Wie wahr sind Tatsachen?

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closs
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs »

Pluto hat geschrieben:zeige mir doch bitte, was man mit Ontologie erreichen kann!
Erkenntnis erlangen, auf welcher Basis und unter welchen nicht falsifizierbaren Annahmen menschliche Wahrnehmungs-Systeme gültig sind.
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Pluto
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Pluto »

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:zeige mir doch bitte, was man mit Ontologie erreichen kann!
Erkenntnis erlangen, auf welcher Basis und unter welchen nicht falsifizierbaren Annahmen menschliche Wahrnehmungs-Systeme gültig sind.
Von mir aus, aber Erkenntnis ohne Evidenz ist wie eine Erzählung ohne Inhalt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
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closs
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs »

Pluto hat geschrieben:Von mir aus, aber Erkenntnis ohne Evidenz ist wie eine Erzählung ohne Inhalt.
Das stimmt prinzipiell, wären da nicht ganz unterschiedliche Definitionen von "Evidenz".

Im Grunde sagtst Du in DEINER Definition von Evidenz dasselbe wie Wittgenstein: Man kann im Grunde nur auf naturwissenschaftlicher Ebene Evidenz schaffen. Wittgenstein vergißt dabei, dass auch seine Anschauung auf Setzungen beruht, also seine "Evidenz" auf (sicherlich gut begründeten) Vorannahmen ("Hermeneutik"!!) beruht.

Genau so ist es bei religiösen Evidenzen: Man hat eine (ebenfalls gut begründbare) Vorannahme ("Es gibt Gott"), auf deren Basis der Satz "Jesus ist leiblich auferstanden" "evident" ist - nicht absolut, aber nach menschlichem Ermessen. - Mehr hat Wittgenstein auch nicht zu bieten.

In anderen Worten: Die Aufteilung "naturalistische setzungslose Evidenz von Wittgenstein" und "religiöse setzungsbedingte Evidenz von Ratzinger" ist universal NICHT haltbar, sondern weltanschaulich bedingt - und genau das wird nicht vom heute dominierenden Zeitgeist verstanden. - Eine Folge davon sind unsere Endlos-Diskussionen hier auf dem Forum - die aber wichtig sind, weil sie exakt den wunden Punkt treffen.
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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Sofern sie durch Evidenz bestätigt werden, ja.
Moment - wir haben festgestellt, dass es streng genommen aus Wahrnehmungs-Sicht KEINE Tatsachen gibt - zur Erinnerung:
Closs hat geschrieben:
Das aber hieße, dass die Threadfrage "Wie wahr sind Tatsachen?" zu beantworten ist mit "Es gibt in unseren (methodischen) Wahrnehmungs-Systemen" keine Tatsachen, also erübrigt sich die Frage, wie wahr sie sind". - Würdest Du das unterschreiben?
Tatsachen gibt es nicht, aber Evidenzen schon.
Selbstverständlich gibt es Tatsachen. Warum sollte es die auch nicht geben?
Tatsachen sind wahre Aussagen über Sachverhalte.

So ist die Aussage: "Die Menge der natürlichen Zahlen ist unendlich" wahr und damit eine Tatsache.
Ebenso ist die Aussage: "Ich schreibe in diesem Moment diesen Satz auf einem Laptop, während ich im Englischen Garten sitze" wahr und damit eine Tatsache.
Eine Tatsache ist es auch, dass Faust im gleichnamigen Werk von Goethe einen Schüler hat, der sich mit Mephistopheles über die universitären Fakultäten unterhält, denn es handelt sich um eine wahre Aussage, die jederzeit auf ihre Wahrheit überprüft werden kann. Dass es sich bei Goethes Faust um ein fiktionales Werk mit fiktionalen Figuren handelt, ist völlig unerheblich dafür, ob die obige Aussage eine Tatsache darstellt.
Weiterhin ist es eine Tatsache, dass es Ereignisse in diesem Universum gab und gibt, die Menschen niemals beobachtet haben oder werden beobachten können (z.B. weil sie sich jenseits unseres Beobachtungshorizontes oder grundsätzlich jenseits der Möglichkeiten unseres Wahrnehmungsapparates ereignen).

Falsche Aussagen über Sachverhalte sind selbstverständlich keine Tatsachen, sondern lediglich falsche Aussagen über Sachverhalte.
Es kommt vor, dass sich angenommene wahre Aussagen irgendwann als falsch herausstellen. In diesem Falle lag auch keine Tatsache vor.

