Humanismus vs Christentum?

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Claymore
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Claymore »

Sunbeam hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 20:10
Hiob hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 18:08Die Aussage, dass es letztlich nur EINEN Weg gibt, halte ich für sehr rational. - Warum der eine Gott zu verehren ist und der andere zu verteufeln, ist dagegen rational nur schwer bis nicht zu begründen.
Klingt so ein bisschen nach einer an die Scholastik verlorenen Pythia, oder einem katholischen Rasputin.
Das absolute und von Menschen perfekt konzeptionalisierbare Sein steht für Hiob über allem, sogar über den Göttlichen selbst. Das ist seine große nicht hinterfragte Setzung. Es ist der eine Fehler aus dem rigoros der ganze deprimierende Rest folgt.

Aber selbst wenn es so ein "Sein" gäbe, und nur EINEN Weg richtig zu liegen (seltsam so etwas statisches als "Weg" zu bezeichnen?), d. h. EINEN der unsere Konzepte perfekt in Deckung mit dem Sein bringt, folgt daraus nicht, dass es nur EINEN Weg liegt, richtig zu handeln.
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Aber selbst wenn es so ein "Sein" gäbe
Natürlich gibt es das: Alles, was "ist", egal ob wir es zu kennen glauben oder nicht, ist "das Sein". Eigentlich ist das doppelt gemobbelt ausgedrückt - aber wie kann man so was anzweifeln? - Meinst Du, dass "das, was ist", ausschließlich menschlicher Wille und menschliche Vorstellung ist?
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 steht für Hiob über allem, sogar über den Göttlichen selbst.
Nein: Gott IST selber das höchste Sein, wenn es ihn gibt.
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Das ist seine große nicht hinterfragte Setzung.
Das ist schon hinterfragt - man muss nur fragen, ob die Alternative "Welt als Wille und Vorstellung" die richtigere Setzung ist.
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Aber selbst wenn es so ein "Sein" gäbe, und nur EINEN Weg richtig zu liegen (seltsam so etwas statisches als "Weg" zu bezeichnen?), d. h. EINEN der unsere Konzepte perfekt in Deckung mit dem Sein bringt, folgt daraus nicht, dass es nur EINEN Weg liegt, richtig zu handeln.
Auf der Wahrnehmungsebene des Menschen kann man immer nur versuchen - denn es gibt keine Möglichkeit, Wahrnehmung wesensmäßig auf die Dimension des Seins zu bringen. - Das höchste Ziel kann sein, mit seiner Wahrnehmung (zu der auch geistliche Wahrnehmung gehört) authentisch zum Sein zu sein. - Dies ist auf unterschiedlichen Wegen möglich.
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Es ist der eine Fehler aus dem rigoros der ganze deprimierende Rest folgt.
Ich halte es eher für einen Fehler, absolute Wirklichkeit zu negieren. - Und ich halte es für depremierend, wenn man Wahrnehmung mit Sein gleichsetzt. -Aber ich bin nach dem ersten Schock inzwischen drüber weg - es scheint eine Zeiterscheinung zu sein. - Geht rum.
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Sunbeam
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 21:13

Goethe darf man nie unterschätzen.
Man sollte eigentlich keinen Menschen unterschätzen.

Aber zu dem hier:
Wer ewig strebend sich bemüht, den können wir erlösen"
Am Ende seines Faut II lässt Goethe seinen Faust nicht verkommen, trotz des Teufelspaktes, sein Faust wird errettet, allerdings nicht von Jesus, sondern von einer Schar anmutiger und merkwürdiger Himmelgestalten, unter denen eine Mater Gloriosa eine nicht geringe Rolle spielt, und sehen wie uns die letzten Verse seines Faust an, so ahnt man dann, warum das so ist:

Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.


