Larson hat geschrieben: ↑Mi 10. Nov 2021, 23:54
Die moderne Psychologie will dem Menschen die Verantwortung abnehmen, denn andere sind ja schuld, oder die Not, die Situation, wenn jemand „mist“ baut.
Das stimmt aber so pauschal nicht. Viel mehr ist es doch so, dass eine traditionelles (und falsches) Verständnis von Dämonen eigentlich Menschen von Verantwortung befreit. Deswegen ist man ja auch in der professionellen Theologie und in den großen Kirchen weitgehend davon abgekommen, sich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen, denn man mauschelt lieber mit dem neoliberalen Mainstream der Verantwortungsethik.
Natürlich, wenn man das jetzt bemerkt hat, haben wir hier eine Zwickmühle. Zurück weg vom neoliberalen Denken würde wieder schnurstracks ins falsche Verständnis der alten Theologie führen. Das kann ja wohl kaum die bessere Alternative sein, weil dem als unschuldig definierten Menschen "nur" seine Dämonen auszutreiben mit den Methoden des sogenannten Exorzismus, kann mitunter genau so schmerzhaft und tödlich sein, wie die direkte Bestrafung des als schuldig definierten Menschen unter einer Verantwortungsethik.
Psychologie kann nur richtig und dem Menschen angemessen funktionieren, wenn man sie einerseits seelsorgerisch betreibt und andererseits aber auch sozialwissenschaftlich denkt. Auf die Weise offenbart sich dann auch das komplexe Zusammenspiel von Verantwortung einerseits und Ursachen andererseits. Verantwortung und Ursachen dürfen bei gesellschaftlichen Phänomenen niemals synonym gedacht werden. Diese Klarstellung ist auch etwas, was ich als eine Basis des Evangeliums Jesu sehe. Nicht die Frage nach der persönlichen Schuld, auch nicht die Frage nach Dämonen kommt dem Problem näher, sondern der Glaube, dass Christus die Sünden der Menschen getragen hat. Letztendlich ist es als Gott in Christus, der die Verantwortung für die Welt übernimmt, dennoch aber nicht blind ist für den Wirkfaktor Mensch. Nur geht es dabei nicht mehr um die Schuldfrage.
Als Jesus die Dämonen der Menschen hinauswarf, passierte meiner Ansicht nach Folgendes. Er hat den Betroffenen nicht gesagt "Du bist verkehrt vor dem Angesicht der Welt und Gottes, werde wieder normal", sondern "Du bist normal und geliebt von Gott.". Der "Dämonisierte" war nicht verkehrt, er hatte nur eine falsche Identität von sich selbst als Abweichler und Nichtpassender. Auch sein Umfeld hat ihn vielleicht so gesehen und er hat sich das zu eigen gemacht. Wenn Jesus mit dem Dämon sprach, sprach er nicht mit jemand anderem, sondern mit dem gleichen Menschen nur in Ansprache an eine seiner anderen sozialen Rollen. Jesus hat diese Rolle der als krankhaft definierten Person in ihm neutralisiert.
Larson hat geschrieben: ↑Mi 10. Nov 2021, 23:54
„Dämonen“ ist ein „Befund“ vom NT, im Tenach gibt es diese nicht. Auch Satan als Bösewicht gibt es da nicht. „Satan“ bedeutet Ankläger, hat also die Stellung eines Staatsanwaltes (so der jüdische Begriff), er will schauen, ob sich die Sache wirklich so verhält. Ist also nicht einfach ein Verderber.
Im Tenach wird wohl auch von einem bösen Geist geschrieben (Saul), aber, man staune, dieser kommt von Gott, nicht von einem Teufel.
Oft werden in deutschen Bibel Götzen als „Dämonen“ (zB Elberfelder 5. Mo 32,17) übersetzt (da steht aber Elohim, also Götter), oder als „zottiger Bock“.
Bezogen auf das AT gibt es keine einheitliche Verwendung von Begriffen, die mit Dämonen übersetzt werden. Dennoch halte ich es für irreführend, dem NT eine quasi Neuerfindung anzudichten. Wenn man im traditionellen Verständnis denkt, dann erscheint das ja tatsächlich so, worauf ich auch lange Zeit rein gefallen bin. Natürlich wunderte ich mich dann auch irgendwann darüber, dass diese als Spukerei verstandenen Phänomene so im AT irgendwie gar nicht vorkommen. Als Spukerei verstanden sind sie deswegen scheinbar eine Neuerscheinung im NT, weil sie auf griechischer Sprache basierend auch unter griechischen Warnehmungswelten von Mythologie und Religion verstanden werden und vor allem, weil der Einfluss apokrypher Schriften hier viel stärker wirkte, als die kanonischen Texte.
Auch in der griechischen Sprache sind Götter und Dämonen beinahe synonym, wie ich schon vor einigen Wochen anhand von
Kritias beispielhaft gezeigt hatte. Auch der Begriff Schadai wird manchmal mit Dämon übersetzt. Das kann und sollte aber nicht mit der Idee eines babylonischen Imports hinweg erklärt werden. Der Begriff Dämon scheint viel mehr mit etwas göttlichem konnotiert, obwoh er auch gleichzeitig davon differenziert. Das lässt sich nur zusammen bringen, indem das Dämonische etwas von einem falschen Gott, einem Ersatzgott innehat, jemand der nach biblischem Maßstab nicht Jahwe ist, für den "Dämonisierten" aber den gleichen Stellenwert einnimmt, auch ohne, dass ihm diese Ersatzfunktion bewusst sein muss. Dieser Ersatzgott kann ein Lebewesen sein, oder auch ein totes Ding, oder aber auch nur die falsche Vorstellung (Idealisierung) von Mensch oder Ding. Aber auch die Vorstellung von einem Idealmenschen wie dem Übermenschen, oder der gesunde, starke, leistungsfähige, souveräne und autonome Mensch ist so ein Götzenbild, dessen Widerspruch sich im Kapitalismus besonders entlarvt, weil das Ideal gar nicht für alle erfüllbar sein soll, denn der Kapitalismus schlägt Profit und Krankheit, Zerstörung und Elend und braucht vor allem gehorsame und unkritische Untertanen. Dem Ideal dürfen aber trotzdem alle hinterher rennen, weil nur so in der Hoffnung es zu erreichen das Elend erträglich wird.
Der Begriff Dämon ist also weniger dadurch gekennzeichnet, dass er in die Geheimisse einer alternativen Weltanschauung einführt, sondern dadurch, dass sich die Anbetung des einzigen Gottes abgrenzt von der Unterwerfung unter Pseudogottheiten und falschen Idealen.