Nach letztem Erkenntnisstand hatte Jesus eine Naherwartung. Die Aussage: "Jesus von Nazareth glaubte, dass noch während seiner Generation die Welt untergeht" ist demnach eine wahre Aussage zu diesem festgestellten Sachverhalt und damit - bis auf eindeutige Widerlegung - eine Tatsache. Fände man z.B. ein nachweislich authentisches Evangelium von Jesus selbst geschrieben, in dem zu lesen wäre, dass er doch keine Nah- sondern eine Fernerwartung des Himmelreichs hatte, dann wäre das ein hinreichender Grund dafür, obige Aussage doch nicht als wahre Aussage über diesen Sachverhalt anzunehmen.
Einfach nur zu behaupten, man müsse die christliche Tradition lediglich kanonisch interpretieren, dann würde aus der Nah- eine Fernerwartung, reicht selbstverständlich nicht aus.

„Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.“ (1.1)
„Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.“ (2)
(Wittgenstein, Tractatus-logico philosophicus)

Wittgenstein war zu der Zeit, als er seinen Tractatus verfasste Positivist (aber kein Naturalist). Gleichwohl hat er korrekt erkannt, dass die Welt nicht bloß die Summe der (physikalischen) Dinge ist.

Closs' These, was als Tatsache zu gelten habe, hinge von der Wahl eines "Weltbildes" oder einer Theorie ab, ist - so formuliert - natürlich falsch. Zwar muss jede philosophische Betrachtung der Welt und jede Theorie gewisse Grundannahmen machen, aber die Wahl der Grundannahmen ist eben nicht beliebig.
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closs
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs »

Thaddäus hat geschrieben:Nach letztem Erkenntnisstand hatte Jesus eine Naherwartung. Die Aussage: "Jesus von Nazareth glaubte, dass noch während seiner Generation die Welt untergeht" ist demnach eine wahre Aussage zu diesem festgestellten Sachverhalt und damit - bis auf eindeutige Widerlegung - eine Tatsache.
Siehst Du - genau das kritisiere ich: Die Grauzone zwischen reinen Sachaussagen ("Pilatus war Präfekt von 26 bis 36 n.Chr.") und Interpretationen (""Jesus von Nazareth glaubte, dass noch während seiner Generation die Welt untergeht").

Die Theologie interpretiert weitestgehend die Frage der Naherwartung ganz anders - aber nicht, weil die Theologie doof ist und nicht weiß, was historisch-kritische Exegese ist, sondern weil sie komplexe Gründe hat, warum dies in Bezug auf Jesus anders gemeint war (das sollten wir aber nicht hier, sondern im Thread "Teufelszeug" diskutieren). - Insofern wäre die Aussage korrekt: "Nach historisch-kritisch-methodischen Bedingungen gilt, dass ..." - diesbezüglich bin ich Theißen dankbar, wenn er darauf hinweist, dass seine ERgebnisse immer nur "methodische Ergebnisse" sind.

Das Problem im Sinne dieses Threads bleibt somit: Ist "Tatsache" eine methodische Größe ("Bei folgendem Wahrnehmungs-Vorgehen kommen wir zum Ergebnis x") oder eine ontologische Größe ("Ob wir es wissen oder nicht: Es 'ist' so")???
Thaddäus hat geschrieben:So ist die Aussage: "Die Menge der natürlichen Zahlen ist unendlich" wahr und damit eine Tatsache.
Allerdings auf Basis der Axiome, oder nicht?
Thaddäus hat geschrieben:Ebenso ist die Aussage: "Ich schreibe in diesem Moment diesen Satz auf einem Laptop, während ich im Englischen Garten sitze" wahr und damit eine Tatsache.
Im Sinne der von uns wahrgenommenen Lebenswirklichkeit ist das richtig. - Aber auch hier: Es stimmt nur, wenn man die descartsche Setzung des "wohlwollenden Gottes" oder dasselbe im Sinne Poppers, nämlich die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt (Res extensae) wirklich gibt, voraus-setzt. - Insofern die Frage an den Thread-Eröffner:
ThomasM hat geschrieben:Wie wahr sind Tatsachen?
Ist Deine Fragestellung ontologisch oder epistemologisch gemeint?

Wenn Du es ontologisch meinst, ist die Frage hinfällig, weil alles, was "ist", allein dadurch "wahr ist". - Wenn Du es epistemologisch meinst, dann immer unter dem Vorbehalt von Setzungen.

