Nach einer anderen Überlieferung, die mir besser gefällt, hatte Alexander erkannt, dass er nur den Nagel an der Deichsel herausziehen musste, um den Knoten zu lösen.CoolLesterSmooth hat geschrieben: ↑Mi 12. Jul 2023, 14:27Aber hat Alexander das Problem des gordischen Knotens wirklich gelöst?
Tja, aber hat er es nun gelöst? Kommt darauf an, wie das Problem definiert war. Ist so ähnlich wie beim Ei des Kolumbus.
Bei politischen Debatten fehlt oft eine präzise Formulierung des Problems und es gibt unausgesprochene Nebenannahmen, über den Rahmen in dem sich eine Lösung bewegen darf.
Vieles ist z. B. möglich, wenn man sich von rechtsstaatlichen Grundsätzen wie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip "weniger" stören lässt.
Wobei eben manche Krisen so schlimm sind, dass es mir wert wäre, dieses Opfer in Kauf zu nehmen. Da brauch ich dann keinen "Demokraten", die mir erzählen ich würde Populisten auf den Leim gehen. Das Problem ist mir da schon bewusst, aber ich habe eine andere Abwägung getroffen (ähnliches gilt ja auch für die Impfpflicht, die nie als populistisch bezeichnet wurde - aber ok, das Thema ist vielleicht zu kontrovers, um ein gutes Beispiel zu sein).
Gar nicht so weit von feministischem Denken entfernt, wo auch verkündet wurde, man habe in Island das Problem des Down-Syndroms gelöst. Und damit war keine Heilung oder Behandlung gemeint, sondern eben, dass fast alle Kinder mit Down-Syndrom "rechtzeitig" erkannt und abgetrieben wurden.Er hat das Problem eliminiert, indem er den Gegenstand des Problems zerstört hat, aber eine wirkliche Lösung der Aufgabe, den Knoten zu entflechten war es nicht. Eine ähnlich simple Lösung für das Problem der Kinderarmut wäre es, alle Kinder umzubringen, denn wenn alle Kinder tot sind, gibt keine Kinder mehr, die unter Armut leiden. Kinderarmut mit einem Schlag eliminiert, aber doch irgendwie an der Zielsetzung vorbei.
Sicher kann man an jedem Gegenbeispiel was aussetzen. Allerdings geht's dann wieder Richtung "trivial wahr".CoolLesterSmooth hat geschrieben: ↑Mi 12. Jul 2023, 14:27Auch bei Herrn Marshall bin ich mir nicht sicher ob er wirklich ein komplexes Problem gelöst hat oder ob er mit seiner Lösung gezeigt hat, dass das Problem eigentlich gar nicht komplex war. Aber die Definitionsgrenzen von "einfach" und "komplex" sind wohl zu schwammig, als dass man das klar entscheiden könnte.
Sieht man den Slogan "es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme" als bloße Tautologie an - da komplexe Probleme so definiert sind, dass sie keine einfachen Lösungen haben - dann funktioniert er nicht als Argument gegen die sogenannten Populisten.
Denn woher will man wissen, dass ein Problem nicht nach dieser Definition von "komplex" eben gar nicht komplex ist? Woher soll man denn wissen, dass in der Zukunft keine einfache Lösung gefunden wird?
Aber mal so generell: es ist nicht die Aufgabe des Kritikers, sich einen Reim auf den Spruch zu machen und ihn zu belegen. Das ist eigentlich Aufgabe derjenigen, die diesen Spruch als objektive Wahrheit hinstellen und ihre Argumentation darauf aufbauen.
Entweder ist er eine Tautologie oder eine fragwürdige Heuristik. Und da sträuben sich bei mir eben die Nackenhaare: Von Politikern bis ÖRR-Satirikern, gebetsmühlenartigen rattern sie diesen Slogan runter. Es wirkt doch so, als wolle man Debatten auf der Sachebene vermeiden, einfach voraussetzen, dass "populistische" Lösungsvorschläge falsch sind, die "Populisten" als dumm und sich selbst als "intellektuell" präsentieren, und schließlich ins nebulöse Reich der "komplexen Lösungen" verduften, um sich nicht rechtfertigen zu müssen.
