Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Philosophisches zum Nachdenken
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Paul
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Paul »

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JackSparrow
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von JackSparrow »

Paul hat geschrieben: So 6. Mär 2022, 12:08in ungefähr so... wir wissen es zwar noch nicht, aber wir weden es beweisen
Falsch. Mit jeder widerlegten Hypothese wächst unser Wissen über das Universum, und die Anzahl widerlegbarer Hypothesen vermehrt sich kontinuierlich, seit die ersten Vorsokratiker anfingen über das Universum nachzudenken.
Hiob
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

JackSparrow hat geschrieben: Di 8. Mär 2022, 19:42 Falsch. Mit jeder widerlegten Hypothese wächst unser Wissen über das Universum, und die Anzahl widerlegbarer Hypothesen vermehrt sich kontinuierlich
Wenn Du auch das Verrennen in Irrtümern als Weg zur Wahrheit verstehst, hast Du recht.
Claymore
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Bei Dir klingt "baut auf" wie "was danach kommt, ist besser/weiter". Dieser wäre ein grandioses Missverständnis.
Nein.

Natürlich kann ein Philosoph auch auf der Basis einer anachronistischen oder stark verzerrenden Interpretation eines historischen Philosophen, geniale neue Wege gehen.

Aber die Debatte darüber, was Philosophen bedeuten, kannst du nicht aus der Philosophiegeschichte heraus trennen. Das ist der hermeneutische Zirkel: Verständnis, was einzelne Philosophen meinten, führt zu Verständnis der Ideengeschichte, und was in dieser Philosophen bedeuteten.

Als erster Schritt – und dann zurück in die andere Richtung. Und dann kann man den Zirkel von neuem beginnen.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Mein Problem: Ich kenne weder Descartes noch Kant so professionell, dass wir über geistige Umfelder streiten könnte, in der beide schreiben. Ob also Dein Verständnis zwar eng auf ein Zitat bezogen richtig ist, aber im großen Kontext nicht, oder ob Kant wirklich ein Vorgänger von denen war, bei denen alles relativistisch ist. Letzteres kann ich mir nicht vorstellen, weil bei Kant so viel dagegen spricht.
Kant ist eh widersprüchlich. Das war sicher nicht als “das eine schlagende Argument” gedacht.

Sondern eher als eine Inspiration, Anstoß, Ermutigung für dich, dass auch du mal irgendwie deinen Standpunkt belegst.

Und du nicht auf der Ebene der reinen Behauptungen stecken bleibst.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21 Nein, darum geht es mir nicht. - Es geht mir darum, dass nach Deinem Verständnis von Kant die Natur nicht mehr nötig ist, weil sich alles zwischen "Ding an sich" und "individuums-exklusiven qualitativen Eigenschaften" abspielt. - Wozu Honig, wenn man die Süße des Honigs auch ohne Honig riechen oder schmecken kann? - Und das soll Kant sein?
Ja, das soll er sein. Allerdings gibt es bei Kant stark divergierende Interpretationen bzgl. seines transzendentalen Idealismus. Seine Zeitgenossen und die Leser lange danach haben ihn qualifiziert / moderat phänomenalistisch interpretiert.

