Eine Frage noch hat geschrieben: ↑Do 19. Okt 2023, 11:28
[…] kennt jemand ein Schema in der Bibel, woran man erkennen kann, ob eine Textstelle "im übertragenen Sinne" oder materiell gemeint ist?
So ein Schema kann es nicht geben, weil die Grundfrage schon nicht biblisch ist. Die Bibel fragt nicht, ob etwas entweder "irdisch" oder "himmlisch" zu denken ist.
Nimm als Beispiel den ersten Vers der Bibel: "Im Anfang schuf Gott Himmelerde" - Ist das "nur" "geistlich" gemeint?
Sicherlich ist es eine konkrete, materielle Tatsache: mit der Schöpfung von Himmelerde wurde die Zeit als solche gleich mitgeschaffen.
In der Offenbarung lesen wir: "Ich bin das
A und das
O,
der Anfang und das Ende, spricht Gott der HERR, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige."
Offb 1, 8
Und Paulus schreibt über Jesus: "Denn
durch ihn ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Obrigkeiten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen."
Kol 1, 16
Und dadurch erkennen wir: "Im
Anfang schuf Gott…" ist das gleiche wie "durch ihn ist alles geschaffen"
Das heißt "Im Anfang" meint hier sicherlich zeitlich "ganz als erstes" aber eben auch "durch Jesus"
Nur hinsichtlich des Themas dieses Threads: ist denn diese Tatsache, daß in Jesus alles erschaffen wurde etwa nicht "irdisch"? Ist das "nur" geistlich?
Du siehst, alleine die "irdischen" Tatsachen einer Bibelstelle sind schon mehrschichtig…
Jetzt kommen wir zu dem "übertragenem Sinne" dieser Bibelstelle.
Der ganze Schöpfungsbericht ist - im übertragenem Sinne - eben auch der erste Evangeliumsbericht.
Das heißt hier fängt Gott direkt an uns seine Denkmuster zu vermitteln. Er nennt dies auch
das himmlische Muster:
– die dem Abbild und Schatten der himmlischen Dinge dienen, wie Mose eine göttliche Weisung empfing, als er im Begriff war, das Zelt aufzurichten; denn »Sieh ⟨zu⟩«, spricht er, »
dass du alles nach dem Muster machst, das dir auf dem Berge gezeigt worden ist!«. –
Heb 8, 5
Und dies ist das, was du (vermutlich) eigentlich suchst. Das himmlische Muster.
Nun, dies ist die Bibel.
Und es geht gleich los mit Vers 1:
Durch Jesus ist alles gemacht. Es gibt Zeit und es gibt eine Schöpfung mit zwei Hauptbestandteilen: Himmel und Erde. Und diese Zweigeteiltheit zieht sich als erster Aspekt des himmlischen Musters durch alles:
Gott/
Schöpfung,
Himmel/
Erde,
Geist/
Körper …
Und das ist ja nur ein Vers, also jetzt bitte nicht alles auf einen Vers reduzieren, das funktioniert natürlich auch wieder nicht.
Und nach diesem himmlischen Muster, welches wir der Bibel entnehmen können, sollen wir die Bibel lesen.
Jetzt steht natürlich noch die Frage im Raum, weshalb überhaupt so eine Überlegung angestellt werden soll?
Biblisch ist das ganz sicher nicht, danach zu fragen.
Biblisch ist, wie gehabt, jede Bibelstelle immer voll von mehreren Bedeutungen, manchen "materiell" und manchen im übertragenem Sinne.
Wieso dann solche Fragen?
Es gibt da Ereignisse in der Vergangenheit, die das aufgebracht haben.
Als in ihrer historischen (nicht geistlichen) Bedeutung herrausragend kann ich drei Bewegungen ausmachen.
Auf die zeitlich letzte der drei wurde schon durch Abischai eingegangen: der Modernismus bzw. die theologische Reaktion auf den Modernismus.
Was ist mit Modernismus gemeint, für unsere Zwecke hier? Gott wird ausgeklammert. Wir kennen das alle, wie leben alle in der postmodernen Welt. Man ist gesellschaftlich Verpflichtet, automatisch erstmal immer so zu tun als ob es Gott nicht gäbe.
Wir haben sicherlich auch alle Erfahrungen gemacht mit faulen Kompromissen seitens der Gläubigen. Z.B. passend zum Thema hier: ja, die Schöpfungstage sind ja keine 24h-Stunden Tage sondern nur Symbole für lange Zeitalter
… das ganze als Anbiederungsversuch an Evolutionisten und andere Phantasten.
Hauptsache Gott wird irgendwie ausgeklammert. Ich denke du weißt was ich meine…
So, wann fing das an? Das fing ja irgendwann mal an. Das war so in etwa im 18. Jahrhundert, daß das allmählich salonfähig wurde.
Das ergab dann im Westen eine Gesellschaft, die sich als christlich bezeichnet aber gleichzeitig modernistisch sein will.
Und die Theologen an den Universitäten haben dann angefangen, die modernistischen Theologien zu entwickeln. Wonach man dann halt "modern" sein kann und gleichzeitig "heute noch sowas glauben" kann usw. – ihr kennt die billigen Sprüche alle …
Naja, heute ist es ja auch nicht mehr so, daß man das christliche Deckmäntelchen noch tragen möchte…
Zum Thema:
da wurden dann viele Bibelstellen als "symbolisch gemeint" deklariert, damit man sich deren Aussagekraft entledigen kann. Und daher dann natürlich die Frage: kann das sein, das sei jetzt nur symbolisch?