Natürlich ist vieles dumm, extrem dumm. Dieses Forum liefert endlos viele Beispiele - aber ich bin trotzdem für den langwierigen Weg auf der Sachebene, und gegen die Abkürzung (dass sachliche Argumente viele nicht mehr erreichen, ist ein anderes Problem).
Das "Establishment" macht sonst genau das, was es den Populisten vorwirft. Eine einfache Lösung für ein komplexes Problem propagieren.
Es ist das gleiche intellektuelle Gammelfleisch, nur mit anderer Würzung.
Na ja, ein Problem muss nicht gleich vollständig gelöst werden, in der Praxis gibt man sich auch mit einer 95 % Lösung zufrieden. Dass die Trump'sche Mauer natürlich ein aberwitziger Vorschlag war, ist klar.CoolLesterSmooth hat geschrieben: ↑Mi 12. Jul 2023, 14:27 Bezogen auf das Problem des Populismus und seiner "einfachen Lösungen" würde ich hier ohnehin noch eine weitere Unterscheidung hinzufügen, nämlich nicht die zwischen "einfacher Lösung" und "komplexem Problem", sondern zwischen "einfacher Lösung" und "einfacher Lösung". Genauer gesagt zwischen "einfach zu greifender Lösung" und "einfach umsetzbarer Lösung".
"We're going to build a wall and Mexico is going to pay" ist als Lösung für illegale Einwanderung extrem einfach zu greifen. Das Konzept peilt sogar der letzte Depp und "Build the wall!" hat die richtige Anzahl Silben, so dass es sogar die arg herausgeforderten richtig schön stumpf mitgröhlen können.
Aber mal ungeachtet des Problems, dass man mit einer erfolgreich gebauten Mauer an der US-mexikanischen Grenze das Problem der illegalen Einwanderung nicht gelöst hätte, ist die erfolgreiche Umsetzung dieser Lösung für sich genommen bereits alles andere als ein einfaches Unterfangen.
Wie dem auch sei, "Einfachheit" ist ein sehr vager und mehrdeutiger Begriff, und eignet sich daher für allerlei Schabernack.
Man kann die Fibonacci-Reihe elegant in zwei Zeilen mit Rekursion programmieren, oder eben umständlich mit einer Schleife, was aber leicher zu verstehen wäre. Wenigstens ist hier beides richtig.
Es gibt auch noch "emotional einfach und ansprechend, aber in seiner Rationalisierung komplex und verknotet" - das hatten wir schon in einem anderen Thread.
Der lustige Verein Terre des Femmes will z. B. das Verbot des Kinderkopftuchs, und begründet das einmal herrlich einfach mit "damit die Mädchen den Kopf frei haben". Dümmlich zum mitgröhlen: "Kopf frei haben, Kopf frei haben". Für die "Intellektuellen" in dem Verein gibt's aber dann eine komplexe, entsetzlich verschlungene Begründung: "Man muss den Mädchen das Kopftuch verbieten, damit die Mädchen nicht ausgegrenzt werden" - worauf ich ganz einfach fragen würde: warum versuchen denn nicht umgekehrt diese ausgrenzenden Menschen toleranter zu werden?
Kleine Nebenbemerkung: da der Verein "politisch korrekt" ist, würde hier niemand mit der Populismuskeule kommen, was erneut die Beliebigkeit dieses Begriffes nahelegt.
tl;dr es gibt unglaublich viele hoch-pathologische Beispiele von Einfachheit und Komplexität, als dass ich an irgendeine Heuristik à la "für komplexe Probleme gibt es keine einfachen Lösungen" glauben könnte. Ceteris paribus ist Einfachheit, gerne mehrdeutig verstanden, jedoch zu präferieren (aber solche Situationen kann man wahrscheinlich an einer Hand abzählen).