Im Gegensatz zu dieser klassischen Interpretation gehen “moderne” Interpretationen in eine wirklich ganz andere Richtung.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Parteiisch unterstelle ich, dass Kant das ontologisch meint - dann ist es nämlich ein super Satz. - Aber wie ist es bei Dir? Gibt es für Dich eine Lichtgeschwindigkeit, mit der Photonen unterwegs sind? Oder ist das nur Deine Vorstellung?
Für mich ist das (1000x erklärt) eine falsche Dichotomie. Ich akzeptiere dein “oder” nicht.
--- Im Grunde klingt das alles genauso skeptizistisch wie Descartes' "Alles, was wir wahrnehmen, könnte Vorstellung sein".
Nur dass Kant nicht “könnte” sagt, sondern “ist” (zumindest gemäß der klassischen Interpretation):
Immanuel Kant: “Kritik der reinen Vernunft” (A 370 f) hat geschrieben:Nun sind aber äußere Gegenstände (die Körper) bloß Erscheinungen, mithin auch nichts anderes, als eine Art meiner Vorstellungen, deren Gegenstände nur durch diese Vorstellungen etwas sind, von ihnen abgesondert aber nichts sind. Also existieren ebensowohl äußere Dinge, als ich Selbst existiere, und zwar beide auf das unmittelbare Zeugnis meines Selbstbewußtseins, nur mit dem Unterschiede: daß die Vorstellung meiner Selbst, als des denkenden Subjekts, bloß auf den innern, die Vorstellungen aber, welche ausgedehnte Wesen bezeichnen, auch auf den äußeren Sinn bezogen werden. Ich habe in Absicht auf die Wirklichkeit äußerer Gegenstände ebensowenig nötig zu schließen, als in Ansehung der Wirklichkeit des Gegenstandes meines inneren Sinnes, (meiner Gedanken), denn sie sind beiderseitig nichts als Vorstellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewußtsein) zugleich ein genügsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Ontologisch ebenfalls gut. - Aber was bedeutet es bei Dir? Gibt es das Universum (also den Raum des Weltalls) nach Deinem Verständnis überhaupt?
Das Wort “sein” ergibt für mich absolut verstanden (= von jeglichem Kontext losgelöst) keinen Sinn.
- Oder allgemein gefragt: Ist die Welt ein anthropomorphes Gebilde?
Die Welt ist psychologisch und pragmatisch gesehen für uns real. Und eine höhere Form der Realität kann es nicht geben.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Du meinst mit "180° verdreht", dass es diametral zu Deinem Verständnis steht. - Nach meinem Verständnis besteht die "kopernikanische Wende" bei Kant in der Erkenntnis, dass - vereinfacht formuliert - das Ontische der Welt nur durch die Offenbarung der anthropomorphen Ausdrucksweisen/Möglichkeiten (über die Bande) erkennbar gemacht werden kann. Und da sehe ich ihn im großen geistigen Kontext sehr wohl in der Nachfolge von Descartes. - Was bedeutet Deine davon um 180° andere Sichtweise?
Wenn er sich in der Nachfolge Descartes gesehen hätte, wo bliebe dann die kopernikanische Wende?

Es wäre nur eine Erweiterung oder Präzisierung des Altbekannten.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Nicht das Gegenteil: Die Entität des Gegenstands muss nach unserer Erkenntnis gerichtet werden, damit wir das, was wir alltäglich Realität nennen, überhaupt wahrnehmen können. - Ist das das Gegenteil von Kant? Würde mich sehr wundern.
Na doch. Weil es ihm nicht um Wahrnehmung ging, sondern um das synthetische a priori.

Wer 5 und 7 Äpfel in den Korb legt, erwartet nachher, 12 Äpfel im Korb zu haben.

Und wenn das erwartete eben nicht eintritt, so wie z. B. bei Volumenkontraktion oder radioaktiven Stoffen, dann weist das uns Menschen doch wenigstens auf eigenartige Kausalgesetze hin.

Das ist die kopernikanische Wende: die Welt folgt der menschlichen Vernunft, als Schöpfung der Vernunft, und nicht die Vernunft der Welt.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Dein Denkfehler: Eine Definition, die ja zwangsläufig anthropomorph wäre, wäre schon wieder etwas, was nach unserem Vermögen gerichtet hätte. Man könnte also "Sein" nur durch den Filter der eigenen Wahrnehmung definieren - genau das ist aber NICHT Sein. - Deshalb ist die Definition mindestens tautologie-nah: "Sein ist das, was auch ohne unseren Filter IST".
Den Filter kann ich mir vorstellen. Aber das kontextbefreite “ist” eben nicht.

Deine “Definition” ist nicht tautologie-nah – eine Tautologie kann man zumindest verstehen – sondern eine komplett inhaltsleere, 100% unverständliche, sinnbefreite Aneinanderreihung von Wörtern.
- Würde man Kants kopernikanische Wende ontologisch verstehen, wäre Kant der Godfather des Solipsismus - das passt nach meinem Verständnis überhaupt nicht.
In der gesamten Geschichte der Menschheit gab es wahrscheinlich nie einen echten Solipsisten.

Bzgl. der etwas bescheideneren Frage “War Kant Phänomenalist?” könnte man allerdings dutzende Kant-Kenner anführen, die eben das bejahen.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Angenommen, Du hättest recht (Ich glaube es NICHT, weil ich Deine Zitate anders lese als Du): Wie würdest Du den Vorwurf des Solipsismus bei Kant ausräumen?
Solipsismus ist die Überzeugung, dass allein das eigene Ich existiert. Kein Philosoph hat das je explizit propagiert. Also auch Kant nicht. Dieser Begriff ist bestenfalls eine polemische Zuschreibung. Man mag die Welt tausendfach zur reinen Illusion degradieren – solange man nur an andere Geister glaubt, ist man kein Solipsist.

