Wie wahr sind Tatsachen?

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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:1. Die Aussage, dass Pilatus Präfekt war, ist ebenfalls eine Interpretation. Nämlich eine Interpretation der Texte römischer Geschichtsschreibung und archäologischer Befunde.
OK - bei strenger Beurteilung hast Du recht
Nach jeder Beurteilung habe ich recht, denn das obige, ist eine Tatsache, da die Wahrheit meiner Aussage überprüfbar und nachweislich ist.
closs hat geschrieben:Ist "Adenauer starb 1967" eine Interpretation wie "Pilatus war Präfekt"?
Natürlich, denn um diese Aussage zu verfizieren muss man Zeitungsartikel, Chroniken, Tonaufzeichnungen, die Aussagen von Zeitzeugen und vielleicht auch Filmaufnahmen der Beerdigung prüfen und damit Belege interpretieren.
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Mit exakt der gleichen Sicherheit können wir konstatieren, dass Jesus als frommer Jude und gemäß seiner eigenen Aussagen an das unmittelbar bevorstehende Reich Gottes glaubte, - ganz im Sinne des apokalyptischen Judentums seiner Zeit.
Siehst Du - das ist ganz einfach falsch. - Denn Du unterstellst, dass Jesus genauso dachte wie "das Volk", und das ist mindestens nicht sicher.
Jesus dachte nicht wie "das Volk", sondern wie ein frommer Jude seiner Zeit, der einer bestimmten, jüdisch-religiösen Richtung angehörte, nämlich dem apokalyptischen Judentum. Wie hätte er auch sonst denken sollen? Wie ein epikureischer griechischer Philosoph oder ein römischer Legionär oder Ägypter? Die Belege dafür, was Jesu Ansichten waren, finden sich in den einzig zur Verfügung stehenden Quellen, den neutestamentlichen Schriften. Die Wahrheit der Aussage über den Sachverhalt, dass Jesus eine Naherwartung hatte, ergibt sich aus der Analyse der Quellen. Diese Analyse ist seriös, weil die Art und Weise, wie sie zu ihren Ergebnissen kommt, für alle objektiv nachvollziehbar und in sich plausibel ist. Ihr Erklärungswert ist sehr hoch, weil sie darüber hinaus plausibel erklären kann, warum in der Überlieferungsgeschichte der neutestamenrlichen Quellen auch abweichende Textstellen zu finden sind, die versuchen, die Naherwartung Jesu nachträglich zu relativieren.
Die Annahmen dagegen, Jesus hätte keine Naherwartung gehabt oder zugleich eine Naherwartung und doch keine Naherwartung vertreten, sind weder plausibel erklärbar, noch stehen sie im Einklang mit den eindeutigen Textbefunden und mit der jüdisch-apokalyptischen Tradition. Kurzum: sie sind an den Haaren herbeigezogen.
closs hat geschrieben: - Ich erinnere Dich gerne daran, dass Du gelegentlich eine Armada an Bibel-Zitaten gebracht hast, die das Motiv "Und sie verstanden ihn nicht" con variazione bestensbelegt haben.
Kann ich mich nicht daran erinnern. Aber wenn ich das getan habe, dann sicher nicht aus dem mir von dir hier unterstellten Motiv.
closs hat geschrieben: Trotzdem: Deine Version (auf kritischer-rationaler Basis des "Wir interpretieren so, als sei Jesus nur Mensch")
Ob Jesus ein Mensch war oder Sohn JHWH's ist (was immer das genau heißen soll), ist für die Analyse der Quellen unerheblich, denn deshalb ändern sich die Quellen nicht. Die Ergebnisse der historisch-kritischen Analysen der nt-Quellen sind niemals Aussagen dazu, ob Jesus nur Mensch oder auch Gott oder beides zugleich ist. Mit dieser Frage beschäftigt sich die Dogmatik aber nicht die neutestamentliche Forschung.
closs hat geschrieben: KANN natürlich richtig sind - aber sicherlich nicht "mit exakt der gleichen Sicherheit" wie bei Pilatus' Job in Palästina.
Bei der Festellung von Tatsachen geht es immer um die Frage, mit welcher Sicherheit die Wahrheit einer Aussage über einen Sachverhalt festgestellt werden kann. Gibt es Beweise, eindeutige Belege, logisch zwingende Argumente und eindeutige Plausibilitätsketten, oder kann man nur vermuten und spekulieren. Die kanonische Methodik z.B. verstößt schon gegen grundsätzliche wissenschaftliche Minimal-Prinzipien, wie das vertreten von methodischen Annahmen, die die Ergebnisse der Analyse vorwegnehmen.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Jede andere Interpretation hat keinerlei Argumente für sich und stellt eine Umdeutung dessen dar, was Jesu Glauben ausmachte.
Glatt falsch. - Da musst Du nur mal bei den großkirchlichen Theologien rumfragen. - Ich habe wirklich früher und seit 2 Jahren in Bezug auf dieses Thema viele evangelische und katholische Theologen von Dozenten bis Dorfpfarrern befragt, was sie an ihren jeweiligen Unis dazu gehört haben - es kam unterm Strich immer dasselbe raus: "Das ist historisch NICHT richtig, allerdings unter den Bedingungen der HKM nachvollziehbar". - SInd die alle doof?
Ja.
Oder besser: sie hängen einem umfangreichen Selbstbetrug und einer dramatischen Verblendung aus existenzialem Druck an. Jeder Theologe, der sich ernsthaft und intellektuell aufrichtig mit der Erforschung des alten und neuen Testaments beschäftigt stellt fest, wie sehr die gepredigten kirchlichen Lehrmeinungen die Ergebnisse dieser Forschung ignorieren. Er stellt auch fest, dass er diese Ergebnisse nicht predigen kann, selbst wenn er wollte, weil das seine Schäfchen völlig verstören würde. Zudem muss er damit rechnen, erhebliche Probleme mit seiner Kirchenleitung zu bekommen. Der von ihm gewählte Lebens- und Glaubensweg ist damit ganz und gar infrage gestellt. Das ist ein unerhörter existenzieller Druck. Die allermeisten Pfarrer und Theologieprofessoren flüchten sich daher in entweder kuriose Verteidigungsstrategien oder in die Ignoranz.
closs hat geschrieben: - Evangelische und katholische Theologie wäre diesbezüglich unterm Strich eine einzige Täuschung?
Die den Gläubigen gepredigten Theologien: ja!
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Nein, tut sie nicht. Zumindest nicht die seriöse Theologie.
Das ist die alte Falle: "Unsere Hermeneutik ist die einzig richtige, also ist alles andere nicht seriös".
Wenn ein Mathematiker versuchte, eine Mathematik zu begründen einzig auf der Grundlage seiner geträumten Einsichten zu mathematischen Problemen, betriebe er keine seriöse Mathematik, insbesondere dann nicht, wenn ihm seine Mathematikerkollegen auf Fehler in seinen Ableitungen hinwiesen, die er damit zu rechtfertigen versuchte, dass er sich darauf beriefe, dass er sie aber ja doch geträumt hätte und seine Träume von Gott kommen, weshalb sie also richtig sein MÜSSEN.
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Genau das sind die einzigen seriösen Bedingungen, die die Wissenschaftlichkeit und Plausibilität der Tatsachenfeststellung ausmachen.
Im Grunde sagst Du damit: "Wenn Jesus historisch göttlich war, kann es keine Tatsache sein, weil es min Deiner Methodik nicht als Tatsache vorgesehen ist".
Wenn Jesus göttlich ist, dann ändert das an der historisch-kritischen Analyse der Texte rein gar nichts, zumal nicht mir Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass er göttlich ist. Diese Annahme spielt keine Rolle für die Analyse, ja sie ist als unbelgbare Zusatzannahme sogar hinderlich.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 9. Jun 2017, 09:31, insgesamt 2-mal geändert.
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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