Wäre dann nicht die logisch saubere Antwort auf Deine Frage:
* "Wir definieren 'Tatsache' als das, was eindeutiges Ergebnis im Sinne einer Methodik ist" - das wäre nachprüfbar, weil man ja die angewandte Methodik kennt.
ODER:
* Tatsachen liegen immer nur im Sinne einer Wahrnehmung/Methodik vor, wenn deren Voraussetzungen authentisch sind zu dem, was Wahrheit zu einer Frage x 'ist' " - das wäre NICHT nachprüfbar, weil man ja nicht weiß, ob die angewandte Methodik genau diejenige ist, deren Setzungen authentisch zu dem sind, was ontologisch "ist".

Sorry, wenn ich bei dieser Frage so zäh bin. - Aber es bringt aus meiner Sicht nichts, wenn man "Tatsache" über Methodik-Wettkämpfe definiert ("Wer sich durchsetzt, hat das Patent auf das Wort 'Tatsache' ")
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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Nach letztem Erkenntnisstand hatte Jesus eine Naherwartung. Die Aussage: "Jesus von Nazareth glaubte, dass noch während seiner Generation die Welt untergeht" ist demnach eine wahre Aussage zu diesem festgestellten Sachverhalt und damit - bis auf eindeutige Widerlegung - eine Tatsache.
Siehst Du - genau das kritisiere ich: Die Grauzone zwischen reinen Sachaussagen ("Pilatus war Präfekt von 26 bis 36 n.Chr.") und Interpretationen (""Jesus von Nazareth glaubte, dass noch während seiner Generation die Welt untergeht").
1. Die Aussage, dass Pilatus Präfekt war, ist ebenfalls eine Interpretation. Nämlich eine Interpretation der Texte römischer Geschichtsschreibung und archäologischer Befunde.
2. Mit exakt der gleichen Sicherheit können wir konstatieren, dass Jesus als frommer Jude und gemäß seiner eigenen Aussagen an das unmittelbar bevorstehende Reich Gottes glaubte, - ganz im Sinne des apokalyptischen Judentums seiner Zeit. Jede andere Interpretation hat keinerlei Argumente für sich und stellt eine Umdeutung dessen dar, was Jesu Glauben ausmachte.
closs hat geschrieben:Die Theologie interpretiert weitestgehend die Frage der Naherwartung ganz anders
Nein, tut sie nicht. Zumindest nicht die seriöse Theologie.
closs hat geschrieben:Insofern wäre die Aussage korrekt: "Nach historisch-kritisch-methodischen Bedingungen gilt, dass ..."
Genau das sind die einzigen seriösen Bedingungen, die die Wissenschaftlichkeit und Plausibilität der Tatsachenfeststellung ausmachen. Alle anderen Behauptungen hierzu sind unplausibel und unwissenschaftlich. Mit kanonischer Pseudo-Exegese ließe sich auch feststellen, dass Jesus überhaupt kein Jude war, weil er ja schließlich das Christentum begründete. Das wäre aber nichts anderes, als unseriöse Esoterik.
closs hat geschrieben: Das Problem im Sinne dieses Threads bleibt somit: Ist "Tatsache" eine methodische Größe
Eine Tatsache ist keine methodische Größe, denn Tatsachen haben mit Methodik nichts zu tun. Tatsachen sind wahre Aussagen über Sachverhalte. Es ist völlig unerheblich, mit welcher Methode wahre Aussagen über Sachverhalte gefunden werden. Wichtig ist, ob eine Aussage wahr ist, nicht, wie sie gewonnen wird. Wenn man im Traum die Erleuchtung hat, dass die Menge der natürlichen Zahlen unendlich ist, dann ist das immer noch eine Tatsache.
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:So ist die Aussage: "Die Menge der natürlichen Zahlen ist unendlich" wahr und damit eine Tatsache.
Allerdings auf Basis der Axiome, oder nicht?
Auf der Basis welcher Axiome sollte die Menge der natürlichen Zahlen denn nicht unendlich sein? Es gibt keine solchen Axiome, und würdest du mir solche vermeintlichen Axiome nennen, wären sie falsche Axiome, die für die Methamatik unbrauchbar sind. Deine Annahme, man könne willkürlich Axiome, Standpunkte, Modelle oder Theorien wählen und bei jeder kämen andere Wahrheiten heraus, ist schlicht falsch.
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Ebenso ist die Aussage: "Ich schreibe in diesem Moment diesen Satz auf einem Laptop, während ich im Englischen Garten sitze" wahr und damit eine Tatsache.
Im Sinne der von uns wahrgenommenen Lebenswirklichkeit ist das richtig. - Aber auch hier: Es stimmt nur, wenn man die descartsche Setzung des "wohlwollenden Gottes" oder dasselbe im Sinne Poppers, nämlich die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt (Res extensae) wirklich gibt, voraus-setzt.
Nein, denn selbst, wenn ich in einer Matrix existierte, in der mir meine Wirklichkeit lediglich vorgetäuscht würde, wäre meine Aussage eine Tatsache. Der Umstand, dass meine ganze Welt nur eine Simulation wäre, wäre unerheblich für die Feststellung dieser Tatsache. Es wäre sogar eine Tatsache für diejenigen, die diese Simulation steuern und mir "von Aussen" dabei zusähen, wie ich in einem simulierten Englischen Garten sitze.
closs hat geschrieben: Wäre dann nicht die logisch saubere Antwort auf Deine Frage:
* "Wir definieren 'Tatsache' als das, was eindeutiges Ergebnis im Sinne einer Methodik ist" - das wäre nachprüfbar, weil man ja die angewandte Methodik kennt.
ODER:
* Tatsachen liegen immer nur im Sinne einer Wahrnehmung/Methodik vor, wenn deren Voraussetzungen authentisch sind zu dem, was Wahrheit zu einer Frage x 'ist' " - das wäre NICHT nachprüfbar, weil man ja nicht weiß, ob die angewandte Methodik genau diejenige ist, deren Setzungen authentisch zu dem sind, was ontologisch "ist".
Beide Defintionen sind falsch und haben nichts damit zu tun, was eine Tatsache zur Tatsache macht. Zudem sind Tatsachen immer wahre Aussagen über die Welt, weil sie ansonsten keine Tatsachen sind, also keine wahren Aussagen über Sachverhalte.
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closs
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs »

