Nicht, daß ich wüßte bzw. dass das irgendjemand wüßte, außer vielleicht sie selbst, wenn es sie denn gibt.
Wahrheit ist ein Problemwort. Alle benutzen es. Aber wer kennt sie? Und wenn da jemand ist, der sie kennt, wie erkennt man das? Wie könnte derjenige das unter Beweis stellen oder vermitteln? Die Wahrheit offenzulegen, darzustellen und beweisen fällt ja selbst bei den einfachsten Dingen schwer. Berichte mir, was Du heute alles getan hast. Bitte so detailliert wie möglich, ohne etwas auszulassen. Und jetzt bitte beweise mir das. Wie willst Du das machen? Du wirst ja nichtmal in der Lage sein, mir den exakten Ablauf Deines Tages wahrheitsgemäß zu schildern. Überall gibt es Erinnerungslücken und Unschärfen. Falsche Erinnerungen sind ganz normal. Man erkennt sie nur nicht. Wie auch? Überprüfen lässt es sich ja schlecht. Und wer setzt sich schon jeden Tag hin und rekapituliert den Tag?
Die Wahrheit ist etwas, das sich uns naturgemäß enthält und entzieht.
Jeder darf, kann, muss und soll glauben, was er will oder meint. Aber darauf zu bestehen, selbst wenn man es wüßte, verursacht dann Probleme. Das sind dann aber immer noch Probleme, über die man mit ein wenig gutem Willen hinwegsehen kann.
Die Wurzel des Übels:
Der Glaube an Informationen, die man für objektiv wahr, vielleicht sogar gesichert und beweisbar hält und denen zufolge andere sich selbst oder anderen potentiell oder tatsächlich schädigen.
Typische Fälle:
- Der Mahnende, der andere wegen ihres Heils aufgrund einer moralischen Verpflichtung auf ihre Irrtümer hinweist und ggf. diese in Ihrer Freiheit einschränken will oder das sogar tut, um ihrer selbst willen.
- Der Mahnende, der andere wegen des Heils anderer (oder auch des eigenen Heils) zurecht weist und ggf. in ihrer Freiheit einschränken oder sogar bestrafen möchte und das ggf. auch tut.
Das Motiv dahinter ist eigentlich "gut". Aber es führt zu Gewalt. Verbaler Gewalt, physischer Gewalt. Abgrenzung, Abstoßung, Spaltung oder sogar Übergriffigkeiten, Bedrohlichtkeiten etc. sind die Folge.
Die beiden zentralen Punkte daran:
1) Die feste, unerschütterliche Überzeugung, die eigene Sicht wäre einzig zutreffend und nichts anderes könne gelten gelassen werden und es ist auch keine Bereitschaft da, sich mit andersartigen Ansichten auf respektvolle Weise zu befassen.
2) Das Gefühl einer moralischen Verpflichtung, der Gesellschaft, den Mitmenschen, Gott etc. gegenüber, in dem Sinne zu handeln.
Immer geht es bei all den Konflikten im Kern um die Wahrheit. Was Menschen für wahr halten. Das ist entscheidend. Die Grundlage. Und das ist fatal in einer Welt, wo nur wenige Dinge als wirklich gesichert gelten können. Eine generelle "Grundunsicherheit" in allen Dingen, die ja auch begründet ist, würde daher so vielen Konflikten und Spannungen die Grundlage entziehen. Aber das ist normal und gang und gäbe, dass Menschen sich ihrer Ansichten und Anschauungen so unglaublich sicher sind, aus dieser Haltung heraus urteilen, beurteilen, verurteilen, selektiv Wahrnehmen und Informationen beachten aber auch handeln, entsprechend ihren Moralvorstellungen etc...
Die Lösungen also:
- Mehr Demut
- Mehr Zurückhaltung
PS:
Interessant daran finde ich, dass Menschen, die sich auf "Wissenschaft" berufen, da im Prinzip den Gläubigen gleichen. Bei den Gläubigen kann man zwar zurecht sagen, dass es Glaube ist. Was viele Gläubige wiederum verrückterweise nicht gelten lassen wollen. Aber denen, die sich auf "Wissenschaft" berufen, vorzuhalten, dass auch ihre Anschauungen genaugenommen ein Glaube sind, nur mit einem Etikett "Wahrheit" versehen, bringt auch nichts bzw. führt dann zu Streit und Aggression, wenn überhaupt.
"Wissenschaftsgläubige" argumentieren mit "Studienergebnissen" und "Forschungsarbeiten".
Die Studien haben sie aber nie gelesen, und würden sie es, würden sie sie nicht verstehen. Würden sie sie wirklich verstehen, hätten sie auch eine kritische, relativierende Haltung dazu. Dann würde man seine eigenen Schlüsse daraus ziehen, die Daten selbst verwerten und käme uU auf ganz andere Ergebnisse als andere. Anstattdessen beruft man sich auf Artikel, die sich auf Auswertungen beziehen, die wiederum von Leuten erstellt werden, die Eigeninteressen haben und von ihrem Verständnis her eingeschränkt / selektiv sind.
Davon abgesehen stehen jeder Studie auch Studien mit anderen, widersprüchlichen Ergebnissen gegenüber. Auch was die Vergleichbarkeit betrifft, herrsch Unklarheit.
Wissenschaft ist nicht eins sonder uneins und vielfältig. Sie ist wie auch der Mensch voller Fehler, Irrtümer, Unvollständigkeiten, Missverständnisse. Und was heute als gesichert gilt, kann morgen schon sich als falsch herausstellen. "Paradigmenwechsel" wird es immer geben.