Nach diesem ernst zu nehmenden Zwischruf nun die Auflösung der Pointe ...
... doch dann nimmt die ganze Sache eine verblüffende Wende ...
Diese andauernde Verwechslungskomödie mit der Lehre und dem Brot ist der Running Gag im Markusevangelium. Mal sehen, was der wandernde Ernährungsberater sonst noch so auf der Pfanne hat.
Mk 6,47-52 Elberfelder 2006 hat geschrieben:Und als es Abend geworden, war das Boot mitten auf dem See und er allein auf dem Land. Und als er sie beim Rudern Not leiden sah, denn der Wind war ihnen entgegen, kommt er um die vierte Nachtwache zu ihnen, indem er auf dem See einherging; und er wollte an ihnen vorübergehen. Sie aber sahen ihn auf dem See einhergehen und meinten, es sei ein Gespenst, und schrien auf; denn alle sahen ihn und wurden bestürzt. Er aber redet sogleich mit ihnen und spricht zu ihnen: Seid guten Mutes! Ich bin es. Fürchtet euch nicht! Und er stieg zu ihnen in das Boot, und der Wind legte sich. Und sie entsetzten sich sehr über die Maßen; denn sie waren durch die Brote nicht verständig geworden, sondern ihr Herz war verhärtet.
Die meisten nehmen den letzten Satz kaum wahr, weil sie so begeistert von dem Wunder Jesu sind, der den Wind stillt. Oft ist in der Bibel das Nebensächliche, das was unscheinbar am Wegesrand der Texte wächst, der Schlüssel. Was um Himmelswillen haben die Brote hier zu suchen? Das ergibt doch kaum einen Sinn, außer dem: Sie sehen die Wunder, aber glauben wohl noch nicht recht dran, dass Jesus wirklich Wunder wirken kann.
Hier dazwischen macht Markus seinen Witz, auf den ich im letzten Post aufmerksam machte.
Wieder mal auf dem See ... Der See ist ein ganz spezielles "Bühnenbild" des Markus, welches immer eine tiefere Bedeutung signalisieren soll.
Der nächste Akt in der Verwechslungskomödie:
Mk 8,14-21 Elberfelder 2006 hat geschrieben:Und sie vergaßen, Brote mitzunehmen, und außer einem Brot hatten sie nichts bei sich auf dem Boot. Und er gebot ihnen und sprach: Seht zu, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes! Und sie überlegten miteinander: <Das sagt er,> weil wir keine Brote haben. Und er erkannte es und spricht zu ihnen: Was überlegt ihr, weil ihr keine Brote habt? Begreift ihr noch nicht und versteht ihr nicht? Habt ihr euer Herz verhärtet? Augen habt ihr und seht nicht? Und Ohren habt ihr und hört nicht? Und erinnert ihr euch nicht, als ich die fünf Brote unter die Fünftausend brach, wie viele Handkörbe voll Brocken ihr aufgehoben habt? Sie sagen zu ihm: Zwölf. Als <ich> die sieben unter die Viertausend <brach>, wie viele Körbe voll Brocken habt ihr aufgehoben? Und sie sagen: Sieben. Und er sprach zu ihnen: Versteht ihr noch nicht?
Welch herrliche Ironie! Das wahre Wunder ist, dass Markus seinen Jesus förmlich aus dem Buch, das der Leser gerade in Händen hält, heraustreten lässt, um die Leser zu fragen:
„Versteht ihr immer noch nicht?“
„Wer jetzt? ... Ich?“
„Ja, ich frage Dich. Du bist es doch, der diese Zeilen gerade liest, nicht wahr?“
„Ähhh ... doch ... schon ... na so was!“
„Und? Was will dir Markus damit sagen?“
„Dass es gar nicht ums Brot geht? Das bei den Brotvermehrungen gar kein Brot unter die Leute verteilt wurde? Ahh, die Jünger sollten deine Lehre unters Volk bringen. Und dass sie darin besser wurden erkennt man daran, dass beim zweiten Mal pro Kopf weniger übrig blieb, also vom Volk weniger nicht verdaut ähh verstanden worden ist. Weil deine Jünger dich schon besser verstanden hatten, verstand auch das Volk die Lehre besser, welche nun die Jünger austeilten?
Wenn du also fragst: ‚Versteht ihr noch immer nicht‘, sollte man sich Gedanken darüber machen, was man noch nicht verstanden haben könnte, und sich nicht zu sehr an das klammern, was man meint verstanden zu haben.“
„Na also. Geht doch. Zum Verstehen gehört, das eigene Verständnis immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.“
„Einen Moment noch! Was ist die Lehre, die du und die Jünger da austeilten? Darüber schreibt Markus ja gar nichts.“
„Wir haben da gar nichts ausgeteilt. Der Text des Markus ist der Text des Markus. Die Wirklichkeit ist die Wirklichkeit. Es ist also Markus der hier eine Lehre austeilt, die er von uns gelernt hat.