Thaddäus hat geschrieben:1. Die Aussage, dass Pilatus Präfekt war, ist ebenfalls eine Interpretation. Nämlich eine Interpretation der Texte römischer Geschichtsschreibung und archäologischer Befunde.
OK - bei strenger Beurteilung hast Du recht - das kommt mir sogar entgegen. - Ist "Adenauer starb 1967" eine Interpretation wie "Pilatus war Präfekt"?
Thaddäus hat geschrieben:Mit exakt der gleichen Sicherheit können wir konstatieren, dass Jesus als frommer Jude und gemäß seiner eigenen Aussagen an das unmittelbar bevorstehende Reich Gottes glaubte, - ganz im Sinne des apokalyptischen Judentums seiner Zeit.
Siehst Du - das ist ganz einfach falsch. - Denn Du unterstellst, dass Jesus genauso dachte wie "das Volk", und das ist mindestens nicht sicher. - Ich erinnere Dich gerne daran, dass Du gelegentlich eine Armada an Bibel-Zitaten gebracht hast, die das Motiv "Und sie verstanden ihn nicht" con variazione bestensbelegt haben.

Trotzdem: Deine Version (auf kritischer-rationaler Basis des "Wir interpretieren so, als sei Jesus nur Mensch") KANN natürlich richtig sind - aber sicherlich nicht "mit exakt der gleichen Sicherheit" wie bei Pilatus' Job in Palästina.
Thaddäus hat geschrieben:Jede andere Interpretation hat keinerlei Argumente für sich und stellt eine Umdeutung dessen dar, was Jesu Glauben ausmachte.
Glatt falsch. - Da musst Du nur mal bei den großkirchlichen Theologien rumfragen. - Ich habe wirklich früher und seit 2 Jahren in Bezug auf dieses Thema viele evangelische und katholische Theologen von Dozenten bis Dorfpfarrern befragt, was sie an ihren jeweiligen Unis dazu gehört haben - es kam unterm Strich immer dasselbe raus: "Das ist historisch NICHT richtig, allerdings unter den Bedingungen der HKM nachvollziehbar". - SInd die alle doof? - Evangelische und katholische Theologie wäre diesbezüglich unterm Strich eine einzige Täuschung?
Thaddäus hat geschrieben:Nein, tut sie nicht. Zumindest nicht die seriöse Theologie.
Das ist die alte Falle: "Unsere Hermeneutik ist die einzig richtige, also ist alles andere nicht seriös".
Thaddäus hat geschrieben:Genau das sind die einzigen seriösen Bedingungen, die die Wissenschaftlichkeit und Plausibilität der Tatsachenfeststellung ausmachen.
Genau das meine ich mit "Falle". - Im Grunde sagst Du damit: "Wenn Jesus historisch göttlich war, kann es keine Tatsache sein, weil es min Deiner Methodik nicht als Tatsache vorgesehen ist". - Verstehst Du jetzt meine Frage, ob "Tatsache" als methodische (bzw. -Wahrnehmungs-) Größe oder als ontologische Größe ("So, wie es wirklich war") zu verstehen sein soll? - Die Antwort darauf fehlt noch.