closs hat geschrieben:oder als ontologische Größe ("So, wie es wirklich war") zu verstehen sein soll? - Die Antwort darauf fehlt noch.
Ontologisch bedeutet nicht: "so, wie es wirklich war". Ontologisch bedeutet, dass Seiende betreffend, wobei unter Seiendes alles Mögliche fällt: das Laptop, auf dem ich schreibe, ich selbst als Person und sogar der Gedanke, den ich hier grade schriftlich mitteile. Was wirklich war, muss immer erst herausgefunden werden, insofern das möglich ist.
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Mit kanonischer Pseudo-Exegese ließe sich auch feststellen, dass Jesus überhaupt kein Jude war, weil er ja schließlich das Christentum begründete.
Wenn Du "kanonisch" nicht magst, versuche es doch mal mit "grammatisch-historischer/biblisch-kritischer Exegese.
Grammatische und historische Untersuchungen gehören schon zur historisch-kritischen Methodik.
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Eine Tatsache ist keine methodische Größe, denn Tatsachen haben mit Methodik nichts zu tun. Tatsachen sind wahre Aussagen über Sachverhalte.
Das klingt jetzt wieder ontologisch:
Es ist epistemologisch, insofern es hier um Aussagen geht, deren Wahrheitsgehalt festgestellt werden muss, um von Tatsachen sprechen zu dürfen, was wiederum ein Wissen darstellt (und nicht nur eine Meinung). Ontologisch ist es, insofern es um tatsächliche Sachverhalte in der Welt geht. Aber nicht Sachverhalte oder die physischen Dinge der Welt sind objektiv. Nur Aussagen über Sachverhalte und die physischen Dinge können objektiv sein.
closs hat geschrieben: Da ist ein "So war es wirklich" (Sachverhalt), das man als "Tatsache" bezeichnet. - Aber wie willst Du "So war es wirklich" wahrnehmungs-mäßig darstellen - doch methodisch, oder nicht?
Ob eine Aussage über einen Sachverhalt wahr ist, muss geprüft werden. Die Verfahren solche Wahrheit zu prüfen sind je nach Gegenstand unterschiedlich. Mit den Methoden der Mathematik, lässt sich schwerlich ein Gedicht interpretieren, und mit literarischen Methoden kein Beweis in der Mathematik führen. Welche Methoden und Verfahren in Mathematik und Literatur angewendet werden müssen, ist aber nicht beliebig. Die kanonische Exegese will in Konkurrenz zur historisch-kritischen Methode treten. Das vermag sie aber nicht, weil sie schon den minimalsten wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt. Zu den Mindestvoraussetzungen der mathematischen Forschung gehört, dass alle die bekannten Rechenoperationen gleich ausführen. Käme ein Mathematiker und behauptete, neben den vier Grundrechenarten gibt es auch noch die göttlich inspirierte Addition, Division usw. und die sorgen dafür, dass bei der Addition von 2+2 auch mal 5 herauskommen kann oder 3, dann ist das einfach nur schlichter Unsinn, und er wird zurecht nicht ernstgenommen.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 9. Jun 2017, 13:05, insgesamt 1-mal geändert.
ThomasM
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von ThomasM »