Hier sei noch einmal an seine geheimnisvollen Mütter erinnert. Berücksichtigt man dann noch, das Goethe sein Leben lang einem Spinoza höchste Verehrung entgegen brachte, so versteht man schon, warum unter Goethe seine so ganz eigene Religion hatte.
Hier treffen wie dann eine höchst merkwürdige Weltanschauung an, eines Menschen, den ich zu den Genialen zähle, obwohl Goethe immer auch ein Mensch mit..., sagen wir sehr heftigen Macken war.

Goehte stand übrigens dem Christentum und der Bibel immer sehr nahe, hier sollten wir auch zwischen dem jungen und "alten" Goethe unterscheiden, er äußerte sich immer wieder in höchster Zuneigung über das Christentum, allerdings so wie er das Christentum lobte, in dem Maße lehnte er die Kirchen ab, und das mit Vehemenz.

Und vergessen wir eines nicht - er schrieb den West-Östlichen Divan! Und das zu einer Zeit, in der das Wort Toleranz noch keine billige Massenware war.
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Hiob »

Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 08:43 Goehte stand übrigens dem Christentum und der Bibel immer sehr nahe, hier sollten wir auch zwischen dem jungen und "alten" Goethe unterscheiden, er äußerte sich immer wieder in höchster Zuneigung über das Christentum, allerdings so wie er das Christentum lobte, in dem Maße lehnte er die Kirchen ab, und das mit Vehemenz.
Kann ich alles unterschreiben. - Hier wäre noch zu ergänzen der Begriff der "goetheschen Konzilianz". - Während es Schiller brutal wissen will (da ist er ein Ödipus), klingt Goethe gerne in seinen Stücken ungefähr aus - Faust II ist ein gutes Beispiel dafür.

Und wenn Goethe sagt, dass "die Romantik krank" sei, spielt dies hier rein - er will nicht die Zerstörung der metaphysischen Grundlagen des menschlichen Seins und ist so gesehen am Ende seines Lebens ein Epigone wie es Ratzinger in der Theologie ist.
Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 08:43 Und vergessen wir eines nicht - er schrieb den West-Östlichen Divan! Und das zu einer Zeit, in der das Wort Toleranz noch keine billige Massenware war.
Dieses Motiv gibt es schon in der "Italienischen Reise" - und kommt eigentlich von Lessing her ("Nathan").
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 13:22
Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 08:43 Goehte stand übrigens dem Christentum und der Bibel immer sehr nahe, hier sollten wir auch zwischen dem jungen und "alten" Goethe unterscheiden, er äußerte sich immer wieder in höchster Zuneigung über das Christentum, allerdings so wie er das Christentum lobte, in dem Maße lehnte er die Kirchen ab, und das mit Vehemenz.
Kann ich alles unterschreiben. - Hier wäre noch zu ergänzen der Begriff der "goetheschen Konzilianz". - Während es Schiller brutal wissen will (da ist er ein Ödipus), klingt Goethe gerne in seinen Stücken ungefähr aus - Faust II ist ein gutes Beispiel dafür.

Und wenn Goethe sagt, dass "die Romantik krank" sei, spielt dies hier rein - er will nicht die Zerstörung der metaphysischen Grundlagen des menschlichen Seins und ist so gesehen am Ende seines Lebens ein Epigone wie es Ratzinger in der Theologie ist.
Goethe neben Ratzinger stellen?

Warst du in einem deiner früheren Leben einmal der Graf Cagliostro?
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Hiob »

Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:38 Goethe neben Ratzinger stellen?
In einer speziellen Funktion Parallelen sehen - weiter würde ich nicht gehen, weil dies eh müßig wäre.
Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:38 Warst du in einem deiner früheren Leben einmal der Graf Cagliostro?
Nein - Alexander der Große. 8-)
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:59
Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:38 Goethe neben Ratzinger stellen?
In einer speziellen Funktion Parallelen sehen - weiter würde ich nicht gehen, weil dies eh müßig wäre.
Sunbeam hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 16:38 Warst du in einem deiner früheren Leben einmal der Graf Cagliostro?
Nein - Alexander der Große. 8-)
Oder der Esel, auf dem Jesus in Jerusalem eingeritten ist?

