Das Ende der Aufklärung?

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Hiob
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Hiob »

Claymore hat geschrieben: Mi 9. Sep 2020, 22:19 D. h. indem es für ihn unzweifelhaft ist, dass quantitativen Eigenschaften, solange sie nicht komplett "eingebildet" sind (wie im Traum), "echt" existieren, also völlig vom Subjekt unabhängig sein müssen. Was für qualitative Eigenschaften jedoch "offensichtlich" nicht gelten soll: pH-Wert als Maß der Chemie ist "echt" nach "Glaubensentscheid, dass die äußere Welt existiert", Säure-wie-geschmeckt jedoch niemals. Bei dieser versteckten Voraussetzung wird nicht einmal erahnt, dass sie eine Setzung ist.
Da kann es sicherlich Stellen geben, an denen man nachjustieren muss. - Deshalb nochmals die Grundlage, die da lautet: Sein ist nicht abhängige Größe von Menschen-Maßstäblichkeit. - Gott ist kein Geschöpf des Menschen.

Nach wie vor: Das ist ein spannendes und wichtiges Thema.
Rembremerding

Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Rembremerding »

Man kann gut und böse nicht "werten" oder unterscheiden, wenn es keinen Maßstab dessen gäbe, was gut ist. Allein schon die Sehnsucht des Menschen danach, Werte, also gut und böse festzulegen, zeugt davon, dass er eine Ahnung davon hat oder haben will. Es gibt Grundwerte, welche außerhalb kultureller Prägungen in der gesamten Menschheit relevant sind.

Die historische Aufklärung war keineswegs jene Bewegung, welche Werte entwickelte, im Gegenteil: viele, vor allen soziale Werte des christlichen Zeitalters zuvor wurden verworfen. Die Aufklärung war zeitgleich mit dem Beginn des negativen Kolonialismus verbunden und zementierte den Nationalismus sowie Rassismus. Erst durch die Renaissance und die Aufklärung wurde etwa auch die Hexenverfolgung forciert.
In diesem Sinn gibt es auch einen positiven Aspekt des Endes der Aufklärung: Etwa Kolonialismus und Rassismus finden in der Zeit der Nach-Aufklärung in dem nun vorherrschenden Relativismus keine ideengeschichtliche Begründung mehr.

Metaphysik oder etwa theoretische Physik waren zu aller Zeit Motor des Fortschritts. Was in Experimenten zu prüfen ist, muss zuerst als Wissensmangel erkannt werden.

In der äußersten Spezialisierung der Wissenschaft zeigt sich ein anderer Aspekt der Wichtigkeit von Metaphysik: der Versuch in ihr ein holistisches Weltbild zu finden oder zu erhalten, Zusammenwirkungen und Ursachen zu erkennen.
Deshalb ist es gefährlich, Metaphysik als Schimpfwort für irrationale Egoisten zu missbrauchen. Eine Wirkung daraus ist z.B., dass Wissenschaft und Forschung von vielen gar nicht mehr verstanden wird, was sich besonders während der Covid-Zeit zeigt.
Anthros
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Anthros »

Rembremerding hat geschrieben: Do 10. Sep 2020, 06:34 Man kann gut und böse nicht "werten" oder unterscheiden, wenn es keinen Maßstab dessen gäbe, was gut ist.
Wie ist denn dieser Maßstab?
Anthros
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Anthros »

Rembremerding hat geschrieben: Mi 9. Sep 2020, 13:52 Irrationale Metaphysik ist unlogisch, geschichtsvergessen, besserwisserisch, engstirnig und (ironischerweise) unfassbar überheblich.
Vielleicht sind die genannten Attribute durchaus angemessen, um sich den letzten Fragen zu nähern?
Anthros
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Anthros »

Rembremerding hat geschrieben: So 16. Aug 2020, 10:57 Eine spirituell basierte Aufklärung ist nur in dem Umfang positiv wirksam, wie ihre Basis es zulässt.
Eine Basis kann sich an dem verändern, was an ihr aufgebaut worden ist.
Rembremerding

Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Rembremerding »

In den USA begonnen, in Europa schon ersichtlich: Cancel Culture.
So nennt man das Phänomen andere Positionen unter Verweis auf ihre ethische und politische Fragwürdgkeit zu unterdrücken, Meinungsäußerungen ihrer Protagonisten zu verhindern, Stellungnahmen unpubliziert zu lassen.
Cancel Culture hat zwar ihren Ursprung meist im linken politischen Spektrum, was Widerstand sowohl von liberaler als auch von rechter Seite bewirkt, jedoch hat sich nun verstärkt auch der rechte Rand dieses Mittels bemächtigt.

Schon früh haben Christen Cancel Culture erfahren, wenn es etwa gegen Abtreibung und für Lebenschutz sowie das Recht des Menschen auf Religion in der Öffentlichkeit geht. Im säkularen Bereich werden Aufklärer wie etwa der Philosoph und Moralist David Hume regelrecht ausgelöscht, weil Gutmeinende meinen, in seinem "Traktat über die menschliche Natur" findet sich Rassismus, denn dort wird die Vernunft als Skalvin der Gefühle bezeichnet.
Cancel Culture darf dumm, undifferenziert, ideologisch, geschichtsvergessen sein, Hauptsache sie bedient das Empörium.