Aber den Vorwurf des Phänomenalismus oder des Idealismus gegen Kant, den kann man eben nicht so einfach ausräumen. Dieses Problem war Kant selbst bereits wohl bekannt.
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Es gibt also bei Kant nur das "Ding an sich" und die Vorstellung des Menschen dazu - also ein geistiges Ding an sich und das Cogito und nichts dazwischen, was wir allgemeinsprachlich als "Welt" bezeichnen? Meinst Du es so?
Ja, das wäre die klassische Interpretation:

Mensch (Subjekt) → Körper = Vorstellungen ← Dinge an sich
Hiob hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 00:21Natürlich kann man einfach "nichts" tun. - Goethe ist für seine "Konzilianz", die philosophischer Ausdruck eines "Da, wo mein Blick überfordert ist, gehe ich nicht weiter". Dies kann man unter anderem erkennen, dass er bei Dramenschlüssen gelegentlich Musik erklingen lässt (mir fällt dazu gerade sein "Nausikaa" ein - buchstäblich ausklingen lässt.

Im Grunde löst man dieses Problem im Christlichen mit dem "Du sollst Dir kein Bildnis machen von etwas, was Du gar nicht erfassen kannst". Unsere Zeit neigt zur Version: "Wenn etwas durch unsere anthropomorphen Konstrukte nicht erfassbar ist, lässt man es einfach weg". - Möglicherweise ist dies die Grundlage unserer offenbar sehr unterschiedlichen Herangehensweise.
Oh je, dein Schubladen-Denken. Das hast du wirklich zutiefst verinnerlicht. Auf allen Gebieten. Hier: “unsere Zeit” vs. “die gute alte Zeit”.

Ich lasse nicht etwas weg, nur weil es von unserer beschränkten menschlichen Vernunft nicht erfassbar ist. Wie käme ich denn dazu?

Ich lasse nur menschliche Vernunft-Postulate/Konstrukte weg, die am Ende von der menschlichen Vernunft nicht erfassbar sind.

Du hast nur ein Problem mit einem Kriterium, das doch bescheidener nicht sein könnte: Messe nicht mit zweierlei Maß.

Wer sich auf die menschliche Vernunft beruft, um etwas zu postulieren, der darf die Kritik, die sich auf eben diese menschliche Vernunft beruft, nicht einfach so tout court ablehnen.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Aber die Debatte darüber, was Philosophen bedeuten, kannst du nicht aus der Philosophiegeschichte heraus trennen.
Das ist sicherlich richtig. - Man kann aber auch nicht jegliche logische Fortentwicklung einer Philosophie als "Fortschritt" bezeichnen. Dies geschieht oft - regelmäßig hört man Sätze wie: "In vorwissenschaftlicher Zeit glaubte man, dass Gott die Welt erschaffen habe - heute wissen wir von der Wissenschaft, dass dies nicht so ist". Dies nennt man dann "Fortschritt" und "Aufklärung".
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Die Welt ist psychologisch und pragmatisch gesehen für uns real.
So weit sind wir uns (längst) einig.
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Und eine höhere Form der Realität kann es nicht geben.
Es gäbe also nichts, aus dem diese Realität ist. - Woher kommt dann das Ich, ohne das der Ausdruck "psychologisch gesehen" keinen Sinn machen würde? Kommt es aus sich selbst? Zieht es sich selbst in die Realität wie sich Münchhausen selber an den Haaren aus dem Supf zieht?
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 "Nun sind aber äußere Gegenstände (die Körper) bloß Erscheinungen" (Kant)
Ich bin ziemlich sicher, dass Kant dies NICHT ontologisch meint, sondern als "für uns sind äußere Gegenstände nichts als bloß Erscheinungen" (= "das, was wir als blaues Haus wahrnehmen, kann für einen Lurch ein grünes Haus sein").
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 "denn sie sind beiderseitig nichts als Vorstellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewußtsein) zugleich ein genügsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist" (Kant)
Ontologisch gemeint wäre dies sehr angreifbar. Kant klänge dann wie ein pessimistischer Descartes und ein Vorläufer von SChopenhauer. - Warum aber dann das "Ding an sich", ohne das Kant nicht auskommen kann, obwohl er es gerne würde? - Wenn es sein postuliertes "Ding an sich" gäbe, wäre es doch Wirklichkeit/Realität - oder nicht? - Irgendwas passt da nicht.
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Wenn er sich in der Nachfolge Descartes gesehen hätte, wo bliebe dann die kopernikanische Wende?
Dass Kant vor seiner Wende gemeint haben könnte, dass Dinge der Welt absoluten Charakter haben, in dem sie jeder Wahrnehmende gleich wahrnimmt. Das ist eine Vermutung - ich weiß es nicht.
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Das ist die kopernikanische Wende: die Welt folgt der menschlichen Vernunft, als Schöpfung der Vernunft, und nicht die Vernunft der Welt.
Da wäre Definitionsarbeit nötig. - Wenn die "Welt" der menschlichen Vernunft folgt, muss man "Welt" so definieren, dass dieser Satz stimmig ist. Diese Definition wäre eine andere als "Welt" im christlichen oder ontologischen Sinne. - Dito "Vernunft": Anthropozentrische oder universale Größe?

