Logik und Erkenntnis

Philosophisches zum Nachdenken
Claymore
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Re: Logik und Erkenntnis

Beitrag von Claymore »

Eigentlich wollte ich darauf nicht mehr antworten... :lol:
Hiob hat geschrieben: Fr 23. Jun 2023, 22:471+1 = 2 ist eine systemische Aussage, also eine Aussage auf Basis der Axiome der Mathematik. Ich weiß gar nicht, ob es Sinn macht, dies ins Ontische zu transponieren. Persönlich glaube (sic!) ich, dass die Mathematik Ontisches formal korrekt abbilden kann. Ob "muss", weiß ich nicht. Lass "das, was der Fall ist" (übrigens wörtlich und nicht wittgensteinisch gemeint) doch einfach offen, wenn es eh keiner beantworten kann.
Das ist ja das Problem. Also nicht, dass man "das, was der Fall ist" im Speziellen nicht beantworten kann, sondern auch im Allgemeinen nicht.

In der Mathematik ergibt ein Satz wie "Es existiert ein größter Primzahlzwilling" einen Sinn. Wir wissen zwar nicht, ob der größte Primzahlzwilling nun existiert, oder nicht. Aber der Satz ergibt einen Sinn, der Satz hat eine Bedeutung.

Genauso sollten wir doch eine Antwort darauf haben, ob er, wenn er existiert, er auch im Sinne Deiner Philosophie existiert. Ansonsten verstehst Du die Bedeutung von "existieren" nicht - es ist nur irgendein undefiniertes, mysteriöses Wort, was fatalerweise auch noch dramatisch von der vor-philosophischen Bedeutung von "existieren" abweicht.
Hiob hat geschrieben: Fr 23. Jun 2023, 22:47Das Ontische ist das von der Wahrnehmung Unabhängige und deshalb unwissbar.
Warum sollte "das Ontische" von der Wahrnehmung unabhängig sein? Das Photon, was auf deine Netzhaut prallt, wird bei diesem Akt der Wahrnehmung sogar vernichtet.

Oder noch einfacher: betaste mal ein Kissen, ohne es zu verändern.

Gehört das nicht zum "Ontischen" dazu?

Es gilt vielleicht eher für das Nichts. Das Nichts ist von der Wahrnehmung unabhängig.
Hiob hat geschrieben: Fr 23. Jun 2023, 22:47 Richtig. "Elizabeth II. existiert in dem, was wir in der Zeit mit "2021" fixieren". Das tut sie 2023 nicht, aber nicht, weil sie sich verändert hat, sondern weil ihre Existenz im Zeitgefüge im Jahr 2023 nicht mehr vorhanden ist.
Ich denke schon, dass sich Elizabeth II. verändert hat. Die Veränderung, nennt man "sterben" - und die führte dazu, dass sie jetzt nicht mehr existiert.

Ich finde Dein hin- und her zwischen volkstümlichen Holzhammer-Binsenweisheiten wie "nicht jeder verurteilte Mörder ist ein Mörder" - zu verkopft-verknoteten Bizarrerien wie "Elizabeth II. existiert immer noch - und zwar im Jahre 2021" extrem befremdlich.
Joseph Carroll hat geschrieben:die Vermischung oder das Hin- und Herwechseln zwischen Aussagen, die einerseits radikal absurd und andererseits schlicht und einfach wahr sind. Indem sie eine Ebene der Allgemeinheit finden, auf der die beiden Arten von Aussagen ineinander übergehen, können Rhetoriker die radikale Absurdität nutzen, um der Binsenweisheit den trügerischen Anschein eines stichhaltigen Arguments zu verleihen, und sie können die Binsenweisheit nutzen, um der radikalen Absurdität den Anschein von Überzeugungskraft zu verleihen.
Passt perfekt.

In jeder mir bekannten Sprache der Welt hat "sein" eine Vergangenheitsform. Die du für ungültig oder überflüssig erklärst. Wie weit liegt Dein "sein" vom vor-philosophischen "sein" entfernt!

