Ich komme wieder zu Daniel 7, überspringe dort die ersten drei Tiere - die wohl gut identifizierbar sind - und gehe gleich zu Tier 4.
Daniel 7,7 hat geschrieben:Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, ein viertes Tier war furchtbar und schrecklich und sehr stark und hatte große eiserne Zähne, fraß um sich und zermalmte, und was übrig blieb, zertrat es mit seinen Füßen. Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn Hörner.
Was war anders an dem Tier. Darüber muss man nicht lange spekulieren, denn es wird bereits im Bild deutlich:
Die drei Tiere zuvor sind eindeutig erkennbar: Löwe, Bär, Panther.
Das vierte Tier ist NICHT klar erkennbar. Es wird lediglich durch bestimmte Attribute gekennzeichnet.
Dass die ersten drei Tiere im Bild erkennbar sind, deutet darauf hin, dass wir sie in Realität auch leicht identifizieren können: Löwe=Babylon, Bär=Persien, Panther=Griechenland.
Somit sollte die Nichterkennbarkeit des vierten Tieres darauf hindeuten, dass wir es nur schwer identifizieren können.
Das vierte Tier ist eben nicht einfach nur das Weströmische Reich bis 476, sondern ein Reichsgebilde, das völlig anders als die vorigen ist.
Wodurch?
Im Bild sieht das so aus:
- es hat eiserne Zähne und frißt,
- es zermalmt mit seinen Füßen,
- es hat zehn Hörner,
- es wächst ein elftes Horn aus seiner Stirn, dass drei der übrigen ausreißt,
- das kleine Horn hat Augen und einen Mund und wird stetig größer bis es alle anderen übertrifft.
- das Horn kämpft mit den Heiligen und besiegt sie
In der Deutung heißt es dann:
Daniel 7, 23 hat geschrieben:Das vierte Tier wird das vierte Königreich auf Erden sein; das wird ganz anders sein als alle andern Königreiche; es wird alle Länder fressen, zertreten und zermalmen.
Dieses "Vierte Reich" wird also
ALLE Länder fressen, zertreten und zermalmen?
Ist das "alle" wieder nur eine Floskel à la Oikumene? Nun, der Text wurde in vorrömischer und in vorgriechischer Zeit geschrieben. Ein hellenistisches Oikumene-Verständnis kann hier nicht automatisch vorausgesetzt werden.
Hat es also der Autor mit dem Begriff nicht so ernst gemeint und wollte lediglich verdeutlichen: "eine ganze Menge Länder" und hat dann in Übertreibung von "alle" gesprochen?
Möglich.
Aber nehmen wir Daniel einen Moment ernst und vermuten "alle" bedeute auch wirklich "alle". Dann kann damit unmöglich lediglich das Weströmische Reich gemeint sein. Das Weströmische Bereich hat sich bemüht, sich möglichst viele Gebiete einzuverleiben, war aber weit davon entfernt auch nur annähernd alle Länder zu unterjochen. Man war sich dieser Begrenztheit auch absolut bewusst. Rom importierte beispielsweise chinesische Seide über Umschlagshäfen in Indien und auf der arabischen Halbinseln, war sich also der Existenz ferner, unerreichbarer Länder bewusst.
Das vierte Tier ist demnach das "Reiche-System", das mit dem Römischen Reich beginnt und in die europäischen Nachfolgestaaten mündet, die sich allesamt auf das Römische Reich berufen. Noch heute basieren unsere Gesetze und unsere Rechtsprechung auf römischen Ursprüngen. Die Kaiser des Mittelalters haben die translatio imperii vollzogen, um sich in die Nachfolge der Römischen Kaier zu stellen.
Die 'translatio" ist auch unter dem Aspekt interessant, dass sie ursprünglich abgeleitet ist von der Verbringung von Reliquien. Wurde eine Relique zermenoniell-kultisch von Jerusalem nach Rom überführt, sprach man von translation - mit der Vorstellung, dass die Reliquie am neuen Ort "wirken" sollte.
Die "translatio" der römischen Kaiserwürde folgte diesem Anspruch und diesem Prinzip.
Kommen wir zu Daniel zurück. Bevor ich zu den elf Hörnern komme, mache ich einen Abstecher zu Daniel 2. Hier geht es um die gleiche Angelegenheit, nur in einem anderen Bild. Das vierte Tier wird durch die Füße der Statue angezeigt. Die Eigenschaften der Füße sollten wir uns anschauen:
Daniel 2, 41-43 hat geschrieben:
Dass du aber die Füße und Zehen teils von Ton und teils von Eisen gesehen hast, bedeutet: Das wird ein zerteiltes Königreich sein; doch wird etwas von des Eisens Härte darin bleiben, wie du ja gesehen hast Eisen mit Ton vermengt. Und dass die Zehen an seinen Füßen teils von Eisen und teils von Ton sind, bedeutet: Zum Teil wird's ein starkes und zum Teil ein schwaches Reich sein. Und dass du gesehen hast Eisen mit Ton vermengt, bedeutet: Sie werden sich zwar durch Heiraten miteinander vermischen, aber sie werden doch nicht aneinander festhalten, so wie sich Eisen mit Ton nicht mengen lässt.
