"Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Philosophisches zum Nachdenken
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Thaddäus
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"Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Thaddäus »

Ich möchte eine Lerneinheit zu dieser These erstellen. Geklärt werden soll Wittgensteins These, die Welt sei die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge (TLP 1.1).

Ausgangspunkt ist eine Szene in einer populären Serie:
In der Folge 5.24 FRUCHTZWERG FLIEGT INS ALL der Serie THE BIG BANG THEORY schenkt die Serienfigur Howard Wolowitz - der bald als Astronaut an einer ISS-Mission teilnehmen soll - seiner Freundin Bernadette eine Halskette mit einem Sternen-Anhänger. Er verlangt den Sternanhänger von ihr jedoch zurück, denn er möchte ihn mit ins Weltall nehmen, so dass seine Verlobte hinterher tatsächlich einen Stern hat, der schon einmal im Weltraum war. Dieses Geschenk rührt Bernadette so sehr, dass sie Howard so schnell wie möglich heiraten möchte.



Die Lerneinheit will explizit eine Darstellung analytisch-philosophischer Methodik sein. Deshalb soll es etwas formaler zugehen:
Zunächst die Frage: Was halten Sie von Howards romantischer Geste? (Die Frage soll eine eigene, grundsätzliche Perspektive auf das Thema ermöglichen).
Wenn man sich hierzu Gedanken gemacht hat, folgt ein Gedankenexperiment:
Gedankenexperiment:

Howard erhält den Sternanhänger von seiner Verlobten zurück. In unserer faktischen Welt Wα (= die Erde) nimmt er den Sternanhänger mit auf die ISS. Er befindet sich damit außerhalb des Erdorbits, also "dort, wo die Sterne sind" und der Sternanhänger wird für die beiden Verliebten im übertragenen Sinne zu einem "richtigen" Stern. Der Sternanhänger erhält mindestens von Howard und Bernadette diese Bedeutungszuschreibung.

Nehmen wir nun an, es existiert eine mögliche Welt, die wir Zwillingserde (= Zwerde) WZ nennen. WZ ist mit unserer faktischen Welt Wα völlig identisch bis auf einen wichtigen Unterschied: In der möglichen Welt WZ vergisst Howard die Kette mit dem Sternanhänger auf der Erde. Der Anhänger verlässt den Erdorbit also nicht und ist nicht auf der ISS. Der Anhänger ist damit also nicht "dort, wo die Sterne sind" und kann damit auch nicht im Sinne Howards zu einem "richtigen" Stern werden.
Howard möchte seine romantische Geste nicht versauen und beschließt, einfach so zu tun, als ob er den Sternanhänger nicht auf der Erde vergessen hätte. Auch, wenn er Bernadette damit offensichtlich belügt, denkt er, dass es sich doch nur um eine kleine, verzeihliche Lüge handelt, die angesichts der Freude, die er Bernadette mit seiner romantischen Geste bereitet, zu rechtfertigen ist. Zudem ist er der Ansicht, dass der Sternanhänger eigentlich ja immer derselbe ist, ob er nun auf der ISS war oder nicht.
Frage: Hat Howard recht und worin bestehen die genauen Unterschiede zwischen der Erde Wα und der Zwillingserde "Zwerde" WZ ?
Frage: Was ist von Howards materialistischer These zu halten, zwischen dem Sternanhänger in Wα, nennen wir ihn Sα und dem Sternanhänger in WZ, bezeichnen wir ihn als SZ, gäbe es keinen Unterschied?
Formallogisch ausgedrückt soll die Frage beantwortet werden:
Ist Sα in Wα = SZ in WZ ?
Und jetzt kommt ein Sprung:

Es geht um die Frage, inwiefern der Stern-Anhänger in unserer Welt, wo er also auf der ISS war (Wα), sich von einem Stern-Anhänger, der nicht auf der ISS war (SZ) genau unterscheidet. Ist man radikaler Materialist, sind die Atome des einen Anhängers so gut wie die Atome des anderen Anhängers: sie sind identisch.

Aber die Eigenschaften beider Anhänger unterscheiden sich offensichtlich. Der eine Anhänger war nämlich auf der ISS, der andere nicht.