Cancel Culture zeigt sich vom linken sowie rechten politischen Spektrum her meist als moralisch hoch erhaben, greift jedoch die gesellschaftliche Substanz an. Die Zeit der Aufklärung kultivierte Debatten, um herauszufinden, was wirklich der Fall ist, wer welche Interessen hat und welchen persönlichen Hintergrund. Dies geschieht bei Cancel Culture, dem Ende der Aufklärung, nicht mehr. Deshalb bedroht sie auch die Demokratie, ja, wird auch gerade deshalb von jenen forciert, die dies beabsichtigen.
Hiob
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 21. Sep 2020, 16:53 Cancel Culture darf dumm, undifferenziert, ideologisch, geschichtsvergessen sein, Hauptsache sie bedient das Empörium.

Cancel Culture zeigt sich vom linken sowie rechten politischen Spektrum her meist als moralisch hoch erhaben, greift jedoch die gesellschaftliche Substanz an.
Da sind wir uns, wie so oft, sehr einig. --- Interessant und beunruhigend ist dabei, dass sich die Cancel-Kultur als Ausdruck von Moral versteht.

Mir ist das u.a. in einer ZEIT-Diskussion aufgefallen, in der ein klassisch Aufgeklärter einem Cancel-Kultur-Mensch gegenüberstand. - Als die Diskussion etwas heiß wurde, bracht es aus dem Cancel-Kultur-Mensch sinngemäß heraus, dass sein Gegenüber eine alte Zeit repräsentiere, aber die Moral nicht mehr aufzuhalten sei.

Das wirft ein interessantes Licht auf das Selbstverständnis der eher jüngeren Generation, aus der dies kommt. - Man steht auf dem "Kommandohügel der Wissensökonomie" (so Josef Joffe) und meint, man vertrete mit seiner wider-aufklärerischen Haltung eine Moralität. - China lässt grüßen. - Wir gehen in eine Zeit der Bilderstürmer.
Rembremerding

Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Rembremerding »

Hiob hat geschrieben: Mo 21. Sep 2020, 17:33
Mir ist das u.a. in einer ZEIT-Diskussion aufgefallen, in der ein klassisch Aufgeklärter einem Cancel-Kultur-Mensch gegenüberstand. - Als die Diskussion etwas heiß wurde, bracht es aus dem Cancel-Kultur-Mensch sinngemäß heraus, dass sein Gegenüber eine alte Zeit repräsentiere, aber die Moral nicht mehr aufzuhalten sei.

Wir gehen in eine Zeit der Bilderstürmer.
Es ist eine Moral ohne moralischen Anspruch, eine Moral, die sich pragmatisch, graduell an politischen oder auch egoistischen Maßstäben misst. Es ist eine Moral einer Selbstoptimierer-Generation, die allein das als Wert erkennt, was der eigenen Optimierung dient. Eine Moral, die Geichheit anstatt Gerechtigkeit (auch historische Gerechtgkeit) propagiert.
Wenn schon Essenskultur, individuelle Mobilität u.s.w. dieser "zeitgemäßen Moral" untertan sein muss, dann wird sich eine Kultur nicht etwa der Verbote und Gebote einstellen, sondern der Voraussetzungen "zu unser aller Besten", damit sich alle selbstoptimieren können.

Die Aufklärung suchte nach der Moral, nach dem Ende der Aufklärung wird sie selber gemacht, denn man macht sich weder die Mühe noch hat man den geistigen Unterbau, sie finden zu wollen.
Canon

Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Canon »

Ob der Cancel-Kultur-Mensch die neue "überlegene Rasse" wird? Was meint ihr?

LG Canon
Hiob
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Re: Das Ende der Aufklärung?

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 21. Sep 2020, 18:08 Es ist eine Moral ohne moralischen Anspruch, eine Moral, die sich pragmatisch, graduell an politischen oder auch egoistischen Maßstäben misst. Es ist eine Moral einer Selbstoptimierer-Generation, die allein das als Wert erkennt, was der eigenen Optimierung dient.
Trotzdem sollte man AUCH sehen: Der "Kommandohügel der Social Correct Morality" wird nur von wenigen besetzt - die Gesellschaft selbst ist da etwas anders. - Oder anders: Das Medien-Zeitalter ist charakterisiert durch eine Spaltung von Medien-Gesellschaft und wirklicher Gesellschaft - ein Grund übrigens für den Aufstieg der AfD.

Aber man muss nicht zur AfD schielen, wenn man diese Spaltung belegen will - es gilt auch für die "normale" Gesellschaft. - Wenn ich bspw. in die Haltungen meiner Kinder samt Partnern und Freunden gucke, sehe ich dort eine gesunde Distanz zu Gender-Gaga & Co. - Ich beklage zwar die mangelnde (traditionelle) Bildung dieser Generation (wenig Interessensfeuer für Dinge, die einem vordergründig nichts nützen - wie etwa Geschichte, Philosophie, Geistes-Disziplinen im Allgemeinen), aber lobe auch die innere Großzügigkeit in Dingen, die meine Generation einfach nicht hatte. - Man schämt sich bspw. nicht eigener Schwächen, sondern findet sie lustig.

Und dann gibt es bei einigen dieser Generation einen wirklich bewunderswerten Scharfsinn, der sich auch literarisch äußert - aber halt (traditionell) kulturell nicht interessiert. - Insofern: Ja, es besteht die Gefahr einer Bilderstürmer-Kultur. - Nein, trotzdem gibt es Grund für Optimismus.
Canon hat geschrieben: Mo 21. Sep 2020, 19:15 Ob der Cancel-Kultur-Mensch die neue "überlegene Rasse" wird? Was meint ihr?
Das wäre dann aber eine globale Rasse, nämlich alle die, die sich von Shanghai bis Amsterdam (von den USA gar nicht zu sprechen) logarithmen-gerecht verhalten und darauf achten, dasss es auch andere tun. - Nach wie vor hoffe ich auf eine Mehrheits-Subkultur.
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