:lol:
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Claymore »

Hiob hat geschrieben: Mi 22. Jul 2020, 00:57
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Aber selbst wenn es so ein "Sein" gäbe
Natürlich gibt es das: Alles, was "ist", egal ob wir es zu kennen glauben oder nicht, ist "das Sein". Eigentlich ist das doppelt gemobbelt ausgedrückt - aber wie kann man so was anzweifeln? - Meinst Du, dass "das, was ist", ausschließlich menschlicher Wille und menschliche Vorstellung ist?
das "so ein Sein" war eine Bezug auf das, was direkt darüber stand:
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 absolute und von Menschen perfekt konzeptionalisierbare Sein
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 steht für Hiob über allem, sogar über den Göttlichen selbst.
Nein: Gott IST selber das höchste Sein, wenn es ihn gibt.
Die Essenz Gottes zu verstehen, hieße seine Existenz als selbst-evident zu begreifen. Das steckt in Anselm's Gottesbeweis: Wenn er als das höchste Sein verstanden wird, wie könnte er nicht existieren? Der Beweis ist deduktiv nicht falsch, nur setzt er etwas voraus, was wir nicht wirklich verstehen: das höchste Sein.

Offensichtlich meinst du Essenzen begreifen zu können ohne dich deiner Sinne bedienen zu müssen (wie könnte man sonst behaupten zu verstehen, was durch gewöhnliche Erkenntnis nicht erreichbar ist -- die "absolute Wirklichkeit"?). Wie ein Engel.

Dass sowas mit der Sympathie für ontologische Gottesbeweise Hand in Hand geht, sieht man auch bei Descartes. Warum also hier der plötzliche Stopp?
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Das ist seine große nicht hinterfragte Setzung.
Das ist schon hinterfragt - man muss nur fragen, ob die Alternative "Welt als Wille und Vorstellung" die richtigere Setzung ist.
Und das ist wohl als rhetorische Frage gemeint? Deine manierierte Wortwahl lässt nichts gutes erhoffen.

Hier mit "Alternative" zu kommen geht doch nur, wenn man bereits voraussetzt, dass die Annahmen und Überzeugungen im eigenen Geiste ein ominöses "was wirklich der Fall ist" ist, spiegeln könnten.

Das ist so grotesk wie ein Einrad einem Fahrrad vorzuziehen.

Von Alters her haben die Menschen schlicht gesagt "Honig ist süß". D. h. bis zur Frühmoderne, seit der es en vogue ist, Süße als ein Produkt des menschlichen Wahrnehmungssystems anzusehen. Wo befindet sich Süße also nun? Ist sie subjektive Projektion? Oder eine Art Relation zwischen Mensch und Objekt der Wahrnehmung?

Egal, in beiden Fällen lebt bzgl. qualitativer Eigenschaften jedes Lebewesen in seiner eigenen Welt. Was bleibt übrig, wenn wir das "Lebewesen entfernen" (Galileo)? Da muss man wohl zu den quantitativen und messbaren Eigenschaften übergehen, um zum "absoluten Sein" zu kommen, das unabhängig von "Vorstellung" ist.

Aber da ist das große Problem der Wandel, Veränderung. "Das, was wirklich der Fall ist" basiert auf der fragilsten aller Kontinuitäten: zwischen Nicht-mehr-Sein (Vergangenheit) und Sein (Gegenwart).

Unser logisches Denken kann sich nicht von der Annahme der Selbst-Identität von Objekten lösen. Es ist ihm schlichtweg unmöglich. Auch mit den subtilsten mathematischen Methoden scheitert man kurz vor dem eigentlichen Ziel.

Wenn man eine irrationale Zahl als Äquivalenklasse von Cauchy-Folgen definiert, hat man doch nur die unendliche Menge aller möglichen Prozesse (in eine "stroboskopische" Zeit gepackt, d. h. nur abgebildet zu diskreten Einzelmomenten) sich x anzunähern mit x gleichgesetzt. Es ist eine raffinierte formale Konstruktion, aber konzeptionell schlägt sie nicht die Brücke zwischen der Vielheit der Veränderungen zur Einheit des vollendeten Seins und umgekehrt.