Formallogisch wird die leibnizsche Definition der Identität herangezogen, nach der etwas mit etwas identisch ist, wenn alle Eigenschaften identisch sind:

Dies nennt man die Ununterscheidbarkeit des Identischen.

a = b ⟶ ⋁(Fa ⟷ Fb) [= wenn a gleich b ist, dann gilt für alle a/b: a hat genau dann die Eigenschaft F, wenn auch b die Eigenschaft F hat.

Was bedeutet das für Howards Sternanhänger an der Kette?

Es bedeutet, das der Sternanhänger Sα defintiv nicht identisch ist mit dem Sternanhänger SZ. Denn Sα war auf der ISS, SZ aber nicht. Sie unterscheiden sich also in ihren faktischen Eigenschaften.

Und das bedeutet, dass die Bedeutungszuschreibung, dem im Orbit befindlichen Sternanhänger komme eine andere Bedeutung zu, als dem Sternanhänger, der nicht im Orbit war, einen tatächlichen ontologischen Unterschied ausmacht. Denn es ist eine Tatsache, dass der eine Anhänger auf der ISS war, der andere aber nicht. Und das beschreibt kein Ding, sondern ein Tatsache.

QED.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Do 8. Jun 2023, 03:11, insgesamt 1-mal geändert.
Reinhold
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Reinhold »

Schöne Veranschaulichung Thäddy. :thumbup: Geht aber auch kürzer:https://www.dwds.de/wb/relativ
relativ
nicht uneingeschränkt, nicht absolut gültig, nur in bestimmten Grenzen und Verhältnissen zutreffend, von Bedingungen oder Beziehungen abhängig
Kommt nämlich immer auf den jeweiligen Standpunkt an-und der ist immer Relativ gell? ;)
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Thaddäus
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Thaddäus »

Reinhold hat geschrieben: Do 8. Jun 2023, 03:07 Schöne Veranschaulichung Thäddy. :thumbup: Geht aber auch kürzer:https://www.dwds.de/wb/relativ
relativ
nicht uneingeschränkt, nicht absolut gültig, nur in bestimmten Grenzen und Verhältnissen zutreffend, von Bedingungen oder Beziehungen abhängig
Kommt nämlich immer auf den jeweiligen Standpunkt an-und der ist immer Relativ gell? ;)
Ich hätte dazu schreiben sollen: nur ernsthafte Antworten erwünscht. Was du da verlinkst, ist schlicht Bullshit. Reagiere auf das, was ich schreibe,- oder lass es. Comprende?

Falls du es nicht bemerkt hast: ich stelle hier etwas ein, das ich an anderer Stelle ausprobieren möchte. Ich stelle es hier ein, um abschätzen zu können, welche Reaktionen erfolgen können. Deine, ist eine Blödsinnsreaktion. Gut zu wissen. Gibt es auch noch andere Reaktionen?
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Thaddäus
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Thaddäus »

Thaddäus hat geschrieben: Do 8. Jun 2023, 03:14 ich stelle hier etwas ein, das ich an anderer Stelle ausprobieren möchte. Ich stelle es hier ein, um abschätzen zu können, welche Reaktionen erfolgen können.
Und um nochmals explizit hierauf zu verweisen: ich möchte lediglich eine möglichst authentische Reaktion auf das Geschriebene: ich präsentiere hier nicht meine Mumu. Ich will nur wissen, was ihr von diesem Ansatz haltet? Kann man das so machen, oder sollte man es anders angehen? Das ist schon alles. Mehr bedarf es nicht.
SilverBullet
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von SilverBullet »

Thaddäus hat geschrieben: Do 8. Jun 2023, 03:47Ich will nur wissen, was ihr von diesem Ansatz haltet?
Wenn dieser Ansatz von jemandem vertreten wird, dann gehört er zum Weltbild dieses Menschen.
Es handelt sich nicht um das Erarbeiten einer Tatsache, so dass ich (der ich ein anderes Weltbild habe) zur Akzeptanz gezwungen bin.

