Ich denke, das siehst Du genauso: Dogmen an sich sind weder gut noch schlecht, die Inhalte von Dogmen können im Einzelfall aber zum einen oder anderen neigen. Dogmen sind eigentlich eine gedankliche Hilfestellung, mit der man Erkanntes zusammenfasst. Ohne geht es gar nicht. Gefährlich wird das "Dogmatische" erst, wenn Dogmen gegen rationale Vorhaltungen von Andersdenkenden als kritikresistente Axiome normativ gesetzt werden. Oder wenn gegen Kritik ein Dogma das andere stützen darf, das kommt eben auf das Gleiche.closs hat geschrieben:Das ist wohl wahr. - Die Frage sollte aber nicht sein, ob Dogmen an sich schlecht sind, sondern welche aus welchen Gründen schlecht sind. Und da komme ich wieder auf das Thema "Zeitgeist-Denken".Naqual hat geschrieben:Die einzelnen Dogmen stützen sich teils gegenseitig.
Das Wort "Zeitgeist" gibt es nur in der Deutschen Sprache und es mutet immer ganz lustig an, wenn man in einem englischen Text "the zeitgeist" findet. Der Zeitgeist ist nicht ganz ungefährlich, weil man ihn genausowenig merkt wie ein Schwimmer, die Strömung, in der er sich gerade befindet. Außer er fixiert seinen Blickpunkt auf einen festen Punkt außerhalb der Strömung. Ich kann Dein Beispiel mit den "heimlichen Gemeinsamkeiten" von Agnostikern und Christen gut nachvollziehen. Denn vieles merkt man selbst nicht. Zeitgeist ist meist stark verinnerlicht. Z.B. die humanistischen Werte werden heute als selbstverständlich akzeptiert, selbst von der christlichen Fraktion, die gegen den Humanismus predigt und vor diesem warnt. Und das kann manchmal zu enormen inneren Spannungen führen, wenn man Stellen im AT liest, die mit diesem eigentlich als selbstverständlich Gedachten nicht kompatibel sind. Und das ist ein Problem von nicht wenigen wirklich überzeugten Christen. Aber es wird meist nicht aktiv angegangen.
Aber es gibt noch andere Gründe, warum ich bei Dogmen skeptisch bin (auch wenn ich ihre grundsätzliche Notwendigkeit akzeptiere). Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt hat war, wie konnte es kommen, das man mit dem christlichen Glauben in der Kirchengeschicht so schief liegen konnte, mit so vielen Gruseligkeiten? M.E. gibt es naturgemäß Wechselbeziehungen zwischen dem Geglaubtem (Dogmen) und dem konkreten Verhalten als Folge hieraus.
Und hier spielt auch ein Zeitgeist rein. Man spricht denen von damals das Christsein ab, weil ein "echter Christ" solche Dinge nicht täte. Gleichzeitig hat man dann aber die gleichen Dogmen, mit denen die proklamiert "Unechten" ihr Verhalten erst ganz rational begründen konnten und es auch so sahen. Konkretes Beispiel zu Veranschaulichung.
Wenn man glaubt, dass der falsche dogmatische Glaube in die ewige Verdammnis führt, dann ist es ein ganz rationales Verhalten (und perverserweise nicht lieblos in der Intention) wenn man Ketzer tötet die andere mit falschem Glauben in das Schrecklichste führen, das es gibt. Heute spricht "nur" der humanistische Zeitgeist dagegen, den es damals nicht gab. Man gesteht also den Leuten von damals nicht zu, dass sie in ihrem Glauben felsenfest gestanden haben und sich rational verhalten haben (wenn man die dogmatischen Grundlagen ihres Verhaltens anerkennt).
Da muss ich mir noch einmal in Ruhe Gedanken darüber machen, denn Deine Beobachtung halte ich für äußerst interessant.Je länger ich in christlichen Foren und mit agnostischen Denkern Kontakt habe, desto klarer wird mir, dass beide Seiten sich ähnlicher sind, als sie es selber bemerken - denn: Sowohl die säkulare als auch die christliche "Fraktion" nimmt das menschliche Individuum (als wäre das selbstverständlich) zum Maßstab der Bewertung geistiger Dinge. - Die säkulare Gesellschaft macht das sowieso und begründet dies mit der Aufklärung - insofern folgerichtig. - Die christliche Seite (bei allen Unterschieden) macht dasselbe anders: Sie setzt zwar Gott über alles und macht ihn damit zum Maßstab des Menschlichen, definiert aber subjektiv, was der objektive Gott ist (etwa über "bibeltreue" Interpretationen) - mit anderen Worten: man subjektiviert Gott, indem man sich zum Maßstab des Gottesbildes macht.
Im Moment kann ich mir bloß nicht plastisch genug vorstellen, wo die pragmatische Alternative ist (also NICHT den Menschen in die Überlegungen einzubauen), vermute aber mal die Lösung ist bei Dir in einem ausgefeilten System der Unterscheidung von Sein und Dasein.
z.B. wenn Gott ständig allgegenwärtig und unendlich ist, dann haben wir aber das enorme Defizit, dass ALLES was wir erfahren nicht unendlich und nicht allgegenwärtig ist. Gott im Sein kann nun im Dasein wirken, aber alles was er wirkt, wird damit zwangsläufig endlich. Die Bezugspunkte sind immer endlich. - Jetzt nicht genau auf das Gesagte festnageln, mir geht es nur um das strukturelle Denken dahinter. Auf diese Denkart müssten wir die beiden "Pole" "Gott schafft den Menschen sich zum Bilde (nicht erfahrbar im Dasein) und "der Mensch schafft Gott" als abstrakte Überlegung aus dem Dasein, vermeiden können. Meinst Du es so in etwa oder wandere ich gedanklich in die falsche Richtung?