Thaddäus hat geschrieben:
Käme ein Mathematiker und behauptete, neben den vier Grundrechenarten gibt es auch noch die göttlich inspirierte Addition, Division usw. und die sorgen dafür, dass bei der Addition von 2+2 auch mal 5 herauskommen kann oder 3, dann ist das einfach nur schlichter Unsinn, und er wird zurecht nicht ernstgenommen.
Unterschätze nicht die Variabilität der Mathematik.
2+3=1 kann eine wahre Aussage sein.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.
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closs
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs »

ThomasM hat geschrieben:Da ich die Bedeutung und den Unterschied zwischen ontologisch und epistemologisch, nicht begreife (hat mir noch niemand gut erklärt und nach dem, was ich gehört habe, gibt es auch keine allgemein akzeptierte Erklärung der Begriffe), kann ich das nicht sagen.
Reduzieren wir es auf folgendes:

Mit "ontologischen" ist gemeint: "WENN etwas 'ist', 'ist' es, egal ob wir es wissen". - WENN es also einen Klein-Planeten eines Sonnensystems in einer Galaxie ca. 100 Mio Lichtjahre von uns entfernt gibt, ist er eine Tatsache, auch wenn wir ihn nie wissenschaftlich wahrnehmen können. - WENN es Gott als Entität gibt, ist er eine Tatsache, auch wenn wir ihn nie wissenschaftlich oder emotional wahrnehmen können.

Mit "epistemologisch" ist gemeint: "Wenn ich kritisch-rational zu einem widerspruchsfreien Ergebnis komme, ist es eine Tatsache" - Und wenn man noch "empirisch" hinzufügt ("Empirie" - von griechisch εμπειρία empeiría ‚Erfahrung, Erfahrungswissen'): "Wenn ich nach 30 Jahren weiß, dass meine Frau auf die Frage 'Wollen wir Eis essen gehen?' 'Nein' sagt, weil sie Angst hat , dick zu werden, ist es trotzdem Tatsache, dass sie gerne mitgeht".

Also was meint man mit "Tatsache": Das, was unverrückbar "ist" (völlig unabhängig davon, ob wir es wissen) - oder das, was wir als Ergebnis einer Methodik oder einer Erfahrung für wahr halten.
ThomasM hat geschrieben:Aber jedem, der ein wenig darüber nachdenkt - und genau das macht der Artikel klar - muss bewusst werden, dass "Tatsachen" ein sehr relativer Begriff ist und von einer Vielfalt von Bedingungen und Wahrnehmungseinschränkungen abhängt - auch und gerade in einem naturalistischen Kontext.
Richtig - weshalb sich die Frage stellen:
1) Gibt es überhaupt "Tatsachen"/"Fakten" aus Sicht des Menschen - im Sinne von "es IST absolut unverrückbar?
2) Und was sie die Konsequenzen aus der Antwort auf 1)?
ThomasM hat geschrieben: Das heißt, dass "Tatsachen" vor 2000 Jahren (als das NT verfasst wurde) anders aussahen als heute und wieder anders aussehen werden, als in hundert Jahren.
Genau das. - Deshalb die nächste Frage: Wie geht man sprachlich damit um, dass man seriöse methodische ERgebnisse der Wissenschaft nicht sprachlich gleich benennt wie "das, was unverrückbar 'ist' "? - Denn da scheint es mir einiges Durcheinander zu geben - so als sei, wie wir jetzt auch von Thaddäus hören, die Naherwartung Jesu eine "Tatsache"/"ein Faktum"/"etwas, was historisch sicher 'ist'".

