Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Natürlich nicht. Soll ich wirklich glauben, dass Du das, was ich so im Detail erklärt habe, "aus Versehen" falsch verstanden hast?
Ich habe verstanden, dass für Dich der Umstand, dass homosexuelle Paare in ihrer fundamental-theologischen Gering-Belastbarkeit nicht nur sich selbst, sondern ihre Verbindung als gesegnet verstehen, von großer Bedeutung ist. Das kann ich echt nachvollziehen. In diesem Kontext stimme ich (stellvertretend für Betroffene) Deinem Satz zu: "Die "Laien-Interpretation" ist von diesem Gesichtspunkt die entscheidende". Ich sehe nicht, warum Du Dich hier falsch verstanden fühlst.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Der Ausdruck "formule Scharmützel" ist schon wieder sehr tendenziös.
Ersetze es durch "juristische Entwicklungen". Die Substanz der Sache ändert sich dadurch nicht.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Daher ist das Laienverständnis dieses Vertrages NICHT entscheidend.
Ah - ok. - Formal ist dies ohnehin richtig, aber meinst Du wirklich, dass die Russen dies so sehen? Noch anders: Meinst Du, dass Russlandkenner jemals daran gezweifelt haben, dass die Russen so empfinden würden? Helmut Schmitt hat kurz vor seinem Tod gemeint (/kann man in youtube hören), dass auch er als Russe beunruhigt wäre, wenn nach und nach die NATO-Stellungen immer näher kämen. - Mit anderen Worten: Was bringt es, wenn man sich einredet, dies sei ein Vertragswerk gewesen, das in Ordnung sei, wenn man gleichzeitig 100tausende Tote an der ukrainisch-russischen Front hat, die Folge dessen sind, dass dieses Vertragswerk offenbar nicht auf eine win-win-orientierte europäische Sicherheitsarchitektur angelegt war?
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Das hab ich genauso geschrieben.
Auf die Idee, dass Du es so meinen könntest ("Hier ist das Laienverständnis NICHT entscheidend"), bin ich überhaupt nicht gekommen, weil dann das Argumentarium in Sachen Homosexuellen-Segnung ebenfalls darauf bestehen müsste, dass Gesegnete in ihrem Laienverständnis NICHT geschützt wären.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Die Legende aufzubauen, die Russen wären mit irgendwelchen unvorhergesehenen Tricks überrumpelt worden und hätten gar nicht gewusst, worauf sie sich da einlassen ist reichlich absurd.
Keine situativen Tricks, sondern ein Narrativ, demnach es keine paneurasische Freihandelszone und kein spannungsfreies Europa geben durfte. Umgekehrt: Hätten die USA einen nachhaltigen Frieden in Gesamt-Europa gewollt, der nicht nach den Maßstäben der USA ticken würde, hätten sie es vertraglich ermöglicht. Warum hat Bush Bakers Versprechen nicht umgesetzt? Dafür hatte er doch Gründe.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
solltest Du bedenken, dass die Russland ein Kolonialreich war, was nie aus eigenem Antrieb eine Dekolonisierung durchgeführt hat
Ich bin jetzt tatsächlich überfragt, wo Russland außerhalb seines eigentlichen Staatsgebiets Kolonien hatte. Meinst Du Kuba? - Oder meinst Du angrenzende Gebiete anderer Ethnien? Das gibt es in der Tat - man schaue nur nach China mit seinen Uiguren oder eben nach Russland mit seinen Usbekistans, etc oder nach Amerika, wo die USA den Norden Mexikos annektiert hat. Das kann man böse finden, aber es ist normal.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Es erhebt Ansprüche auf riesige Gebiete, die ethnisch und kulturell nichts mit dem Kernland zu tun haben
Das ist nicht russland-spezifisch. Die Hälfte der Menschen in New Mexico spricht spanisch, in Puerto Rico sogar über 90%. Der Nationalstaats-Gedanke ist nicht mehr erste Wahl. Allerdings waren manche Gebietsgewinne mit Gewalt verbunden - aber das ist so seit 10.000 Jahren.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
gipfelnd in den ethnischen Deportationen, dem Gulag-System und dem Holodomor.
Stimmt - dagegen ist Guantanamo ein Zwerg. In China wird es auch nicht besser sein. - Natürlich würde auch ich lieber in einem deutschen als in einem amerikanischen, russischen oder chinesischen Gefängnis sein. Und der Holodomor war selbstverständlich Völkermord, da von Stalin absichtlich inszeniert.
Aber all das ist doch kein Freibrief für westliche Politik ("Wir sind eh die Guten, also bestimmen wir, wo es lang geht und wo nicht").
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Siehe Kasachstan. Medwedew zwitscherte da auch lustig raus, dass Kasachstan ein künstlicher Staat sei und fantasierte vom Genozid an Russen in Kasachstan.
