Das Ende der Aufklärung?

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Sunbeam
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 13:17
Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 08:57 Und da die Kirchen offensichtlich nicht grundlegend Reformfähig oder Reformwillig sind, so wird sich der Säkularisierungsprozess fortsetzen und wohin das führen wird, das weiß wohl kein Mensch zu sagen.
Unter "Reform" wird heute weitgehend verstanden, dass sich die Kirche der säkularen Gesellschaft anschließt. - Da kommen dann so Sätze wie "Die Kirchen müssen glaubwürdig für die Gesellschaft sein". - Nein, müssen sie nicht - das Gegenteil kann sogar richtig sein.
Dazu eine kleine Reminiszenz: Ein Ehepaar mit dem wie seit Jahren eng befreundet sind, das kritisierten auf dem letzten evangelischen Kirchentag dieses höchst seltsame "Vulvamalen", nicht weil sie prüde sind, sondern meinten, die Kirche habe wohl andere Schwerpunkt als die einer Vagina auf Papier, daraufhin wurden sie gefragt, ob sie diese Veranstaltung provozieren wollen, und wie es so Usus bei den Christen ist, ihr Christsein wurde in Zweifel gezogen. Sie sind heute in einer Freikirche und weiterhin aktiv tätig, sie kümmern sich um die Nöte alleinstehender kinderreicher Frauen in den Schwerpunkt-Wohngebieten.

So viel zum Umgang einer anscheinend von allen guten Geistern verlassenen Kirche mit ehrlicher Kritik, einer Kirche, die sich noch schneller "entleert", als die RKK (schuldigung für den doppelten Wortsinn).
Hiob
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Hiob »

Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 15:27 So viel zum Umgang einer anscheinend von allen guten Geistern verlassenen Kirche mit ehrlicher Kritik, einer Kirche, die sich noch schneller "entleert", als die RKK
Das würde in die gesamt-gesellschaftliche Frage der heutigen Bildersturm-Tendenzen führen. - Wenn ich Dein Beispiel richtig verstehe, wurden Deine Freunde einem inzwischen hegemonialem Political-Correctness-Sturm ausgesetzt, der säkularen Ursprungs ist.

Man denke nur daran, dass man heute geschichtsvergessen Bismarck-Statuen umstürzen will (und andere Statuen tatsächlich umstürzt) und jegliche "Mohrenstraßen" ersetzen will. Mir sympathische Leute haben vorgeschlagen, alle "Mohrenstraßen" in "Möhrenstraßen" umzu benennen, weil dies die billigste lösung wäre und zudem politisch korrekt wäre, weil damit der veganen Ernährung eine Würdigung verliehen wäre. :D

Was die EKD angeht, gibt es dort extreme Kämpfe. - Da die "liberale" Seite, die homosexuelle Ehe für Pfarrer einführen will, dort bibeltreue Konservative, die mehr und mehr in evangelikale Gruppen abdriften - das gilt auch für eine Freundin, die letztes Jahr als evangelische Pfarrerin pensioniert wurde und sofort ins evangelikale Lager wechselte.

Das kommt halt davon, wenn man keine durchgängige Fundamental-Theologie hat, weshalb mir die RKK diesbezüglich weit näher steht. - Problem: Deren Fundamental-Theologie wird meisten nicht verstanden (nicht einmal von den meisten Theologen selbst :D ), weil die Schwerpunkte heute andere sind. - Würden sich heute die "Modernen" innerhalb der RKK durchsetzen, gäbe es sofort ein Schisma innerhalb der RKK, indem es so etwas Ähnliches gäbe wie damals die Abspaltung der Alt-Katholiken.

Unterm Strich bedeutet dies:
1) Aufklärung
Bevor nicht geklärt ist, was man mit "Aufklärung" zukünftig meinen will, ist eine Diskussion sinnlos, ob "Moderne" oder Traditionalisten aufgeklärter sind.