Markus lehrt euch also, dass es zum Lehren der Lehre gehört, dass der Lehrer verstanden haben muss, was sein Lehrer ihn lehrte. Dessen muss sich der Lehrer des Lehrers vergewissern.
Es geht aber in erster Linie darum, zu verstehen, wie das Verstehen funktioniert – das ist die Basis allen Lehrens und das Erste was gelehrt werden sollte, wenn man die Lehre lehrt.
Auswahl der Zwölf – Ausbildung der Zwölf – Aussenden der Zwölf, das war aber nur der Anfang. Verstanden hatten sie da noch lange nicht, was das Ziel der Lehre ist. Das kam erst viel später durch die Erfahrungen die sie noch erleben sollten. Das alte Lied: Theorie und Praxis.
Wenn du das Verstehen besser verstehen willst, mach einfach, was der Engel dir im letzten Kapitel sagt.
Man sieht sich.“
Völlig verdutzt, schau ich mir den kurzen Markusschluss an:
Mk 16,5-8 Elberfelder 2006 hat geschrieben:Und als sie in die Gruft eintraten, sahen sie einen jungen Mann zur Rechten sitzen, bekleidet mit einem weißen Gewand, und sie entsetzten sich. Er aber spricht zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hingelegt hatten. Aber geht hin, sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er euch nach Galiläa vorausgeht! Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von der Gruft. Denn Zittern und Bestürzung hatte sie ergriffen, und sie sagten niemand etwas, denn sie fürchteten sich.
Zuerst verstand ich natürlich nicht, was der Engel mir (?) zu sagen hat. Soll ich jetzt nach Galiläa fahren, oder was? Irgendwas hatte ich wohl falsch verstanden. Obwohl ... wenn die Frauen niemandem etwas sagten, wie kann dann der Markus davon wissen - oder meinte Jesus eben ... dass sie es deshalb niemandem sagen mussten ... weil ich es ja schon weiß ... ach was, das kann nicht sein. Ich kapier's nicht.
Irgendwas hatte ich bestimmt überlesen. Ich fing also noch mal von vorne an, das Markusevangelium zu lesen. Bald kam ich an diese Stelle:
Mk 1,14-15 Einheitsübersetzung 1980 hat geschrieben:Nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!
„... ging Jesus wieder nach Galiläa ... Kehrt um ...“ War es das, was mir der Engel im leeren Grab sagen sollte? Langsam dämmerte mir, welches Galiläa er gemeint haben könnte ... obwohl ... das ist doch nicht möglich!
„Dein Glaube hat dir geholfen. Wie ich mich freue, dich hier wieder zu sehen. Lass uns gemeinsam noch eine Runde durch das Markusevangelium gehen. Na los, du wirst sehen, dass diesmal vieles anders sein wird. Der Weg ist derselbe, aber weil du nicht mehr der Gleiche bist, so wie auch ich nicht mehr der Gleiche bin, wirst du Neuland betreten. Fürchte dich nicht. Glaub’ mir, ich kenn mich dort aus und ich bin immer für dich da.“
Es ist wie der Engel sagt: Beim ersten Lesen sucht ihr Jesus den Nazarener - beim zweiten lesen wieder in Galiläa findet ihr den Auferstandenen der euch vorausgeht. Das ist die Wundererzählung des Markus - und an dieses Wunder glaube ich.
Das ist der Hermeneutische Zirkel nach Art des Markus. So tischt er seinen Lesern die Kunst des Verstehens auf: lesen - umkehren - umdenken, das Gute ins Herz, das Schlechte in die Grube, dann wieder lesen - umkehren - umdenken ... erst wenn sich wirklich nichts neues mehr beim Lesen ereignet und es anfängt langweilig zu werden, ist es Zeit, sich vorerst einem anderen Buch der Bibel zu widmen.
Es ist so bereichernd, den vielfältigen Zusammenhängen innerhalb eines biblischen Buches auf die Spur zu kommen. Dazu muss man sich gewissermaßen in dieses Buch einleben. Das ereignet sich aber nur im Hermeneutischen Zirkel wiederholten Lesens.
Dann wird das Ganze mehr, als seine Einzelteile sind.
"Mit welchem Maß ihr messt, wird euch gemessen werden, und es wird euch hinzugefügt werden. Denn wer hat, dem wird gegeben werden; und wer nicht hat, von dem wird auch, was er hat, genommen werden."