Da steckt noch das 1000jährige Reich der Sowjetunion in den Knochen. Natürlich ist das inakzeptabel.
Die deutsche Politik, über Handel Frieden zu wahren, war richtig. Ich wage zu behaupten, dass alles in Butter wäre, wenn die NATO eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ausgeschlossen hätte und Nordstream 2 in Betrieb gegangen wäre. Der Kampf zwischen Ukraine und Russland hat was von Österreich gegen Deutschland. Beide Pärchen sind kulturell engstens verflochten, aber völkerrechtlich selbständig. Hätte der Westen keine strategischen Absichten gegen Russland, wäre ihnen die Ukraine scheißegal.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Putin hat z. B. Memorial International verboten, eine Menschenrechtsorganisation, die sich der Dokumentation und Aufarbeitung stalinistischer Verbrechen und Gulags widmete.
Ja, die Sowjetzeit wird mehr und mehr positiv gesehen - und war übrigens nie richtig tot. Ich erinnere mich daran, dass vor ca. 20 Jahren eine gute russische Bekannte von mir überraschend nicht zu einem Business Meeting kommen konnte, weil ihre Oma gestorben war, die die letzte Geliebte von Stalin gewesen sei, weshalb ein riesiges gesellschaftliches und politisches Brimborium gemacht wurde, bei dem sie als Enkelin anwesend sein musste. Das war um das Jahr 2003.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Das zeigt, wie tief verwurzelt diese Denke in der russischen Gesellschaft ist: Sie erheben diese Ansprüche gegenüber ihren "Kolonien".
Meinst Du, dass Russland Usbekistan, Tadschikistan & Co zurückholen will ins Reich? Im schlimmsten Fall ist dies möglich. Aber es wäre nie soweit gekommen, wenn es nicht 2007 die Rede von Putin bei der Sicherheitskonferenz in München gegeben hätte, wo er erstmals wieder aggressiv angemahnt hatte, dass der Westen seine Versprechungen umsetzt - dazu gehörte auch die Freihandelszone. Dazu ein Text aus "Eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok" von der Bertelsmannstiftung:
Sein <Putins> Ziel bestand im Abbau von Handelsschranken zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) und der EU. Der damalige Bundeskanzler Schröder bezeichnete eine Freihandelszone mit der EU und der EAWU als „die einzige Möglichkeit, in einer globalisierten Wirtschaft mit den USA und China zu konkurrieren“. Es kam allerdings zu keinen konkreten Schritten in diese Richtung, auch nicht nach der Aufnahme Russlands in die WTO im Jahr 2012. Ein Jahr später führten Spannungen darüber, über die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens der Ukraine mit der EU, zu Auseinandersetzungen und zu einer Verschlechterung der europäisch-russischen Beziehungen. Anstelle Freihandel anzustreben wurden die wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland stark zurückgefahren
Man stelle sich aus Sicht Russlands vor: Russland will eine Freihandelszone, die trotz mannigfacher gegenseitiger Absichtserklärungen nicht angegangen wird (warum wohl?) - statttdessen gibt es ein Abkommen nur mit der Ukraine. Die Message dabei ist: "Wir, der Westen, wollen keine paneuropäische/paneurasische Sicherheitsarchitektur, sondern einen Bindung von möglichst vielen Staaten westlich von Russland an den Westen." Und da soll Russland nicht ausflippen?
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Ja, die Russen sind gekränkt. Ja, sie hängen revanchistischen Vorstellungen an.
Kann sein - aber solche Vorstellungen kriegt man nicht dadurch weg, dass man sie herausprovoziert.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Aber ein Fehler dieser Art ist rein realpolitisch, während Du die große Moral-Veranstaltung draus machst
"Moral" liegt mir nicht so, weil dieser Begriff von jedem anders besetzt wird. China findet es wahrscheinlich moralisch, Taiwan zu annektieren. Und die USA findet es wahrscheinlich moralisch, 15Jährige lebenslang einzusperren, weil sie einer Gang angehörten, aus der Menschen erschossen wurden. - Nein, ich verstehe meine Haltung tatsächlich als realpolitische, weil ich die eigentlichen Wirkmächte über Paragrafen stelle. Und diesbezüglich wirkt im Ukrainekrieg sicherlich nicht ein Vertragswerk, sondern das an Realität, die mit dem Vertragswerk gemieden wurde.
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31
Ich denke, wir wären jetzt nur mit noch größerem Ärger konfrontiert.
Würde mich wundern. Stelle Dir eine EU vor, die in engem Austausch mit Russland ist und somit Planungssicherheit und gute Preise bei Rohstoffen hat und umgekehrt Technologie-Transfer betreibt. Meinst Du, Russland würde damit ohne konkreten Grund Waffen bauen? Russland hat seine Waffenkammern erst wieder so richtig reaktiviert, als die westlichen Spannungen systemisch wurden.