Wenn Du Lust hast, wäre es sehr bereichernd, wenn Du als promovierter Wissenschaftler, der nicht sofort in den Verdacht kommt, "esoterisch" zu sein, hier in diesem (Deinem!) Thread deutlich zu werden. :)
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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

del.
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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

ThomasM hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:
Zudem sind Tatsachen immer wahre Aussagen über die Welt, weil sie ansonsten keine Tatsachen sind, also keine wahren Aussagen über Sachverhalte.
Diese Aussage ist sinnlos, weil du gar nicht feststellen kannst, wann Aussagen über Sachverhalte global (zeitlich, räumlich, kulturell und wahrnehmungstechnisch) wahr sind.
Selbstverständlich kann ich das. Das ist doch ganz einfach.
Wenn ich feststelle, dass ich gerade jetzt in meinem Arbitszimmer sitze und diese Zeilen tippe, dann ist das eine wahre Aussage über den Sachverhalt, dass ich hier sitze und dies schreibe und damit ist diese Feststellung eine Tatsache. Diese Tatsache ist jetzt wahr und wird auch immer wahr bleiben, egal, welche Bedingungen sich ändern mögen. Die Tatsache ist morgen oder in 100 000 Jahren immer noch wahr und eine Tatsache. Es ist nicht möglich, diese Tatsache wieder aus der Welt zu schaffen. Selbst, wenn es nur allein mich gäbe und sonst nichts und niemand, würden sich die Verfahren zur Feststellung der Richtigkeit meiner Aussage nicht ändern. Ich könnte mich hier sitzend fotografieren und das Bild posten, könnte Zeugen einladen, die bestätigen, dass ich hier sitze und schreibe. Ich kann medizinische Gutachten herbeischaffen, die bestätigen, dass ich geistig gesund bin und nicht unter Desorientierung und Halluzinationen leide. Ich kann mich kneifen, um zu überprüfen, ob es sich etwa um einen Trauminhalt handelt und selbst dann bliebe es eine Tatsache, dass ich träume, dass ich in meinem Arbeitszimmer sitze und dies schreibe. Ja selbst, wenn mich ein böser Dämon träumen würde, wie ich hier sitze und schreibe, so wäre diese Feststellung in Form einer Aussage immer noch eine Tatsache über einen bestimmten Sachverhalt, - weil die von mir formulierte Aussage: "Ich sitze gerade in meinem Arbeitszimmer und schreibe", wahr wäre.

Eine ebenso wahre Aussage ist die Feststellung, dass die Erde um die Sonne kreist, weshalb es sich um eine Tatsache handelt, die auch dann wahr ist, wenn es 1. keine Menschen gäbe, die dies überhaupt feststellen können oder 2. es dereinst unser Sonnensystem nicht mehr gibt. Es bleibt eine Tatsache, dass unsere Erde um die Sonne kreiste, jedenfalls zum Zeitpunkt, als diese Tatsache festgestellt wurde. Es ist kein Problem, dass sich die Dinge ändern. Wenn etwas eine Tatsache ist zu einem bestimmten Zeitpunkt, dann bleibt es eine Tatsache. So wie es eine Tatsache ist, das Jesus während seiner Schreinerlehre in einem Haus gewohnt hat. Beide gibt es nicht mehr, Jesus und das Haus. Aber die Tatsache bleibt bestehen.
ThomasM hat geschrieben:Sobald du eine Wahrheitsaussage aber einschränkst (heute nach meinen Mitteln im Rahmen meiner Möglichkeiten wahr), musst du das "immer" aus deiner Aussage streichen.
Ich denke nicht. Denn ich behaupte ja nicht, das die Wahrheitsbedingungen sich nie ändern können. Wenn ich gleich nicht mehr in meinem Arbeitszimmer sitze und schreibe, sondern raus gehe, dann wird die Aussage ja nicht falsch, dass ich eben noch im Arbeitszimmer saß und schrieb. Es wäre natürlich eine falsche Aussage, wenn ich draussen wäre und schriebe, ich säße in meinem Arbeitszimmer und schreibe. Das wäre dann einfach eine Lüge und eben keine wahre Aussage über den Sachverhalt und damit keine Tatsache.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 9. Jun 2017, 13:07, insgesamt 5-mal geändert.
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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

Thaddäus hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:
Käme ein Mathematiker und behauptete, neben den vier Grundrechenarten gibt es auch noch die göttlich inspirierte Addition, Division usw. und die sorgen dafür, dass bei der Addition von 2+2 auch mal 5 herauskommen kann oder 3, dann ist das einfach nur schlichter Unsinn, und er wird zurecht nicht ernstgenommen.
Unterschätze nicht die Variabilität der Mathematik.
2+3=1 kann eine wahre Aussage sein.
Das müsstest du nachweisen ... z.B. indem du einen mathematisch gültigen Beweis führst.

Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist in der euklidischen Geometrie die Gerade. In der nicht-euklidischen Differenzialgemometrie (Gauß, Riemann, Birkhoff, Finsler, Morse u.v.a.m.) kann die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten aber eine gekrümmte Linie sein (z.B. zwischen zwei Punkten auf der Oberfläche eines Apfels oder ein Raketenflug durch die gekrümmte Raumzeit), was zu einer Neudefintion des euklidischen Parallelenaxioms (Axiom 5) geführt hat, welches besagt, dass sich zwei parallel laufende Geraden in der Unendlichkeit nicht schneiden. In der Differenzialgeometrie ist das aber möglich. Sowohl die euklidische 2- + 3-dimensionale Geometrie, als auch die Geometrie n-dimensionaler Mannigfaltigkeiten ist widerspruchsfrei. Beide Geometrien haben ihre mathematische Berechtigung. Der Beweis dieser Berechtigung kann aber nur mathematisch und also mit den Methoden der Mathematik erbracht werden und sei es dadurch, dass Axiome neu definiert werden. Keine Erklärung ist der Hinweis darauf, dass die Mathematik von einem Standpunkt der Göttlichkeit und der Korrektheit der Tradition betrachtet werden müsse, wie es die kanonische Exegese für die Erforschung des neuen und alten Testaments machen möchte.
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Thaddäus
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus »

closs hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:Da ich die Bedeutung und den Unterschied zwischen ontologisch und epistemologisch, nicht begreife (hat mir noch niemand gut erklärt und nach dem, was ich gehört habe, gibt es auch keine allgemein akzeptierte Erklärung der Begriffe), kann ich das nicht sagen.
Reduzieren wir es auf folgendes:

Mit "ontologischen" ist gemeint: "WENN etwas 'ist', 'ist' es, egal ob wir es wissen". - WENN es also einen Klein-Planeten eines Sonnensystems in einer Galaxie ca. 100 Mio Lichtjahre von uns entfernt gibt, ist er eine Tatsache, auch wenn wir ihn nie wissenschaftlich wahrnehmen können. - WENN es Gott als Entität gibt, ist er eine Tatsache, auch wenn wir ihn nie wissenschaftlich oder emotional wahrnehmen können.

Mit "epistemologisch" ist gemeint: "Wenn ich kritisch-rational zu einem widerspruchsfreien Ergebnis komme, ist es eine Tatsache" - Und wenn man noch "empirisch" hinzufügt ("Empirie" - von griechisch εμπειρία empeiría ‚Erfahrung, Erfahrungswissen'): "Wenn ich nach 30 Jahren weiß, dass meine Frau auf die Frage 'Wollen wir Eis essen gehen?' 'Nein' sagt, weil sie Angst hat , dick zu werden, ist es trotzdem Tatsache, dass sie gerne mitgeht".
Ähm, na ja. Kein Wunder das ThomasM nicht versteht, was der Unterschied zwischen ontologisch und epistemologisch ist.

Onto-logisch sind Aussagen, die die Ontologie betreffen, also das Seiende im allgemeinsten Sinne. Ontologische Aussagen sind stets Aussagen innerhalb der Theorie. Also z.B. die Frage, in welchem Sinne fiktionale Gegenstände wie das mythische Pferd Pegasus "existieren" und was der ontologische Unterschied zwischen einer Existenz von Pegasus und der Existenz z.B. des Brandenburger Tores in Berlin ist. Oder in welchem Sinne die Bundesrepublik Deutschland existiert oder ein Atom, denn wir haben zur physikalischen Beschreibung eines Atoms nur ein Modell, können es mit unseren Sinnen aber nicht direkt wahrnehmen etc.

Davon zu unterscheiden sind ontische Existenzbehauptungen. Wenn ich z.B. behaupte, dass die Erde einen Trabanten hat, der sie umkreist. Damit mache ich keine theoretische Aussage, sondern ich behaupte etwas Seiendes, nämlich die (in diesem Fall physisch-dingliche) Existenz eines Erdtrabanten. Ich behaupte, dieses Seiende gibt es in der physischen Wirklichkeit. Es wäre aber auch eine ontische Existenzbehauptung, wenn ich behauptete, es gäbe in Shakespeares Macbeth eine vierte Hexe! Auch hier wird die Existenz eines Seienden behauptet. Das alles sind ontische Aussagen (keine ontologischen). Eine ontologische und erkenntnistheoretische Frage wäre allerdings, ob es diesen Erdtrabanten auch dann gibt, wenn er gerade nicht von Menschen (oder mir selbst) beobachtet wird - oder ob er dann etwa aufhört zu existieren).