Beim Ansatz wird die Welt verdoppelt und diese Welten laufen unterschiedlich ab, wobei man sich nicht darum kümmert, was "das Verdoppeln" bedeutet und worin und mit welchen Auswirkungen das "anders Ablaufen" vorliegt.
Genau dieses Vorliegen von Umständen wäre aber "die Tatsache".

Im Ansatz springt man dann mit dem Fokus auf "das Objekt Anhänger" und macht damit eine Art "Existenzentwurf".
Etwas, was man also über "die Welt" nicht geklärt hat, steckt man nun in "den Anhänger" rein.

Die leibnizsche Definition der Identität hat zur Voraussetzung, dass man umfassenden Einblick in die Eigenschaften hat.
Genau das fehlt jedoch in Bezug auf Objekt-/Welt-Existenz.
Die Behauptung, dass sich der Ablaufunterschied (zwischen den Welten) beim Anhänger, also bei einer "Objekt-Existenz" befindet, ist eine Erfindung.

Insgesamt steckt man bei diesem Ansatz einfach vorne rein, was hinten herauskommen soll.
Der Formalismus ist dabei lediglich Ablenkung (wobei ich mir schon vorstellen könnte, dass dies derjenige, der ihn aufgestellt hat, gar nicht bemerkt hat).
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Paul
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Paul »

formallogik kommt hinterher, erst musst du die tatsachen feststellen, auf die du sie anwenden willst :wave:

in der tat vergeht die zeit im orbit etwas langsamer als auf der erdoberfläche, die atome hier unten sind also schneller gealtert :mrgreen:

viel interessanter ist die frage, wie stelle ich fest, dass mein gegenüber kein zombie ist...oder `ne kaputte schallplatte :lol:
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Solivagus
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Solivagus »

Hi Thaddäus,
Thaddäus hat geschrieben: Do 8. Jun 2023, 03:14[…] Gibt es auch noch andere Reaktionen?
meine Antwort würde in die Richtung Reinholds gehen.

Sternanhänger Sα hat m. E. ein kleines Problem. Er weiß nämlich nichts von seiner neuen Identität als „Stern“.
Thaddäus hat geschrieben: Do 8. Jun 2023, 02:43[…]
Frage: Hat Howard recht und worin bestehen die genauen Unterschiede zwischen der Erde Wα und der Zwillingserde "Zwerde" WZ ?
[…]
Der Unterschied des Sternanhängers Sα zu SZ liegt nicht in der Identität des Objekts selbst, sondern in dessen Beurteilung durch die Subjekte Howard und Bernadette. Verschwindet dieser Kontext – sterben bspw. Howard und Bernadette – wird der Sternanhänger Sα auch nicht mehr länger subjektiv als „Stern“ bewertet werden.
Thaddäus hat geschrieben: Do 8. Jun 2023, 02:43[…] QED. […]
Zum vollständigen Demonstrandum fehlt mir die Ausführung, wie die bloße (Wert-) Zuschreibung eines Subjektes, Einfluss auf die Eigenschaft\Identität eines Objekts nehmen und sie mutieren könnte.
Zuletzt geändert von Solivagus am Fr 9. Jun 2023, 21:34, insgesamt 1-mal geändert.
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(Duns Scotus, Tractatus de primo principio, 91, Übs. W. Kluxen)
The Ontological Argument (engl.)
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Paul
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Paul »

will ja nicht stören, aber mich erinnert das ganze an das zwillingsparadoxon...welches sich auflöst, wenn man die spezielle relativitätsrheorie anwendet :D

https://de.wikipedia.org/wiki/Zwillingsparadoxon
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Paul
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Paul »

einstein hat die spezielle relativitätstheorie entwickelt, weil er der meinung war, naturgesetze müssten für jeden gleich sein, egal ob er sich bewegt oder nicht

das hatte zur folge, dass er die lichtgeschwindigkeit als die konstante einführte, die unabhängig vom inertialsystem des beobachters immer den gleichen wert hat

hält sich hartnäckig schon hundert jahre ohne faksifikation die theorie, ähnlich ist es mit der quantenphysik
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Paul
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Re: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen"

Beitrag von Paul »

was ich eigentlich sagen wollte, im netz treiben sich jede menge typen rum, die es besser zu wissen glauben :lol:
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