Hiob hat geschrieben: ↑Di 7. Dez 2021, 00:16Materialistisch gesehen ist das richtig - aber halt geistlich nicht. Denn es ist ein Unterschied, ob man die Welt aus der Wahrnehmung heraus ontifiziert, also letztlich die Wahrnehmung zum Maßstab fürs Sein macht, oder eben nicht. - Christlich geht nur letzteres (philosophisch eigentlich auch, aber nur im traditionellen Verständnis des Wortes).
Das ist deine Einstellung. Auf spiritueller Ebene weiß Satan auch “ontisch” – aber ist dennoch absolut verdammt.
Individualität braucht letztlich nur Existenz. Die Zeit ist nichts anderes als ein Instrument, um diese Existenz entwicklungsfähig zu machen - das ist ja gerade der Gag der materiellen Existenz - siehe auch "Heilsgeschichte". - Heilsgeschichte ist nicht Teil der Geschichte, sondern Geschichte ist ein Teil der Heilsgeschichte.
Ich denke nicht, dass das so einfach ist. Siehe Heraklit, Schiff des Theseus, Großschrein von Ise. Alte Rätsel.
Zumindest kann man unter buddhistischen Vorgaben das Cogito-Ich so erklären. Wie immer: Welche Voraus-Setzungen von Denksystemen sind ontisch authentisch? Wir wissen es nicht.
Allerdings baut deine ganze Argumentation doch auf “Gott kümmert sich um uns” auf. Uns = Individuen. Das steht im Konflikt zu Anatta.
Claymore hat geschrieben: ↑Mo 6. Dez 2021, 22:16
Gott lässt zu, dass wir irren. Und es gibt keinen Bereich in dem wir Unfehlbarkeit erreichen.
Richtig - genau deshalb gibt es doch "Glaube". - Oder um es (aus dem Gedächtnis) mit Kant zu halten: "Ich musste mein <systemisches> Wissen aufheben, um Platz für den Glauben zu haben". - Das ist nicht schwärmerisch gemeint, sondern ontologisch.
Dein eingefügtes "systemisch" passt hier aber nicht. Dem echten, historischen Kant ging es in dem Zusammenhang um praktische vs. reine Vernunft. Mit deinen Einteilungen “ontisch” vs. “systemisch” hat das nichts zu tun. So wie du Gott für die Erkenntnistheorie einzuspannen ist Kants Denken völlig fremd.
Egal – der wesentliche Punkt ist: Gott lässt zu, dass Menschen irren. Manchmal sehr schwer irren. Also funktioniert “
genau deshalb gibt es doch ‘Glaube’” gerade nicht.
Ok… wenn du nun glauben willst / kannst, dass Gott DICH
persönlich (aus irgendeinem Grund) vor Irrtum bewahrt und Irrtum nur was für andere Menschen ist, meinen Segen hast du.
Mir persönlich ähnelt das jedoch zu sehr dem Sankt-Florian-Prinzip.
Nichts gegen “einfachen Glauben”, aber das ist
einfältigster Glaube.
Claymore hat geschrieben: ↑Mo 6. Dez 2021, 22:16
Diese Substanz des (historischen) Descartes ist: Eine Abwertung der Natur, eine Abwertung aller nicht-menschlichen Lebewesen, eine Abwertung des nicht-rationalen Geistigen.
- Sagt man das? Ist das eine heute gängige Sichtweise? --- Ich verstehe Descartes ziemlich umgekehrt.
Das haben ihm schon seine Zeitgenossen diagnostiziert. Ich habe noch nie jemanden getroffen der behauptet, er verstehe “Descartes ziemlich umgekehrt”.
Claymore hat geschrieben: ↑Mo 6. Dez 2021, 22:16
Natürlich ist es kein Glaubenssatz für den echten Descartes. Darum geht es ihm doch: dass man eben nicht glauben muss.
Aber doch erst, nachdem man erkannt hat, dass systemisch Objektives nur dann Sinn macht, wenn man vorher erkennt und glaubt, dass die Objekte "echt" sind. - Descartes treibt die Wissenschaft voran, WEIL ihn sein Glaube dafür den Rücken freihält.
Wollen wir über den echten, historischen Descartes sprechen oder über deine fiktive “Descartes”-Figur?
“Clare et distincte” garantiert für Descartes absolut sicheres, unumstößliches Wissen. Da ist jeder Zweifel ausgeschlossen:
René Descartes: “Meditationes de prima philosophia” hat geschrieben:Denn solange ich den Willen beim Fällen der Urteile so im Zaum halte, daß er sich nur auf das erstreckt, was ihm vom Verstand klar und deutlich dargestellt wird, ist es unmöglich, daß ich mich irre. Denn jede klare und deutliche Erfassung ist zweifelsohne etwas, und kann demnach nicht aus dem Nichts entstanden sein, sondern hat notwendig Gott zum Urheber – jener höchst vollkommene Gott, sage ich, dem es widerspricht, ein Schwindler zu sein –, und ist daher zweifelsohne wahr.
Sicher, seine Schlüsse sind fehlerhaft. Aber er selbst hat dies dennoch alles so vertreten.
Claymore hat geschrieben: ↑Mo 6. Dez 2021, 22:16
Gott wird über seinen Gottesbeweis klar und deutlich erkannt. Gott ist das höchste Wesen, also kein Lügner und Betrüger, ergo kann man sich auf die Sinne verlassen.
Genau das. - Nur dass es halt kein Beweis ist (selbst wenn Descartes das meint) - letztlich ist es Glaube. - Ich räume ein, dass Descartes vielleicht doch nicht so weit war wie Kant (siehe obiges Zitat), und das, was eigentlich Glaube ist, als Beweis bezeichnet.
Bei Kant besteht das gleiche Problem, dass du mit einer fiktiven Figur, die du “Kant” nennst, argumentierst.
Weil eine Jacke, deren erster, verborgener Knopf falsch geknöpft ist, auf "unfehlbare" Weise problemlos und schlüssig weitergeknöpft werden kann. - Ob der erste Knopf falsch geknöpft war, stellt sich erst am Ende raus (zu dem man nie kommt).
Das ist
deine Meinung. Ich denke: wenn wir schon den radikalen Skeptiker spielen, dann bitte konsequent. Glaubst du wirklich, ein Mensch, der die die Außenwelt anzweifelt, gibt sich mit einem solchen bloßen Bonmot zufrieden?
Claymore hat geschrieben: ↑Mo 6. Dez 2021, 22:16
Aber woher kommt die Unfehlbarkeit der Menschen, wenn es um Wissenschaft geht?
Mit "Unfehlbarkeit" ist nicht gemeint, dass Menschen keine Fehler machen, sondern dass in einem selbst definierten System alle weiteren Schritte im Sinne dieses Systems objektivierbar sind - also letztlich eine Fleißarbeit auf hohem Niveau. --- Wissenschaft vergleicht Beobachtungen zur Wirklichkeit mit einem (selbstgemachten) Modell - das ist im Grunde alles (wie schwer es in der Praxis auch sein mag). - Das heißt: Interpretationen der Beobachtungen finden im geschlossenen Raum statt - deren Wände hat der Mensch selbst hingestellt. - Es ist geradezu die Aufgabe der Wissenschaft, hier "unfehlbar" zu sein - alles andere wäre schlampig.
Mich überzeugt das
eher gar nicht.
Fehler sind Fehler und Irrtum ist Irrtum. Was gibt es daran zu deuteln?
Deine Fiktion der Unfehlbarkeit unter bestimmten Umständen, oder dass man gewisse Fehler ignorieren darf da bloß “schlampig”, sind argumentbefreite Behauptungen.