Hiob hat geschrieben: ↑Mi 22. Jul 2020, 00:57
Claymore hat geschrieben: ↑Di 21. Jul 2020, 23:23
Aber selbst wenn es so ein "Sein" gäbe
Natürlich gibt es das: Alles, was "ist", egal ob wir es zu kennen glauben oder nicht, ist "das Sein". Eigentlich ist das doppelt gemobbelt ausgedrückt - aber wie kann man so was anzweifeln? - Meinst Du, dass "das, was ist", ausschließlich menschlicher Wille und menschliche Vorstellung ist?
das "so ein Sein" war eine Bezug auf das, was direkt darüber stand:
Claymore hat geschrieben: ↑Di 21. Jul 2020, 23:23
absolute und von Menschen perfekt konzeptionalisierbare Sein
Claymore hat geschrieben: ↑Di 21. Jul 2020, 23:23
steht für Hiob über allem, sogar über den Göttlichen selbst.
Nein: Gott IST selber das höchste Sein, wenn es ihn gibt.
Die Essenz Gottes zu verstehen, hieße seine Existenz als selbst-evident zu begreifen. Das steckt in Anselm's Gottesbeweis: Wenn er als das höchste Sein
verstanden wird, wie könnte er nicht existieren? Der Beweis ist deduktiv nicht falsch, nur setzt er etwas voraus, was wir nicht
wirklich verstehen: das höchste Sein.
Offensichtlich meinst du Essenzen begreifen zu können ohne dich deiner Sinne bedienen zu müssen (wie könnte man sonst behaupten zu verstehen, was durch gewöhnliche Erkenntnis nicht erreichbar ist -- die "absolute Wirklichkeit"?). Wie ein Engel.
Dass sowas mit der Sympathie für ontologische Gottesbeweise Hand in Hand geht, sieht man auch bei Descartes. Warum also hier der plötzliche Stopp?
Claymore hat geschrieben: ↑Di 21. Jul 2020, 23:23
Das ist seine große nicht hinterfragte Setzung.
Das ist schon hinterfragt - man muss nur fragen, ob die Alternative "Welt als Wille und Vorstellung" die richtigere Setzung ist.
Und das ist wohl als rhetorische Frage gemeint? Deine manierierte Wortwahl lässt nichts gutes erhoffen.
Hier mit "Alternative" zu kommen geht doch nur, wenn man bereits voraussetzt, dass die Annahmen und Überzeugungen im eigenen Geiste ein ominöses "was wirklich der Fall ist" ist, spiegeln
könnten.
Das ist so grotesk wie ein Einrad einem Fahrrad vorzuziehen.
Von Alters her haben die Menschen schlicht gesagt "Honig ist süß". D. h. bis zur Frühmoderne, seit der es en vogue ist, Süße als ein Produkt des menschlichen Wahrnehmungssystems anzusehen. Wo befindet sich Süße also nun? Ist sie subjektive Projektion? Oder eine Art Relation zwischen Mensch und Objekt der Wahrnehmung?
Egal, in beiden Fällen lebt bzgl. qualitativer Eigenschaften jedes Lebewesen in seiner eigenen Welt. Was bleibt übrig, wenn wir das "Lebewesen entfernen" (Galileo)? Da muss man wohl zu den quantitativen und messbaren Eigenschaften übergehen, um zum "absoluten Sein" zu kommen, das unabhängig von "Vorstellung" ist.
Aber da ist das große Problem der Wandel, Veränderung. "Das, was wirklich der Fall ist" basiert auf der fragilsten aller Kontinuitäten: zwischen Nicht-mehr-Sein (Vergangenheit) und Sein (Gegenwart).
Unser logisches Denken kann sich nicht von der Annahme der Selbst-Identität von Objekten lösen. Es ist ihm schlichtweg unmöglich. Auch mit den subtilsten mathematischen Methoden scheitert man kurz vor dem eigentlichen Ziel.
Wenn man eine irrationale Zahl als Äquivalenklasse von Cauchy-Folgen definiert, hat man doch nur die unendliche Menge aller möglichen Prozesse (in eine "stroboskopische" Zeit gepackt, d. h. nur abgebildet zu diskreten Einzelmomenten) sich x anzunähern mit x gleichgesetzt. Es ist eine raffinierte formale Konstruktion, aber konzeptionell schlägt sie nicht die Brücke zwischen der Vielheit der Veränderungen zur Einheit des vollendeten Seins und umgekehrt.