Das vierte Reich ist also folgendermaßen beschaffen:
- es ist zerteilt (nicht etwa ausdrücklich: zweigeteilt - was auf das antike Römische Reich verweisen könnte, sondern "
zerteilt")
- es hat etwas "Eisenhartes"
- es hat Zehen (Ja, bei Füßen sollten man das voraussetzen, aber ich erwähne es, weil die zehn Zehen den zehn (ursprünglichen) Hörnern des vierten Tieres gegenüberstehen)
- die ZEHEN sind teils aus Eisen, teils aus Ton - also: teils stark, teils schwach
- seine FÜßE und ZEHEN werden sich zwar durch Heiraten miteinander vermischen, aber sie werden doch nicht aneinander festhalten
Denn (merke auf!): das vierte Tier - sprich der entsprechende Teil der Statue - ist seinerseits mehrteilig: Schenkel aus Eisen, Füße und Zehen teils Eisen/ teils Ton
Beschrieben wird also nicht etwa ein einheitlich abzugrenzendes Reich, sondern ein Gebilde, das teils stark, teils schwach ist und mittels dynastischer Heiraten die Herrschaft aufrechterhält, ohne jedoch zu einem einheitlichen Reich zusammenzufinden. Gleichwohl hat dieses Tier in der Zeit des Römischen Reiches begonnen. Wenn es nun aber nicht ausschließlich das (west)römische Reich selber ist, was ist es dann?
Es ist etwas, was ich mit "römischer Zivilisation" umschreiben würde: das europäische Dynastiengeflecht auf der Grundlage des antiken Römischen Reiches ist - zusammen genommen - das vierte Tier.
Zu den Hörnern.
Daniel 7, 24 hat geschrieben:Die zehn Hörner bedeuten zehn Könige, die aus diesem Königreich hervorgehen werden. Nach ihnen aber wird ein anderer aufkommen, der wird ganz anders sein als die vorigen und wird drei Könige stürzen.
Zehn Hörner stehen also gleichzeitig auf der Stirn des Tieres, bevor ein elftes Horn nachkommt, dass größer und bedeutender als die anderen wird.
Wenn wir die "Grundlage", das "Substrat" des Tieres kennen, dann schauen wir doch einmal, wann und wo aus diesem Tier zehn Hörner hervorgehen.
Wir befinden uns in der Zeit der Völkerwanderung und innerhalb der Grenzen des antiken römischen Reiches entstehen folgende autonome Herrschaftsbereiche:
1 Angeln
2 Sachsen
3 Jüten
4 Burgunden
5 Alamannen
6 Westgoten
7 Ostgoten
8 Sweben
9 Vandalen
10 Syagrius
Die zehn Hörner.
Als elftes Horn erscheint - verspätet - das Frankenreich. Ab dem späten 4. Jahrhundert werden sie von den Römern als foederatii angesiedelt, um die Rheingrenze zu bewachen.
Das merowingische Franken reich expandiert dadurch, dass es zunächst das Reich des Syagrius (1 Horn), dann das der Alamannen (2 Hörner) und schließlich das der Burgunden (3 Hörner) besiegt und deren Gebiete vereinnahmt.
Aus dem merowingischen Frankenreich gehen schließlich die Karolinger hervor und Karl der Große nimmt per translatio imperii die römische Kaiserwürde an und stellt das Frankenreich in die Tradition des antiken Römischen Reiches.
Karl wurde im Jahr 800 zum weströmischen Kaiser gekrönt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_der_Gro%C3%9Fe
Die Beziehungen des Frankenreichs zu Byzanz waren intensiv, wenngleich das Verhältnis seit der Kaiserkrönung Karls im Jahr 800 mehrere Jahre schwer belastet war, denn nun ergab sich das sogenannte Zweikaiserproblem: Beide Seiten beanspruchten, in der Nachfolge der römischen Kaiser zu stehen, und erhoben einen damit verbundenen universalen Geltungsanspruch. Nikephoros I., seit 802 byzantinischer Kaiser („Basileus“), empfand die Kaiserwürde Karls als Anmaßung und verweigerte deren Anerkennung. Der Konflikt verschärfte sich noch, als Karl die von Byzanz beanspruchten Regionen Dalmatien und Venetien seinem Machtbereich einverleibte. Es kam zu begrenzten Kampfhandlungen, beide Seiten waren aber im Grundsatz an einem Ausgleich interessiert: Karl war noch immer an den Grenzen gebunden, während die Byzantiner im Westen von Bulgaren und im Osten vom Kalifat bedroht wurden. Bereits im Jahr 811 hatte Karl einen Brief nach Konstantinopel gesandt, doch wurde Nikephoros kurz darauf getötet. Im Frieden von Aachen (812) wurde ein tragfähiger Ausgleich mit dessen Nachfolger Michael I. erzielt. An ihn schickte Karl 813 einen neuen Brief, in dem er ihn als seinen ehrwürdigen Bruder anredete. Die große Bedeutung der Kontakte zwischen dem Frankenreich und Byzanz lässt sich auch an der recht hohen Zahl von Gesandtschaften ablesen: Insgesamt vier fränkische und acht byzantinische Gesandtschaften sind in Karls Regierungszeit belegt.
Im Vertrag von Aachen zwischen Karl und dem byzantinischen Kaiser wurde u.a. geregelt, dass die Bezeichnung "imperator" auch für Karl von Ostrom anerkannt wurde.
Damit gab es erstmals seit der Antike wieder zwei Kaiser - einen westlichen und einen östlichen.
So weit erst mal.