Das war allerdings nicht die Intention. Es gibt einfach gewisse Widersprüche in dem skeptischen Szenario, das Descartes aufbaut. Natürlich handelt es sich bei Descartes um einen extrem korrosiven Skeptizismus, so dass kaum Punkte zum Ansetzen existieren – aber sie gibt es.Hiob hat geschrieben: ↑Sa 18. Sep 2021, 19:27Was Du da gepostet hast, sind anspruchsvolle erkenntnis-theoretische Gedanken - Betonung "anspruchsvoll". - ABER: Sie spielen sich ausschließlich im Wahrnehmungs-Bereich ab (wo auch sonst?). - Mit anderen Worten: Du steigst weitgehend ein, NACHDEM die Aussage von Descartes bereits gelaufen ist (was übrigens bei Descartes oft passiert).
Und dennoch hast du den wirklich wesentlichen Punkt hartnäckig vermieden. Nämlich, dass das ein falsches Dilemma ist. Es ist einfach unzulässig zu sagen “Res extensae sind Einbildung oder echt”. Zwischen binär 0 und 1 ist definitionsgemäß nichts, aber dass hier diese binäre Dichotomie angebracht ist, dafür gibt es kein Argument.Ich vermute immer noch, dass wir uns ziemlich missverstehen, was "skeptisches Szenario" mit Descartes zu tun hat. - Du erweckst den Eindruck, als sei Descartes so etwas wie ein Berufs-Skeptiker, der die Phänomene der Welt von vorne herein in Frage stellt. - Das Gegenteil ist der Fall - und zwar WIRKLICH das Gegenteil: Descartes ist nämlich derjenige, der Phänomene der Welt naturwissenschaftlich qualifizieren will und dies auch - mit mehr oder weniger Erfolg, aber mit festem Wollen - tut. Insofern hätte er seine Freude an Deine Fragen zur Wahrnehmung, etc.
Aber es fehlt ein entscheidender Punkt: Da Descartes ein scharfer Kopf ist, erkennt er, dass all dies nur mit Vorannahmen geht - nämlich dass Res extensae tatsächlich ontisch sind. Wie er nachweist, dass es logisch unmöglich ist zu unterscheiden, ob diese Res extensae "Einbildung" oder "echt" sind, haben wir sattsam diskutiert.
Du rezitierst immer das gleiche, wir drehen uns im Kreis. Nochmal: Wäre es jemals echter Zweifel gewesen, dann könnte man ihn so nicht überwinden.- Und gerade WEIL dies so ist, überwindet er diesen Zweifel mit seinem Glauben "Gott ist ein wohlwollender Gott, der unsere Wahrnehmung nicht geschaffen hat, damit wir getäuscht werden - also macht es Sinn, Wissenschaft zu betreiben, da sie DANN Ontisches zum Gegenstand hat".
Und dazu hin wird wohl niemand behaupten, dass wir nicht Täuschungen der Wahrnehmung unterliegen. Diese lässt der “wohlwollende Gott” also zu. Der Glaube an einen wohlwollenden Gott kann nicht zu einem Glauben an eine unfehlbare Wahrnehmung führen – das wäre absurd. Niemand glaubt, die eigene Wahrnehmung wäre unfehlbar.
Wo aber genau die Grenze zwischen Täuschungen “zu heftig” und “noch ok” für einen wohlwollenden Gott zu ziehen ist, steht in den Sternen!
Glauben auf Knopfdruck bringt gar nichts und ist nur tun-als-ob. Es ist die vorgetäuschte Überwindung vorgetäuschter Papierzweifel mit der Intention hintenrum die eigene Philosophie zu pushen.Mit anderen Worten: Descartes macht sein skeptisches Szenario UN-gültig per Glauben.
Es verschmilzt in dem Sinne, dass unter dem skeptischen Szenario immer bezweifelt werden darf, ob ein angebliches systemisches Ergebnis tatsächlich ein Ergebnis ist, das gemäß den Regeln des Systems erreicht wurde.Trotzdem bleibt Ontisches und Wahrnehmendes/Wissenschaftliches getrennt in zwei Kategorien, die zwar in Einzelfragen überstimmen (wahrscheinlich sogar mehrheitlich), aber nicht verschmelzen - weil man dimensional Unterschiedliches genauso wenig verschmelzen kann wie man 4 Äpfel und 12 Birnen zu 16 Äpfirnen verschmelzen kann.
