Thaddäus hat geschrieben:1. Die Aussage, dass Pilatus Präfekt war, ist ebenfalls eine Interpretation. Nämlich eine Interpretation der Texte römischer Geschichtsschreibung und archäologischer Befunde.
OK - bei strenger Beurteilung hast Du recht - das kommt mir sogar entgegen. - Ist "Adenauer starb 1967" eine Interpretation wie "Pilatus war Präfekt"?
Thaddäus hat geschrieben:Mit exakt der gleichen Sicherheit können wir konstatieren, dass Jesus als frommer Jude und gemäß seiner eigenen Aussagen an das unmittelbar bevorstehende Reich Gottes glaubte, - ganz im Sinne des apokalyptischen Judentums seiner Zeit.
Siehst Du - das ist ganz einfach falsch. - Denn Du unterstellst, dass Jesus genauso dachte wie "das Volk", und das ist mindestens nicht sicher. - Ich erinnere Dich gerne daran, dass Du gelegentlich eine Armada an Bibel-Zitaten gebracht hast, die das Motiv "Und sie verstanden ihn nicht" con variazione bestensbelegt haben.
Trotzdem: Deine Version (auf kritischer-rationaler Basis des "Wir interpretieren so, als sei Jesus nur Mensch") KANN natürlich richtig sind - aber sicherlich nicht "mit exakt der gleichen Sicherheit" wie bei Pilatus' Job in Palästina.
Thaddäus hat geschrieben:Jede andere Interpretation hat keinerlei Argumente für sich und stellt eine Umdeutung dessen dar, was Jesu Glauben ausmachte.
Glatt falsch. - Da musst Du nur mal bei den großkirchlichen Theologien rumfragen. - Ich habe wirklich früher und seit 2 Jahren in Bezug auf dieses Thema viele evangelische und katholische Theologen von Dozenten bis Dorfpfarrern befragt, was sie an ihren jeweiligen Unis dazu gehört haben - es kam unterm Strich immer dasselbe raus: "Das ist historisch NICHT richtig, allerdings unter den Bedingungen der HKM nachvollziehbar". - SInd die alle doof? - Evangelische und katholische Theologie wäre diesbezüglich unterm Strich eine einzige Täuschung?
Thaddäus hat geschrieben:Nein, tut sie nicht. Zumindest nicht die seriöse Theologie.
Das ist die alte Falle: "Unsere Hermeneutik ist die einzig richtige, also ist alles andere nicht seriös".
Thaddäus hat geschrieben:Genau das sind die einzigen seriösen Bedingungen, die die Wissenschaftlichkeit und Plausibilität der Tatsachenfeststellung ausmachen.
Genau das meine ich mit "Falle". - Im Grunde sagst Du damit: "Wenn Jesus historisch göttlich war, kann es keine Tatsache sein, weil es min Deiner Methodik nicht als Tatsache vorgesehen ist". - Verstehst Du jetzt meine Frage, ob "Tatsache" als methodische (bzw. -Wahrnehmungs-) Größe oder als ontologische Größe ("So, wie es wirklich war") zu verstehen sein soll? - Die Antwort darauf fehlt noch.
Thaddäus hat geschrieben:Mit kanonischer Pseudo-Exegese ließe sich auch feststellen, dass Jesus überhaupt kein Jude war, weil er ja schließlich das Christentum begründete.
So blöd sind die nicht. - Wenn Du "kanonisch" nicht magst, versuche es doch mal mit "grammatisch-historischer/biblisch-kritischer Exegese.
Thaddäus hat geschrieben:Eine Tatsache ist keine methodische Größe, denn Tatsachen haben mit Methodik nichts zu tun. Tatsachen sind wahre Aussagen über Sachverhalte.
Das klingt jetzt wieder ontologisch: Da ist ein "So war es wirklich" (Sachverhalt), das man als "Tatsache" bezeichnet. - Aber wie willst Du "So war es wirklich" wahrnehmungs-mäßig darstellen - doch methodisch, oder nicht?
Thaddäus hat geschrieben:Wichtig ist, ob eine Aussage wahr ist, nicht, wie sie gwonnen wird.
Das ist jetzt ganz meine Linie, denn Du sagst hier: "Das, was ist" ist unabhängig davon, mit welcher Methodik oder Hermeneutik man sie angeht. - Das wäre eine ontologische Aussage.
Thaddäus hat geschrieben:Auf der Basis welcher Axiome sollte die Menge der natürlichen Zahlen denn nicht unendlich sein?
Die Aussage ist: Mathematische Aussagen funktionieren auf Basis ihrer Axiome.
Thaddäus hat geschrieben:Deine Annahme, man könne willkürlich Axiome, Standpunkte, Modelle oder Theorien wählen und bei jeder kämen andere Wahrheiten heraus, ist schlicht falsch.
Das ist nicht meine Annahme. - Meine Annahme ist, dass es unterschiedliche Standpunkte geben kann, von denen aus zur selben Frage jeweils widerspruchsfrei klare Antworten ("Wahrheiten") die Folge sind, die je nach Standpunkt unterschiedlich sind. - Und da ist eben meine Frage: Sind das dann unterschiedliche "Tatsachen" zum Selben? - Wenn nein: Wer entscheidet, welcher Standpunkt die "richtigen" Tatsachen erbringt?
Thaddäus hat geschrieben:denn selbst, wenn ich in einer Matrix existierte, in der mir meine Wirklichkeit lediglich vorgetäuscht würde, wäre meine Aussage eine Tatsache.
Halten wir fest: Das Wort "Tatsache" ist auch dann möglich, wenn etwas im Verhältnis zu einem selbst wahr ist. - Das sagst Du doch, oder nicht?
Thaddäus hat geschrieben:Zudem sind Tatsachen immer wahre Aussagen über die Welt, weil sie ansonsten keine Tatsachen sind, also keine wahren Aussagen über Sachverhalte.
Also doch wieder die ontologische Schiene im Sinne von "Das, was ist" - gerne. - Nur: Wer entscheidet das?
Und da ist wieder das (hier NICHT zu diskutierende Thema) "Naherwartung" ein gutes Beispiel: Setzt man Jesus als Nur-Mensch (Kritischer Rationalismus) , interpretiert man inhaltlich die selben Quellen ganz anders, als wenn man Jesus als göttlich setzt (Theologie - die man nicht mit "Religions-Wissenschaft" verwechseln sollte).
Nun ist beides nicht falsifizierbar - wir werden also nie WISSEN, ob Jesus nur Mensch oder auch göttlich war: Ist jetzt "Jesus hatte eine Naherwartung" eine Tatsache ("das, was damals wirklich war") oder "Jesus hatte KEINE Naherwartung"??? - Oder beides?