiner ersten Fahrt in die Bretagne erzählen.
Es war im Jahre 1969, im Jahre der Mondlandung.
Und die Bretagne war für uns damals terra incognita.
Unbekannter noch als der Mond.
Plouguerneau hieß das Städtchen, das wir ansteuerten.
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Ich beginne nun mit der Erzählung.

Grund unserer Reise war nicht Urlaub oder Tourismus, sondern ein Familienbesuch, sozusagen.

Nach 1945 war mein Heimatstädtchen französisch besetzt gewesen. Es gab Einquartierungen, und ein junger französischer Soladat aus der Bretagne hatte sich mit seinen "Gast-Eltern" soweit angefreundet, dass er wie ein echter Sohn behandelt wurde.

Er kam später immer wieder zu Besuch, und lud seine Gast-Eltern immer wieder herzlich ein, sie sollten ihn doch auch in der Bretagne besuchen.

Doch sie trauten sich nicht.

Sie hatten weder Auto noch Führerschein, und konnten auch nicht französisch reden.

Aber dann, 1969, fassten sie Mut.

Meine Schwester hatte um diese Zeit gerade ein Auto gekauft, und sie dachten so:

Mit meiner Schwester als Fahrerin und mit mir als Dolmetscher könnten sie die Reise quer duchs unbekannte Frankreich wagen.

Und sie wagten.

Und so fuhren wir quer durch Frankreich - bis ans Ende der Welt.

Bis nach Finistère.
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Nach meiner Erinnerung war es der 16. Juli 1969, als wir in aller Herrgottsfrühe aufbrachen.

Das Datum hat deshalb eine Bedeutung, weil unsere Reise kurz nach dem französischen Nationalfeiertag begann.

Und in all den verschlafenen Dörfen und Städten, durch die wir am frühen Morgen kamen, waren noch die blau-weiß-roten Dekorationen des 14. Juli zu sehen.

Das Elsass war uns ja noch bekannt.

Erst jenseits der Vogesen betraten oder befuhren wir Neuland.

Und unser erster Eindruck von Innerfrankreich war keineswegs erfreulich .....
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Es war so:

Im Elsass sahen wir vor allem nette kleine Dörfer, Fachwerkhäuer und Blumen.

So wie wir das Elsass verließen, änderte sich das Bild.

Die Dörfer erschienen uns eher abweisend mit ihren kahlen kalten grauen alten Mauern, oft fensterlos zur Straße hin, und ohne jeden Blumenschmuck.

Und je weiter wir ins Landes-Innere kamen, je kahler, grauer, öder und schmuckloser wurden die Dörfer.

Am schlimmsten war das dann vor und im Großraum Paris.

Wir dachten logischerweise: Wenn sich das nun konsequent so fortsetzt, dann gibt es in der Bretagne nur die hässlichsten aller Baracken.

Auf was hatten wir uns da nur eingelassen!

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Doch nach Paris änderte sich das Bild. Dörfer und Landschaften wurden zunehmend wieder schöner und schöner! :Herz2:
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Erst aber galt es, Paris möglichst weiträumig zu umfahren.
Wir hatten einen Heidenrespekt vor dieser "Agglomeration".

Erst 1970 dann wagten wir uns mit dem Auto mitten ins Zentrum dieser Weltstadt.
1969 aber nahmen wir den Weg über Melun und Fontainebleau.

Und nach einer Gedenkminute für Napoleon steuerten wir Chartres an.
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Nach einer Nacht in Chartres erreichten wir dann am nächsten Tag den Mont Saint Michel.

Zum Glück konnte ich den Mont Saint Michel in all seiner Pracht wahrnehmen und genießen.
Er ist das Symbol der Bretagne - und lag früher auch auf bretonischem Grund und Boden.

Dass er nun in der Normandie liegt, hat er einem kleinen Grenzfluss namens Couesnon zu verdanken, der eigenwillig seinen Lauf änderte.

So geht der alte Spruch:


Le Couesnon dans sa folie
a mis le Mont en Normandie.


Übersetzt etwa:

Der Couesnon - in seiner Blödheit - hat den Berg in die Normandie versetzt! :weia

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Wir waren also so gut wie da.
Dachten wir!

Doch unser Ziel war ja nicht der Mont Saint Michel, sondern ein Dorf namens Plouguerneau.
Und dieses Plouguerneau lag und liegt in Finistère.
Und Finistère heißt wörtlich: Das Ende der Welt.

Ein treffender Name.