Thaddäus hat geschrieben:Mit kanonischer Pseudo-Exegese ließe sich auch feststellen, dass Jesus überhaupt kein Jude war, weil er ja schließlich das Christentum begründete.
So blöd sind die nicht. - Wenn Du "kanonisch" nicht magst, versuche es doch mal mit "grammatisch-historischer/biblisch-kritischer Exegese.
Thaddäus hat geschrieben:Eine Tatsache ist keine methodische Größe, denn Tatsachen haben mit Methodik nichts zu tun. Tatsachen sind wahre Aussagen über Sachverhalte.
Das klingt jetzt wieder ontologisch: Da ist ein "So war es wirklich" (Sachverhalt), das man als "Tatsache" bezeichnet. - Aber wie willst Du "So war es wirklich" wahrnehmungs-mäßig darstellen - doch methodisch, oder nicht?
Thaddäus hat geschrieben:Wichtig ist, ob eine Aussage wahr ist, nicht, wie sie gwonnen wird.
Das ist jetzt ganz meine Linie, denn Du sagst hier: "Das, was ist" ist unabhängig davon, mit welcher Methodik oder Hermeneutik man sie angeht. - Das wäre eine ontologische Aussage.
Thaddäus hat geschrieben:Auf der Basis welcher Axiome sollte die Menge der natürlichen Zahlen denn nicht unendlich sein?
Die Aussage ist: Mathematische Aussagen funktionieren auf Basis ihrer Axiome.
Thaddäus hat geschrieben:Deine Annahme, man könne willkürlich Axiome, Standpunkte, Modelle oder Theorien wählen und bei jeder kämen andere Wahrheiten heraus, ist schlicht falsch.
Das ist nicht meine Annahme. - Meine Annahme ist, dass es unterschiedliche Standpunkte geben kann, von denen aus zur selben Frage jeweils widerspruchsfrei klare Antworten ("Wahrheiten") die Folge sind, die je nach Standpunkt unterschiedlich sind. - Und da ist eben meine Frage: Sind das dann unterschiedliche "Tatsachen" zum Selben? - Wenn nein: Wer entscheidet, welcher Standpunkt die "richtigen" Tatsachen erbringt?
Thaddäus hat geschrieben:denn selbst, wenn ich in einer Matrix existierte, in der mir meine Wirklichkeit lediglich vorgetäuscht würde, wäre meine Aussage eine Tatsache.
Halten wir fest: Das Wort "Tatsache" ist auch dann möglich, wenn etwas im Verhältnis zu einem selbst wahr ist. - Das sagst Du doch, oder nicht?
Thaddäus hat geschrieben:Zudem sind Tatsachen immer wahre Aussagen über die Welt, weil sie ansonsten keine Tatsachen sind, also keine wahren Aussagen über Sachverhalte.
Also doch wieder die ontologische Schiene im Sinne von "Das, was ist" - gerne. - Nur: Wer entscheidet das?

Und da ist wieder das (hier NICHT zu diskutierende Thema) "Naherwartung" ein gutes Beispiel: Setzt man Jesus als Nur-Mensch (Kritischer Rationalismus) , interpretiert man inhaltlich die selben Quellen ganz anders, als wenn man Jesus als göttlich setzt (Theologie - die man nicht mit "Religions-Wissenschaft" verwechseln sollte).

