Thaddäus hat geschrieben: ↑Do 15. Jun 2023, 19:40In der Philosophie ist eine Tatsache einfach ein wahrer Sachverhalt (unabhängig davon, ob man seine Wahrheit feststellen kann).
Bleiben wir hierfür mal beim Feststellen des Tatsachenstatus.
Der Begriff "Wahrheit" enthält einen Beurteilungsaspekt.
D.h.: man wertet aus, man wägt ab (deshalb ist bei Wahrheit das Symbol der Waage sehr beliebt).
Gibt es bei Tatsachen, also im Moment der Tatsache, den Auswerte- und Abwägevorgang?
Die einfachste Tatsache, die man identifizieren kann, ist vielleicht das Etwas-Nicht-Wissen.
Pendelt da etwas in mir hin und her und letztlich finde ich zu einem Entschluss (und es ist allein meiner Klugheit geschuldet, dass ich immer eine gute Wahl treffe: Überzeugung von meiner Ahnungslosigkeit)?
=> nein, eher nicht.
Tatsachen sind nicht durch ein Hin und Her zu charakterisieren, sondern durch ein "momentanes Zack" und keinerlei Abweichung.
Eine Tatsache ist eine vorliegende Situation ohne Ausweg und muss nicht erst durch Abstempeln/Beweisen zu etwas gemacht werden.
Das ist der für mich so wichtige Punkt:
eine Tatsache ist eine Reaktionseinschränkung und kein Zugeständnis.
Das Vorliegen der Situation ist der dominante Part und der (wahrnehmende) Akteur kann nur noch folgen - er ist ausgeliefert.
Mach den Versuch durch einen Tisch zu gehen, und dir wird zu keiner Zeit das Symbol einer Waage einfallen.
Ich glaube "wahrer Sachverhalt" hat eine sehr starke Verbindung zu Überlegungen rund um "Aussagen" und dreht sich dabei um die Korrektheitseinschätzung (bei Behauptungen).
Das ist nicht das, was vorgeht, wenn du Etwas-Nicht-Weist oder Durch-Einen-Tisch-Gehen-Möchtest.
Vielleicht ist es auch angebracht zwischen dem Moment der Tatsache und der Darstellung/Präsentation der Tatsache zu trennen.
Dieser eine Moment aus Vorliegen und Reaktionseinschränkung ist sozusagen die Tatsache, "wahrer Sachverhalt" betrifft eher das Erfassen dieses Momentes und das Weitergeben dieses Momentes.
Es ist oftmals nicht einfach, aus dem Vorliegen einer Gesamtszene, diejenigen Anteile herauszufiltern, die man minimal als Ursache für die Reaktonseinschränkung und damit als "die Tatsache" anerkennen sollte.
Diese Filterung unterliegt dann durchaus einem Vorgang des Urteilens.
Ich lege mich mal fest, dass ich trennen würde zwischen dem "Einer-Tatsache-Ausgeliefert-Sein" und dem "Erfassen der Tatsache" bzw. dem "Sprechen über die Tatsache".
Das Erfassen der Tatsache, also die Filterung, unterliegt eigentlich wiederum der Auflage, den Tatsachenstatus erreichen zu müssen.
Thaddäus hat geschrieben: ↑Do 15. Jun 2023, 19:40Die korrekte Antwort auf die Frage, wie viele Haare zum Zeitpunkt t1 mit deiner Kopfhaut verwachsen waren, wird immer korrekt sein, obwohl sie möglicherweise kein Mensch kennt und selbst dann, wenn es gar keine Menschen mehr geben sollte und dich schon gleich gar nicht mehr.
Das Überdauern einer Frage und einer Antwort geht grundsätzlich nur in Form einer Speicherung.
Über die Speicherung kann man immer wieder die Frage und die Antwort durchspielen, OK.
Derjenige, der beim Experiment dabei war, speichert die zugehörige Korrektheit als Situation ab und kann sie immer wieder über seine Reaktion als Tatsache (sprich: Reaktionseinschränkung) verwalten.