Infinitesimale Größen, selbst in höchster mathematischer Strenge und Präzision ausgearbeitet (z. B. von Abraham Robinson), setzen auch bloß versteckt voraus, was wir konzeptionell nicht fassen können. Sie sind weder das nicht mehr weiter teilbare, Vollendete noch beschreiben sie die Vielheit des tatsächlichen Wandels.

Unser Erleben, egal ob durch Descartes' genius malignus oder durch eine "echte" Welt erzeugt, das können wir so oder so nicht mit unserer Vernunft konzeptionalisieren. Denn Veränderung ist für uns nicht logisch fassbar, nur erlebbar. Umgekehrt können wir nicht durch die Sinne erfahren, was die Realität qualitativer Eigenschaften ist, die unser ganzes Erleben ausmachen (die quantitativen Eigenschaften sind Abstraktionen, die auf diesen aufbauen).

Das Postulat einer absoluten Wirklichkeit im metaphysischen Sinne hilft daher niemandem durch das "Meer des Wandels" zu navigieren. Es ist ein gänzlich erstarrtes und undurchsichtiges Konstrukt, das sich sein Prestige und seine Autorität allein beim Verständnis von Wirklichkeit, wie praktisch gelebt -- flexibel und intuitiv verständlich --, ausgeliehen hat.
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Aber selbst wenn es so ein "Sein" gäbe, und nur EINEN Weg richtig zu liegen (seltsam so etwas statisches als "Weg" zu bezeichnen?), d. h. EINEN der unsere Konzepte perfekt in Deckung mit dem Sein bringt, folgt daraus nicht, dass es nur EINEN Weg liegt, richtig zu handeln.
Auf der Wahrnehmungsebene des Menschen kann man immer nur versuchen - denn es gibt keine Möglichkeit, Wahrnehmung wesensmäßig auf die Dimension des Seins zu bringen. - Das höchste Ziel kann sein, mit seiner Wahrnehmung (zu der auch geistliche Wahrnehmung gehört) authentisch zum Sein zu sein. - Dies ist auf unterschiedlichen Wegen möglich.
Wenn man das ganze ernst nehmen würde, dann wären alle Kriterien dafür ganz genauso bloßes Kaffeesatz lesen. Ansonsten wüsste man ja wenigstens eine Sache sicher über die "absolute Wirklichkeit": was der richtige Weg ist, sich ihr authentisch zu nähern.
Claymore hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 23:23 Es ist der eine Fehler aus dem rigoros der ganze deprimierende Rest folgt.
Ich halte es eher für einen Fehler, absolute Wirklichkeit zu negieren. - Und ich halte es für depremierend, wenn man Wahrnehmung mit Sein gleichsetzt. -Aber ich bin nach dem ersten Schock inzwischen drüber weg - es scheint eine Zeiterscheinung zu sein. - Geht rum.
"An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." (Joh 7:16)

Dein immer gleiches Manöver ist, mit dem intuitiven Begriff von Wirklichkeit zu starten ("Verschwindet etwa dein Kühlschrank wenn du aus der Küche gehst?"). Diesen umterm Tisch mit deiner metaphysischen absoluten Wirklichkeit auszutauschen. Und dann nach Belieben die Möglichkeit radikalen Irrtums von Menschen als Killer-Einwand zu bringen.

Nach Belieben. Denn wenn du es ernst nehmen würdest, dürftest du dir z. B. kein als objektiv präsentiertes Urteil über Trumps "Authentizität zur Wirklichkeit" erlauben. Es könnte ja sein, dass er authentischer zur "absoluten Wirklichkeit" ist als der ganze Rest der Menschheit.

D. h. all das langwierige philosophische Manövrieren dient am Ende allein dazu, das subjektive ästhetische Urteil des Bildungsspießbürgers als irgendwie "objektiv" einzuschmuggeln.