Epistemo-logisch sind Aussagen, die im weitesten Sinne die Frage betreffen, was wir wissen und wissen können. Die Frage: "Gibt es unbewusstses Wissen" ist z.B. eine epistemologische, weil eine das Wissen betreffende, theroetische Fragestellung. Die ganze Diskussion um diese Frage ist eine epistemologische Diskussion. Epistemisch wäre dagegen z.B. die Behauptung: "Es gibt unbewusstes Wissen", weil sie nicht auf der theoretischen Ebene getroffen wird, sondern eine direkte epistemische Behauptung aufstellt.
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs »

Thaddäus hat geschrieben:Nach jeder Beurteilung habe ich recht, denn das obige, ist eine Tatsache
Woanders sagst Du:
Thaddäus hat geschrieben:1. Die Aussage, dass Pilatus Präfekt war, ist ebenfalls eine Interpretation.
Ist es jetzt "Tatsache" oder "interpretation"? - Oder ist eine Tatsache eine Interpretation? - Kann ja sein, dann aber wäre "Tatsache" keine Seins-Größe ("Es 'ist' so, unabhängig von Wahrnehmung") - oder meinst Du gar, dass nichts "ist", was nicht von uns wahrgenommen wird?
Thaddäus hat geschrieben:Wie hätte er auch sonst denken sollen? Wie ein epikureischer griechischer Philosoph oder ein römischer Legionär oder Ägypter?
Möglicherweise hat er ja ein eigenes Denken gehabt - am Ende sogar so, wie es die Theologie im Großen und Ganzen meint. - Schließt Du das aus?
Thaddäus hat geschrieben:Die Belege dafür, was Jesu Ansichten waren, finden sich in den einzig zur Verfügung stehenden Quellen, den neutestamentlichen Schriften.
Natürlich - aber dieselben Quellen lassen sich ganz anders interpretieren, wenn man das NT insofern ernst nimmt, dass Jesus nicht nur Mensch war. - Insofern wäre für mich "Tatsache" das "Hier steht folgendes wörtlich" und "Diese Quelle ist aus dem Jahr 80 - 120 n.Chr.", aber nicht "Wie ist das zu verstehen?" (vgl. Apg. 8,30).
Thaddäus hat geschrieben:Die Wahrheit der Aussage über den Sachverhalt, dass Jesus eine Naherwartung hatte, ergibt sich aus der Analyse der Quellen. Diese Analyse ist seriös, weil die Art und Weise, wie sie zu ihren Ergebnissen kommt, für alle objektiv nachvollziehbar und in sich plausibel ist.
Das ist bei theologischer Analyse dasselbe - auch andere Exegese-Formen außer der HKM stellen nachvollziehbar und plausibel dar - allerdings unter andere Prämissen als die HKM.
Thaddäus hat geschrieben:Ihr Erklärungswert ist sehr hoch, weil sie darüber hinaus plausibel erklären kann, warum in der Überlieferungsgeschichte der neutestamenrlichen Quellen auch abweichende Textstellen zu finden sind, die versuchen, die Naherwartung Jesu nachträglich zu relativieren.
Auch das geht anders, wenn man will: Man kann es genauso plausibel finden, dass die späteren Rezeptionen im Abstand zu den Ereignissen besser überblicken, was eigentlich wirklich passiert ist. - Auch Du wirst schon erlebt haben, dass Dir mit der Zeit über DInge Deiner Vergangenheit ein Licht aufgeht.
Thaddäus hat geschrieben:Die Annahmen dagegen, Jesus hätte keine Naherwartung gehabt oder zugleich eine Naherwartung und doch keine Naherwartung vertreten, sind weder plausibel erklärbar, noch stehen sie im Einklang mit den eindeutigen Textbefunden und mit der jüdisch-apokalyptischen Tradition. Kurzum: sie sind an den Haaren herbeigezogen.
Das ist der Punkt, an dem Du selber weltanschaulich wirst. - Denn im Grunde sagst Du: "Was in meiner eigenen Hermeneutik nicht funktioniert, hat grundsätzlich nicht zu funktionieren".

Und auch hier wieder die Frage: Warum gehen die großkirchlichen Theologien NICHT von einer Naherwartung aus? - Warum können Theologen, ob Dozent oder Dorfpfarrer, einmütig sagen, dass dies ein Selbstläufer der HKM ist, aber mit größter Wahrscheinlichkeit nicht dem entspricht, "was wirklich war"? - Sind die alle doof - bis in den Vatikan hinein?
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closs
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Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs »

Thaddäus hat geschrieben:Kann ich mich nicht daran erinnern. Aber wenn ich das getan habe, dann sicher nicht aus dem mir von dir hier unterstellten Motiv.
Stimmt - es ging um die Frage, wann Jesus zu erkennen gibt, dass er nicht verstanden wird - entweder per (aus dem Gedächtnis) "Die Antwort auf Eure Frage würdet Ihr heute nicht verstehen, und wenn es soweit ist, werdet Ihr diese Frage nicht mehr stellen" oder "Er aber antwortete Ihnen nicht und wandte sich ab" - etc.
Thaddäus hat geschrieben:Ob Jesus ein Mensch war oder Sohn JHWH's ist (was immer das genau heißen soll), ist für die Analyse der Quellen unerheblich, denn deshalb ändern sich die Quellen nicht.
Das stimmt, solange man nicht interpretiert. - Natürlich ist die Analyse "Das Wort logos wird damals SO verwendet und findet sich auch in den außerchristlichen Schriften x, etc" frei von Annahmen "Jesus ist nur Mensch" oder "Jesus ist auch göttlich" - das meine ich mit "Sachebene der HKM", die auch bei der RKK nicht in Frage steht.
Thaddäus hat geschrieben:Die kanonische Methodik z.B. verstößt schon gegen grundsätzliche wissenschaftliche Minimal-Prinzipien, wie das vertreten von methodischen Annahmen, die die Ergebnisse der Analyse vorwegnehmen.
Denkfehler: Was "plausibel" ist, hängt von der "Kalibrierung" ab: Gemessen WORAN ist etwas plausibel?

Insofern ist es in der Tat unplausibel aus Sicht einer kritisch-rational geprägten Disziplin, die nur beachten kann, was nachweisbar ist (also bspw. "Jesus ist Mensch"), dass Jesus ganz anders dachte als das Volk und die Schriftgelehrten der Zeit. Unter dieser Prämisse/"Kalibrierung" hast Du also recht.

Nur - es gibt auch andere, aus geistiger Sicht, naheliegende Prämissen wie bspw. "Jesus ist auch göttlich" - und dann ist es im Gegenteil UN-plausibel, dass Jesus eine Naherwartung hatte, weil er, wie es die großkirchlichen Theologien weitgehend sehen, dann mit "Nähe des GOttesreichs" etwas ganz anderes meinte - auch darüber wurde hier schon viel gesprochen, gehört aber in den Thread "Teufelszeug".

Das heisst: Die Annahme, man habe Jesus nur als Mensch zu interpretieren, ist genauso wissenschaftlichn oder unwissenschaftlich wie die Annahme, man habe Jesus auch als göttlich zu interpretieren. - Nun ist es sicher nicht angemessen, jede historische Gestalt von Karl dem Großen bis Adenauer als göttlich zu interpretieren - aber das beanspruchen ja auch die Quellen nicht. - Hier aber beim NT geht es darum, dass es kein NT gäbe, wenn Jesus nicht von denen, die über ihn schreiben, als göttlich angesehen worden wäre - mit welchem Recht also setzt man, dass die Grundlagen eines Textes NICHT zu gelten habe, damit man ihn wissenschaftlichen untersuchen könne?
Thaddäus hat geschrieben:mit der Erforschung des alten und neuen Testaments beschäftigt stellt fest, wie sehr die gepredigten kirchlichen Lehrmeinungen die Ergebnisse dieser Forschung ignorieren.
Mit Verlaub: Da bist Du auf Kosten anderer komplett weltanschaulich verblendet.

Denn Du verkennst, dass "Forschung" nicht nur HKM-Forschung ist, sondern auch Forschung unter anderen exegetischen/hermeneutischen Gesichtspunkten. - Auch ein Kanoniker oder ein Biblisch-Kritischer schaut sich die Quellen genau an und interpretiert auf Basis dieser Quellen - aber er interpretiert eben anders als die HKM, die Jesus nur unter der Annahme "Er ist nur Mensch" interpretieren kann. - In der Praxis heisst dies: Die HKM ist in der Theologie ausschließlich auf neutraler Sachebene zu gebrauchen, nicht aber auf Interpretationsebene, die abhängig von eigenen Setzungen/Prämissen/Annahmen ist.
Thaddäus hat geschrieben:Die allermeisten Pfarrer und Theologieprofessoren flüchten sich daher in entweder kuriose Verteidigungsstrategien oder in die Ignoranz.
Das sind Verschwörungs-Theorien. - Ich habe vielmehr den Eindruck, dass die beiden Karawanen "HKM" und "Christliche Hermeneutik" schon seit Jahrzehnten so sehr getrennte Wege gehen, dass jeder seinem Wissenschaftsbetrieb nachgeht und kaum auf den anderen achtet. - Du kannst sicher sein, dass sich die Theologen NICHT in der Defensive empfinden und vielmehr distanziertes Verständnis für eine säkular, analytische Methodik haben, die aufgrund ihrer Grundlagen zu ihren Selbstläufer-Ergebnissen kommen muss. - Nichtsdestoweniger: Die reinen Sachergebnisse schöpft man gerne ab.
Thaddäus hat geschrieben:Wenn ein Mathematiker versuchte, eine Mathematik zu begründen einzig auf der Grundlage seiner geträumten Einsichten zu mathematischen Problemen, betriebe er keine seriöse Mathematik, insbesondere dann nicht, wenn ihm seine Mathematikerkollegen auf Fehler in seinen Ableitungen hinwiesen, die er damit zu rechtfertigen versuchte, dass er sich darauf beriefe, dass er sie aber ja doch geträumt hätte und seine Träume von Gott kommen, weshalb sie also richtig sein MÜSSEN.
Zustimmung - aber das passt entweder nicht zu unserem Thema hier oder es betrifft beide Seiten.

