ThomasM hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Eventuell würde ich da etwas anders bezüglich des Untersuchungsobjektes oder Untersuchungsfeldes unterscheiden:
1.1 Dinge, die nicht der Mensch gemacht hat - Baum, Stern, Stein
1.2 Dinge, die der Mensch gemacht hat - Gedicht, Wirtschaftsstystem, Auto
Diese Unterscheidung stellt die Fähigkeit des Menschen als zentrales Unterscheidungskriterium hin, was ich als künstlich empfinde. Zumal du korrekt herausarbeitest, dass das kein sinnvolles Unterscheidungskriterium für Wissenschaften ist.
Ich bin jetzt erst mal noch in der Sammelphase.
Diese Unterscheidung wurde immerhin oft gemacht, und die Begriffe "Naturwissenschaft" und "Geisteswissenschaft" beruhen auf dem Unterscheidungskritierium, was der Gegenstand der Untersuchung ist: die Natur oder der Geist.
Ich hab das zwar gleich noch ein bisschen problematisert bzw. differenziert, aber als künstlich kann ich die Unterscheidung nicht ansehen. Sie ist sozusagen die natürlichste, in meinen Augen, und sie ist Jahrhunderte alt.
Den Begriff "Geisteswissenschaft" benutze ich noch aus Gewohnheit, weil in meiner Studienzeit die Universitäten diesen Begriff nun eben mal anwandten und es auch klar war, welche Disziplinen dem zugeordnet waren.
Heute ist da einiges in Bewegung; manche Universitäten benutzen den Begriff immer noch, andere greifen zu anderen Bezeichnungen wie "Humanwissenschaften" oder "Kulturwissenschaften", und da wäre dann auch die Zuordnung der Disziplinen anders.
Dennoch, denke ich, ist nach wie vor der untersuchte Gegenstand der entscheidende Punkt.
Nur dass man eben differenziert: die Physis des Menschen, die Psyche des Menschen, die soziale Tätigkeit des Menschen, die gegenseitige Beeinflussung der ebengenannten Aspekte etc.
ThomasM hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Und man kann ein und dasselbe Objekt - das Sprechen zum Beispiel - physisch untersuchen (wie ist das Sprechen durch die Bildung des Kehlkopfs möglich, Bereich Medizin oder Physiologie) und nicht-physisch (wie entsteht das System Sprache (Linguistik), wie beeinflussen verschiedene Sprachen das Denken (Philosophie), wie beeinflusst die jeweilige Sprache die Art der Dichtung (Literaturwissenschaft).
Das ist korrekt, geht aber irgendwie an dem Punkt vorbei, den ich sagen wollte.
Wahrscheinlich orientiere ich mich immer noch an dem Threadthema und an den Fragen, die wir anfangs desbezüglich hatten.
Außerdem habe ich vermutlich die Intention Deines posts nicht so ganz verstanden:
Ging es Dir darum, dass man die Disziplinen an den Unis neu sortieren sollte nach dem Kriterium der "Durchlässigkeit"?
Oder willst Du einfach nur diskutieren, welche Fachgebiete andere Fachgebiete beeinflusst haben oder beeinflussen?
ThomasM hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Die Physik des 19. Jahrhunderts bewirkte flugs den Positivismus sowohl in der Philosophie als auch in der Literaturwissenschaft, indem man in beiden Fällen meinte, der Mensch würde genauso mechanisch funktionieren: man könnte fast im Voraus berechnenen, welch ein literarischer Werk ein Mensch produzieren würde, wenn man weiß, welche Erbanlagen und Kindheitseinflüsse dieser habe.
Diese Theorie feiert meines Erachtens in der Aussage "Der Mensch ist nichts weiter als ein chemischer Computer" eine fröhliche Rückkehr und beeinflusst aktuell hauptsächlich die Frage nach Schuld und Strafe.
Was dann aber in den Themenbereich "Ideologisierung von Naturwissenschaft" gehören würde.
Wenn wir in diesem Thread Gemeinsamkeiten von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften herausarbeiten wollen, dann gehört der Missbrauch von Wissenschaft vermutlich hier nicht rein - oder doch?