Mir ist momentan nicht klar, ob sich Kant mehr als Philosoph oder mehr als Erkenntnis-Theoretiker verstanden hat.
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Deine “Definition” ist nicht tautologie-nah – eine Tautologie kann man zumindest verstehen – sondern eine komplett inhaltsleere, 100% unverständliche, sinnbefreite Aneinanderreihung von Wörtern.
Das klingt für mich eher danach, dass Du ganz weit weg vom Kern der Existenz bist. Also nochmal: "Sein ist das, was auch ohne unseren Filter IST". - Wo ist da was unklar?
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Ja, das wäre die klassische Interpretation:

Mensch (Subjekt) → Körper = Vorstellungen ← Dinge an sich
Es wird mir wieder mal klar, was einer unserer Professoren mal sagte: "Auch Kant-Kenner interpretieren Kant gelegentlich komplett unterschiedlich" (das Problem hatten wir ja schon bei Descartes). ---- Wenn man Descartes- oder Kant-Spezialisten zugesteht, dass sie WIRKLICH Spezialisten sind, UND sie komplett unterschiedlich interpretieren, dann ist das doch ein Hinweis, dass dies etwas mit der jeweiligen eigenen Formatierung zu tun hat, nicht wahr?
Claymore hat geschrieben: Mi 16. Mär 2022, 21:22 Ich lasse nur menschliche Vernunft-Postulate/Konstrukte weg, die am Ende von der menschlichen Vernunft nicht erfassbar sind.
Eben - und genau das ist ein Rückschritt. - Kant hat am Ende seines Lebens (ich meine 1797) so was Ähnliches gesagt wie "Ich musste die Vernunft an ihr Ende bringen, um Platz für den Glauben zu haben". Der Weg zur Erkenntnis, dass nicht alles über menschliche Vernunft erfassbar ist, geht also entweder komplett nicht-reflektierend über geistlichen Instinkt oder - bei Kant - über menschliche Reflexion bis zum Ende, um als Schlussstein zu erkennen: "Es gibt Dinge, die mit meiner menschlichen Vernunft nicht erfassbar sind".

Die Quanten-Physiker haben das inzwischen ebenfalls erkannt - sieht Feymans Satz: "Wer behauptet, die Quantenphysik verstanden zu haben, hat sie nicht verstanden".
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Claymore »

Jack Sparrow hat geschrieben: Sa 5. Mär 2022, 21:56Aus dem gleichen Grund, aus dem es für ein Pfauenweibchen vorteilhaft ist, auf die Länge der Schwanzfedern zu achten: Wenn ich mir erlauben kann, mich künstlerisch zu betätigen und philosophische Thesen zu formulieren, dann ist offenbar mein Überleben gesichert und es steht mir ein gewisser Ressourcenüberschuss zur Verfügung.

https://flexikon.doccheck.com/de/Handicap-Prinzip
Wenn man das Ergebnis nicht wüsste, könnte man genau umgekehrt argumentieren: es wäre vorteilhafter, wenn sich die Weibchen in Richtung “weniger oberflächlich” entwickeln würden und gute Gene ohne dieses kostspielige Theater erkennen könnten. Auf der Ebene der ganzen Art Pfau betrachtet wäre das angepasster.

Die Evolutionstheorie kann halt nie etwas konkretes vorhersagen (wäre so wünschenswert während der Corona-Pandemie) und ist i. d. S. enttäuschend.

