Sunbeam hat geschrieben: ↑Sa 6. Jan 2024, 14:47
Warum sollte man das tun, aber dann wäre - das Stalinistische in Frage zu stellen, doch nur folgerichtig, nicht?
Nee, gerade das Stalinistische ist zaristisch geprägt, nur dass es halt kommunistisch und nicht kronen-hoheitlich geprägt ist. Das Gegenstück zu zaristisch ist nicht kommunistisch (im Sinne von Stalin und in Ableitung auch im Sinne von Putin), sondern demokratisch. Wobei ich dies wertfrei meine, also nicht aufteile in böse Alleinherrschaft und gute Demokratie, da beides im Einzelfall gut oder schlecht sein kann.
Demokratie ist für den Bürger mit mehr Arbeit verbunden als bei einem Zar im Katharinenpalast in St. Petersburg oder einem Diktator im Kreml. Man muss auch mal den Gedanken zulassen, dass Demokratie ein Luxusgut für Länder ist, die in der Regel nicht so hart um ihren unmittelbaren Lebensunterhalt kämpfen müssen wie die bspw. Russen. Insofern kann man die Gründer der USA nicht hoch genug schätzen, die sich diese Art von Gemeinwesen zum Ziel genommen haben, obwohl es den ersten Siedlern bestimmt nicht rosig ging.
Sunbeam hat geschrieben: ↑Sa 6. Jan 2024, 14:47
Denn es sind die Nachwehen dieses zweifelsfrei unmenschlichen Stalinismus, der die Seelen vieler Russen und zu vieler Russen bis zum heutige Tag immer noch vergiftet.
Wobei ich den Stalinismus als den historisch nächsten Vertreter des Zarismus verstehe und nicht aus sich selbst. Der eigentliche Punkt ist die Tradition der Obrigkeit, personalisiert im Zar und Vertretern der orthodoxen Kirche, die dann im Stalinismus ihre Fortsetzung fand.
Das mag man rückständig finden, was idealistisch sogar stimmt. Man sollte aber nicht vergessen, dass plebiszitäre Demokratie (momentan eine Gefahr in der westlichen Welt) schnell kippen kann in den Ruf nach dem berühmten "starken Mann". Es gibt bei uns inzwischen derart viele Menschen unter dem Radar der Mediengesellschaft, die einfach die Nase voll haben von einer demokratischen Elite, die aus ihrer Sicht nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Typisch für solche unter Demokratie-Burnout Leidenden ist der klassische Facharbeiter mit Familie, der jahrzehntelang frühs um 6 Uhr aufsteht, seine Familie mit Fleiß über die Runden bringt und in den Medien voll-belämmert wird mit Gendern, Sprachpolizei, Empörungs-Hedonismus, Entnormalisierung, Antisemitismus, Work-Life-Balance und Selbstachtsamkeit, und als "rechts-extrem" bezeichnet wird, wenn er solchen (aus seinem Verständnis) dekadenten Unsinn ablehnt. Dann sagen halt immer mehr Leute: "Gut, wenn DAS rechtsextrem ist, dann bin ich halt rechtsextrem".
Nun glaube ich nicht, dass unsere Gesellschaft aus der Demokratie herauskippt - dazu sind unsere Verfassung und auch die europäische Verfassung zu gut und zu stark. Aber hätten die Deutschen nicht das Privileg, jetzt die Vorteile der 1945 aufgezwungenen Demokratie genießen zu dürfen, sondern würden unter ähnlichen verfassungsmäßigen Bedingungen leben wie die Russen, hätten wir schnell ein Pendant zu Putin. Insofern: Die selbstgefällige Russen-Abneigung ist Spiegel für einen eigenen Mangel, den man beim anderen um so heftiger kritisieren kann, wenn in Russland dieser Mangel geschichtlich an die Oberfläche gerät.