2) Pastorale I
Solange nach außen kompakt erscheinende kirchliche Gruppierungen innerlich so zerrissen sind, braucht sich keiner zu wundern, wenn die Leute austreten.

3) Pastorale II
Die Rettung besteht teilweise umgekehrt darin, dass die Seelennöte von immer mehr Mensche immer größer werden (sagen unsere katholischen Pfarrer-Freunde), dass die Notwendigkeit der Kirche über diesen Hintereingang immer ersichtlicher werden kann.
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Sunbeam
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:00
Bevor nicht geklärt ist, was man mit "Aufklärung" zukünftig meinen will, ist eine Diskussion sinnlos, ob "Moderne" oder Traditionalisten aufgeklärter sind.
Meinst du nun das Ende der Aufklärung, oder das ende der Aufklärung. Ich meine, das waren damals schon intelligente, mutige und auch ehrliche Menschen, die diese Aufklärung angestoßen haben, sozusagen. Außerdem sehe ich die Aufklärung als geschichtliche notwendig und auch folgerichtig an.

Aber mit der Vernunft als universelle Urteilsinstanz wird es auf diesem Planeten wohl niemals so richtig funktionieren, einmal so gesagt.
Denn Vernunft beinhaltet auch immer den Begriff der Erkenntnis, und allein hier beruft sich jeder auf seine höchsteigenen Instanzen, und hier sind wir Menschen dann, einmal etwas drastisch formuliert, angeschissen bis zum jüngsten Tage.
Vielleicht auch - weil wir einfach nur Menschen sind, meiner bescheidenen Meinung nach eine primitive, grausame und oft bestialische Spezies.
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Hiob »

Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:24 Aber mit der Vernunft als universelle Urteilsinstanz wird es auf diesem Planeten wohl niemals so richtig funktionieren, einmal so gesagt.
Denn Vernunft beinhaltet auch immer den Begriff der Erkenntnis, und allein hier beruft sich jeder auf seine höchsteigenen Instanzen
Richtig - und diese Instanzen müssen definiert werden. - Das geschieht natürlich auch heute, jedoch nur im Sinne, was sie ist, und nicht, was sie NICHT ist. - Konkret: Mir ist es in anderen Diskussionen nicht gelungen zu vermitteln, dass auch die anthropogen-vernünftige Aufklärung präjudizierend ist. - Nicht, dass dies schlimm wäre (es geht gar nicht anders. -Schlimm und unaufgeklärt ist, dass es geleugnet ist. Eine unaufgeklärte Aufklärung? Geht das?
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Sunbeam
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:58
Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:24 Aber mit der Vernunft als universelle Urteilsinstanz wird es auf diesem Planeten wohl niemals so richtig funktionieren, einmal so gesagt.
Denn Vernunft beinhaltet auch immer den Begriff der Erkenntnis, und allein hier beruft sich jeder auf seine höchsteigenen Instanzen
Richtig - und diese Instanzen müssen definiert werden. - Das geschieht natürlich auch heute, jedoch nur im Sinne, was sie ist, und nicht, was sie NICHT ist. - Konkret: Mir ist es in anderen Diskussionen nicht gelungen zu vermitteln, dass auch die anthropogen-vernünftige Aufklärung präjudizierend ist. - Nicht, dass dies schlimm wäre (es geht gar nicht anders. -Schlimm und unaufgeklärt ist, dass es geleugnet ist. Eine unaufgeklärte Aufklärung? Geht das?
Immer wenn du das Wort - präjudizierend bemühst, dann scheinst du im Zerknirschtheitsmodus deiner Setzungen zu sein...
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Hiob »

Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 17:06 Immer wenn du das Wort - präjudizierend bemühst, dann scheinst du im Zerknirschtheitsmodus deiner Setzungen zu sein...
Ich bin nur dann zerknirscht, wenn sich einer seiner Setzungen nicht bewusst ist UND dies als aufgeklärt versteht. :D
Rembremerding

Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Rembremerding »

Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 13:17 Da hoffe ich, dass "post-modern" auch der Weg zurücksein kann zur echten Aufklärung. - Eine Vision: Würden sich alle Trumps der Welt verflüchtigen und diejenigen übrigbleiben, die Modell-Realitäten kritisch überprüfen würden, wäre dies ein Aufklärungs-Fortschritt gegenüber einer kritiklosen Modell-Aufklärung.
Der Kern der Aufklärung, wie sie gedacht und begonnen, war ja nicht losgelöst von jeglicher Transzendenz. Jene Modelle sollten die Natur, die Welt, wie sie sich dem Menschen zeigt, empirisch und logisch erklären. Es war nicht die Frage, ob sie sich ohne spirituelle Faktoren, ohne einen Gott erklären lässt, der ihr entweder innewohnt oder sie umfasst. Man konnte noch klar das Woher und Wohin vom Wozu und Wie trennen.
Allenfalls stand in der Aufklärung ein deistisches Denken, welche abstrakte Vernunftprinzipien anwandte, dem kirchlichen Christentum gegenüber. Dort sind die jeweils auszulegenden Ereignissen wie Inkarnation und Auferstehung wichtig, die für das Seelenheil des einzelnen von unendlicher Bedeutung sind, obwohl und weil sie in der raum-zeitlichen Welt stattgefunden haben. Demgegenüber besteht das Interesse der Aufklärung darin, moralische Lehren zu entwickeln, die in der menschlichen Vernunft gründen, also nicht auf geschichtliche Vorgänge und deren wechselnde Interpretationen angewiesen sind.
Der Unterschied ist also grob, dass die Aufklärung aus der Moral des Menschen heraus auf ein göttliches Prinzip schließt, das Christentum jedoch die Moral von Gott her dem Menschen zugeeignet postuliert.

Was die Trumps der Welt betrifft: Jene frönen ein orphisches Weltbild, die sich selbst als Heilsbringer, Wahrheitsverkünder und Selbstverwirklicher zum Wohle aller sehen. Aus dieser Sackgasse wieder zurückzuschreiten ist in einem Weltbild des grenzenlosen Individualismus und Freiheit ohne Verantwortung kaum mehr möglich. Lediglich ein Ereignis, dass wieder die Gemeinschaft und die Beziehung als tragfähig durch Krisen etabliert, könnte einen Wandel hervorbringen. Die Covid-Krise, welche durch die "Aufgeklärten" einfach geleugnet wird, wird nicht dazu beitragen, eher der Klimawandel, der seiner Leugnung persönlich betreffende Ereignisse entgegen stellt, die irgendwann in die Erfahrung aller mündet.
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Claymore »

Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:24
Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:00
Bevor nicht geklärt ist, was man mit "Aufklärung" zukünftig meinen will, ist eine Diskussion sinnlos, ob "Moderne" oder Traditionalisten aufgeklärter sind.
Meinst du nun das Ende der Aufklärung, oder das ende der Aufklärung.
:?: :?: :?:
Rembremerding

Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Rembremerding »

Die Aufklärung wird heute oft gepriesen als große Befreiung. Stets als Befreiung von und nicht für. Doch säkulare Befreiung führte ins Gegenteil: Die Gewaltbewegungen der Moderne sind geprägt vom Ungeist falscher Aufklärung, etwa vom Kriegskönig Friedrich II., der Französischen Revolution und die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Warum?

Die angeblichen „Freiheitsgedanken“ sind nämlich in Wahrheit leer und führen ins Nichts und wecken damit die menschlichen Leidenschaften zum Bösen. Aufklärung wurde zum Codewort, hinter dem sich schon sehr schnell die Ablehnung des Christentums versteckte. Durch Ablehnung christlicher Werte ging es nun um den Aufbau einer neuen Gesellschaft nach den Bedürfnissen des Individuums mittels einer rein säkularen Nützlichkeits-Vernunft. Die Nächstenliebe wurde vom Pragmatismus verdrängt. Es geht um Befreiung von äußeren moralischen und ethischen Regeln, die eigentlich zum Schutz der Gemeinschaft und Beziehungen dienen, aber nicht um eine innere Befreiung von der Sünde.