Was immer es für fragwürdige erkenntnistheoretische Modeerscheinung geben mag (keine Ahnung was du mit "Wahrnehmung mit Sein gleichsetzen" vermitteln willst), die schießt den Vogel ab.
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Die Essenz Gottes zu verstehen, hieße seine Existenz als selbst-evident zu begreifen.
Man muss sie so annehmen, weil sonst jede weitere Diskussion sinnlos ist. - Denn "beweisen" im üblichen Sinne des Wortes geht ja nicht. - WARUM man sie so annimmt, kann man begründen - das ist nicht das Problem. - Oder umgekehrt: Man kann Gottes Essenz als Schlussfolgerung aus Gründen (egal, ob philosophisch oder geistlich oder emotional) verstehen.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Das steckt in Anselm's Gottesbeweis: Wenn er als das höchste Sein verstanden wird, wie könnte er nicht existieren? Der Beweis ist deduktiv nicht falsch, nur setzt er etwas voraus, was wir nicht wirklich verstehen: das höchste Sein.
Genau so. - Wir haben Gründe, dass es diese Essenz gibt, setzen sie deshalb, können sie aber nicht wirklich in ihrem Wesen verstehen. - Gott damit zu beweisen, ist natürlich zirkelschlüssig - dieser Beweis ist auch nicht nötig. - Denn Geist ist nicht beweisbar - er soll ERKANNT werden.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Offensichtlich meinst du Essenzen begreifen zu können ohne dich deiner Sinne bedienen zu müssen
Wenn Du damit die klassischen physiologischen Sinne meinst: Richtig. - Geistige/geistliche Sinne braucht's aber schon. -- Und erneut: Man kann solche Essenz geistlich als solche erkennen ("Da ist was, welches sich auf meiner Rezeptionsebene erkennbar macht"), aber man kann Gott nicht in seinem Wesen erkennen - genauso wenig wie wir einen "Körper" der 7. Dimension erkennen können.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Dass sowas mit der Sympathie für ontologische Gottesbeweise Hand in Hand geht, sieht man auch bei Descartes. Warum also hier der plötzliche Stopp?
Ich kann hier nicht folgen.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Hier mit "Alternative" zu kommen geht doch nur, wenn man bereits voraussetzt, dass die Annahmen und Überzeugungen im eigenen Geiste ein ominöses "was wirklich der Fall ist" ist, spiegeln könnten.
Nee - soweit habe ich jetzt gar nicht gedacht. - Ich sage es anders: Es ist theoretisch vorstellbar, dass es nichts gibt außer dem, was der Mensch als solches wahrnimmt. - Das ist nicht meine Religion, aber es kann so eine geben.

Und meine Frage war, ob Du in diese Richtung denkst/glaubst: "Es gibt kein ontisches Sein, weil alles, was ist, nur Projektion eines Bewusstseins ist (hier: des menschlichen Bewusstseins)". - Also: Meinst Du es so?
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Von Alters her haben die Menschen schlicht gesagt "Honig ist süß". D. h. bis zur Frühmoderne, seit der es en vogue ist, Süße als ein Produkt des menschlichen Wahrnehmungssystems anzusehen. Wo befindet sich Süße also nun? Ist sie subjektive Projektion? Oder eine Art Relation zwischen Mensch und Objekt der Wahrnehmung?
Verstehe. - Mein eigenes Bild ist da phänomenisch - konkret: Es gibt ontisch die Blume, die Biene und den Honig. - Punkt.