Infinitesimale Größen, selbst in höchster mathematischer Strenge und Präzision ausgearbeitet (z. B. von Abraham Robinson), setzen auch bloß versteckt voraus, was wir konzeptionell nicht fassen können. Sie sind weder das nicht mehr weiter teilbare, Vollendete noch beschreiben sie die Vielheit des tatsächlichen Wandels.
Unser Erleben, egal ob durch Descartes' genius malignus oder durch eine "echte" Welt erzeugt, das können wir so oder so nicht mit unserer Vernunft konzeptionalisieren. Denn Veränderung ist für uns nicht logisch fassbar, nur erlebbar. Umgekehrt können wir nicht durch die Sinne erfahren, was die Realität qualitativer Eigenschaften ist, die unser ganzes Erleben ausmachen (die quantitativen Eigenschaften sind Abstraktionen, die auf diesen aufbauen).
Das Postulat einer absoluten Wirklichkeit im metaphysischen Sinne hilft daher niemandem durch das "Meer des Wandels" zu navigieren. Es ist ein gänzlich erstarrtes und undurchsichtiges Konstrukt, das sich sein Prestige und seine Autorität allein beim Verständnis von Wirklichkeit, wie praktisch gelebt -- flexibel und intuitiv verständlich --, ausgeliehen hat.
Claymore hat geschrieben: ↑Di 21. Jul 2020, 23:23
Aber selbst wenn es so ein "Sein" gäbe, und nur EINEN Weg richtig zu liegen (seltsam so etwas statisches als "Weg" zu bezeichnen?), d. h. EINEN der unsere Konzepte perfekt in Deckung mit dem Sein bringt, folgt daraus nicht, dass es nur EINEN Weg liegt, richtig zu handeln.
Auf der Wahrnehmungsebene des Menschen kann man immer nur versuchen - denn es gibt keine Möglichkeit, Wahrnehmung wesensmäßig auf die Dimension des Seins zu bringen. - Das höchste Ziel kann sein, mit seiner Wahrnehmung (zu der auch geistliche Wahrnehmung gehört) authentisch zum Sein zu sein. - Dies ist auf unterschiedlichen Wegen möglich.
Wenn man das ganze ernst nehmen würde, dann wären alle Kriterien dafür ganz genauso bloßes Kaffeesatz lesen. Ansonsten wüsste man ja wenigstens eine Sache sicher über die "absolute Wirklichkeit": was der richtige Weg ist, sich ihr authentisch zu nähern.
Claymore hat geschrieben: ↑Di 21. Jul 2020, 23:23
Es ist der eine Fehler aus dem rigoros der ganze deprimierende Rest folgt.
Ich halte es eher für einen Fehler, absolute Wirklichkeit zu negieren. - Und ich halte es für depremierend, wenn man Wahrnehmung mit Sein gleichsetzt. -Aber ich bin nach dem ersten Schock inzwischen drüber weg - es scheint eine Zeiterscheinung zu sein. - Geht rum.
"An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." (Joh 7:16)
Dein immer gleiches Manöver ist, mit dem intuitiven Begriff von Wirklichkeit zu starten ("Verschwindet etwa dein Kühlschrank wenn du aus der Küche gehst?"). Diesen umterm Tisch mit deiner metaphysischen absoluten Wirklichkeit auszutauschen. Und dann nach Belieben die Möglichkeit radikalen Irrtums von Menschen als Killer-Einwand zu bringen.
Nach Belieben. Denn wenn du es ernst nehmen würdest, dürftest du dir z. B. kein als objektiv präsentiertes Urteil über Trumps "Authentizität zur Wirklichkeit" erlauben. Es könnte ja sein, dass er authentischer zur "absoluten Wirklichkeit" ist als der ganze Rest der Menschheit.
D. h. all das langwierige philosophische Manövrieren dient am Ende allein dazu, das subjektive ästhetische Urteil des Bildungsspießbürgers als irgendwie "objektiv" einzuschmuggeln.
Was immer es für fragwürdige erkenntnistheoretische Modeerscheinung geben mag (keine Ahnung was du mit "Wahrnehmung mit Sein gleichsetzen" vermitteln willst), die schießt den Vogel ab.