Diese Gegend war früher wirklich das Ende der bekannten Welt.
Und so fuhren wir also weiter - bis ans Ende der Welt .....
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Der Weg vom Mont Saint Michel bis nach Plouguerneau zoooooooooooog sich ..... und zooooooooooooog sich ..... und zoooooooooooog sich.

Damals gab es dort noch keine Autobahn und auch keine Schnell-Straße.

Mir schien, als ob die Straßen dort alle nur etwas besser aspaltierte Feldwege waren, die in Kurven und Schlangenlinien in weiten Bögen um alle Felder des Landes herumführten.

Bis ans Ende der Welt ....

Aber schließlich schafften wir es bis an die Westküste von Finistère.

Und wurden reich belohnt.

Wir waren nun zu Gast bei einem der reichsten und mächtigsten und angesehensten Bauern des Dorfes.

Er hatte für seine 5 Kinder mal eben so nebenbei ein 5 schöne Ferienhäuser über einer ebenso schönen Meeresbucht erbaut.

Eines bewohnte gerade der Monsieur l' Abbé, der uns eingeladen hatte.

Und wir waren im Ferienhaus einer seiner Schwestern untergebracht - mit herrlichem Blick auf das Meer, das stets seine Farbe wechselte - von tiefblau bis smaragdgrün changierte - und mit Blick über Wiesen mit leuchtend-strahlenden Blumen.

Alle Farben schienen unter dem Himmel der Bretagne viel intensiver zu sein.

Gerne erinnere ich mich auch jetzt noch an den stets goldgelben Ginster und das tiefe Violett des Heidekrauts.

Es war paradiesisch.

Und in diesem Paradiese, an einem rein-weißen Strande, traf dann der Baum des Waldes eine Fee der Bretagne ...

An der Grève Blanche ...

*träum*
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Es war an der Grève Blanche, am weißen Strand von Plouguernau, an meinem ersten Tag am bretonischen Meer:


Ich lag am Strande so für mich hin,
und nichts zu suchen, das war mein Sinn.

Da sah ich draußen im Meer auf einem Felsen eine schöne junge Bretonin sitzen. Als wie eine Loreley. Mehr so beläufig dachte ich: Früher oder später könnte ich vielleicht mal versuchen, mit einer Bretonin ins Gespräch zu kommen.

Aber schon in der nächsten Milli-Sekunde schoss mir dieser Gedanke durch den Kopf:

Wann - wenn nicht jetzt?
Wo - wenn nicht hier?
Wer - wenn nicht du?
Wen - wenn nicht sie?

Und der Baum des Waldes erhob sich vom Sande des Strandes des Meeres und wandelte - nicht auf, sondern durch das Wasser - dahin zum Felsen der Fee.

Ihr glaubet, am Ende verschlängen
die Wellen Waldbaum und Kahn?
Und das habe mit ihrem Singen
die Fee der Bretagne getan?

Weit gefehlt. Oliver Kahn war damals nicht mit dabei - er war zu jener Zeit gerade etwa einen Monat alt.

Nein, die Wellen blieben friedlich, und die Fee des Felsens begrüßte schon aus der Ferne mit freundlichem Lächeln den frohen Fremdling.

Und ward dies der Beginn einer lebenslangen bretonisch-badischen Freundschaft. :Herz2:

Und es war diese Fee wie ein Inbegriff der Bretagne:

Sie hatte einen sehr bretonischen Vornamen, und einen noch bretonischeren Familien-Namen. Übersetzt: Die Tochter des regierenden Adlers.

Sie war noch mit der bretonischen Sprache aufgewachsen, was schon damals selten war.

Und ihr Aussehen war das einer Bilderbuch-Bretonin.

Kenavo!
Nevis

Re: Kenavo! - Auf dem Weg in die Bretagne ...

Beitrag von Nevis »

Ja, es war der Beginn einer lebenslangen bretonisch-badischen Freundschaft. :Herz2:

Wir haben uns noch mehrfach besucht, in der Bretagne, in Baden, und an der Loire.

Warum an der Loire?

Sie hat später geheiratet und ist an die Loire gezogen.

Ich weiß noch, wie sie mir von ihren Heiratsplänen erzählte und dazu sagte: "On va pas couper les bandes." Also: "Unsere Freundschaft wird deshalb nicht enden."

Ich habe sie also auch an der Loire besucht und habe auch ihren Mann und ihre Kinder kennengelernt.

Und im Herbst des Jahres 2006 bin ich wieder an die Loire gefahren.

Um Blumen auf ihr Grab zu legen ...
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