Nun ist beides nicht falsifizierbar - wir werden also nie WISSEN, ob Jesus nur Mensch oder auch göttlich war: Ist jetzt "Jesus hatte eine Naherwartung" eine Tatsache ("das, was damals wirklich war") oder "Jesus hatte KEINE Naherwartung"??? - Oder beides?
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Novas
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Novas »

closs hat geschrieben:Und da ist wieder das (hier NICHT zu diskutierende Thema) "Naherwartung" ein gutes Beispiel: Setzt man Jesus als Nur-Mensch (Kritischer Rationalismus) , interpretiert man inhaltlich die selben Quellen ganz anders, als wenn man Jesus als göttlich setzt (Theologie - die man nicht mit "Religions-Wissenschaft" verwechseln sollte)
Das Problem ist gelöst, wenn er beides - menschlich und göttlich -zugleich war. So wie jeder Mensch eine geistige oder höhere und eine materielle oder niedere Natur hat. Der Unterschied zwischen uns und Jesus ist: er war ein vollkommener Spiegel (im Grunde ist das die ganze Aussage hinter der Lehre von der "hypostatischen Union" :) ) das „Wort wurde Fleisch” nach dem Prolog des Johannes-Evangeliums, bringt schon die zwei Dimensionen zusammen.
Wer mich sieht, sieht den Vater. Joh 14,9.
... denn als reiner Spiegel (Sohn) reflektiert er das Spiegelbild (Vater). Bedeutet das, dass Jesus der Vater ist? Nein, aber er ist seine Spiegelung (Wort). Das ist die Trinitätslehre:

In Kol 1,15 steht:

"Er (Jesus) ist das Bild des unsichtbaren Gottes."
So wie sich in einem Spiegel das Licht der Sonne spiegelt.
ThomasM
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von ThomasM »

closs hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:Wie wahr sind Tatsachen?
Ist Deine Fragestellung ontologisch oder epistemologisch gemeint?

Wenn Du es ontologisch meinst, ist die Frage hinfällig, weil alles, was "ist", allein dadurch "wahr ist". - Wenn Du es epistemologisch meinst, dann immer unter dem Vorbehalt von Setzungen.

Wäre dann nicht die logisch saubere Antwort auf Deine Frage:
* "Wir definieren 'Tatsache' als das, was eindeutiges Ergebnis im Sinne einer Methodik ist" - das wäre nachprüfbar, weil man ja die angewandte Methodik kennt.
ODER:
* Tatsachen liegen immer nur im Sinne einer Wahrnehmung/Methodik vor, wenn deren Voraussetzungen authentisch sind zu dem, was Wahrheit zu einer Frage x 'ist' " - das wäre NICHT nachprüfbar, weil man ja nicht weiß, ob die angewandte Methodik genau diejenige ist, deren Setzungen authentisch zu dem sind, was ontologisch "ist".

Sorry, wenn ich bei dieser Frage so zäh bin. - Aber es bringt aus meiner Sicht nichts, wenn man "Tatsache" über Methodik-Wettkämpfe definiert ("Wer sich durchsetzt, hat das Patent auf das Wort 'Tatsache' ")
Da ich die Bedeutung und den Unterschied zwischen ontologisch und epistemologisch, nicht begreife (hat mir noch niemand gut erklärt und nach dem, was ich gehört habe, gibt es auch keine allgemein akzeptierte Erklärung der Begriffe), kann ich das nicht sagen.

Ich hatte es (wie der von mir zitierte Artikel übrigens auch) naturalistisch gemeint und in dem Sinne, wie speziell Pluto den Begriff benutzt.
Er (und viele naturalistisch geprägte Menschen) benutzen den Begriff als Kampfbegriff nach dem Motto "Wie kannst du denn an einen Gott glauben. Du darfst nur an Tatsachen glauben"

Aber jedem, der ein wenig darüber nachdenkt - und genau das macht der Artikel klar - muss bewusst werden, dass "Tatsachen" ein sehr relativer Begriff ist und von einer Vielfalt von Bedingungen und Wahrnehmungseinschränkungen abhängt - auch und gerade in einem naturalistischen Kontext.

Insbesondere ist der Begriff - das ist für mich sehr interessant - auch kulturell und zeitlich geprägt. Das heißt, dass "Tatsachen" vor 2000 Jahren (als das NT verfasst wurde) anders aussahen als heute und wieder anders aussehen werden, als in hundert Jahren.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.
ThomasM
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von ThomasM »

Thaddäus hat geschrieben:
Zudem sind Tatsachen immer wahre Aussagen über die Welt, weil sie ansonsten keine Tatsachen sind, also keine wahren Aussagen über Sachverhalte.
Diese Aussage ist sinnlos, weil du gar nicht feststellen kannst, wann Aussagen über Sachverhalte global (zeitlich, räumlich, kulturell und wahrnehmungstechnisch) wahr sind.

Sobald du eine Wahrheitsaussage aber einschränkst (heute nach meinen Mitteln im Rahmen meiner Möglichkeiten wahr), musst du das "immer" aus deiner Aussage streichen.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.
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