Pluto hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Pluto hat geschrieben:Die Bändigung des Feuers und die Erfindung des Rads sind Fakten, die maßgeblich zum Fortschritt der Zivilisation beitrugen.
Diese technischen Errungenschaften wurden von den Menschen sehr lange vor der Naturwissenschaft gemeistert.
Diese zwei ganz wichtigen Errungenschaften sehe ich als die "Geburt" naturwissenschaftlichen Denkens. Wie sonst sollte sich unsere unbändige Neugierde und der Drang sich die Natur untertan zu machen, zeigen, als durch solche Entdeckungen?
Indem sie sich weiterentwickelt,
von der Naturphilosophie zur Naturwissenschaft.
Um mal
Prof. em. Dr. Josef Honerkamp zu Wort kommen zu lassen:
Der Galileische Paradigmenwechsel war ein singulärer Prozess. Danach sah die Welt der Naturforschung ganz anders aus. Es gab nun die Naturphilosophie mit ihren Begriffen und qualitativen Vorstellungen und anderseits die Naturwissenschaften, in der quantitative, mathematisch formulierbare und damit exakt überprüfbare Aussagen eine vorherrschende Rolle spielten. Wir können uns heute keine weitere Wende eines solchen Kalibers vorstellen.
Diese Ansicht stimmte auch Einstein zu:
Zitat aus "Die Evolution der Physik" (A. Einstein, L. Infeld, Seite 67):
Naturgesetze für die Zusammenhänge zwischen aufeinanderfolgenden Ereignissen waren den Griechen unbekannt. Die Wissenschaft im Sinne einer Verknüpfung von Theorie und Experiment begann eigentlich erst mit Galilei.
Wie ich in meinem verlinkten Beitrag ausführte, hatte sich damit die Methodik der Arbeitsweise verändert. Anstelle von naturphilosophischen Spekulationen, die man allenfalls durch die Gesetze der Logik bewerten konnte, wies Galilei den revolutionären Weg, Theorien so zu entwickeln, dass sie exakte, mathematische Vorhersagen lieferten, die man experimentell überprüfen konnte. Salopp gesagt, hatte man nun, anstelle von Einschätzungen und Meinungen, die Möglichkeit der Berechnung.
Hierbei geht es aber um einen Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Arbeitsweise. Stand die Naturphilosophie noch auf einen Bein, steht die Naturwissenschaft nun auf zwei Beinen standfester da. Honerkamp stellt fest:°
Zitat von Prof. Josef Honerkamp:
"an einer Theorie zwei Ebenen zu unterscheiden [hat], die formal mathematische einerseits und die begriffliche andererseits."
Wissenschaftstheorie kann sich somit erst mit der Entwicklung seit Galilei befassen. Eine Entwicklung der Naturforschung vor Galilei ist Teil einer Geschichte der Philosophie.
Was meinst Du zu dieser Sichtweise?
Pluto hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Im übrigen sind Mathematik und Physik Wissenschaften, die aus der hellenistischen Philosophie entsprangen.
Richtig. Man nennt diese großen Denker der Antike heute "Naturphilosophen", aber was waren sie anderes als die ersten Naturwissenschaftler, Mathematiker, Philosophen, Dichter und Künstler?
Ja, dass hast Du recht. Sie waren Universalgelehrte. Leibniz war vermutlich der letzte ihrer "Art".
Doch waren ihre naturphilosophischen Erkenntnisse wirklich bedeutsamer, als ihre geisteswissenschaftlichen Ideen? Mag sein - ich weiß es nicht.
Pluto hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Und Mathematik gilt seit ca. 1900 als Formalwissenschaft und wo wären die Naturwissenschaften ohne "die Königin der Wissenschaften". Andererseit kann man mit der Mathematik nur formale Beweise formulieren, ohne konkreten Naturbezug sind sie noch nicht "real".
Du redest von der "Formalisierung" der Naturwissenschaften.
Hast Du schon mal in die Vorlesungen von
Prof. Dr. Paul Hoyningen-Huene reingeschaut? Für mich war da so manches überraschend. So wandelte sich im Laufe der Geschichte das, was man unter "Wissenschaft" versteht.
Pluto hat geschrieben:Ich will die Geisteswissenschaften nicht verdrängen oder schlecht reden.
Andererseits sollten auf nicht vergessen, dass wir unsere Zivilisation unserem Erfindungsgeist verdanken, und der entspringt nun mal der Naturphilosophie des Altertums aus der sich später alle Wissenschaftszweige entwickelten.
Aus der Philosophie entwickelten sich doch auch die Geisteswissenschaften usw. So sind doch die Formalwissenschaften
Mathematik und
Logik von fundemalentaler Bedeutung, ohne die wir überhaupt keine sinnvolle Naturwissenschaft betreiben könnten. Was eine "Theorie" ist, ist eine erkenntnistheoretische Frage.
Wenn ich mal ins allseits beliebte
Nachschlagewerk schaue:
Zitat aus
Geisteswissenschaften, u. a.:
Geschichtswissenschaften
Kunstwissenschaft
Literaturwissenschaften
Religionswissenschaften
Sprachwissenschaften
Um daraus mal die von mit fett hervorgehobenen Wissenschaften herauszugreifen: Historie ist ungemein wichtig für das Selbstverständnis. Selbst in der Naturwissenschaft ist die Wissenschaftshistorie mMn sehr hilfreich.
Wheeler brauchte für sein Buch
"Gravitation und Raumzeit" eine Parabel, mit der eine doppelte Krümmung beschrieben werden kann und bat hierzu den Wissenschaftshistoriker Marshall Clagett um Hilfe. Er Verwies ihn auf Apllonius von Perga und seinem fünften Buch der
Kegelschnitte (247 - 205 v. Chr.). Mit Hilfe dieser antiken Geometrie konnte Wheeler ohne Tensoren die Schwarzschild-Geometrie beschreiben (das Buch solltest Du unbedingt lesen).
Bildquelle
aus Apollonius 5. Buch Kegelschnitte
Pluto hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Da denke ich an so weise Physiker wie Teller, Wheeler und Feynman, denen wir, neben bahnbrechenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die Wasserstoffbombe verdanken.
Diese Männer mögen die physikalischen Grundlagen dargelegt haben, aber dass daraus Bomben gemacht wurden, verdanken wir nicht ihnen, sondern den Politikern und den Militärs.
Wer gab denn den Politikern und den Militärs die Wasserstoffbombe? U.a. die von mir namentlich genannten Physiker. Sie konnten ihre Verantwortung doch nicht etwa an andere abgeben.
Oder denke nur an die Sprachwissenschaften. Wissenschaft muss immer irgendwie in Sprache ausgedrückt werden. Der Sprachgebrauch in den Naturwissenschaften ist sehr streng und genau. Sie brauchen also Sprache - sie ist essentiell.
Pluto hat geschrieben:Ja... was ist der Sinn des Lebens. Sind wir mehr als ein "Sack voller Atome?", im Wert von ein Paar Cent?
Darauf kann uns die Wissenschaft keine Antwort geben.
Die Geisteswissenschaft kommt hier zum Zug.
Pluto hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Man könnte ja mal darüber nachdenken, wo wir ohne die Geisteswissenschaften wären.
Sicher wäre die Geschichte der Menschheit Welt ohne Philosophie, Kunst, Musik und Literatur eine ganz andere, ja sogar völlig unvorstellbare Welt. Ist das nicht die Daseinsberechtigung der Geisteswissenschaften?
Ja, und diese Dinge halte ich für ebenso bedeutsam für unsere Kultur.