Savonlinna hat geschrieben:
Meines Erachtens existiert diese Brücke schon, zumindest im Ansatz - aber nicht über die Untersuchung der Objekte, unter Hegemonie der Naturwissenschaften oder der Geisteswissenschaften, sondern durch Reflexion der Methoden.
Nun ja. Hoyningen-Huene ist ein Schüler von Feyerabend und relativiert die Bedeutung von Methoden stark. Ein Vergleich von entfernten Familien von Wissenschaften über den Vergleich der Methodik oder die Definition eines übergeordneten Satzes von Methoden lehnt er ab. Und seine Argumente sind durchaus bedenkenswert.
Nichtsdestotrotz EXISTIERT die erwähnte Brücke im Ansatz. Und Reflexion der Methoden ist ja seit Feyerabend nicht verboten.
ThomasM hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Die Wissenschaftstheorie reflekitert, dass ALLE Wissenschaften aus der Erkenntnistheorie entstanden sind, auch die Naturwissenschaften.
Der von mir öfter erwähnte "linguistic turn" macht bewusst, dass auch die Naturwissenschaft sich in Sprache ausdrücken muss und dass das Resultat DEUTUNG ist.
Diese Aussage ist mir nicht genug. Aber ein Ausgangspunkt.
Ich kann hier ja auch keine ganzen Essays schreiben.
Zumal ich nicht im Gesprächspartner drin stecke und nicht wissen kann, was dem anderen "genug" ist und was nicht.
Ich folge da einfach der Logik des Gesprächs, so gut es geht.
Heute ist dies - seit längerem wachsend - eine Grundfrage, wie die Struktur des Denkens durch die Struktur der Sprache - oder umgekehrt - beeinflusst ist.
Und daraus folgt die Frage: ob und wie weit alle abendländischen Wissenschaften durch ein bestimmtes Denksystem hervorgegangen sind, die in unserem Sprachsystem wurzelt.
Diese Frage stellte man sich zuerst in den Geisteswissenschaften und hat nun auch die Reflexion über die Methodik der Naturwissenschaften beeinflusst.
ThomasM hat geschrieben:ThomasM hat geschrieben:
Vielleicht kann man damit am Ende auch Aussagen finden, was sich mit Sprache prinzipiell machen lässt, also auch mit Naturwissenschaft.
Jetzt muss ich mir auch noch selbst widersprechen.
Diese Frage, selbst wenn sie mit "Ja" beantwortet wird, bringt wenig.
Denn die strukturellen Beschränkungen aus der Sprache, wenn man sie denn formulieren kann, gelten für alle Wissenschaften. Nicht nur für die Naturwissenschaften.
Genau.
Die Geisteswissenschaften sind aber in meinem Gefühl ziemlich schrankenlos, d.h. ich kann mir aktuell noch nicht einmal eine Schranke vorstellen.
Sie sind doch genauso - und noch viel offensichtlicher - an die Beschränkung unserer Sprache gebunden.
Siehe Philosophie und meine unendlichen Auseinandersetzungen desbezüglich mit closs.
"Subjekt" und "Objekt", "Substantiv" und "Verb" spielen gerade in der abendländischen Philsophie darum eine so dominante Rolle, weil unsere Grammatik so gebaut wurde.
Wir haben über die "Wirklichkeit" ein Raster gelegt, das nur das aus dem Fluss der Wirklichkeit herausschneidet, was die Schablonen der Grammatik vorschreiben.
Insofern stürzen ganze philosophische Systeme zusammen, wenn man das berücksichtigt.
Indianersprachen, in denen weniger Substantive, sondern Verben in der Grammatik dominant sind, setzen dementsprechend eine andere Auffassung von "Wirklichkeit" voraus.
Das also betrifft die UNTERSCHIEDLICHEN Sprachen unserer Welt.
Nimmt man die Sprache als Ganzes, dann ist für die Geisteswissenschaften eine NOCH heftigere Frage, auf welche Art und Weise die Sprache ein Raster ist, das es möglicherweise grundsätzlich verunmöglicht, Wirklichkeit adäquat zu beschreiben.
Und damit: den Menschen adäquat zu bechreiben, seine Fragen, seine Probleme, seine Glaubensformen.