sven23 hat geschrieben:Das Idyll der „Heiligen Familie"hat mit der neutestamentlichen Überlieferung nicht viel zu tun.
Das wiederum sehe ich genauso - die "Heilige Familie" samt Ochs und Esel ist natürlich eine kulturelle Überzeichnung. - Aber daraus darf man doch nicht schließen, dass Jesus deshalb "ein kritisches Verhältnis" zu seiner Familie hatte.
Doch, er sagt ja selbst, dass der Prophet nichts gilt im eigenen Land und in seiner eigenen Familie.
Maria kommt im Neuen Testament eher schlecht weg, zumindest in den ältesten
Schichten. Weder Paulus noch Markus zeigen sich an ihr interessiert. Markus hat auch
noch nicht die wundersamen Geburtslegenden, aus denen die Theologen sich später so
reichlich bedient haben. Wenn Maria überhaupt erscheint, dann in eher zweifelhaftem
Kontext. Seine Mutter und seine Brüder haben Jesus schlicht für verrückt gehalten, wie
sich noch im Neuen Testament nachlesen lässt.
Jesus ging in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr
essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt
zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. (Mk 3,20–21)
Deutliche Worte. Nichts ist zu spüren von Maria als Vorbild des Glaubens, als Pforte des
Heils, als die sie die spätere Theologie sehen wollte. Statt des Ja des Glaubens spricht hier
Maria ein implizites Nein zu Jesu Verkündigung. Statt der Mittlerin des Heils wird hier
nur eine Mutter sichtbar, die sich um ihren Sohn (wie sich später herausstellt,
berechtigte) Sorgen macht. Schwerlich ist dieser peinliche Umstand später erfunden
worden. Im Gegenteil: Matthäus und Lukas, die den Markustext ja schriftlich vor sich
liegen haben, streichen diese anstößige Stelle.
Die Verwandten Jesu haben, folgt man der Erzählung bei Markus, keinen Erfolg, sie
können Jesus nicht unter Kontrolle bringen. Jesus grenzt sich sogar von seiner
widerspenstigen Familie ab.
Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und
fragen nach dir. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen,
die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes
erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.
(Mk 3,32–35)
Da Maria und Jesu Brüder später selbst zur ersten Christengemeinde gehörten, kann
auch diese Stelle schwerlich erfunden worden sein. Maria wird hier gerade nicht zur
familia dei gezählt.
Als es Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth nicht gelingt, Wunder zu wirken, und
seine Bekannten ihm nicht glauben wollen, fragen diese:
Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben
nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab. Da sagte Jesus zu ihnen:
Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.
(Mk6,3–4)
Es ist schon ein bemerkenswerter Umstand, dass alle die, die Jesus schon vor seinem
öffentlichen Auftreten kannten, ihn entweder für verrückt oder unglaubwürdig halten.
Auch von seiner Jüngerschar scheint keiner aus Nazareth gekommen zu sein. In diesem
Zusammenhang interessiert uns hier aber nur der letzte Teil des Zitats, welcher zum
wiederholten Male erkennen lässt, dass Jesus auch bei seinen Verwandten auf
Unverständnis stößt.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen. George Orwell
sven23 hat geschrieben:er sagt ja selbst, dass der Prophet nichts gilt im eigenen Land und in seiner eigenen Familie.
Da ist in der Tat was dran - allein deshalb, weil in einer innigen Familie der Abstand fehlt. Das ist normal.
Aber daraus ein "kritisches" Verhältnis zu konstruieren, macht nur dann Sinn, wenn ALLE Verhältnisse innerhalb einer Familie "kritisch" sind, sobald es jemanden in eine Sendung treibt - Klassiker: "Ich will Schauspieler werden" - "Lern was Ordentliches").
sven23 hat geschrieben:er sagt ja selbst, dass der Prophet nichts gilt im eigenen Land und in seiner eigenen Familie.
Da ist in der Tat was dran - allein deshalb, weil in einer innigen Familie der Abstand fehlt. Das ist normal.
Aber daraus ein "kritisches" Verhältnis zu konstruieren, macht nur dann Sinn, wenn ALLE Verhältnisse innerhalb einer Familie "kritisch" sind, sobald es jemanden in eine Sendung treibt - Klassiker: "Ich will Schauspieler werden" - "Lern was Ordentliches").
Es zeigt aber, dass die Familie selbst nichts von seiner angeblich göttlichen Berufung wußte. Jesus selbst wußte auch nichts davon. Kein Wunder, denn die Schreiber erfanden die Geburtslegenden erst posthum.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen. George Orwell
sven23 hat geschrieben:Es zeigt aber, dass die Familie selbst nichts von seiner angeblich göttlichen Berufung wußte.
Das ist naheliegend in Bezug auf diese Quelle. - Alternative wäre der Versuch der Familie, etwas Vorgesehenes außer Kraft zu setzen - so wie Mütter wissen, dass der Sohn in den Krieg muss, es aber trotzdem verhindern will.
sven23 hat geschrieben: Jesus selbst wußte auch nichts davon.
sven23 hat geschrieben:Es zeigt aber, dass die Familie selbst nichts von seiner angeblich göttlichen Berufung wußte.
Das ist naheliegend in Bezug auf diese Quelle. - Alternative wäre der Versuch der Familie, etwas Vorgesehenes außer Kraft zu setzen - so wie Mütter wissen, dass der Sohn in den Krieg muss, es aber trotzdem verhindern will.
Mal ehrlich: welche Eltern sind schon begeistert, wenn ihr Sohn seine bürgerliche Existenz hinschmeißt und als Sektenguru durch die Lande zieht, um seine jüdischen Glaubensbrüder vor dem Gericht zu bewahren, weil das Ende unmittelbar bevorsteht?
closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Jesus selbst wußte auch nichts davon.
Er ebenfalls nicht?
Er sah sich berufen, seine Endzeitbotschaft unters Volk zu bringen, aber von seiner "göttlichen" Abstammung wußten weder er noch seine Familie nicht das geringste. Was die Schreiber ihm da posthum andichten wollten, wäre wohl als Gotteslästerung empfunden worden.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen. George Orwell