Wir sind es alle sehr gewohnt, in Gegensätzen zu denken. In Kategorien wahr oder falsch, schwarz oder weiß. Das nennt man Dichotomie. In der Philosophie will man das durch Dialektik zumindest ein Stück weit entspannen.
Mit einem biblischen Beispiel von Martha in Lukas 10,38-42 kann das verdeutlicht werden.
Lukas 10,40 Martha aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen; sie trat aber hinzu und sprach: Herr, kümmert es dich nicht, daß meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr nun, daß sie mir helfe.
Martha führte Jesus in ihr Haus, heißt es in Vers 38. Sie war also die Herrin des Hauses. Sie wird zwar nicht explizit als Herrin bezeichnet, aber einleuchtend sollte sein, dass sie zumindest gegenüber dem Gast das Vorrecht über ihr Haus besaß. Als Herrin des Hauses beachtete sie gleichzeitig die Sitte der Gastfreundlichkeit nach dem Vorbild Abrahams (1. Mose 18), wie es auch andere Figuren aus dem NT praktizierten. Sie
bediente ihre Gäste nach der üblichen Art. Als Herrin diente sie. Aber hier ist nicht das sklavische dienen gemeint, also nicht das übliche griechische
douleuO, sondern
diakonia. Das ist der Dienst nach Art der Apostel, um den auch ein Streit in der jungen Gemeinde entstand, wie er ab Apostelgeschichte 6 beschrieben wird. Dieser Dienst bzw. dieses Wort
diakonia sehe ich in seinen ganzen Kontexten im NT am besten ausgedrückt als
Fürsorge.
Der Philosoph Hegel, der alles andere als ein Atheist war, hatte die Dialektik als wesentlichen Bestandteil seiner Philosophie. Er schreib einen Text über die Dialektik von
Herrschaft und Knechtschaft.
Hegel betrachtet die Dialektik von Herr und Knecht als Quelle des Selbstbewusstseins, der Identität. Die Elemente des Selbstbewusstseins werden als „Für-sich-sein“ (Herr) und „Für-andere-sein“ (Knecht) erschlossen. Der Herr bezieht sein Selbstbewusstsein aus der Tatsache anerkannt zu werden; dafür, dass er sein Leben riskiert hat. Er arbeitet nicht. Der Knecht jedoch arbeitet für den Herrn. Er bezieht sein Selbstbewusstsein im Laufe der Zeit nicht mehr nur aus der Tatsache, für jemand anderen zu sein und zu arbeiten, sondern durch seine Arbeit gelangt er zur Herrschaft über die Natur.
Hegel macht deutlich, dass Herr- und Knechtschaft interdependent sind. Der Knecht ist zwar Knecht kraft seiner erzwungenen Unterordnung, jedoch ist der Status des Herrn von der Anerkennung seiner Herrschaft durch den Knecht abhängig.
[...]
Hegel erkennt darin einen Prozess der Arbeit und des Kampfes um Anerkennung, eine Geschichte der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, die in eine Synthese von Herrschaft und Knechtschaft mündet.
Quelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Herrschaf ... echtschaft
Berücksichtigen muss man aber, dass die Dialektik zwischen Herrschaft und Knechtschaft auf sehr vielen Ebenen und Sphären stattfindet und die Prozesse da schon weit fortgeschritten sein können oder gar schon vollendet sind. Im Beispiel des Haus- und Gastrechts wird da historisch nicht mehr sehr viel passieren. Das scheint schon seit Jahrtausenden an ein Ende gekommen zu sein.
Die sehr vielen verschiedenen griechischen Wörter, die im NT für Beziehungsverhältnisse und Interaktionen (herrschen, regieren, unterordnen, dienen, führen, lehren, lernen, hüten usw.) benutzt werden, legen ein Zeugnis darüber ab, dass man schon sehr früh verstanden und verinnerlicht hatte, was Hegel Jahrtausende später im deutschen Sprachraum als Erkenntnis etablierte.