Dann kann man weiterdenken: Aus dem Zusammentreffen - ich sage es vereinfacht - von Honig-molekülen und Geschmacks-Molekülen ergibt sich ein Ergebnis, das der Mensch sprachlich "süß" tauft.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 "Das, was wirklich der Fall ist" basiert auf der fragilsten aller Kontinuitäten: zwischen Nicht-mehr-Sein (Vergangenheit) und Sein (Gegenwart).
Wir sollten hier erstmal unterscheiden zwischen dem, was auch ohne unsere Sinne ist (Die Biene surrt auch in menschenleeren Gebieten), und was nur mit unseren Sinnen ist (Honig schmeckt nur dann süß, wenn er sinnlich wahrgenommen wird).
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Unser logisches Denken kann sich nicht von der Annahme der Selbst-Identität von Objekten lösen.
Es sei denn - deshalb meine Eingangsfrage -, man versteht ALLES als Wahrnehmungs-Produkt: "Ich nehme die Biene wahr und nur deshalb ist sie". - Wie gesagt: Theoretisch möglich, da nicht falsifizierbar.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Das Postulat einer absoluten Wirklichkeit im metaphysischen Sinne hilft daher niemandem durch das "Meer des Wandels" zu navigieren.
Das soll unbestritten sein. - Denn "der Wandel" ist ja gerade eine Wahrnehmungs-Größe. ---- Mit "Absoluter Wirklichkeit" ist im übrigen NICHT gemeint, dass eine Biene immer eine Biene war - sie hat evolutionär vor meinetwegen 100.000 Jahren ganz anders ausgesehen. - Es geht hier vielmehr um den kategorialen Unterschied von "Selbst-Identität der Biene im Jahr 2020" und "dem, was wir davon wahrnehmen".

Auf Gott bezogen ist die Selbst-Identität immer diesselbe - das wäre eine dogmatisch festgeklopfte Lehraussage aufgrund von geistlicher Wahrnehmung - aber das zu begründen, wäre ein eigenes und dickes Brett.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Wenn man das ganze ernst nehmen würde, dann wären alle Kriterien dafür ganz genauso bloßes Kaffeesatz lesen. Ansonsten wüsste man ja wenigstens eine Sache sicher über die "absolute Wirklichkeit": was der richtige Weg ist, sich ihr authentisch zu nähern.
Tja - so einfach ist es halt nicht. Man kann es sich nicht aussuchen. ---- Man hat Nebel um sich herum, aber gleichzeitig Hinweise, dass es Richtung Nord den Korridor gibt, in dem man Gott finden kann. - Dann sieht man Strahlen, das aber nicht ganz durchkommen.

Nichtsdestoweniger weiß man, wonach man sucht (bspw. das, woraus man ist und wohin man wieder geht). - Aber man sucht in einer eigenen Existenzform, die einen nur spüren und erschließen, nicht aber wissen lässt. ---- Einfaches Beispiel: Wenn Du heute abend eine Frau triffst, Ihr schaut Euch beide an und wisst beide: "Der/die isses", passiert etwas, was aus sich selbst eine Wucht hat, selbst wenn man nie klären kann, warum es so was geben kann. ---- Das wäre der Fall, bei dem Strahlen besonders stark durch den Nebel durchbrechen - und wenn es nur für kurze Zeit ist.
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Denn wenn du es ernst nehmen würdest, dürftest du dir z. B. kein als objektiv präsentiertes Urteil über Trumps "Authentizität zur Wirklichkeit" erlauben. Es könnte ja sein, dass er authentischer zur "absoluten Wirklichkeit" ist als der ganze Rest der Menschheit.
Richtig. Nicht dass ich das annehmen würde, aber man kann es nicht aussschließen, weil man es nicht weiß.

Das Problem liegt im Wort "objektiv". - Denn mit "objektiv" meinst Du ja systemisch objektiv - also eine mit einer Präjudizierung vorgeschalteten Objektivität. - Oder positiv formuliert: Wir (damit ziehe ich Dich und mich ein) haben ein Menschenbild, demnach Trump "objektiv" ein Arsch ist, wie man an vielen Beispielen belegen kann. - Das ist der selbe Mechanismus wie bei Anselm:
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 Der Beweis ist deduktiv nicht falsch, nur setzt er etwas voraus
Claymore hat geschrieben: Sa 25. Jul 2020, 02:45 D. h. all das langwierige philosophische Manövrieren dient am Ende allein dazu, das subjektive ästhetische Urteil des Bildungsspießbürgers als irgendwie "objektiv" einzuschmuggeln.
Das ist schnell passiert (übrigens auch bei wissenschaftlich orientieren Philosophien) - aber dem möchte ich halt das "phänomenische Modell" entgegensetzen (nachdem die Frage beantwortet ist, ob es ein ontisches Sein gibt oder ob die Welt Produkt unserer Vorstellung ist).
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Re: Humanismus vs Christentum?