Für fast jedes Ergebnis und auch für sein Gegenteil ließe sich eine Erklärung konstruieren. Was wohl zu dem mangelnden Konsens und der Zersplitterung in “Schulen” führt, von denen u. a. manche das Handicap-Prinzip ablehnen.

Egal wie: ich denke bei “sexy” nicht an Philosophen. Und Frauen philosophieren ebenso, ohne dass es jetzt wirklich eine weibliche “Parallelphilosophie” gibt.
Ich räume ein, dass mir für Kantsche und Hegelsche Schachtelsätze meine Lebenszeit zu kostbar ist.
Wenn man in diesem Forum postet, scheint man die eigene Lebenszeit nicht allzu hoch einzuschätzen. ;-)
Trotzdem ist ein außerhalb des Menschen zu findendes allgemeingültiges Prinzip nichts anderes als das, was die Religionen als einen Gott bezeichnen - selbst wenn Kant andere Namen dafür hatte.
Das “Ding an sich” weist wohl auf eine “verborgene Welt jenseits des menschlichen Erkennens” hin. Aber das ist doch nicht Gott: Das “Ding an sich” kann den Menschen nicht erlösen und ist kein Standard für Tugend oder Sünde.

Ich mag i. d. S. noch verstehen, dass man Karma mit Gott gleichsetzt (obwohl Karma eine unpersönliche Kraft sein soll) … aber “das Ding an sich”?
Was wir "die Welt" nennen ist das, was unser Gehirn konstruiert. Was aber ohne unser Gehirn existiert kann niemand sagen, der ein Gehirn besitzt. Schopenhauer nannte es "bloße Sinnesdata", aber eigentlich finde sogar das noch ein bisschen zu anthropozentrisch.

Es existiert kein "Ding an sich" ohne jemanden, der sich vorstellt, wie das "Ding an sich" aussehen könnte, und diese Vorstellung ist eben nichts anderes als das, was wir gerade wahrnehmen.
Allerdings gibt es eine bescheidenere, einfachere Vorstellung von der Welt: als Arena unseres Handelns – wir hinterlassen uns überdauernde Spuren im Sand. Als Agora in dem Austausch mit Wesen unseresgleichen stattfindet.

Die Welt existiert in diesem Sinne doch nicht nur als bloßes Konstrukt.

“Die Welt” bezeichnet einmal das beobachtbare Universum, bestehend aus vielleicht 100 Milliarden Galaxien, die wiederum aus vielleicht 200 Milliarden Sternen bestehen.

Wir leben in der Galaxie “Milchstraße”, Sol-System, Planet Erde – “die Welt” schrumpft schnell auf unseren kleinen Planeten Erde, Gaia, zurück. Diese extreme Ambivalenz des Begriffs – nur eine pragmatische Definition kann sie fassen.

Und nun leben wir im Anthropozän: “Wenn wir Gaia zerstören, dann zerstört Gaia uns” – kein Mensch kann sich dem entziehen.

So gesehen ist die Welt sicher auch nicht bloß ein Konstrukt des menschlichen Gehirns.

Streng genommen ist “was wir ‘die Welt’ nennen ist das, was unser Gehirn konstruiert” selbst-widersprüchlich. Denn das Gehirn ist offensichtlich genauso Teil der Welt, und es wird sich wohl nicht selbst konstruieren

Für mich hören sich deine Einlassungen wie eine materialistische Version der cartesischen Philosophie an.
Was wäre denn da die bahnbrechende Erkenntnis… deiner Meinung nach?
1) dass es im Gehirn kein spezielles Zentrum gibt, in dem alle Sinnesdaten kumulieren und wo man ein "Selbst" lokalisieren könnte

2) dass das Denken größtenteils durch Emotionen gesteuert wird, während die Emotionen nur sehr marginal durch das Denken beeinflussbar sind