Und "nur" heißt natürlich dann immer: "nicht echt".
Ach so.
Ja, ach so.
Also eine Bewegung wäre die Universitäts-Theologie, die eine modernistische Christenheit versucht zu erdenken. Oder so.
Dann, etwa zu gleichen Zeit, die zweite Bewegung, für die das wichtig ist: der Zionismus.
Zionismus heißt, die sogenannte Judenfrage wird geklärt, indem man in Palästina ein Land für die Juden aufbaut. Es ist schon wichtig da zu unterscheiden, denn
nicht alle Juden waren und sind für einen jüdischen Staat in Nahost.
Und nicht alle Zionisten sind Juden. Viele Christen und andere haben durchaus zionistische Ansichten geäußert…
Nun, um dem Zionismus zu Aufwind zu verhelfen, haben zionistisch gesonnene Großindustrielle eine neue theologische Richtung gesponsort: den Dispensationalismus.
Ursprünglich hatte Nelson Darby, der Begründer der Brüderbewegung damit angefangen. Dieser hatte vom Kirchenvater Augustinus das Konzept der "Haushaltungen Gottes" übernommen. Haushaltung == Dispensation, daher der Name der Bewegung…
Und dieses System der Haushaltungen, welches eben nicht das himmlische Muster ist, lässt sich super für den Zionismus einspannen. Und so sahen sich die verschiedenen Brüder-Prediger plötzlich einer großartigen Angebotspalette aus der Großindustrie gegenüber, welches sie gerne annahmen…
Zum Thema: um "Dispensationalismus" überhaupt ausdrücken zu können, muß man dauernd zwischen "irdischen" und "himmlischen" Aussagen in der Bibel hin- und herreden. Deswegen ist das für Dispensationalisten immer sehr wichtig, "rauszufinden", ob eine Bibelstelle nun entweder "nur geistlich" oder "nur irdisch" gemeint ist.
Und wenn man da eine Stelle vermeintlich unzulänglicherweise "nur Symbolisch" meint auslegen zu müssen, wird da manchmal auch von "vergeistlichen" gesprochen.
Womit wir bei der dritten Bewegung wären…
…der Theologie schlechthin: Kirchenvater Augustinus. Der hatte nämlich so ungefähr alles erstmal "vergeistlicht"…
Und zwar ging es damals um den
Untergang des römischen Reiches und den Danielprophetien.
Dir wird das geläufig sein, du zitierst ja Daniel im OP…
Es gab die Prophetie, durch Daniel zu uns gebracht, dass auf das damals über Jerusalem herrschende chaldäische Weltreich noch drei weitere Reiche folgen würden, bis das Gottesreich errichtet werden würde. Diese Reiche wurden Nebukadnezzar als Statur und einen die Statur zertrümmenden, kometenartigen Stein in einem Traum gezeigt, der dann von Daniel ausgedeutet wurde.
Nun, zu Augustinus Zeiten war man voller froher Erwartung der Dinge, die da kommen würden, denn man war christlich gesonnen und man kannte das Buch Daniel und man erkannte sich selber in den Prophetien, denn das römische Reich war faktische Aktualität. D.h., es konnte sich nur noch um wenige Jahre handeln, bis das römische Reich in das Gottesreich überginge.
Das war damals der Zeitgeist.
Aber anstatt Jesus auf einem weißen Pferd kamen die Goten.
Und Vandalen, und Atilla und die Hunnen.
Trotz dem einen oder anderem militärischen Erfolg (laut meinem Avatar war ich ja dabei
) ging das Reich aber unter…
…und das Mittelalter begann.
Tja, und was war jetzt mit Daniel und so?
Da hatte der Augustinus seinen Auftritt in der Weltgeschichte.
Er schrieb.
Er schrieb viel und erfolgreich.
Sein Bestseller
"Vom Gottesstaat" blieb bis zum Jahre 1701 das meistverkaufte Buch. Also über tausend Jahre auf der Liste ganz oben, ein unvergleichlicher Erfolg.
In diesem Buch (und dem Rest der Reihe) erklärt uns Augustinus, daß die "Endzeit" und das "Tausendjährige Reich" und all das eben "rein geistlich" zu sehen sei.
Das war die Grundlage für das Glaubensleben, die Theologie und die Politik im Mittelalter.
Und dieses geistige Fundament des christlichen Abendlandes brauchte eben ab und an mal so eine ganze genaue Entscheidung ob jetzt eine Bibelstelle nur geistlich oder nur symbolisch oder nur irdisch oder nur allegorisch gemeint sei.
Auch heute noch glauben die meisten Christen, sowohl sie von neuem geboren sein mögen, im Verständnis der biblischen Schriften im Grundkonzept her an Augustinus. Nicht nur die Dispensationalisten, sondern die anderen auch.
Fast alle.
Und das beinahe unglaubliche daran: die meisten, ohne es zu wissen. (Manche schon.)
Und deshalb denke ich, die Frage im OP kam irgendwo auf, weil jemand da die Bibel gebrauchen will um entweder augustinische, zionistische oder modernistische Politik zu machen.