Magdalena61 hat geschrieben: ↑Do 5. Okt 2023, 23:43
Und wo genau ist jetzt dein Problem?
Zum einen weiterhin, dass ihre Aussage es gäbe 56,000 Unternehmensinsolvenzen faktisch falsch ist.
Davon einmal abgesehen,
246.500 Gewerbe sind nicht gerade "nichts".
Stimmt, aber wie muss man diesen Wert einordnen?
Wenn ich dir sage, dass es - fiktiv - an der Kreuzung vor meinem Haus letztes Jahr 200 Verkehrsunfälle gab, dann sind wir uns vermutlich einig, dass das nicht gut ist. Wenn ich dir nun aber sage, dass es im Jahr davor 400 Unfälle waren, sind wir hoffentlich immer noch der Ansicht, dass die 200 Unfälle des letzten Jahres für sich genommen nicht gut sind, aber wir haben auch keinen Grund anzunehmen, dass sich die Situation verschlimmert hätte.
Wenn es also heißt, dass fast 250,000 Gewerbe aufgegeben wurden, ist die erste Frage, die ich mir stelle, wie viele Gewerbe gewöhnlich jedes Jahr aufgegeben werden, denn anders lässt sich nicht feststellen, ob wir in diesem Bereich eine außergewöhnliche Situation vorliegen haben.
In der
ersten Jahreshälfte 2023 gab es also 306,600 Gewerbeabmeldungen, davon 248,300 Aufgaben (246,500 vollständig). Auf das ganze Jahr hochgerechnet wären das 496,600 Aufgaben. Inzwischen sind auch die Abmeldungs-Zahlen für Juli eingetragen, rechnet man davon ausgehend hoch, kommt man auf etwa 487,000 Aufgaben. Da es für die Argumentation keinen Unterschied macht können wir gerne den höheren, also den pessimistischeren Wert nehmen.
Was tippst du, in wie vielen der letzten 25 Jahre war die Zahl der Aufgaben höher? Ich geb dir einen Moment.
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Sie war in jedem Jahr höher, mit drei Ausnahmen: 2020, 2021 und 2022, die Gründe dafür wurden bereits genannt.
2008 hatte man mit etwa 592,200 Aufgaben den Höchsstand erreicht, seitdem geht es Jahr für Jahr (mit wenigen Ausnahmen) kontinuierlich nach unten bis 2019 auf etwa 497,500 Aufgaben. Dann gab es eben den Covidmaßnahmenbedingten Sprung nach unten. Von 2019 auf 2020 hat man ein Aufgabenminus von etwa 65,000. Zuvor lag der größte Sprung bei etwa 20,000.
Bedenkt man vor diesem Hintergrund, dass es jetzt eine gewisse Menge von sozusagen verschleppten Aufgaben gibt, liegt man mit den etwa 487,000 im Bereich der Trendlinie.
Zum Vergleich, wie sieht es eigentlich bei den Anmeldungen bzw. spezieller den Neuerrichtungen aus?
318,700 im ersten Halbjahr 2023, das sind auf das Jahr gerechnet 637,400, bzw. 626,200 vom aktuelleren Stand ausgehend, auch hier können wir den pessimistischeren Wert nehmen. 626,200 Neuerrichtungen wäre der höchste Wert seit 2011.
Rechnet man Neuerrichtungen und Aufgaben pro Jahr gegeneinander auf, käme man (ausgehend von den jeweils pessimistischeren Werten) für 2023 auf ein hochgerechnetes Plus von etwa 129,600, das wäre der höchste Wert seit 2010, wenn man die Covidjahre aus benannten Gründen außen vorlässt.
Auf individueller Basis ist für die Betroffenen jede Gewerbeaufgabe schlimm, da tröstet es auch nicht, wenn woanders im Land zwei neue Betriebe aufmachen und natürlich gibt es Branchen, die es jetzt gerade schwerer haben, als vor 10 Jahren, daher hab ich ja gesagt, dass ein Zusammenhang mit der aktuellen Situation da ist. Aber insgesamt betrachtet zeichnet sich hier ein erwartbares Bild, das den Trend der letzten 15 Jahre fortsetzt.
Ja, die Bewertung der Wirtschaft eines Landes lässt sich nicht auf Neuerrichtungen und Aufgaben von Gewerben reduzieren und natürlich sind aus wirtschaftlicher Sicht nicht alle Neuerrichtungen und Aufgaben gleich relevant, aber gerade deshalb bringt es auch nichts, völlig kontextfrei und ohne nähere Aufschlüsselung von "56,000 Insolvenzen" zu sprechen und auf der Basis eine dunkle Zukunft zu beschwören. Alles was man damit erreicht ist das Schüren von Angst bei Menschen, die diese Zahlen nicht einordnen können. Und ich halte Frau Weidel für nicht so inkompetent, dass sie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Begriffen nicht kennt. Die weiß schon genau, was sie hier macht, denn Angst und Wut sind nun einmal das Benzin im Motor der AfD.
Man kann sich beim Vergleich mit den letzten Jahren auch nur auf die (wirklichen) Unternehmensinsolvenzen beziehen, davon gab es im ersten Halbjahr knapp 8600, das wären hochgerechnet 17,200 im ganzen Jahr. Machen wir grob 18,000 draus und es ist abzüglich 2020-22 immer noch der niedrigste Wert der letzten 20 Jahre.