Da sind wir uns einig. - Ich bin in der unmodernen Lage, dass ich einerseits Putins Krieg für ein Kriegsverbrechen halte, andererseits aber meine, dass dieser Krieg vom Westen hätte verhindert werden können. - Ich habe mir kürzlich erlaubt, in einen ironischen Disput mit dem Chef-Redakteur zur treten. Folgendes habe ich ihm geschrieben:Magdalena61 hat geschrieben: ↑So 20. Mär 2022, 16:41 Ich bin gegen jede Ausgrenzung von Mehrheiten oder Minderheiten und dagegen, den Wert eines Menschen nach seiner Herkunft, Kultur oder Sprache zu bemessen. Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes.
Manche wissen es halt noch nicht.
Kommt die Ironie rüber?Ich will Putin-Versteher sein. Manche in unserer westlichen Kultur meinen ja, dass Verstehen etwas Negatives sei. Forensiker gehören nicht dazu. Sie freuen sich, wenn sie Motive von Frauenmördern oder Pädophilen verstehen. Warum sollte man dies nicht auch mal bei Putin probieren? Vielleicht scheut man sich ja, weil vorgefertigte Narrative weniger Arbeit machen. Man nennt dies dann „Aufklärung“. Aber das ist nur eine Vermutung.
Bekanntlich hat man ja bei der Wiedervereinigung eine Ausweitung der NATO auf die ehemaligen DDR-Gebiete ausgeschlossen. Damit die NATO bleibt, wo sie ist. Irgendwie hat sie sich dann rechts und links davon um über 1000 km nach Osten erweitert. Aus Platzgründen. Die Ukraine fand das irgendwann gut. Russland hat es eher gestört. Man nennt dies „unterschiedliche Interessen“. Im Westen nennt man eigene Interessen gut und andere Interessen schlecht. Man meint dies nicht nur egoistisch, sondern auch moralisch. Homoehen, Abtreibung und Radfahren sind dann moralisch gut, Gegenteiliges moralisch schlecht. Vielleicht hat das mit dem Vorwurf „Herrenmenschenmentalität“ zu tun, den man gelegentlich an die westliche Adresse gerichtet hört.
Unterschiede zwischen den Medienlandschaften in Ost und West gibt es sehr wohl. Im Osten sagt der Staat, was die Medien sagen dürfen. Bei uns sagen die Medien, was die Leute sagen dürfen. Das ist ein großer Unterschied. Im Osten darf man zu einem Krieg nicht „Krieg“ sagen, im Westen darf man zu einem Zigeunerschnitzel nicht „Zigeunerschnitzel“ sagen. Also auch die Themen sind unterschiedlich.
George Orwell hat gelegentlich den Begriff „Neusprech“ erfunden. Wikipedia ist zwar keine Quelle, wie man mir sagt, aber manchmal steht Vernünftiges drin. Zu „Neusprech“ steht da, dass „Neusprech“ eine sprachpolitisch umgestaltete Sprache sei, durch die Ausdrucksmöglichkeiten beschränkt und damit die Freiheit des Denkens aufgehoben werden sollen. Das wiederum klingt ziemlich paneuropäisch.
Der Gebrauch der Nazi-Keule bietet sich eigentlich an. Da kommt man schwer drum rum, wenn man gewohnt ist, Diskurse über Narrative zu definieren. Wahrscheinlich glauben die Russen aus denselben Gründen mehrheitlich, dass Putins Narrativ stimmt, wie Hitlers Narrativ zu seiner Zeit mehrheitlich geglaubt wurde. Bei uns glaubt ja inzwischen auch die Mehrheit, dass es in Kirchen mehr Pädophile gäbe als in der übrigen Bevölkerung. Man muss nur lang genug narrativ hämmern. Beim einen tut es der Staat, beim anderen tun es die Medien. Beim einen verstößt es gegen die Pressefreiheit, beim anderen nicht. Pressefreiheit ist ein hohes moralisches Gut, vielleicht sogar das höchste.
Der paneuropäische Traum, der von der Igreja Matriz de Sao Sebastiao auf den Azoren bis zur orthodoxen Fürbittenkirche in Wladiwostok reichte, scheint also ausgeträumt zu sein. Vielleicht hat dies wirklich etwas damit zu tun, dass auf dem Weg nach Waldiwostok Homoehen, Abtreibung und Radfahren nicht so gut ankommen. Man will sich dort vielleicht gar nicht missionieren lassen. Ob da die Amerikaner mehr mitziehen werden?