Das geschieht (in meinem Weltbild) automatisch, weil die Ausgeliefertheit bei der Tatsache (also dem Moment des Vorliegens und der Reaktionseinschränkung) das Reaktionspotential formt.
Es gibt dann letztlich auch für das Erinnern keine Reaktionsalternative (wodurch der Charakter der Tatsache anhält)
Derjenige, der am Experiment nicht beteiligt war, hatte niemals eine vorliegende Situation und wird damit niemals einer entsprechenden Reaktionseinschränkung unterliegen.
D.h. so jemand kann die Korrektheit nicht als Tatsache verwalten.
Natürlich kann er sich ein Reaktionspotential engwöhnen, das Einschränkungen eintlag einer lediglich "übermittelten Tatsache" enthält. Ein Mensch macht dies im Kindesalter wohl sehr intensiv durch: er lernt und verankert Zusammenhänge maximal intensiv und vergisst, woher er sie hat.
Für den "Moment der Tatsache" benötigt man aber ein Vorliegen der Umstände.
Ist man in diesem Moment nicht vor Ort, kann man den Kontakt zu dieser Situation des Vorliegens nicht ersetzen.
Auf mich wirkt deine Formulierung "wird immer korrekt sein", wie eine übergeordnete Perspektive, sozusagen eine Form der "überzeitlichen Speicherung des Momentes".
Wenn man den Moment der Tatsache als eine Situation aus konkreten Wechselwirkungen ansieht, dann verschwindet diese Konstellation sehr schnell wieder, weil die Wechselwirkungen nicht in einem statischen Punkt verharren, sondern der Moment der Tatsache nur ein Standbild innerhalb ständigen Austausches ist.
Wenn man nun die Korrektheit in der Rückschau anspricht, dann stellt sich die Frage, wie liegt diese Korrektheit noch vor, wenn die Wechselwirkungen eine Konstellation erreicht haben, die aus unterschiedlichen Vergangenheitssituationen entstanden sein könnte, wenn also in diesem (späteren) Moment keinerlei Speicherung des vergangenen Momentes der Tatsache vorhanden ist?
Da liegt doch letztlich eine Art "Auslöschen" vor, sodass die Aussage "wird immer korrekt sein" eigentlich zu weit geht (also im Sinne einer ständigen Präsenz).
Dieses "immer korrekt sein" suggeriert ein wenig, ein Überdauern, zu dem man fragen muss: auf Basis welcher Speicherung?
Thaddäus hat geschrieben: ↑Fr 16. Jun 2023, 19:39Jedoch denke ich, dass man nicht ernsthaft bestreiten kann, dass die Geste von Howard eine erhebliche romantische Bedeutung für seine Freundin Bernadette hat. Das dürfte ein wahrer Sachverhalt sein, weshalb es sich um eine Tatsache handelt.
Ja, in Bernadette ist es zu einem kontinuierlichen Vorliegen von Umständen gekommen, auf die sie reagieren musste, also sogar einem Tatsachen-Verlauf.
Aber all diese Tatsachen betreffen ein Vorliegen bei Bernadette.
Der Anhänger ist eigentlich nur soweit involviert, dass die Geschichte, zu der Bernadette Vorstellungen aufbaut, einen konkreten Bezug erhält.
Das Vorliegen des Anhängers ist für Bernadette eine Tatsache (sie hat ja direkten Kontakt), wodurch die Kombination mit der Geschichte eine Art "Tatsachenerweiterung" darstellt und Bernadette anders in der Reaktion einschränkt/festlegt, als es ohne die Geschichte der Fall gewesen wäre.
Es ist (für mich) nicht der Anhänger allein und es ist nicht die Geschichte allein, sondern die Kombination aus Kontakt mit Anhänger und der aktuellen Bernadette, die sich im Nachvollziehen der Geschichte befindet, sorgt für eine konkrete Reaktionseinschränkung, was Bernadette als "die Tatsache ihres Hier und Jetzt" erlebt und in der Erinnerung abspeichert.