Denn auch die Grundlage, man müsse die Bibeltexte nach dem Motto "Je älter, desto authentischer" qualifizieren, oder man müsse Jesus nur als Mensch interpretieren, können "geträumte Einsichten" sein. - Der Unterschied zur Mathematik: Beim Bibel-Verständnis kann man sich gegenseitig auf "Fehler in seinen Ableitungen hinwiesen", je nach Prämissen der eigenen Hermeneutik. - Aber so zu tun, als habe die HKE KEINE Prämissen und nur die anderen Exegesen hätten welche, ist entweder unredlich oder naiv - letzteres wäre sogar der schlimmere Fall.
Thaddäus hat geschrieben:Wenn Jesus göttlich ist, dann ändert das an der historisch-kritischen Analyse der Texte rein gar nichts, zumal nicht mir Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass er göttlich ist. Diese Annahme spielt keine Rolle für die Analyse, ja sie ist als unbelgbare Zusatzannahme sogar hinderlich.
Wüsste ich nicht, was an Irrwegen hinter dieser Feststellung sein kann, würde ich Dir glatt zustimmen - jawoll: Auf reiner Sacheebene der Textananlyse hast Du vollkommen recht. - Aber eben nicht auf Interpretations-Ebene.

Das Problem: Es scheint üblich zu sein, die eigene Interpretations-Ebene als Sachebene zu bezeichnen - dann ist natürlich Hopfen und Malz verloren (hier im Forum aber oft genug passiert). - Und da lobe ich mir wirklich Ratzinger, der im Wissen um den Unterschied zwischen analytischer Sachebene und Interpretations-Ebene sagt: "Achtung - ich interpretiere jetzt auf Basis meines Glaubensentscheids" - DAS ist redlich. - Während man von HKM-Vertretern gerne mal hört: "WIeso? Unsere Interpretations-Ebene IST doch Sachebene. WIR :engel: haben keine Setzungen".
Thaddäus hat geschrieben:Ontologisch bedeutet nicht: "so, wie es wirklich war". Ontologisch bedeutet, dass Seiende betreffend, wobei unter Seiendes alles Mögliche fällt
Mir geht es um den Aspekt, dass es mit der Ontologie eine philosophische Disziplin gibt, die unterscheidet zwischen "das, was ist" und "das, was wir emotional/methodisch/wissenschaftlich für wahr halten".
Thaddäus hat geschrieben:Grammatische und historische Untersuchungen gehören schon zur historisch-kritischen Methodik.
Klar - und diese Bestandteile gibt es eben auch in anderen Exegese-Formen - siehe wik:
"Die grammatisch-historische Exegese ... zielt darauf ab, den Text entsprechend der ursprünglichen Absicht des Autors zu verstehen, so weit dies möglich ist. Sie stützt sich dabei auf exakte Analyse von Grammatik und Wortbedeutung ebenso wie auf Elemente der historisch-kritischen Methode wie Formgeschichte, Redaktionsgeschichte, oder Midraschgeschichte. Sie geht jedoch von grundsätzlich anderen Voraussetzungen aus als die historisch-kritische Methode: Die Bibel wird als Heilige Schrift gesehen, die von Gott inspiriert ist. Die als historisch berichteten Ereignisse werden im Wesentlichen als historische Ereignisse gesehen; auch wird mit der Möglichkeit gerechnet, dass tatsächlich Wunder geschehen sind".

Die grammatisch-historische Exegese bedient sich also der HKM, geht aber von ANDEREN Voraussetzungen aus als die historisch-kritische Exegese - das heißt: Die historisch-kritische Exegese hat Voraussetzungen und die grammatisch-historische Exegese hat ebenfalls Voraussetzungen (geht ja gar nicht anders) - das Ergebnis: Aufgrund derselben grammatischen, historischen, etc. Untersuchungen interpretieren die beiden hier genannten Exegese-Formen unterschiedlich - logisch.
Thaddäus hat geschrieben:Aber nicht Sachverhalte oder die physischen Dinge der Welt sind objektiv. Nur Aussagen über Sachverhalte und die physischen Dinge können objektiv sein.
OK - halten wir fest: "Tatsache" ist letztliche eine anthropozentrische Größe (= das, was ein Mensch für wahr hält, und nicht, was wahr "ist" - weil letzteres gar nicht absolut festgestellt werden kann) - einverstanden?
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