D. h. es gibt nichts inner-systemisches, das frei von diesen ontisch-Zweifeln ist. All die werden auch da hinein importiert: Du kannst unter deinen Voraussetzungen nicht sagen, das erreichen eines Ergebnisses gemäß den Regeln des Systems wäre ein rein inner-systemischer Vorgang.
Das hilft einem überhaupt nicht weiter, denn “ontische Inzidenz”, “ontische Schäden” sind 100% unsinnige Begriffe in einem korrosiv-skeptischen Szenario, wo sowohl die Existenz von Menschen, Covid19-Viren, Leihmüttern und Kindern durch die Bank problemlos angezweifelt werden darf.Praktisch sind wir uns da einig. - Die cartesischen Grundlagen haben - salopp formuliert - beim Facharbeiter genauso wenig zu suchen wie bei der Hebamme. - Aber sie haben etwas zu suchen bei der Kritik an Erkenntnis-Theorien, die systemische Ergebnisse zu ontischen Größen machen. Einfaches Beispiel: Die 8.500 Inzidenzen der RKI im Raum x für den Zeitraum y SIND nicht die Summe der Menschen, die im Raum x für den Zeitraum y infiziert sind, sondern bezeichnen eine Zahl, die hilfreich ist, um die ontische Inzidenz einschätzen zu können. - Wenn es Studien gibt, die "nachweisen", dass Kinder von Leihmüttern keinen persönlichen Schaden von ihrer leiblichen Entmutterung davontragen, heißt dies, dass dies nach dem Modellaufbau incl. dessen Begriffs-Definitionen so ist - aber es sagt bestenfalls teilweise etwas darüber aus, ob Kinder von Leihmüttern wirklich alias ontisch Schäden davontragen. - Bei etwas Zeit könnte man hier Hunderte an Beispielen für die Differenz zwischen System-/Modell-Nachweis und ontischer Wirklichkeit bringen.
K. A. wo das “alias” hier herkommt. Jede etwas komplexere wissenschaftliche Tätigkeit geht über die bloße sinnliche Wahrnehmung weit hinaus.Insofern hat Descartes zwei Bedeutungen für die Gegnwart:
1) Das Verhältnis von Cogito und Extensae im Sinne der Quantenmechanik - hochinteressantes Thema.
2) Das Verhältnis von "systemisch" und "ontisch" alias "Wahrnehmung" und "Sein".
Man kann abstrakt vielleicht über ein “überzeitliches Ich” spekulieren, aber nur aus der Existenz des Ichs in der Zeit kann man überhaupt auf ein substantielles Ich schließen – und dafür wiederum benötigt es die minimale Akzeptanz einer Außenwelt, die als Zeitgeber fungiert.Richtig. - Deswegen sagt das Cogito nicht "Ich habe immer recht", sondern "Ich bin - mehr weiß ich nicht sicher". - Insofern widerspreche ich, dass das ICH notwendigerweise in der Zeit persistiert. Es tut es sicherlich nach unserer Wahrnehmung - ontisch kann es genauso überzeitlich sein.
Es könnte ja viele kurzlebige Egos geben, die die Erinnerungen immer nur zum nächsten Ego übertragen. Oder zig andere erdenkliche Möglichkeiten.
Denn “cogito ergo sum” ist nur eine Trickserei, die die Struktur der Sprache ausnutzt um einen weitreichenden Schluss vorzutäuschen. Es ist 1:1 das gleiche wie “Canem video ergo ibi canis est” (“Ich sehe einen Hund, also ist dort ein Hund”), nur dass es da jedem auffällt.
Das “cogito ergo sum” ist also dann, wenn es darauf ankommt, d. h. wollte man z. B. Gläubige von Religionen überzeugen, wo die Existenz eines substantiellen Ichs tatsächlich bezweifelt wird (siehe Anatta im Buddhismus), komplett sinnlos.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Descartes “Erst mit der Außenwelt gibt es eine Verankerung des Ichs in der Zeit” jemals zugestimmt hätte.Weil Du ihn nicht verstehst. - Du verstehst nicht, dass er Dir in Deinem Satz zustimmen würde - aber erst, nachdem er klar gemacht hätte, dass er Dir nur deshalb zustimmen kann, weil er per Glauben dazu gekommen ist, in der Praxis so ähnlich wie Claymore zu denken.