Beitrag von Helmuth »

Hiob hat geschrieben: Di 21. Jul 2020, 18:08 Der Humanismus versucht soviele Probleme wie möglich selber zu lösen - wobei er dies im ursprünglichen Humanismus "Ad maiorem gloriam Dei" macht - also Gott-gewidmet macht. - Das fällt seit dem 19. Jh. weg.
Ich dachte wir sind über die historische Herkunft schon hinaus. Es ist nun irreleant wie der Humanismus seinerzeit gestartet wurde, sondern man muss sich ansehen, was er heute ist. Ich lebe ja nicht mehr im 18. und 19. Jh sondern im 21. D.h dein Kopfkino hat nicht wirklich praktische Relevanz, aber man kann sich immer irgendwelche Gedanken machen. Ich bin mehr der Typ sie auch nutzbar einzusetzen.

Ich erforsche daher ich die Geister, die heute unsere Gesellschaft infiltrieren. Es haben sich neben dem Humanismus auch weitere Zeitgeister hinzugesellt, wie z.B. der Feminismus und der Liberalismus. Sie haben mehres gemeinsam:

- Sie anerkennen Gottes Wort nur dort, wo es in ihre (menschliche) Vorstellung passt.
- Sie dünken sich friedlich.
- Sie dünken sich fortschrittlich.
- Sie dünken sich freiheitlich.
- Sie dünken sich tolerant.

Aus geistlicher Perspektive ist alles eine mehr oder weniger große Ansammlung an Lügen, weil das Wort Gottes keine wirkliche Grundlage bildet. Die Begriffe werden also umgedeutet auf den jeweilgen -ismus Glauben, weshalb ich das Verb "sich dünken" dazu auch verwende. Gottes Wort lehrt die Begriffe anders.

Betrachtet man das Sämannsgleichnis, so strukturiert Jesus die Menschen recht universal in vier Gruppen, die es auch zu jeder Zeit gibt. Darum ist es auch allezeit brisant. Der jeweilige Zeitgeist übt dabei seinen Einfluss aus.

Der Teufel wechselt dabei schlicht nur seine Kleidung, aber nicht sein Wesen. Und ebenso ändert der HG niemals sein Wesen, und er allein führt uns in die Wahrheit. Um das geht es mir hier bzw. wie ich denke auch Jesus.

Der schädigende Einfluss auf das Christentum von innen her ist heute einer der genannten Geister Humanismus, Liberalismus und Feminismus, soweit ich es grob sehe. Es wird auch noch weitere gesellschafltiche Einflüsse geben. Aus den vier Gruppen des Sämannsgleichnisses hebe ich die zweite uns dritte Gruppe hervor, weil gerade diese charakterisiert sind hinsichtlich der weltichen Einflüsse auf die Nachfolge.

Da wäre der steinerne Boden, auf dem Gottes Wort keine Wurzeln schlagen kann und der Boden, welcher von Dornen überwuchert wird, sodass keine Frucht hervorgebracht werden kann oder bereits vorhandene wieder erstickt werden.

Dort ordne ich das heutige Christentum ein, das auf den Nachwehen humanistischer Ideale weiter pocht bzw. auf der heutigen erweiterten Grundlage des Liberalismus und Feminismus steht. Die RKK gehört hier nicht dazu, wohl aber die modernen EK. Sie lehren auch ein entartetes Evangelium bzw. kennen es gar nicht mehr.
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigartigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. - Johannes 3:16
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