Was man heute unter „Aufklärung“ versteht, ist verwandt mit Liberalismus und Sozialismus. Die Wege sind verschieden, nicht das Ziel. Sie sehen die menschlichen Leidenschaften als von Natur aus gut an. Sie glauben, dass er sich gleichsam zum Schöngeist entwickelt, wenn er nur seine Bedürfnisse befriedigen kann, worunter auch die Sünde fällt. Die esoterische Variante meint den Menschen gar als Gott, dem "man" nur nicht lässt. Um des Menschen Bedürfnisse befriedigen zu können, werden immer neue „Menschenrechte“ postuliert, so etwa das Recht auf das Töten ungeborenen Lebens.

Die Aufklärung steht Metaphysik, Religion und der Erkenntnis von Wahrheit kritisch gegenüber. Sie schweigt oder lästert, wenn es um Gott, Christus und Erlösung geht. Das Programm der Aufklärung im Sinne von Voltaire und Co. ist Selbsterlösung durch Selbstentfaltung. Folglich endet die Aufklärung in der Sklaverei unter Sünde und Leidenschaft.

Der christliche Glaube bleibt jedoch bei der Realität: Der Mensch kann tatsächlich vom guten wissen, weil er ein Geschöpf Gottes, hat die Sehnsucht nach dem Göttlichen in sich, aber ebenso ist er sündhaft. Ohne Selbstbetrug lehrt er nicht eine Selbsterlösung, sondern eine weitaus umfassendere: die Erlösung durch Jesus Christus. Vernunft und Glaube bilden eine Einheit in Wahrheit.

Die Kirche weiß um die Erkennbarkeit von Wahrheit. Die augustinische Anthropologie sieht richtig den Menschen als gefallenes Geschöpf an, dem durch den Hl. Geist in der Kirche die Frohe Botschaft verkündet wird und welche die Erlösung in Christus bringt. Doch die Natur des Menschen ist, wie es in der Enzyklika „Mirari vos“ von Gregor XVI. heißt, „zum Bösen geneigt“.

Die Ideen einer falschen Aufklärung zerreissen die Zügel mit dem die Menschen auf den Pfaden der Wahrheit gehalten werden. Dostojewski sagte: „Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt“. Selbst Horkheimer meinte, dass es ohne den „Gedanken an ein Transzendentes“ schwierig werde mit der Moral. Nationalsozialismus und Kommunismus haben das wohl klar bewiesen.

Warum ist das so? Weil der Mensch zwar gut geschaffen, aber gefallen und seine Natur ist „zum Bösen geneigt.“ Die Frohe Botschaft ist: Aus Sünde und Gottverlassenheit gibt es einen Ausweg: den Glauben an Jesus Christus. Die Kirche verkündet Christus und spendet die Sakramente, damit wir in den Himmel kommen.

Das beste Argument für diesen Glauben an den Herrn ist die Tatsache der Auferstehung Christi. Sie widerlegt den Nihilismus der Aufklärung.
Hiob
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: Sa 15. Aug 2020, 14:36 Das beste Argument für diesen Glauben an den Herrn ist die Tatsache der Auferstehung Christi. Sie widerlegt den Nihilismus der Aufklärung.
Ich kann Deinen Ausführungen folgen und stimme ihnen im wesentlichen zu. - Nichtsdestoweniger: Deinen hier zitierter Satz versteht heute k(aum)einer mehr.

Dies hat damit zu tun, dass seit Generationen die gesellschaftlichen Denkformatierungen anders sind, so dass Deine Denkweise überhaupt nicht mehr VERSTANDEN wird ("Hä? - Was sagt der da?"). - Man ist also nicht einmal dagegen, sondern weiß gar nicht, was das ist. - Dies greift immer mehr in die Theologie über.

In diesem Sinne wird Ratzinger als später Kirchenlehrer und Epigone einer Epoche eingehen.
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