michaelit hat geschrieben:Der Unterschied zwischen Buddha und dem biblischen Jesus scheint der extreme Moralismus zu sein. Nimm dein Kreuz auf dich, hasse sogar deine Eltern, dich selbst und dein eigenes Leben, einer Frau mit Lust nachzuschauen ist schon Ehebruch usw. Das kann ich bei Buddha nicht finden.
Ich schon: Buddha lehrte eine sehr hochstehende Ethik, in der bereits die Absicht, der Wille als das eigentliche heilsame oder unheilsame Geschehen (Karma) gilt. In diesem Sinne verstehe ich auch Jesu Aussage bezüglich des Ehebruchs: Er findet bereits im Erwägen der Absicht statt. Das gleiche bezeugt der Evangelist Johannes:
Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Totschläger; und ihr wisset, daß kein Totschläger ewiges Leben bleibend in sich hat. (1. Joh 3,15)
Hier wird auch deutlich, dass mit der Forderung Jesu, die Eltern, sich selber, das Leben usw. zu hassen nicht ein Hassen im gängigen Sinn gemeint sein kann. Hass beinhaltet in letzter Konsequenz den Wunsch, die Absicht, das (der, die) Gehasste möge nicht sein, möge vernichtet werden, möge mir „aus den Augen, aus dem Sinn“ verschwinden. Das wird Jesus kaum gemeint haben.
Aus meiner buddhistischen Sichtweise gesehen, fordert uns Jesus damit auf, das (begehrliche, besitzergreifende) Anhaften, das Anklammern an die Eltern, an das „Selbst“, an das Leben überhaupt aufzugeben. Bezüglich dem „Selbst“ findet sich eine Bestätigung für dieses Verständnis bei Jesus selbst:
Will jemand mir nachkommen, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. (Lk 9,23)
Das tägliche Aufsichnehmen des je eigenen (Lebens-) Kreuzes (das die Leidunterworfenheit symbolisiert) und die „Selbstverleugnung“ (siehe meinen oben verlinkten Text „Geistliche Armut und Selbstlosigkeit“) werden von Jesus praktisch als vorgängige Bedingungen für die Nachfolge aufgezeigt. Auch über die befreiende (weil wirklichkeitsgemässe) Einstellung zum Leben hat sich Jesus deutlich geäussert:
Wer sein Leben liebt, verliert es; und wer sein Leben in dieser Welt haßt, wird es zum ewigen Leben bewahren. (Joh 12,25) Das Lieben des Lebens kann hier nur eine begehrliche, besitzergreifende, sich ans Leben verzweifelt anklammernde „Liebe“ bezeichnen. Eine solche Liebe (der Buddhismus nennt das nicht Liebe, sondern schlicht Begehren und Anhaften) verleugnet die vergängliche, Leiden und Tod unterworfene Wirklichkeit unserer Existenz und erweist sich als leidverursachende Illusion (spätestens dann, wenn Leiden und Tod dennoch eintreffen). Demgegenüber führt ein „Hassen“, also eine nichtbegehrliche, nicht besitzergreifende, loslassende Haltung gegenüber dem Leben, zur Erkenntnis der wahren Natur der Existenz, zur Transzendenz von Geborenwerden, Leiden und Sterben und darin zur Erfahrung von „Zeitlosigkeit“ (auch Wunschlosigkeit, Einverstandensein). Das bedeutet: Leiden und Tod sind ins eigene Leben integriert und werden als genauso dem Leben zugehörig erlebt wie Freude und Geburt. Das verstehe ich unter dem „Reich Gottes“, von dem Jesus sagt, es sei nirgendwo anders zu finden als „inwendig in uns“ (Lk 17,21).
michaelit hat geschrieben:Es kommt aber wohl darauf an wie man Jesu' Opfergang interpretiert. Laut Paulus hat er ja damit das ganze Gesetz abgetan und somit dem Moralismus gar nicht gedient wenn er auch die Liebe hochhält.
Er hat es nicht abgetan, sondern erfüllt. Und zwar eben durch die Liebe (bis hin zum Gebet um Vergebung für seine Peiniger). Paulus bestätigt diese Macht der Liebe:
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; so ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. (Röm 13,10)
michaelit hat geschrieben:Vielleicht müßte man deshalb auch die Jesusworte in der Bibel ganz anders interpretieren, daß sie Übertreibungen sind bzw ironische Anspielungen sind auf die Unmöglichkeit das jüdische Gesetz ehrlich einzuhalten.
Die Liebe – nicht die begehrliche, besitzergreifende, sondern eine Freundschaft, Frieden und Freiheit stiftende – ist die Erfüllung des göttlichen Gesetzes. Menschliche Gesetze, die Gesetze einer Gemeinschaft, eines Volkes, eines Staates, dienen dem Schutz der Gesellschaft. Sie machen Sinn für die Gemeinschaft, haben aber nicht die Freiheit des Individuums zum Ziel (siehe dazu auch
hier). Der verstorbene Mönch und einer der Pioniere des westlichen Buddhismus Nyanaponika lehrte dazu:
Sittlichkeit, welche die Beziehungen des Einzelnen zum Mitmenschen regelt, kann wohl durch Gebote, Regeln und Gesetze gestützt und geschützt und durch die Vernunft begründet werden, doch ihre einzig sicheren Wurzeln liegen in einer wahren Kultur des Herzens. Diese findet in der Buddha-Lehre den denkbar vollkommensten Ausdruck in den vier «Erhabenen Weilungen», oder «Göttergleichen Zuständen» (brahma-vihāra), nämlich: Liebe, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut. Darüber gibt die buddhistische Literatur genügende Auskunft. Nur dieses sei noch hierzu bemerkt: Es ist ein tiefes Wohlwollen für alles Lebendige oder (in Nyanatilokas schöner Prägung) die All-Güte (mettā), welche die Grundlage für die anderen drei Eigenschaften bildet, ebenso wie für jedes Veredlungsstreben. Der Jünger der hier gelehrten Achtsamkeits-Schulung wird daher seine Achtsamkeit zunächst darauf zu lenken haben, daß sein Denken, Sprechen und Handeln nie der uneingeschränkten Güte ermangelt. In diesem Sinne heißt es in dem klassischen buddhistischen Text, dem «Lied von der Güte» (Mettā-Sutta):
«Voll Güte zu der ganzen Welt
Entfalte ohne Schranken man den Geist:
Nach oben hin, nach unten, quer inmitten,
Von Herzens-Enge, Haß und Feindschaft frei!
Ob stehend, gehend, sitzend oder liegend,
Wie immer man von Schlaffheit frei,
Auf diese Achtsamkeit soll man sich gründen.
Als göttlich Weilen gilt dies schon hienieden.»
(Nyanaponika: „Geistestraining durch Achtsamkeit“)