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Nüchterne Fakten helfen nur begrenzt gegen Halbwahres, warnt Sebastian Herrmann in dem Buch "Gefühlte Wahrheit": Wir alle bevorzugen Informationen, die zur eigenen Meinung passen. Er plädiert daher für einen anderen Weg, um Populismus zu bekämpfen.
"Gefühlte Wahrheit“"– der Titel lässt an Rechtspopulisten denken, die ihre Weltsicht gern nach dem formen, was ihnen ins Bild passt, und nicht nach dem, was Sache ist. Doch wir neigen alle dazu, mit gefühlten Wahrheiten zu operieren – das ist der Grundtenor des neuen Buches von Sebastian Herrmann. Der SZ-Redakteur und Sachbuch-Autor erklärt darin, wie Emotionen unser Weltbild formen. Christoph Leibold hat mit Sebastian Herrmann über "Gefühlte Wahrheit" gesprochen.
Christoph Leibold: Gegen gefühlte Wahrheiten werden meist Fakten ins Feld geführt. Sie arbeiten in der Süddeutschen Zeitung in der Redaktion „Wissen“. Steckt im wissenschaftlich Nachweisbaren tatsächlich das Gegenmittel gegen gefühlte Wahrheiten oder unterliegen nicht auch die Erkenntnisse der Wissenschaft immer der Interpretation, also einer subjektiven Auslegung?
Sebastian Herrmann: Natürlich. Jede Studie, die von irgendeinem großen Konzern oder von irgendeiner Interessensvereinigung finanziert wird, ist ein Stück weit verzerrt. Auch persönliche Ansichten der Wissenschaftler führen zu Verzerrungen. Aber es ist trotzdem das Beste, was wir haben.
Aber Sie schreiben auch, oft sei es so, dass wir eine Meinung haben und uns dann die Fakten passend dazu aussuchen.
Das ist generell so. Ich glaube, das ist das Missverständnis, wenn wir mit Meinungen umgehen: Wir glauben ja immer, wir schauen uns erst die Evidenz an. Wir checken alle Beweise und bilden uns dann eine Meinung. Aber es ist genau umgekehrt. Um es flapsig zu sagen: Wir wissen sofort, ob wir etwas gut oder blöd finden. Und dann begeben wir uns auf die Suche nach Fakten, die dazu passen, um das abzusichern. Da greifen wir dann auf ganz unterschiedliche Sachen zurück. Nehmen wir mal die Debatte um Fahrverbote und Stickoxide, Feinstaub und so weiter. Da haben wir alle die gleichen Fakten auf dem Tisch. Aber sie werden unterschiedlich interpretiert. Das hängt dann wahrscheinlich davon ab, ob ich selber einen Diesel habe, ob ich selber in der Stadt wohne, oder ob ich Fahrradfahrer bin, wie ich damit umgehe. Und wenn dann auf einmal einer auftaucht und sagt: Stimmt ja alles gar nicht, Autofahren ist total unproblematisch, so wie das – überspitzt formuliert – mit den Lungenärzten kürzlich passiert ist, dann höre ich mir das sehr gerne an, wenn ich ohnehin der Meinung bin, dass mir irgendwelche Öko-Heinis mein Auto wegnehmen wollen. Wenn ich von der anderen Fraktion komme, viel mit dem Fahrrad fahre und der Meinung bin, dass die mit ihren SUVs sowieso die personifizierten Bösen sind, dann gehe ich mit diesen Fakten wieder ganz, ganz anders um.
Wieso ist das Thema gefühlte Wahrheiten heute besonders virulent? Oder ist das auch schon wieder so eine gefühlte Wahrheit, vielleicht war das Thema immer schon aktuell?
Ja, die Menschen waren immer schon so. Es ist jetzt nicht so, dass das Internet aufgetaucht ist und die Psyche der Menschen hat sich verändert. So ist das ganz und gar nicht. Aber die Spielwiese hat sich vergrößert. Die Filter sind weniger geworden. Wir ertrinken in einem Meer von Informationen und dadurch ist es noch viel wichtiger, dass wir uns der psychischen Mechanismen bewusst werden, um zu lernen, wie wir mit diesen Informationen umgehen können.
Sie haben eben das Internet angesprochen. Bei Themen wie dem Brexit ist immer die Rede von den Filter-Bubbles – also, dass Menschen, die sich permanent mit ihrer gefühlten Wahrheit beschäftigen, diese im Netz auch immer bestätigt bekommen. Das ist ein gängiges Erklärungsmuster. Wie stehen Sie dazu?
Wie groß der Effekt dieser sogenannten Filter-Bubbles ist, das ist sehr umstritten. Das reicht von: Sie hätten so gut wie gar keine Effekte; bis hin zu: Sie seien für Wahlen entscheidend. Für mich steht außer Frage, dass es solche Bubbles gibt, aber sie existieren auch unabhängig vom Internet. Wir suchen uns unsere Freunde automatisch danach aus, dass sie ähnlich ticken wie wir. Wir geben uns mit Menschen ab, die ähnliche Werte pflegen wie wir. Die einen lesen die eher linke taz, die anderen die eher konservative FAZ, wieder andere die BILD oder die SZ. Das sind ja auch Bubbles.
Ihr Buch endet mit einem Plädoyer für „positiven Populismus“. Was ist darunter zu verstehen?
Es geht darum, wie man Fakten so verpackt und präsentiert, dass man die Gefühle der Menschen erreicht. Zum Beispiel der Klimawandel: Ich glaube, wir erreichen niemanden, indem wir ausschließlich mit Schreckens-Szenarien operieren, auch wenn sie stimmen. Die tägliche Apokalypse an die Wand zu malen, sorgt eher dafür, dass wir in Schockstarre verfallen. Wenn man es aber schaffen würde, das in ein positives Zukunftsszenario zu integrieren, in die Richtung: Das ist die bessere Welt, in die wir aufbrechen wollen ... , vielleicht erreichen wir so eher die Leute, die sich dann eher trauen, dieses Thema anzupacken. Das meine ich mit „positivem Populismus“. Was ist die gute Botschaft, die wir zu erzählen haben? Das halte ich für einen Grundfehler im Umgang mit dem politischen Populismus: Es reicht nicht zu sagen, das ist falsch, was die sagen. Sondern wir müssen die bessere Geschichte erzählen. Wir müssen denen das Publikum ausspannen. Das ist der springende Punkt. Nur mit Empörung jedes Mal zu reagieren, wenn einer der Populisten irgendeinen vollkommenen Irrsinn von sich gibt, das trägt nur deren Botschaft in die Welt. Und ich glaube die Hauptstrategie wäre es, eine Vision zu haben, die die Menschen eher packt und begeistert.
Quelle:
https://www.br.de/nachrichten/kultur/ge ... us,RNhNPF7