Bileam wird im NT ausdrücklich als "Böser" dargestellt. - Im AT ist er in der Hauptszene (Num. 22,ff) als Prophet Jahwes unterwegs und fällt danach wieder in seine ursprüngliche Feindschaft zu Israel zurück. - Meine These:
Bileam handelt in der ersten großen Szene nicht selbst, sondern ist von Jahwe per "Geistbraus" instrumentalisiert, was Bileam NICHT merkt/merken kann.
Dies erinnert an „Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als Ed-Schaddai (Gott der Allmächtige) erschienen, aber unter meinem Namen Jahwe hab ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben“ (Ex. 6,3) - Belege:
Num. 23,12 Muss ich nicht das sagen, was der Herr mir in den Mund legt?
Bileam spürt seine prophetische Kraft, spricht sie aus, macht aber nicht deutlich, ob er weiß, dass die Botschaften vom Gott Israels kommen, weiß aber auch so, dass ihm der „Geistbraus Gottes“ (Buber: 24,2) „eine Vision des Allmächtigen“ (24,4) (Buber: „die Schau des Gewaltigen“(24,16)), also nicht irgendeines Gottes, sehen lässt. - Jahwe erscheint ihm offenbar als Ed-Schaddai und nicht als Jahwe.
24,16 Spruch des Mannes mit geschlossenem Auge, Spruch dessen, der Gottesworte hört, der die Gedanken des Höchsten kennt, der eine Vision des Allmächtigen sieht, der daliegt mit entschleierten Augen.
<Buber: „Erlauten des Mannes erschlossenen Augs, Erlauten des Hörers göttlicher Sprüche, Mitwissers um das Wissen des Höchsten, der die Schau des Gewaltigen schaut, hinsinkend, bar die Augen“>
Dazu eine Interpretation:
Diese Szene mutet an wie die Selbstbeschreibung eines Propheten des El-Schaddai - eines Propheten, dessen Augen spirituell „erschlossen“ und „entschleiert“ sind und der „Mitwisser um das Wissen des Höchsten“ ist. Dieses „Mitwissen“ erscheint als persönliche spirituelle Gabe jenseits von einem organisierten Ordnungs-Verhältnis zwischen Gott und Mensch, das allein schon wegen mangelnder Zuordnungsfähigkeit, wer „ER“ (Buber: 23,8) ist, nicht möglich ist (Bileam weiß auch am Ende nicht, dass „ER“ der Gott Israels ist).
Somit handelt es sich hier um ein persönliches Verhältnis zwischen dem allmächtigen Gott und einem Menschen, der diesem Gott „organisatorisch“ per Volkszugehörigkeit gar nicht untertan ist, aber dann doch in anderer Weise untertan ist, weil es der einzige, universale Gott ist, für den Volkszugehörigkeit keine Rolle spielt.
Genauso universal das Gottesbild hier erscheint, erscheint auch ein universal angelegtes Menschenbild. Der ebenbildliche Mensch erhält über seinen göttlich eingehauchten Lebensatem Zugang zu seinem göttlichen Ursprung, indem er „Mitwissen“ (24,16) hat, exakt der Begriff, der viel später in der Heilsgeschichte zum gleichbedeutenden Begriff „conscientia“ führt, der schlechthin für das persönliche Bewusstsein und Gewissen des Menschen steht. - Insofern stellt die „mitwissende“ und fern vom Volk Israel lebende Person Bileam einen heilsgeschichtlichen Quantensprung dar, weil in ihm universales Gottesbild und universal gott-angebundenes Menschenbild erstmals gemeinsam in Erscheinung treten.
Das habt Ihr jetzt davon.