PS: irgendeine Veränderung muss es geben. Selbst wenn die Welt in der Zeit statisch gedacht wird, müssen wir uns wenigstens in der Zeit bewegen.
Hiob hat geschrieben: Fr 23. Jun 2023, 22:47Anthropozentrisch ist es dann, wenn man es als Niederlage empfindet, dass dieses Paradoxon nicht gelöst werden kann. Natürlich ist es NICHT der SChluss von menschlichem Denken zum Sein, sondern der Schluss der Vorstellung, man habe solches Denken methodisch in der Hand. Das menschliche Denken muss hier erkennen, dass der SChwanz (das menschliche Denken) nicht mit dem Hund (das, was ist) wedeln kann, sondern umgekehrt der Hund mit dem SChwanz wedelt. Eine wertvolle Erkenntnis.
Deine extrem verknoteten, abstrusen Elfenbeinturm-Theorien werden durch diese volkstümlichen Sprüche auch nicht sinnvoller.

Ich diagnostiziere bei Dir den Schluss vom Denken zum Sein. Oder einfacher, Du gehst nach folgender Methode vor: "So und so muss es sich verhalten, alles andere begreife ich nicht, deswegen ist es so".

Normalerweise müsste man irgendwas zur Veränderung, also dem Werden und Vergehen sagen.

Nur, weil das menschliche Denken Probleme hat, Veränderung widerspruchsfrei zu begreifen, kann man doch nicht schließen, dass es "ontisch" keine Veränderung gibt und das "wahre, absolute Sein" statisch, unnahbar und immerwährend in-sich-ruhend ist.

So baust Du Deine harten Dichotomien von Sein vs. Schein oder Sein vs. Nichts auf.

So einfach ist das aber alles nicht.

Wenn Du gemäß Deines Radikalskeptizismus meinst, dass das ontische "unwissbar" ist, d.h. alle unsere Überzeugungen also evtl. radikal falsch sind, wir in unserem Geist ein falsches Bild der Realität haben - haben wir dann ein Bild vom Nichts? Oder von nicht-seienden Dingen?

Ein Bild vom Nichts ist aber kein Bild.
Und nicht-seiende Dinge existieren nicht.
Hiob hat geschrieben: Fr 23. Jun 2023, 23:11 Du wirst erstaunt sein, wenn ich Dir hier ausdrücklich zustimme. Die Kehrseite: Genau aus diesem Grund sind Christen keine Anthropozentriker, weil dann Gott in der Tat eine "Sockenpuppe" wäre. Insofern hat auch Xenophanes recht - aber es ist das pure Gegenteil dessen, was Christentum im Soll-Zustand ist.
Mit deinem Radikalskeptizismus bezweifelst Du doch die Existenz Deiner eigenen Nase.

Und nun willst du es als klipp und klar bewiesen ansehen, dass bei der Entstehung des Christentums unter der Oberfläche keine fragwürdigen Faktoren am Werk waren? Wieso? Woher??

Fassen wir nochmal zusammen - im Angebot wären:
  • Hume - Angst vor unerklärlichen Phänomenen
  • Feuerbach - Projektionstheorie
  • Marx - Ohnmacht der ausgebeuteten Klassen
  • Nietzsche - Selbstverleugnung
  • Freud - kollektive Zwangsneurose
Hat einer der Herren recht, dann ist der christliche Gott eine Sockenpuppe für menschliche Ängste, Hoffnungen, Rachegelüste, Scham oder andere derartige Bedürfnisse.

Und damit wäre das Christentum der Gipfel des Anthropozentrismus.
Hiob
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Re: Logik und Erkenntnis

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Also nicht, dass man "das, was der Fall ist" im Speziellen nicht beantworten kann, sondern auch im Allgemeinen nicht.
Im Allgemeinen dann, wenn man das Ontische als von der Wahrnehmung unabhängige Kategorie versteht (während die Wahnehmung sehr wohl vom Ontischen abhängig ist, weil Wahrnehmung Offenbarung von Sein ist.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Warum sollte "das Ontische" von der Wahrnehmung unabhängig sein? Das Photon, was auf deine Netzhaut prallt, wird bei diesem Akt der Wahrnehmung sogar vernichtet.
Das zeigt, dass die Wahrnehmung vom Sein abhängig ist. Aber doch nicht umgekehrt.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Oder noch einfacher: betaste mal ein Kissen, ohne es zu verändern.