3) dass die "Persönlichkeit" des Menschen lediglich ein Epiphänomen darstellt, verursacht durch Milliarden individueller Zellen, die sich alle hauptsächlich um ihr eigenes Überleben kümmern
1) Das ist doch auch eine sehr eigenartige Vorstellung. Nur eine verrückte Idee Descartes’.
2) Sehr schwer zu interpretieren, dieser Satz. Was heißt hier “größtenteils”? Größtenteils bzgl. welchen Maßstabs? Gab es nicht viele Berufe, in denen allein mechanisches Denken gefordert war? Da gehen also schon mal 8 Stunden am Tag für emotionsloses Denken drauf! Ja, heute nehmen einem Computer (ursprünglich die Bezeichnung für diese menschlichen Hilfskräfte) die Arbeit dafür ab. Vielleicht stimmt es also bezogen aufs 21. Jh., aber nicht bezogen auf andere Zeitabschnitte.
3) Was die menschliche Persönlichkeit ist, ist doch wohl eine rein philosophische Fragestellung. Ich meine am Ende geht’s doch um die Persönlichkeit ohne Anführungszeichen! Auch ist “kümmern sich um ihr eigenes Überleben” irgendwie seltsam: Der programmierte Zelltod ist doch ein unglaublich wichtiger Prozess im menschlichen Körper.
Wann stellt man jetzt das “Ergebnis” fest, auf das es ankommt?
Ich denke nicht dass es drauf "ankommt". Es ist nur so, dass alle Lebewesen, die heute existieren, auf einem Genom basieren, welches eine erfolgreiche Fortpflanzung ermöglichte. Die Existenz aller anderen Genome wird man heute höchstens noch als Fossil feststellen können - was ja aber kein Problem darstellt, wenn man es selbst nicht als Problem empfindet.
Wie kann es nicht darauf ankommen? Das ist doch der eine, entscheidende Punkt: Was heute noch richtig ist, kann morgen schon falsch sein!

Wenn nach einem dritten Weltkrieg nun die Küchenschabe übrig bleibt, dann spricht das rückwirkend das Urteil über die menschliche Moral und Ethik.

Da ist es irrelevant, dass diese menschliche Moral von Paläolithikum bis 2XXX n. Chr. “irgendwie” funktionierte.
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Paul
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Paul »

zu 1)...das wussten schon die alten buddhisten...btw, res cogitans bedeutet nicht ausgedehnt, womöglich aber auch nicht lokalisierbar im raum :wave:

zu 2)...was hat psychologie in einer rein naturalistischen weltsicht verloren...das egoistische gen und anderes blabla :lol:

zu 3)...epiphänomene haben keine kausale wirkung auf das zugrundeliegende substrat, andernfalls müsste man eine verursachung von oben nach unten annehmen...macht überhaupt keinen sinn, wenn es keinen überlebensvorteil im kontekst der evolutionstheorie darstellt...wem der schuh passt :mrgreen:
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Spice »

Paul hat geschrieben: Mo 7. Mär 2022, 19:31 hegel ist schon eine herausforderung ...habe ich aber hinter mir :mrgreen:
Kann man etwas hinter sich lassen, das geistig fruchtbar ist?
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Spice »

JackSparrow hat geschrieben: Di 8. Mär 2022, 19:42
Paul hat geschrieben: So 6. Mär 2022, 12:08in ungefähr so... wir wissen es zwar noch nicht, aber wir weden es beweisen
Falsch. Mit jeder widerlegten Hypothese wächst unser Wissen über das Universum, und die Anzahl widerlegbarer Hypothesen vermehrt sich kontinuierlich, seit die ersten Vorsokratiker anfingen über das Universum nachzudenken.
Es wächst allerdings nur das Wissen, dass einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsart zugänglich ist. Diese Betrachtungsart kann das Leben selbst nicht erfassen. Das Leben selbst kann nur das Leben erfassen. Das ist etwas Ganzheitliches, Dynamisches. Davon hat der Materialist nicht den geringsten Schimmer.

Zum Beispiel, weshalb wächst der Mensch in der Jugendzeit und dann nicht mehr? Die Nahrung, also der materielle Stoff, den er zu sich nimmt, wächst nicht.
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Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?

Beitrag von Spice »

Paul hat geschrieben: Sa 19. Mär 2022, 08:42 zu 1)...das wussten schon die alten buddhisten...btw, res cogitans bedeutet nicht ausgedehnt, womöglich aber auch nicht lokalisierbar im raum :wave:

zu 2)...was hat psychologie in einer rein naturalistischen weltsicht verloren...das egoistische gen und anderes blabla :lol:

zu 3)...epiphänomene haben keine kausale wirkung auf das zugrundeliegende substrat, andernfalls müsste man eine verursachung von oben nach unten annehmen...macht überhaupt keinen sinn, wenn es keinen überlebensvorteil im kontekst der evolutionstheorie darstellt...wem der schuh passt :mrgreen:
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