Claymore hat geschrieben: ↑Di 26. Dez 2023, 22:36
NATO-Manöver wurden auch schon in Ostdeutschland abgehalten, das erste 1995 (als die Ostblock-Staaten noch lange nicht Mitglied der NATO waren), nur halt ohne ausländische Truppen.
Nochmal: Manöver der NATO ohne <sic!> NATO-Präsenz ausländischer Truppen. Da sind also deutsche Soldaten ganz alleine mit NATO-Aufkleber auf den Schulterklappen oder zumindest im Auftrag von Stoltenberg rumgelaufen. Du magst recht haben, aber das geht gegen den Strich von ziemlich allem, was in den frühen 90ern vereinbart wurde. Vielmehr ist mein Stand, dass selbst heute vertraglich keine NATO-Präsenz im "Beitrittsgebiet" möglich ist.
Gerade lese ich auf wik, dass eine Anfrage "im Jahr 2022" (wohl im Kontext des Ukraine-Kriegs) an das Verteidigungsministerium, ob "das NATO-Truppenstatut ... geändert wurde, also künftig NATO-Truppen auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR" präsent sein könnten, beantwortet wurde mit:
"Zu Ihrem Antrag ist anzumerken, dass dieser nicht auf die Herausgabe von amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen (amtlichen Informationen)
abzielt. Sie bitten vielmehr um die Beantwortung/Bewertung konkreter Fragen bzw. Hintergrundinformationen. Derartige Anfragen fallen nicht unter das Informationsfreiheitsgesetz (IFG)" (Quelle: FragDenStaat)
Halten wir also fest: Es könnte auf verschlungene Wege möglich sein, dass Du recht hast, weil damals zur Wiedervereinigungszeit Verträge und Aussagen aus Nachlässigkeit oder bewusst (ich vermute Letzteres) doppeldeutig gehalten wurden. Man kann dies nun vertragsrechtlich, völkerrechtlich oder sonstwie klären - dafür bin ich sicherlich kein Spezialist. Mein Anliegen ist eh eine anderes, nämlich nicht Expertengespreche von Fachjuristen, sondern das wirkliche Empfinden der Beteiligten und Betroffenen. Und da war der Punkt, dass sogar Gorbatschow in seinen späten Lebensjahren beklagt hat, dass Russland betrogen worden sei.
Bei einer Rede in Tutzing am 31. Januar 1990 drängte zum Beispiel der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Nato dazu, folgende Erklärung abzugeben: "Was auch immer innerhalb des Warschauer Paktes geschieht, es wird keine Ostausweitung der Nato geben, das heißt: näher an die Grenzen der Sowjetunion heran." (SZ, 10.2.2020)
"Ja, Gorbatschow fühlt sich durch den Westen hintergangen. Er erinnert sich nur zu genau an die Zusage des amerikanischen Außenministers James Baker Anfang Februar 1990 in Moskau, sich als Gegenleistung für die Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands in der Nato für eine Garantie einzusetzen, der zufolge "Nato-Kräfte keinen Zoll in östliche Richtung expandieren" würden. Wie sich dann herausstellte, weigerte sich US-Präsident George Bush, eine solche Garantieerklärung abzugeben. Diese Ankündigung, die nicht eingehalten wurde, und die dann später erfolgende umfassende Ausdehnung der Nato in Richtung Osten haben Gorbatschow tief verbittert." (dito)
Mit anderen Worten: Putins Argument, er wehre sich gegen eine absprachewidrige NATO-Osterweiterung ist historisch korrekt. Deshalb muss man keinen Krieg anfangen, zumal die NATO-Satzung auf Verteidigung ausgelegt ist, also Moskau nicht aktiv bedroht gewesen wäre. Andererseits: Wer 1990 lügt, kann es auch danach. Mit anderen Worten: Da wurde Vertrauen zerstört (siehe auch Putins Rede 2007 auf der Münchener Sicherheits-Konferenz).
Claymore hat geschrieben: ↑Di 26. Dez 2023, 22:36
Das Problem ist generell, dass damals sehr viel gesagt wurde, aber das allermeiste davon nie mehr war als nur persönliche Meinungen, Visionen, Ideen und Hoffnungen der beteiligten Politiker. Diese Zitate werden dann aus dem Kontext gerissen und suggeriert, es handle sich um ernsthafte, konkrete Vorschläge oder gar Zugeständnisse und Versprechen.
So stellt man es dar, um sich rauszuwinden. Richtig ist: Die Zusage des amerikanischen Außenministers wurde nicht schriftlich in einen Vertrag gefasst. In solchen Fällen hat ein Geschädigter wenig Chancen. Aber es geht nicht um Juristisches, sondern um die Wirklichkeit, die mündet in: "Wir wurden verarscht und über den Tisch gezogen". Und dann kommt am Ende halt ein Ukraine-Krieg raus, der irgendwann mehr als eine Million Opfer fordert. Quidquid agis, prudenter agas. Recipem finem.
Claymore hat geschrieben: ↑Di 26. Dez 2023, 22:36
Die gemeinsame Faktenbasis erodiert zunehmend, freundlich formuliert.
Du bist da ziemlich modern. Du ignorierst den Wirklichkeitsblock, also die Wirkung einer Sache, indem Du versuchst, die Wirklichkeit formal auszuhebeln. Das ist natürlich juristisches Tagesgeschäft, aber historisch funktioniert das nicht. Da gibt es Echos, auch wenn Tricks erstmal vordergründig funktionieren.