Gehört das nicht zum "Ontischen" dazu?
Das ist Wahrnehmungsebene. Ontisch ist das, wovon diese Wahrnehmung Ableitung ist. Frag mich aber nicht, was das genau wäre, weil ich doch genauso von meiner Wahrnehmung abhängig bin wie Du. Aber kategorioal kann man sich Sachen klarmachen.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Ich denke schon, dass sich Elizabeth II. verändert hat. Die Veränderung, nennt man "sterben" - und die führte dazu, dass sie jetzt nicht mehr existiert.
Es gab mit dem Tod eine subjektive Veränderung bei Elisabeth wie auch in sofern eine objektive, dass sie in unserer physikalischen Realität nicht mehr lebend da war. Ob sie ontisch noch existiert, ist nicht dadurch beantwortbar, dass man sagt: "Sie existiert in unserer Wahrnehmung nicht mehr".
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 "Elizabeth II. existiert immer noch - und zwar im Jahre 2021" extrem befremdlich
Ja - da geht es um das Motiv, dass unser zeitunterworfenes Wahrnehmungs-Dasein nicht aussschließt, dass es eine ontische Realität geben könnte, in der alles, was wir vergangen, gegenwärtig oder zukünftig nennen, dasselbe ist. Christlich nennt man sowas "Gott".
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Passt perfekt.
Stimmt - das ist der Fluch der Dialektik. Umso wichtiger, dass man vorab philosophisch geerdet ist.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 In jeder mir bekannten Sprache der Welt hat "sein" eine Vergangenheitsform.
Richtig - weil Sprache Menschenwerk ist. Der Mensch muss Ausdrucksformen finden, die unterscheiden zwischen dem, was jetzt ist, früher war und irgendwann sein wird/könnte. Aus ontischer Sicht gibt es diese Unterscheidung nicht, weil aus dieser Perspektive alles, was wir zeitlich aufteilen, überzeitlich aufgebrochen ist. Um es theologisch zu sagen: Für Gott ist der Turmbau zu Babel, der Hamas-Überfall auf Israel und das Wetter am 1.Mai 3045 gleich präsent.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 "So und so muss es sich verhalten, alles andere begreife ich nicht, deswegen ist es so".
Hui - da scheint viel umsonst gewesen zu sein. Wie es sich so oder so verhält, weiß ich eben nicht, sondern DASS es sich verhält - egal ob ich es begreife oder nicht.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Normalerweise müsste man irgendwas zur Veränderung, also dem Werden und Vergehen sagen.
Mache ich täglich. Natürlich tut man dies im Rahmen seiner Wahrnehmungswelt. Wie sollte es anders in einem System sein, das zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheiden muss?
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 kann man doch nicht schließen, dass es "ontisch" keine Veränderung gibt und das "wahre, absolute Sein" statisch, unnahbar und immerwährend in-sich-ruhend ist.
Wie das genau ist, weiß ich auch nicht, weil das menschliche Gehirn nur ziemlich bedingt über den eigenen Wahrnehmungskreis hinausdenken kann. Theologisch gedacht ist allerdings richtig, dass Gott sich im Wesen NICHT ändern kann (auch nicht will, weil es logisch nicht geht). Änderungen, die wir an Gott feststellen, sind Änderungen in Bezug auf uns und nicht im Wesen.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Wenn Du gemäß Deines Radikalskeptizismus meinst
Ontisch bin ich das Gegenteil von skeptizistisch. Meine Skepsis bezieht sich ausschließlich auf Systeme - insofern bin ich ganz bei Descartes.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 haben wir dann ein Bild vom Nichts? Oder von nicht-seienden Dingen?
Ein "Bild" kann man immer haben. Philosophen unterscheiden bspw. zwischen "nihil privatim" und "Nihil negativum" - großer Unterschied.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Und nun willst du es als klipp und klar bewiesen ansehen, dass bei der Entstehung des Christentums unter der Oberfläche keine fragwürdigen Faktoren am Werk waren?
Wie kommst Du auf SOwas? Diese Fragestellungen ist für mich komplett irrelevant.
Claymore hat geschrieben: Sa 4. Nov 2023, 23:25 Hat einer der Herren recht, dann ist der christliche Gott eine Sockenpuppe für menschliche Ängste, Hoffnungen, Rachegelüste, Scham oder andere derartige Bedürfnisse.

Und damit wäre das Christentum der Gipfel des Anthropozentrismus.
Bingo - so WÄRE es. Deine Voraus-Setzungen führen schlüssig zu diesem Ergebnis.
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Sunbeam
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Re: Logik und Erkenntnis

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Sa 9. Dez 2023, 17:36 Deine Voraus-Setzungen führen schlüssig zu diesem Ergebnis.
Sei gegrüßt du alter Bärenhäuter, schön vor dir zu lesen

:thumbup:
Hiob
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Re: Logik und Erkenntnis

Beitrag von Hiob »

Herzliche Grüße zurück. Mal sehen, ob was zammkommt.
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